Nr. 7

Die Gleichheit

Rußlands   innere Zustände wurden in ihrer ganzen Fäulnis wieder einmal durch eine Untersuchung über die Moskauer  Polizei aufgedeckt. Es stellte sich heraus, daß diese ehrenwerte Institution mit dem Verbrechertum im Bunde stand und von seiner Beute flotte Trinkgelder bezog. Die höchsten Beamten, auch der Leiter, der General Reinbott, waren dabei. Die Finanzen des Reichs find vollständig zerrüttet 450 Millionen Rubel sollen wieder im Ausland gepumpt werden. Gegen die revolutio= näre Bewegung wütet die Blutjustiz mit nie erlahmender Wut. Der Galgen wird nicht leer; lezzthin wurde der von der Schweiz  an die zarischen Bluthunde ausgelieferte Freiheitskämpfer Wassilew von einem Ausnahmegericht zu zehn Jahren Arbeitshaus verurteilt.

In der Türkei   ist das Parlament zusammengetreten. Der Sultan mußte es als Gefangener der Revolution mit einer Thron rede eröffnen, worin er beteuerte, daß er verfassungsmäßig regieren will. Die Deputierten leisteten einen Eid, in dem das Treuegelöb­nis für den Sultan bemerkenswerterweise eingeschränkt war durch den Zusatz:... solange er an der Verfassung festhält".

Gewerkschaftliche Rundschau.

H. B.

Die Brutalität der Kapitalistenklasse feiert in dieser Zeit des wirtschaftlichen Niederganges wahre Orgien. Auch das Fest der Liebe" hat das Unternehmertum nicht gehindert, die Hungerpeitsche rücksichtslos auf den Rücken des Proletariats niedersausen zu lassen. So haben eine größere Textilfabrik in Friedland und ein Kaliwert in Kaiserslautern   turz vor Weihnachten massenhafte Entlassungen von Arbeitskräften vorgenommen und damit diese und ihre Familien der bittersten Not preisgegeben. Über die empörende Schandtat der badischen Industriellen, die mit faltem Hohne den Frauen und Töchtern streifender Arbeiter die Betätigung der einfachsten Familienpflichten verwehren wollen, haben wir in unserer letzten Nummer ausführlich berichtet. Und der An­laß des Vorgehens der Herren? Jm Strebelwert zu Mannheim  streifen etwa 600 Arbeiter, weil ihnen der Akkordlohn reduziert werden sollte. Für den Fall, daß die Streifenden bis 15. Dezember die Arbeit nicht wieder aufgenommen hätten, kündigte der Verband der Metallindustriellen nach bekannter Methode eine Massenaus sperrung der badischen und pfälzischen Metallarbeiter an, die etwa 150 000 Personen betroffen haben würde. Bürgermeister, Gewerbe­inspektor und Gewerberichter waren bemüht, eine Einigung herbei­zuführen. Die Zugeständnisse, die die Firma machte, waren jedoch so winzig, daß die Streifenden mit überwiegender Majorität, 397 gegen 31 Stimmen, den Vergleich ablehnten. Daraufhin ist den Arbeitern gekündigt worden, die Aussperrung sollte am 1. Januar 1909 erfolgen. Soweit verlief alles in den Bahnen der bekannten Scharfmacherpraxis. Aber dabei blieben die Dinge nicht stehen. Das gebrandmartte Zirkular, das der Arbeitsnachweis der badischen Industriellen an die Unternehmer versandt hat, setzt den Scharf machertücken die Krone auf.

Herausfordernd strupellos ist auch das Verhalten der Gruben­verwaltung von Radbod. Daß die Einrichtung der Grube allen Forderungen des Arbeiterschußes Hohn sprach, hat die schreckliche Ratastrophe bewiesen. Als unsere Abgeordneten im Reichstag   die Beschwerden der Kohlengräber über die herrschenden Mißstände zur Sprache brachten, forderte sie der preußische Handelsminister auf, die Namen ihrer Gewährsmänner zu nennen. Es wurde zugesichert, daß diesen aus ihren Angaben keine schlimmen Folgen erwachsen follten, im Falle ihrer Entlassung würden sie auf staatlichen Gruben Beschäftigung finden. Die Verwaltung der Zeche Radbod hat nun der Regierung sehr schnell Gelegenheit gegeben, zu zeigen, ob es ihr mit diesem ihrem Versprechen ernst ist, oder ob sie auch diesmal Versprechen und Halten als zweierlei betrachtet. Die Direktion hat nicht weniger als 122 Mann gekündigt, die über die Zustände in der Grube amtlich vernommen worden waren. Unter den Gemaß­regelten befinden sich zwei der bei der Katastrophe Geretteten. Daß dem Grubenkapital kein Herz in der Brust schlägt, erweist klärlich auch folgende Tatsache. Die Strafgelder der Verunglückten sollen den Hinterbliebenen von den Unterstützungsbeträgen abgezogen werden. So offenbart sich, mit welchem Recht die bürgerlichen Blätter nach der Grubenkatastrophe von dem Mitgefühl der Be­fizenden mit den grausam Getroffenen erzählen konnten.

Der Zentralverband der Ziegeleibesitzer hat beschlossen, von 1909 ab eine allgemeine fünfprozentige Lohnreduktion durch zuführen. Und zwar um die Interessen der Arbeiter zu wahren", wie das Organ des Verbandes dazu bemerkt. Ist es nicht eine Schamlosigkeit, diesen schlechtestbezahlten, ausgebeutetsten Prole­tariern den elenden Hungerlohn noch zu verkürzen, und eine blutige Verhöhnung, dabei von Wahrung ihrer Interessen zu fabeln?

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Erneute Differenzen über die Anwendung des Zweistuhl­systems sind in der Textilindustrie von Aachen   und Um gebung ausgebrochen. Die Arbeiter hatten nach langem Wider­streben den Doppeistuhl versuchsweise für gewisse Arbeiten zu gelassen. Nun wollen die Unternehmer dieses System auf solche Arbeiten ausdehnen, die bei den Vereinbarungen ausgeschaltet worden waren. Auch trachten sie danach, bei der Lohnberechnung einen Extraprofit für sich herauszuschlagen. Die Untersuchungs­tommission des Arbeitgeberverbandes wird zunächst ihres Amtes walten, dann wird das Schiedsgericht sprechen. Ob den Arbeitern ihr Recht wird, ist jedenfalls sehr zweifelhaft.

Wie wenig das Reichsvereinsgesetz dem Betätigungsdrange der löblichen staatserhaltenden Polizei eine Schranke setzt, ist durch zahlreiche Fälle bewiesen worden, die auch im Reichstag zur Sprache tamen. Jetzt wird ein neues Kabinettstückchen aus Burg bei Magde-­burg berichtet. Das dortige Gewerkschaftskartell hatte für die Hinter­bliebenen der bei der Radbod- Katastrophe Verunglückten eine Samm­lung veranstaltet. Die Polizei beschlagnahmte die Sammellisten und bedachte den Vorsitzenden und einige andere Genossen mit Straf­mandaten von je 20 Mt., die schließlich auf 3 Mt. ermäßigt wurden. , Edel sei der Mensch, hilfreich und gut;" in Preußen- Deutschland  segt es eine Polizeistrafe dafür!

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Der Verband der Buch- und Steindruckereihilfsarbeiter und arbeiterinnen hatte im Jahre 1906 mit dem Deutschen Buchdruckerverein, der Organisation der Prinzipale, Allge. meine Bestimmungen" vereinbart, auf deren Grundlage in den einzelnen Druckorten Tarife über Lohn- und Arbeitsbedingungen geschaffen werden sollten und in 18 der bedeutendsten Druckstädte auch geschaffen worden sind. Im Laufe der Zeit hatten sich aber in einzelnen Tariforten manche Mißstände herausgebildet und machten eine Konferenz zwischen Vertretern des Verbandes und der Prinzipale notwendig, die am 16. November in Berlin   statt­gefunden hat.

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Die Prinzipale hatten in zwei Spezialfällen Klagen über das Hilfspersonal. In Kassel   hatte der Vorsitzende der Verbandszahl stelle gegen die Allgemeinen Bestimmungen" dadurch verstoßen, daß er sich mit Klagen des Hilfspersonals an das Gewerbegericht gewandt hatte. Zu diesem Vorgehen war er durch die Verhält­nisse gezwungen worden. Das Tariffchiedsgericht, das aus gleich­viel Arbeitgebern und Arbeitnehmern besteht, hatte nämlich alle Klagen des Hilfspersonals mit Stimmengleichheit abgelehnt, wäh rend das Gewerbegericht den Klagenden stets recht gab. Daß sich in der Folge unter dem Hilfspersonal ein gewisses Mißtrauen gegen die örtliche Tarifinstitution bemerkbar machte, ist leicht er­flärlich, um so mehr, als von einer tariftreuen Druckerei an jede unorganisierte Arbeiterin jede Woche eine Mark Prämie gezahlt wurde. Die Anrufung des Gewerbegerichts unter Aus­schaltung der eigenen Berufungsinstanz, dem Tarifamt der deutschen   Buchdrucker, ist ja ein Verstoß gegen die tariflichen Vereinbarungen, doch wurde auch von den Arbeitgebern anerkannt, daß das tariffeindliche Verhalten der Rasseler Prinzipale diesen Verstoß verursacht hat. Nun zu dem anderen Fall. Der Vor­sitzende der Leipziger   Verbandsorganisation war von den Prinzi­palen dieser Stadt als nicht würdig befunden worden, in tarif lichen Dingen mitzuwirken, weil er sich bei einer gleichzeitigen Kündigung von 25 Arbeiterinnen gemeinsam mit dem Vorsitzenden der organisierten Prinzipale bemüht hatte, den Streit zu schlichten, und das mit dem Erfolg, daß es zu einem vorläufigen Vergleich mit der Firma gekommen war. Die Konferenz konnte in dem Ver­halten des Vorsitzenden der Arbeiterorganisation feinen Verstoß gegen die Allgemeinen Bestimmungen" finden. Sie berief sich auf § 6 der Geschäftsordnung für Schiedsgerichte, nach welchem den beiden Vorsitzenden das Recht zusteht, gemeinsam im Wege der persönlichen Vermittlung Streitigkeiten zu schlichten, also ohne erst das Schiedsgericht anzurufen. So erwies sich auch in diesem Falle die Klage der Prinzipale als wenig stichhaltig, und die Konferenz konnte keinen der beiden Angeklagten hängen.

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Der Verband des Hilfspersonals hatte seinerseits Klagen mehr allgemeiner Natur. Die Unternehmer zeigten vielfach das Be­streben, ihnen nicht genehme Sagungen aus den vereinbarten All­gemeinen Bestimmungen" auszumerzen. So wurden zum Beispiel auf Grund örtlicher Abmachungen die Überstunden oft nicht in dem Maße bezahlt, wie es von den Zentralinstanzen beschlossen war. Den breitesten Raum nahm bei den Verhandlungen die Beschwerde der Gewerkschaft gegen die Lehrverträge ein, wie sie in Leipzig  und in Mannheim  - Ludwigshafen   die Prinzipale dem Hilfspersonal aufgezwungen hatten, um sich billige und willige Arbeitskräfte zut fichern. Die Buchdruckereihilfsarbeiterinnen zählten stets zu den ungelernten Arbeitskräften, trotzdem wurden mit ihnen, respettive

sichern.