Nr. 21 Die Gleichheit 181 der verschiedenen Unterstützungseinrichtungen, über die rein organisatorischen Einrichtungen, über die Tätigkeit der Gau- vorstände. Es werden darin auch alle Daten registriert und gewürdigt, die sich auf die Beteiligung der Arbeiterinnen an der Organisation der Holzarbeilerschaft beziehen. Und gerade diese Angaben verdienen eingehendere Besprechung auch an dieser Stelle. Der Deutsch  « Holzarbeiterverband hat sich in den letzten Jahren recht günstig entwickelt. Das zeigt folgende Tabelle, die wir dem Jahrbuch entnehmen: Der Verband ist also von 23774 Mitgliedern Ende 1393 und 70351 Ende 1902 auf 151717 Ende 1906 gestiegen. Gewiß ein recht günstiges Ergebnis. Immerhin bleibt dem Verband noch recht viel Organisationsarbeit zu tun übrig. Denn wenn man die Zahl der organisationsfähigen Holz- arbeiter in Deutschland   heute auch nur auf 550 000 ver- anschlagt, so wären noch nicht 30 Prozent davon im Deutschen Holzarbeiterverband, als ihrer modernen Gewerkschaft, or- ganisierl. Rund 70 Prozent der deutschen Holzarbeiter müßten also dieser Organisation erst noch zugeführt werden, gewiß eine gewaltige Aufgabe, wenn man bedenkt, daß es die schlechtestentlohnten, rückständigsten Arbeitermassen sind, die der Gewerkschaft noch fern stehen. Und zu diesen Massen zählen auch die in der Holzindustrie beschäftigten Arbeiterinnen, die in ihrer großen Mehrzahl noch unorgani- siert sind. Nach der Berufs- und Gewerbezählung des Jahres 1395 waren damals 20536 Arbeiterinnen in der Holzindustrie be- schäfligt. Angesichts der enormen Zunahme der Frauen- arbeit in der deutschen Industrie im letzten Jahrzwölft läßt sich annehmen, daß die Zahl der Arbeiterinnen in der Holz- industrie auf mindestens 30 000 angewachsen ist. Von diesen waren nach der letzten Abrechnung des Verbandes erst 3550 organisiert. Das ist wenig, gemessen an den Erfolgen bei Organisierung der Holzarbeiter im allgemeinen. Denn wenn von den Holzarbeitern insgesamt annähernd 30 Prozent dem Holzarbetterverband angehören, siizd von den Holzarbeite- rinnen nur annähernd 12 Prozent organisiert. Und andere Gewerkschaften, selbst gegnerische, kommen für die Organi- sation der Arbeiterinnen in der Holzindustrie nicht in Be- tracht. Immerhin soll gern anerkannt werden, daß es sich auch mit der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen seit dem Jahre 1393, dem Gründungsjahr des Deutschen Holzarbeiterverbandes, schon erheblich gebessert hat. Im Jahre 1895 waren noch nicht 2 Prozent der Arbeiterinnen unseres Gewerbes gewerkschaftlich organisiert, im Jahre 1906 dagegen rund 12 Prozent. Im Jahre 1394 entfiel im Deutschen Holzarbeiterverband auf 65 männliche ein weib- liches Mitglied, im Jahre 1906 dagegen kommt trotz der starken Ausdehnung dieser gewerkschaftlichen Organisation schon auf 42 männliche ein weibliches Mitglied. Allein im Jahre 1906 nahm die Zahl der weiblichen Mitglieder um 1753 oder 93 Prozent zu. Das ist ein recht günstiger Fort- schritt, der bei der Schwierigkeit der Organisation unter den Frauen gerade in der Holzindustrie gewiß jedem in die Augen springt. Denn die Arbeiterinnen unserer Industrie sind vorzugsweise in der Korbmacherei, Bürsten- und Pinsel- fabrikation und anderen schlecht entlohnten Gewerben be- schäftigt, wo es auch schwer ist, die männlichen Arbeiter zu organisieren und der Organisierung der weiblichen Arbeiter erst recht erhebliche Hindernisse entgegenstehen. Von diesen Schwierigkeiten berichtet uns folgende Tabelle, die wir aus dem Jahrbuch zusammengestellt haben. Es wurden im Deutschen Holzarbeiterverband weibliche Mit- glieder: 1 Hierunter 21 Jugendliche.' Hierunter 28 Jugendliche. Von den nach intensiverMgitations- und Organisations- arbeit im Jahre 1905 tatsächlich aufgenommenen 1314 weib- lichen Mitgliedern verblieben nur 1162 oder rund 64 Prozent, von den im Jahre 1906 tatsächlich aufgenommenen 3603 weiblichen Mitgliedern gar nur 1795 oder 49 Prozent dem Verbände treu. Das zeigt, wie schwierig es ist, daß die Organisation gerade unter den Arbeiterinnen festen� Fuß faßt, und die vorliegenden Schwierigkeiten steigern sich, je mehr der Verband die verhältnismäßig leichter zu bear- Keilenden Arbeiterschichten der Holzindustrie erfaßt haben wird und seine werbende Arbeit sich besonders den Kate- gorien der schlechter entlohnten und damit schwerer zu or- ganisierenden Arbeiterinnen zuwenden muß. Wir würden uns deshalb einer Täuschung hingeben, wollten wir uns verhehlen, daß es für den Deutschen Holzarbeiterverband  trotz der Steigerung seiner organisatorischen Mittel in den nächsten Jahren immer schwerer werden wird, betreffs der Organisierung der Arbeiterinnen erhebliche Fortschritte zu machen. Eine größere Zahl von weiblichen Mitgliedern hatte der Deutsche Holzarbeiterverband   in Berlin  , 236(hier Vorzugs- weise in der Musikinsttumenten-, Klaviaturen- und Mechanik- industrie), in Dresden   56, Niedersedlitz   30, Rabenau   34, in Altenburg   53(Harmonikafabrikation), Eilenburg   22, Leip- zig 66, Schmölln   234(Knopfmachereien), Schönheide   505 (Bürstenfabrikation), Zeitz   48, Bremen   149, Geesthacht   22 (Korbflechtereien), Hamburg   26, Hannover   27, Michelstadt   21 (Zündholzschachteln), Erlangen   32(Pinselfabrikatton), Fürth  132(Poliererinnen), Lauf 22, Nürnberg   394(Pinselmache- rinnen), München   310(Pinselmacherinnen), Tölz   23(Poliere- rinnen), Pforzheim   20, Stuttgart   25. Am Eifer, gerade auch Arbeiterinnen für die Organi- sation zu gewinnen, hat es der Halzarbeiterverband bisher gewiß nicht fehlen lassen. Im Gegenteil, er hat in dieser Hinsicht immer Außerordentliches geleistet, wie daS allein schon in der jahrelangen Bevorzugung der weiblichen Mit- glieder in bezug auf Beitrags- respektive Unterstützungs- berechnung zum Ausdruck kam. Was der Verband in bezug auf Unterstützungswesen den weiblichen Mitgliedern in den letzten Jahren geleistet hat, das wollen wir kurz in den folgenden Zahlenzusammenstellungen zeigen. Es erhielten weibliche Mitglieder: Bemerkenswert hierbei ist, daß die Arbeitslosigkeit der weiblichen Mitglieder durchweg länger war als die der männlichen. Und zwar belief sie sich bei letzteren im Durch- schnitt 1904 auf 14,3, 1905 auf 15,2, 1906 auf 15 Tage, gegenüber 24,0, 24,7 und 22,3 bei den weiblichen Mit- gliedern. Ein Beweis, daß die Arbeiterinnen ein recht großes Jntereffe gerade an dieser Unterstützungseinrichtung haben. Es bezogen des ferneren weibliche Mitglieder: Notfallunterstützung: Dazu ist zu bemerken, daß die Zahl der weiblichen Mit- glieder, denen diese Unterstützungszweige zugute kamen, naturgemäß recht gering ist; bei allen diesen Einrichtungen sind längere Karenzzeiten vorgesehen, so daß die erst im Jahre 1906 organisierte große Zahl weiblicher Mitglieder das Ausgabenbudget der vorgenannten Unterstützungs- einrichtungen erst in den nächsten Jahren stark belasten wird. Bei den Streiks ist die verhältnismäßig starke Beteiligung der weiblichen Mitglieder bereits im Jahre 1906 in die Er- scheinung getreten. Denn von den am Jahresschluß dem Verband angehörenden 3550 weiblichen Mitgliedern haben im Laufe des verflossenen Jahres nicht weniger denn 3223 an einer Lohnbewegung teilgenommen. Das heißt, nahezu jedes weibliche Mitglied ist vom Deutschen   Holzarbeiter- verband in die Lage versetzt worden, zwecks Verteidigung oder Verbesserung seiner Arbeitsverhältnisse in eine Be- wegung einzutreten, während noch nicht die Hälfte der männlichen Mitglieder an Lohnbewegungen beteiligt war. Gewiß ein Beweis, wie sehr den leitenden Verbandsinstanzen die Besserung der Verhältnisse gerade der Arbeiterinnen am Herzen liegt. Diese Bevorzugung der Arbeiterinnen im wirtschaftlichen Kampfe seitens starker Gewerkschaften liegt durchaus in der Natur der Sache. Die Gewerkschaften sind Organisationen zur Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter- schaft. Wirksam können die Arbeiterinteressen aber nur ge- fördert werden, wenn mit besonderem Nachdruck gerade für die schlechter entlohnten Arbeiterkategorien eingetteten wird. Das ist in den größeren deutschen Gewerkschaften stets ge- schehen, so auch seitens des Holzarbeiterverbandes zugunsten der Arbeiter kleinerer Beruf« und der Arbeiterinnen. Als die Arbeiterinnen sich auch nur in nennenswerter Zahl or- ganisierten, führte der Verband sofort aus der ganzen Linie eine großzügige Bewegung durch. Die finanziellen Auf- Wendungen dafür sind in der Abrechnung nicht einzeln aus- gewiesen, wir wissen aber, daß die Aufwendungen gerade für diese Bewegungen ganz horrende waren. In größerer Anzahl kamen Arbeiterinnen in Bettacht bei den Bewegungen der Korbmacher, Kammacher, Knopf- drechsler, in Pianomechanik-, Harmonika-, Spielwaren­fabriken, ferner in Pinsel- und Bürstenfabriken. So waren allein in Schönheide   neben 756 männlichen 464 weibliche Beschäftigte der Bürstenindustrie beteiligt. Bei den Lohn- bewegungen der Bleististarbeiter in Nürnberg   kamen neben 518 männlichen 302 weibliche Beschäftigte in Betracht, die dabei ihre Löhne durchschnittlich um 1 bis 2 Mk. pro Woche steigerten. Bei der ohne Stteik erledigten Lohnbewegung der Stuhlrohrarbeiter in Bremen   erreichten die beteiligten 145 Arbeiterinnen sogar eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 3,15 Mk. pro Woche. Auf die einzelnen Bewegungen verteilen sich die Arbeite- rinnen wie folgt: Die vorstehend wiedergegcbenen Zahlen zeugen von einer günstigen Entwicklung der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen in der Holzindustrie. Gewiß haben wir die weitaus schwerste Arbeit zur Organisierung der weib» lichen ArbeitSttäfte noch vor uns, aber die bisherigen Er- folge berechtigen zu den schönsten Hoffnungen auch für die Zukunft. Und gerade die Tätigkeit des Holzarbeiterverbandes im letzten Jahre im Interesse der wirtschaftlichen Lage der Arbeiterinnen wird uns bei unserer künftigen Agitattons- tätigkeit gute Dienste leisten. Hoffen wir, daß wir bei dieser schwierigen Agitation seitens der weiblichen Mitglieder des Verbandes selbst wirksame Unterstützung finden. E. D. Zur Frage der Fürsorgeerziehung. Der 14. Internationale Kongreß für Hygiene und Demographie hat kürzlich in Berlin   getagt. Das umfassende interessante Beratungsmaterial schloß auch die. Erörterung der Fürsorgeerziehung ein, und zwar be- handelte man die Frage vorzüglich vom Standpunkt der Fürsorge für Schwachsinnige. Nach dem Referate von Wilhelm Weygandt   aus Würzburg  , der als bedeutendste Autorität auf diesem Gebiete gilt, wurde folgend« Resolution angenommen: Die gegenwärttg« Organisatton unter anderem der Fürsorgeerziehung reicht nicht aus. Es ist Sorg« zu tragen, daß nicht allein Hausväter und Lehrer(oder die Rute!), sondern in erster Linie der Arzt ein Wort mit- zusprechen habe. Sittlich gefährdete und defekte Kinder ge- hören in die Fürsorgeerziehung, epilepttsche, nerven- und geistesttanke Kinder wiederum in besondere Anstalten. Wie wenig die soziale Fürsorge für geisttg oder sonstig abnorme Kinder geregelt ist, legte Or. Fürstenheim auS Berlin   in einem zweiten Referat dar. In Preußen zum Beispiel ist die Frage der Kostendeckung für die besondere Erziehung anormaler Kinder bis heute nicht geregelt worden; ein öffentlicher Kostenttäger existtert vorläufig nur bei denjenigen Kindern, bei denen die Voraussetzungen des preußischen Fürsorgeerziehungsgesetzes vorliegen: nämlich entweder die Gefahr völliger sittlicher Verwahrlosung des Kindes oder aber schwere erziehliche Vernachlässigung durch die Eltern. Da die preußische Rechtsprechung angenommen hat, die Ge- fahr der sittlichen Verwahrlosung eines Kindes sei erst ge- geben, wenn es bereits ein Delikt begangen habe, so bleibt dem Unbemittelten heute die notwendige Hilfe gerade in den Fällen versagt, in denen sie sich zur Rettung ihres Kindes rechtzeitig Rat suchend an den Arzt oder eine andere berufene Person wenden. Die Lücken in der Gesetzgebung erklären sich zum Teil daraus, daß bei der Schaffung der heute geltenden Gesetze die eigenartigen Zustände der Schwach- sinnigen und geistig-sittlich Anormalen und Kranken noch nicht bekannt waren. Nachdem die Forschung in der letzten Zeit auf diesem Gebiete mit Erfolg tättg gewesen ist, ist es an der Zeit, daß Gemeinden, Provinzen und Staaten die notwendigen Mittel zur rationellen Fürsorge bewilligen. Solche rückständigen Verhältnisse bestchen nicht nur in Preußen. Allüberall im deutschen Vaterlande, wo unsere Parteigenossen mitzured-m haben in Fragen der Fürsorge- und Zwangserziehung in den Gemeinden, können sie ein Liedlein davon singen, mit wie viel Verständnislosigkeit, mit welch großen Vorurteilen sie gerade auf diesem wich- tigen Gebiete zu kämpfen haben. Aus meiner Skizzenmappe nur zwei charakteristische Federzeichnungen, deren Gegenstände zu gleicher Stunde das Armenratskollegium einer Stadtgemeinde beschäftigten: Die Eltern eines noch nicht neun Jahre alten Mäd- chens werden mit der Bitte vorstellig, das Kind in eine Zwangserziehungsanstalt zu verbringen. Das Kind hatte schon mehrere Eigentumsvergehen begangen, wofür der Vater, der nur ein mäßig entlohnter Arbeiter ist, haftbar gemacht wurde. Zuletzt hatte das Kind etwas aus einer Jahrmarktbude entwendet, und es war den Eltern von der Schulbehörde nahe gelegt worden, das Kind der Zwangs- erziehung zu übergeben. Trotz einer entschiedenen Oppo- sitton von sozialdemokratischer Seite wurde dem Anträge der Eltern entsprochen. Nichts nützte der Einwand, daß bei einer derartigen verbrecherischen Neigung nicht die