Nr. 24Die Gleichheit207Buchhandlung„Vorwärts" hat sich deshalb wohl verdientdamit gemacht, daß sie von einem bürgerlichen Verlag eineAusgabe von Freiligraths gesamten Werken übernommenhat, die in 3 Büchern in gutem Druck und sauberer Aus-stattung vorliegt. Der geringe Preis von 3 Mk. macht dieAnschaffung großen proletarischen Kreisen möglich. Mögedas Weihnachtsfest daher Freiligraths Werke als wertvolleGabe in viele Arbeiterfamilien tragen, nicht bloß zur Er-quickung und Erhebung der Alten, sondern besonders auch zurErziehung des heranwachsenden Geschlechtes, das flammende,revolutionäre Begeisterung, hohe künstlerische Werte aus ihnenheben kann. Den Arbeiterbibliotheken sei dringend die Anschaf-ung der Freiligrathschen Werke empfohlen. Ihre Leser werde»es ihnen Dank wiffen. Die Ausgabe enthält außer Freiligrathseigenen Gedichten auch seine zahlreichen vorzüglichen Über-setzungen von bedeutenden französischen, italienischen, ameri-kanischen und vor allem englischen Poesien. Semer weit-bürgerlichen Gesinnung getreu, hat er durch die übersetz»ungen- wie sie nur der Dichter geben kann— an demPantheon der Weltpoesie gearbeitet, an dem wir seit Herderfort und fort bauen. Diese Verdeutschungen und Nachdichtungen sind gerade für das Proletariat eine bedeutsame Gabe.An der Ausgabe haben wir in der Hauptsache nur aus-zusetzen, daß sie die Muttermale ihrer bürgerlichen Herkunftträgt. Das eine in Gestalt des einleitenden Gedichtes„AnDeutschland", einer höheren Gelegenheitspoesie aus der Zeitdes deutsch-französischen Krieges, das weder durch seinenGedankengehalt noch durch seine künstlerischen Vorzüge fürFreiligraths stark geprägte Eigenart charakteristisch ist. Esist offenbar bestimmt, die Rolle des patriotischen Mantelszu spielen, dank dessen ein gut bürgerliches Publikum nichtvon vornherein durch den Anblick der schwertgegürtetenrevolutionären Lieder der Freiligrathschen Kunst geschrecktwerden soll. Das zweite Merkmal ist die Biographie desDichters von Schmidt-Weißenfels. Wir bemäkeln nicht härterals verdient das Bemühen, die wilde revolutionäre Löwen»mähne des Dichters patriotisch sittig zu frisieren. Verglichenmit anderen derartigen Leistungen hat er sich in anständigenGrenzen gehalten. Wir anerkennen auch, daß die Biographiedie Schöpfungen voll revolutionären Sturmes und Drangesnicht herabwürdigt, vielmehr würdig und mit einem gewissenGrade von Sympathie behandelt. Allein sie hat sie auchnicht genügend in ihrem organischen Zusammenhang mit derZeit erfaßt, aus der sie geboren sind, und daher ist sie auchFreiligrath, dem revolutionären Sänger, weder geschichtlichnoch äfthettsch ganz gerecht geworden. Und wenn auch dieGedichte selbst die beste Korrektur des letzteren Mangelssind, so bleibt der andere fühlbar in dem Fehlen des geschicht-lichen Untergrundes, auf dem Freiligraths starke Persönlich-keit sich künstlerisch entfalten konnte.Wir heben hervor, was uns an der Ausgabe mangelhaftdüntt, um die Buchhandlung„Vorwärts" anzuregen, einneues und größeres Verdienst demjenigen hinzuzufügen,Freiligraths Werke dorthin zu bringen, wohin sie vor allemgehören: unter die proletarischen Massen. Heute sind zurNeuausgabe die Werke sehr vieler Meister der deutschenLUeratur aus der Zeit frei, wo die Bourgeoisie die Schlachtenihrer Emanzipatton auf dem Gebiet der Kunst und Philo-sophie geschlagen hat, und von der verbindende Fäden zudem proletarischen Befreiungskampf hinüberführen. SolcheWerke, eingeleitet und kritisch beleuchtet vom Standpunktdes historischen Materialismus aus, sollte die Buchhandlung„Vorwärts" in eigener Ausgabe und geschmackvoller Aus-stattung zu niedrigen Preisen unter das Proletariat tragen.Sie würde damit dessen künstlerische wie geschichtliche undallgemeine Bildung von Geist, Herz und Charakter wesent-lich fördern. An Persönlichkeiten, welche die vorliegendeAufgabe lösen können, fehlt es der Sozialdemokratte nicht,und müssen wir in diesem Zusammenhang den NamenMehring nennen, so nicht, weil Genosse Mehring der einzige,wohl aber weil er der berufenste wäre, das Proletarial indie Kulturwelt der deutschen Literatur einzuführen. Hinterder Buchhandlung„Vorwärts" steht die Gesamtpartei, dieden Betrieb der Notwendigkeit enthebt, aus jedem Unter-nehmen um jeden Preis den höchstmöglichen Gewinn ziehenzu müssen. Es liegt hier eine hochbedeutsanie Kulturaufgabevor, und die Partei wird, sie muß gern bereit sein, sie auchum den Preis von Opfern zu erfüllen.Schularztberichte.Von Dr. Zadel.IV.Ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung des Ge-sundheitszustandes und der körperlichen Entwicklung derSchulkinder gibt das Maß und die Wage. Nicht überallfinden wir diese in der Anwendung ebenso einfachen wiein ihren Ergebnissen einwandsfreien Hilfsmittel erwähnt.Zum Teil, wie wohl in Berlin(vergleiche die Anmerkung'auf der dritten Spalte), weil es an Zeit sür Wägungenund Messungen fehlt, respektive die Zahl der Schulärzte zugering ist. zum Teil, wie es im Bericht von Boxhagen-Rummelsburg heißt,„konnten Wägungen und Messungenuicht vorgenommen werden, da die notwendigen Apparatenicht vorhanden waren". Messungen der Körpergröße wur-den vorgenommen in Mannheim, Nürnberg, Frankfurt,Braunschweig und Brünn, Messungen des Brustumfanges inNürnberg und Braunschweig, Bestimmungen des Körper-gewichtes in Frankfurt a. M., Mannheim, Brünn.In Mannheim wurden an Knaben und 3356Mädchen Messungen vorgenommen, um die Einordnung derSchüler in die ihrer Körpergröße entsprechenden Schulbänkezu ermöglichen, außerdem bei 369 in die Ferienkolonien ge-schickten Kindern das Körpergewicht vor und nach den Ferienfestgestellt, um zu ermitteln, welche Änderungen durch diebesseren Ernährungsverhältnisse bewirkt worden waren.In Braunschweig ergaben die Messungen, daß biszum fünften Schuljahr beide Geschlechter annähernd gleichgroß waren; im letzten Schuljahr(um die Zeit der Ge-schlechtsreife) überttafen die Mädchen um 1,74 Zentimeterim Durchschnitt die Knaben. Im Brustumfang bliebendieMädchenhinter d en Knab en zurück(ungenügende,oberflächliche Atmung?), erst im letzten Schuljahr erreichtensie annähernd die gleiche Brustweite.Diese Minderwertigkeit der Mädchen im Brustmaß be-stätigte sich in Nürnberg:68,3 Prozent der Mädchen(41,5 Prozent der Knaben)hatten unter 55 Zentimeter Brustmaß, über 55 Zentimeternur 31,7 Prozent der Mädchen, dagegen 58,5 Prozent derKnaben. Die Messungen der Körpergröße ergaben, daß dieKnaben im Durchschnitt etwas größer waren als die gleich-altrigen Mädchen.Größer als 115 Zentimeter sind 1904/05 909 Knabenund nur 635 Mädchen, 1903/04 946 Knaben und nur 658Mädchen, kleiner als 106 Zentimeter 280 Knaben und 434Mädchen 1904/5, 191 Knaben und 290 Mädchen 1903/04 ge-funden worden. Ein Vergleich der Volksfchüle-rinnen mit den Befucherinnen der höherenTöchterschulen ergibt das bemerkenswette Resultat, daßdie letzteren erheblich größer sind: unter 106 Zentimeterblieben nur 3,82 Prozent in den höheren Töchterschulen,dagegen 15,4 Prozent in den Volksschulen, über 115 Zenti-meter wiesen 61,78 Prozent(1903/04 sogar 81,08 Prozent)in der höheren Schule, dagegen nur 26,33 Prozent derVolksschülerinnen auf— wozu freilich anzumerken ist, daßbei der höheren Töchterschule wohl auch die höheren Alters-klaffen über das 14. Jahr hinaus in die Statistik mit ein-begriffen sind.In einer Arbeit über Meffungen der Körpergröße anzirka 7000 Schulkindern berichtet Kreisarzt Dr. Traeg erin Adelnau, daß er für die dorttge fast rein polnische Be-völkerung ebenfalls feststellen konnte, daß die Mädchen erstkleiner sind als die Knaben(im sechsten Lebensjahr 107Zentimeter gegen 110 Zentimeter), sich ihnen langsam anGröße nähern, um im elften Jahre die Durchschnittsgrößeder Knaben zu erreichen.Von Interesse sind die Feststellungen der 10 BrünnerBezirksärzte, welche seit fünf Jahren den erweiterten schul-ärztlichen Dienst versehen, über die Veränderungender Körpergröße und des Gewichtes bei Knabenund Mädchen während der Schulzeit. Bei denKnaben wurde in der Zeit vom sechsten bis vierzehntenLebensjahr eine Wachstumszunahme von 36,4 Zentimeter(von 112,6 auf 149 Zentimeter), bei den Mädchen von 41,4Zentimeter(von 111,5 auf 152,0 Zenttmeter) beobachtet; imVorjahr waren die entsprechenden Zahlen 37,1 und 33,3Zentimeter. Die Knaben nahmen im Mittel alljährlich um4,5 Zentimeter(im Vorjahr 4,6 Zentimeter) zu, die Mäd-chen um 5,1(4,8) Zentimeter. Das Körpergewicht stieg beiden Knaben von 20,2(19,9) Kilogramm auf 39,5(39,5) Kilo-gramm, also um 19,3(19,6) Kilogramm, im Durchschnittjährlich um 2,4 Kilogramm, bei den Mädchen von 19,5(19,5) Kilogramm auf 41,8(40,7) Kilogramm, also um 22,3(21,2) Kilogramm oder jährlich um 2,8(2,6) Kilogramm.„Die Knaben traten, entsprechend der im allgemeinen größerenspäteren Körperlänge, auch mit einem Mehr gegenüber denMädchen in die Schule ein, behalten dieses überwiegen je-doch nur im siebenten und achten Lebensjahr, um sodanndurch die ganzen Jahre, bis gegen das siebzehnte, von denMädchen übertroffen zu werden, weil entsprechend derfrühereu Reife bei den Mädchen auch die körperliche Eni-wicklung derselben eine raschere ist als bei den Knaben.Mit dem Einsetzen der Reife bei den Knaben wird so-dann deren Längenwachstum ein sehr reges." Wie ausden Zahlen hervorgeht, handelt es sich bei diesen Erhebungenum alle Schüler und Schülerinnen Brünns zusammen; eswäre von Wichtigkeit, zu untersuchen, ob die gefundenen Ergeb-nisse auch zutreffen, wenn man die Insassen der Volksschulen(ohne Einschluß der höheren Schulen) für sich allein nimmt.In Frankfurt a. M. ergaben die Meffungen undWägungen ebenfalls fast durchweg größere Zahlen für dieInsassen der Mittelschulen als für diejenigen der Bürger-(Volks-)schulen.Körpergröße(in Zentimeter):Minimuni Mittler« MaximumDer schon oben konstatierte bessere Gesund-heitszustand der in besseren Verhältnissenlebenden Besucher der Mittel- und höherenSchulen findet seinen objektiven Ausdruck indem stärkeren Wachstum und höheren Körper-gewicht dieser Schüler gegenüber den Volks-schillern. Ob die beobachteten Eigentümlichkeiten inden Wachstums- und Gewichtszunahmen, ob die Unterschiedezwischen Knaben und Mädch enAllgemeingültigkeit beanspruchenkönnen, ob wir es hierbei mit wirklichen durch Geschlechts-charaktere und Geschlechtsentwicklung bedingten Differenzenzu tun haben, oder ob da Verschiedenheiten in der Er-ziehung und in der Lebensweise mitsprechen, darüber müssenlängere Zeit durchgeführte Beobachtungen und größereZahlenreihen die Entscheidung bringen." Daß aber dieheulige Erziehung und Lebensführung die Mädchen inihrer körperlichen Entwicklung benachteiligtund schuld ist an ihrer größeren Kränklichkeit(vergleichenamentlich die Nürnberger Zahlen), dafür bringen die Be-richte der Schulärzte mannigfache Belege.So klagt der Frankfurter Bericht über geringe Be-Nutzung der Schulbäder namentlich seitens der älterenMädchen. In einer ersten Klasse mußten die Bäder wegenzu geringer Inanspruchnahme ganz ausfallen; etwas besserwar die Benutzung der Schwimmbäder im Main, aber auchda die Beteiligung der Mädchen geringer als die derKnaben(66,56 Prozent gegen 74,1 Prozent). Ebenso wardie Beteiligung an den Turnspielen in den Bürgerschulengeringer, nämlich von 53,6 Prozent der Knaben und nur31 Prozent der Mädchen; in den Mittelschulen war die Be-teiligung besser: 66 bezw. 63 Prozent, überall findenwir die Mädchen im Rückstand gegen dieKnaben— zumeist dank des Unverstandes derEltern.Der Darmstädter Bericht knüpft an die Tatsache, daßin der(Knaben- und Mädchen-)Mittelschule I bei 4,91 Pro-zent der Knaben, dagegen 10,85 Prozent der Mädchen Blut-armut gefunden wurde, die Bemerkung: Ursache sei diemangelhafte Ernährung besonders bei den aus den ärmerenFamilien stammenden Mädchen und ungenügende Bewegungin freier Lust; Mädchen de? dritten bis sechsten Schuljahrswürden von den Eltern oft zu ängstlich zu Hause gehaltenund müßten häufig schon über ihre Kräfte im Haushalt mit-helfen. Bei einigen Mädchen war die Beteiligung an Extra-handarbeitskursen außerhalb der Schule(andauerndes Sitzenmit gekrümmtem Rücken, Naharbeit!) an der Blutarmutschuld; die Eltern dieser Kinder wurden auf das Verkehrtedieser Tätigkeit aufmerksam gemacht, und mit dem Weg-bleiben aus diesen Kursen besserte sich auch die Blutarmut.Von dieser Regel— dem häufigeren Vorkommen von Blut-armut bei den Mädchen— machte eine Mädchenschule eineAusnahme: während in der Mittelschule ll 15,6 Prozentder Mädchen, in den Mädchenschulen I und II 15,83 bezw.* Angaben über die durchschnittliche Körpergröße und daS Ge-wicht der Berliner BolkSschullinder sind in einer vergleichendenTabelle enthalten, die man in dem soeben erschienenen Taschenbuchfür die Schulärzte findet. Die Schulkinder der ReichShauptstadtschneidm im Vergleich zu anderen Städten gar nicht so übel ab.Während ein Berliner Abcschütze im Durchschnitt 113,6 Zentimetergroß und 20,1 Wogramm schwer ist, hat eS fein Altersgenosse inHalle nur auf 110 Zenttmeter und 19 Kilogramm gebracht. AusKiel und Lübeck, aus Freiberg und Posen fehlen die Gewichts-angaben, aber die entsprechenden Zahlen für die Größen find 103,8bis 111,7 bis 108,6 und 106,9 Zenttmeter. Selbst die sechs-jährigen Kinder in den Dorffchulen Hinterpommerns stehen mit112,4 Zentimeter durchschnittlicher Körperlänge Himer den BerlinerAltersgenossen zurück. Auch Breslau kann sich mit Berlin nichtmessen, da hier die Kinder nur 106 Zentimeter groß und 18,7 Kilo-gramin schwer find. Diese Verhältnisse bleiben im wesentlichendurch alle Altersstufen dieselben, und nur in den beiden letztenSchuljahren, bei den 13 und 14jährigcn Volksschülern, tritt eineVerschiebung zuungunsten Berlins ein. Da zeigen sich zum Bei-spiel die Schulknaben in Hinterpommern mit einer durchschnittlichenGröße von 148,6 Zenttmeter den Berliner Altersgenossen um2 Zentimeter überlegen. Alle diese bisher angeführten Zahlen geltenaber nur für die Volksschulen. Es besteht ein wesentlicher Unter-schied zwischen Körperform und Gewicht eines Volksschülers undeines Zöglings der höheren Lehranstalten, und zwar zuungunstender Volksschiiler. In Berlin befinden sich die Kinder der wenigerbegüterten Klassen hierin in einem ganz erheblichen Nachteil.Während ein 12jähriger Gymnasiast im Durchschnitt 145,4 Zentimetergroß ist und 37,1 Kilogramm wiegt, hat es der gleichaltrige Volks-schülcr nur auf 139,7 Zentimeter und 32,9 Kilogramm gebracht,und ähnliche Distanzen lassen alle Altersklassen erkennen.Die Ursachen sür diese Erscheinmigen werden von Dr. Samosch-Breslau damit erklärt, daß die sozialen Verhältnisse für das Wachstum der Kinder von großer Bedeutung sind.Auch in Berlin wurden die Brausebäder von 334706 Knaben,dagegeit nur von 208928 Mädchen benutzt.