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Die Gleichheit

wurden gewonnen. Ein recht erfreulicher Erfolg! Bedauerlicher bleibt es, daß bis jetzt fast nur die Hälfte der Frauen, die Bil­dungsvereinen angehörten, der Partei als Mitglieder beigetreten sind. Hoffentlich wird der dank der letzten Agitation erzielte Er­folg die Genofsinnen überall zur intensivsten Tätigkeit anspornen, die Frauen und Mädchen der arbeitenden Klasse in größerer Ans zahl der Partei noch in solchen Orten zuzuführen, wo die prole­tarische Frauenbewegung noch nicht festen Fuß fassen konnte. Dort, wo diese sich schon unter dem alten Vereinsgesetz fräftig entwickelt hat, müssen die geschulten und organisierten Genossinnen mit gutem Beispiel vorangehen. Unser Ehrgeiz muß es sein, das verlorene Terrain überall zurückzugewinnen und die Zahl unserer Mitstreite. rinnen zu vermehren. M. Bollmann.

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In Gotha   hat die proletarische Frauenbewegung mit einem schönen Erfolg eingesetzt. Am 8. Dezember v. J. fand dort eine öffentliche Frauenversammlung statt, in der Genosse Bock über das Thema sprach:" Zweck und Nutzen der Organisation der Frau". In dichten Scharen hatten sich die Proletarierinnen eingefunden, so daß jeder Play im Saale des Volkshauses" besetzt war. Der Referent zeichnete in flaren Zügen die Stellung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft und die Pflichten der Proletarierinnen im gewerkschaftlichen und politischen Kampfe. Ausführlich schilderte er, wie die Arbeiterfrau oft zur wahren Rechentünstlerin werden muß, um mit dem elenden Lohne des Mannes hauszuhalten, wie fie, von Mutterpflichten und Muttersorgen belastet, obendrein dem Erwerb nachzugehen gezwungen ist. Des weiteren erörterte der Redner noch im besonderen die Schäden der Heimarbeit. Seine Darlegungen über die Notwendigkeit und Bedeutung der gewerks schaftlichen und der politischen Organisation der Arbeiterklasse flangen in der eindringlichen Mahnung an die Frauen aus, fich dem tlassenbewußten fämpfenden Proletariat anzuschließen, um ver eint für ihre Befreiung aus Knechtschaft und Ausbeutung einzus treten. Der überzeugende Appell hatte zur Folge, daß sofort über 100 Frauen der politischen Organisation beitraten. Weitere An­meldungen stehen noch aus. Es wurde eine Agitationstommission aus sechs Genossinnen gebildet, deren Aufgabe die Aufklärungs arbeit unter den Frauen sein soll. So ist auch in Gotha   der An­fang gemacht worden, um die Frauen des Proletariats für unsere großen Ziele zu gewinnen und zu Kämpferinnen ihrer Klasse heran zubilden. Möge die Arbeit der Genosfinnen und Genossen fünftigs hin reiche Erfolge zeitigen.

Tätigkeitsbericht der Genoffinnen des fünften sächsischen Reichstagswahlkreises für das Jahr 1907/08. Die weib lichen Mitglieder des sozialdemokratischen Vereins für unseren Wahlkreis hielten auch im letzten Geschäftsjahr alle vierzehn Tage Diskussionsabende ab, in denen folgende Themata behandelt wurden: Frauenarbeit; Die Fabrikarbeit verheirateter Frauen; Gehört die Frau in die Hauswirtschaft, oder soll sie gewerbliche Arbeiterin sein? Die wichtigsten Bestimmungen der Krankenversicherung; Welt­lichkeit der Schule; Die Gleichberechtigung der Frau und das Recht des Kindes auf Leben; Die wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse und das Wachstum der Bevölferung; Die Dienstbotenfrage;( zwei Abende) Die Religion im Leben der Frau; Arbeiterklasse und Alkoholismus  . Außerdem wurden noch einige Bücher vorgelesen, so Maxim Gorkis   Novelle" Sechsundzwanzig und eine", die Bro­schüre Kirche, Schule und Arbeiter" von Paul Göhre  , Gedichte und Geschichten von Lessing  , Rosegger usw. Die Diskussionsabende dienten gleichzeitig auch der praltischen Schulung der Genossinnen in der Geschäftsführung. Für jeden Abend wurde ein neues Bureau gewählt, so daß jede Teilnehmerin einmal Vorsitzende oder Schrift führerin war. Die letztere war verpflichtet, ein Protokoll über den Vortrag und die Diskussion zu schreiben. Es fanden des weiteren fünf öffentliche Frauenversammlungen mit folgender Tagesordnung statt: Bericht von der internationalen Frauenkonferenz; Die Lebenss mittelteuerung; Der weibliche Körper in Gesundheit und Krankheit; Das Frauenstimmrecht. Der Besuch von seiten der Frauen war jedes mal ein guter, doch sollten die Massen der Proletarierinnen unseren Veranstaltungen noch weit mehr Interesse entgegenbringen. Am besten besucht war der Vortrag des Genossen Dr. Cohn über das obengenannte ärztliche Thema. Zum ersten Wale erwies sich der Saal des Volkshauses als zu klein für eine Frauenversammlung. Hun derte Besucherinnen mußten wieder umkehren. Der Vortrag wurde deshalb auch noch einmal in den weit größeren Blumensälen wieder holt. Zahlreiche Sigungen zur Erledigung der geschäftlichen Ans gelegenheiten machten sich für die Genossinnen notwendig. Eine reiche Tätigkeit haben insbesondere die Mitglieder der Kinder schußtommission entfaltet, die den Kampf gegen Ausbeutung und Mißhandlung der Kleinen tapfer aufgenommen hat. Im Laufe des Jahres sind wiederholt Versuche zur Aufklärung und Organi­

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fierung der Dienstboten gemacht worden, jedoch leider ohne großen positiven Erfolg. Hoffentlich gelingt es den Genossinnen mit der Zeit, auch auf diesem schwierigen Arbeitsgebiet zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen. Die Dresdener   Genofsinnen werden auch weiterhin ihre Pflicht treu erfüllen, neue Streiterinnen für unsere große Sache werben und sie theoretisch und praktisch schulen. Martha Kretschmar.

Politische Rundschau.

Ein erschütterndes Unglück von beispiellofer Furchtbarkeit drängte zur Jahreswende alle anderen Geschehnisse in den Hintergrund. Das verheerende Erdbeben, das die Küsten Siziliens   und Kalabriens  an der Straße von Messina   verwüstete, zahlreiche Städte und Dörfer zerstörte, viele Tausende von Menschen tötete, verwundete und verschüttete, ist die entsetzlichste Katastrophe, die in gefchicht licher Zeit die Menschheit betroffen hat. Die ganze Kultur­welt nimmt Anteil an dem Schmerze der Betroffenen, die Gaben fließen aus aller Welt zum Hilfswerk zusammen, die Unterschiede der Nationen find gefallen, und Kriegsschiffe sind zu Werkzeugen der Barmherzigkeit umgewandelt. Aber nur kurze Zeit, und sie werden wieder ihrer alten Restimmung zurückgegeben, die Wal­lungen der allumfassenden Menschenliebe sind verebbt, und das Elend des Alltags, das nicht so erschütternde Wirkungen wie die plötzliche Vernichtung Hunderttausender hat, wird den Herrschenden als etwas Notwendiges und Natürliches vorkommen, und die Gefahr, daß auf blutigem Schlachtfeld die Hekatomben der Toten und Verstümmelten von Messina   vervielfacht werden, wird sie nicht abhalten, ihre Sonderinteressen mit allen ihnen praktisch dünkenden Mitteln zu verfolgen.

In Deutschland   hat das neue Jahr mit einer Kundgebung des persönlichen Regiments begonnen, wie um dem Volte zu zeigen, daß all das troy manchen Polterns fraftlose, weil von feiner Tat gefolgte Gerede der bürgerlichen Parteien wider das Hervortreten des Kaisers keinerlei Resultat gehabt hat: Wilhelm II.   hat zu Neu­jahr eine Ansprache an seine Generäle gehalten, die sie beziehungs­weise die Armee gewissermaßen zu Hilfe ruft gegen die Kritik, die die öffentliche Meinung, die Presse und der Reichstag   an seinem Verhalten geübt haben. Der Kaiser hat auf die Aufregung vers wiesen, die das bekannte Interview in Deutschland   verursacht hat, betonte dann, daß er das Beste gewollt habe, und fragte, ob auch in Offizierskreisen, wie behauptet worden sei, die Aufregung der Bevölkerung über seinen angeblichen Fehler geteilt werde, ob die Generäle etwas von einer Mißstimmung in der Armee bemerkt hätten. Die Generäle gaben dann die sehr kühne Versicherung, daß gar keine Rede davon sei, daß sich die Offiziere mit Politit beschäftigten, daß also eine Mißstimmung in der Armee nicht be stehe. Der Kaiser erwiderte erfreut, er vertraue auf seine Armee, daß sie zu ihm stehen werde, auch dann, wenn alle anderen ihn verließen, worauf der rangälteste General v. Hahnte den Monarchen des rückhaltlosen Vertrauens und der unerschütterlichen Treue der Armee versicherte.

Die Reden diefes Neujahrsempfangs sind deutlich an die Adresse des deutschen Volkes und seines Parlaments gerichtet. Der oberste Kriegsherr, der Herr der Armee läßt sich vernehmen und verweist die Nörgler" auf die feste Stüße seiner Macht.( Bemerkenswert ist dabei die Gleichsetzung der Armee mit dem Offizierkorps. Die Mannschaft, die Gemeinen werden als selbständiger Faktor nicht gerechnet. Wenn die Offiziere Vertrauen zum Monarchen haben und ihm treu sind, so müssen es nach offizieller Anschauung auch die Gemeinen sein. Daß sie anders denken fönnten als ihre Vor­gefeßten, gilt als ausgeschlossen, mindestens daß sie anders handeln fönnten, wie diese es ihnen befehlen.)

Es zeugt von der ganzen Wertlosigkeit des großen Sturmes" ber Novembertage( im deutschen   Bürgertum), daß jetzt keine bür gerliche Partei und fein bürgerliches Blatt es wagt, diese Neujahrs­rede Wilhelms II. beim richtigen Namen zu nennen und den Fehdehandschuh, den das persönliche Regiment darin feinen Kritikern hinwirft, aufzunehmen. Kein Blatt wagt auszusprechen, daß nicht nur das Versprechen größerer Zurückhaltung des Raisers gebrochen ist, daß vielmehr in diesem Ausspielen der Armee gegen die Kritik der direkte Anspruch liegt, das persönliche Regiment in voller Schärfe weiterzuführen. Die freisinnige Presse vermeidet ängstlich jede selbständige Außerung, demokratische Organe bedauern, daß die Rede des Kaisers, die doch im vertrauten Kreise gehalten wurde, an die Offentlichkeit fam, für die sie doch gar nicht bestimmt war, und das Berliner Tageblatt", somit einer der lautesten Rufer nach tonstitutionellen Garantien und entschlossenem Kampfe darum, verwahrt sich gar entrüstet gegen die Behauptung, daß es die An­