Nr. 15

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Die Gleichheit

Stimme, um seinen Forderungen demonstrativen Ausdruck zu geben: Her mit einem durchgreifenden Arbeiter- und Arbeite rinnenschutz! Her mit dem Achtstundentag! Nieder mit dem Militarismus und Kapitalismus  ! Dem Recht" der Sachen, des Besitzes, stellt es trotziglich das Recht der lebendigen Per sönlichkeit gegenüber. Es heischt überall gebieterisch eine gesetz­liche, feste, unübersteigbare Schranke gegen die kapitalistische Ausbeutung, wohl wissend, daß es fernfester, körperlich und geistig gesunder und starker Kämpfer bedarf, um dem Sozialis mus die Gasse zu bahnen. Und während die herrschenden Klassen der einzelnen Nationen im Wettrüsten sich zu überbieten suchen, reicht sich das Proletariat der einzelnen Nationen in brüderlicher Liebe und fester Klassensolidarität die Hand, den Schwur bekräftigend, nicht im Kampfe gegeneinander sich zu zerfleischen, sondern im gemeinsamen Kampfe miteinander gegen die heutige Eigentumsordnung, gegen die kapitalistische Wirt schaftsweise zusammenzustehen. Im Ansturm des Weltprole tariats muß endlich das herrliche Ziel des Klassenkampfes er­reicht werden: die überwindung des menschenknechtenden und menschenverderbenden Kapitalismus und die Aufrichtung der Gesellschaft der weitgehendsten menschlichen Solidarität, des Sozialismus. Das ist die hohe, geschichtliche Aufgabe der roten Internationale, die im Maifest ihren Ausdruck findet. Die Einmütigkeit der Erkenntnis und des Willens verbürgt den einstigen Sieg. Luise Ziez.

Was ist den Proletarierinnen der Achtstundentag?

In doppelter Weise steht die Proletarierin von heute unter harter Knechtschaft. Gleich ihrem männlichen Angehörigen seufzt sie unter den Lasten, die das kapitalistische Wirtschaftssystem der Klasse der Armen und Ausgebeuteten auferlegt. Gleich dem männlichen Arbeitsgenossen ist sie als Lohnarbeiterin in den Frondienst des Kapitals eingespannt, ist sie verpflichtet, diesem grausamen Tyrannen ihre besten Kräfte, ihre Gesundheit, ihre Zeit, ja gar ihre Persönlichkeit zum Opfer zu bringen. Sie hat somit alle Veranlassung, an den Kämpfen, die das männliche Proletariat aussicht, um seine Befreiung zu erringen, den leb­haftesten Anteil zu nehmen. Die Lohnarbeiterin schließt sich mit dem Lohnarbeiter zusammen, um gemeinsam mit ihm bessere Arbeitsbedingungen zu gewinnen, um Schutzmaßregeln zu er zwingen, um sich vor den Schädigungen zu hüten, die die Arbeit heute dank dem fapitalistischen System in sich birgt. Die Prole tarierin kämpft neben ihrem Klassengenossen im politischen Leben für die Interessen, das Recht, die Freiheit der Arbeit.

Aber noch in anderer Weise als der Klassengenosse emp findet die Proletarierin den Druck der kapitalistischen   Wirts schaft. Sie leidet nicht nur als Glied der ausgebeuteten und unterdrückten Klasse, sondern ebenso als Weib, das minderen Rechts ist wie der Mann. Alles was die kapitalistische Wirt­schaftsordnung mit sich führt an Druck und Ausbeutung, an Elend und Jammer leiblicher und geistiger Art, das muß die Proletarierin daher von einem doppelten Gesichtspunkt aus betrachten; alles was sie heute leidet neben und mit ihrem Klassengenossen, das leidet sie gleichsam noch ein zweites Mal in ihrer Eigenschaft als Frau. Zwiefach ist sie in ihren Rechten verkürzt, und zwiefach bedarf sie der Befreiung.

Entsprechend diesem Doppelcharakter ihrer Knechtschaft hat für die Proletarierin jeder Kampf um die Freiheit eine Doppel bedeutung; jeder Sieg bringt ihr in doppelter Hinsicht eine Frucht: er fommt nicht nur der Lohnarbeiterin, sondern er kommt gleichzeitig der Frau zugute. Im Lichte dieses Zu sammenhangs müssen auch die Forderungen betrachtet werden, welche das Proletariat rings in allen Landen an seinem Feier­tag erhebt vor aller Welt, durch die Gewalt seiner Einmütig keit bekundend, daß es gewillt und fähig ist, zu erkämpfen, was ihm notwendig dünkt: Reformen und vollen Sieg über die Ausbeutungswirtschaft.

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Wirksamer gesetzlicher Arbeiterschutz als Mittel, die Kampfes­tüchtigkeit der Ausgebeuteten zu erhöhen, so lautet der Ruf, der bei der Maifeier erschallt. Und als Haupt- und Kardinal­stück solchen Schutzes steht die Forderung des Achtstundentages auf den wehenden Fahnen der Festzüge.

Was bedeutet der Achtstundentag, den wir verlangen, für die Frau im besonderen? Jeder Proletarier, ob Mann, ob Weib, leidet unter den oft übermäßig ausgedehnten Arbeits­zeiten, wie sie das kapitalistische Unternehmertum bevorzugt und festhalten möchte. Eine unglaubliche Ausbeutung von Leben und Gesundheit des Arbeitenden ist damit verknüpft. Mit der Zeit und Kraft wird die Person der Proletarier dem Kapita­listen verkauft, denn was bleibt ihnen noch für sich selbst, wenn fie elf und zwölf Stunden und länger an der Maschine, bei der Werkbank, in der Feldarbeit stehen müssen? Ihre körper­liche Gesundheit leidet; der Frondienst gestattet ihnen nicht zu­reichende Erholung; ihr Geist bringt in den fargen Mußestunden nur gar zu oft die Frische und Spannkraft nicht mehr auf, sich weiterzubilden, Kenntnisse zu sammeln und zu erweitern, Füh­lung zu suchen mit den großen Geschehnissen der Zeit und sich in Natur- und Geisteswelt, in der Gesellschaft zurecht zu finden. Gleichgültig, in stumpfer Ergebung nehmen Hunderttausende einen Tag der Knechtschaft nach dem anderen hin und gehen, oft vorzeitig fiech und gebrechlich geworden, einem ungenügend gesicherten Alter entgegen.

Proletarische Frauen! Ihr fennt die Schäden der langen Arbeitszeiten; ihr wißt, was es heißt, Tag für Tag dem Kapital mit seiner Zeit und Kraft zinsen und fronen. Und sagt selbst: treffen euch als Frauen diese Schäden nicht noch viel härter als den Mann? Die Proletarierin trägt ja außer der Last der Lohnarbeit noch die Bürde der Hauswirtschaft, der Mutter­schaft. überall, wo die moderne Entwicklung des Wirtschafts­betriebes breite Scharen von Frauen und Müttern zur Er­werbsarbeit zwingt, da zeigt sich diese doppelte Belastung. Hunderttausende von Frauen stöhnen unter ihr; und wer zählt die, die unter ihr zusammenbrechen und am Wege liegen bleiben!

Der Schaden zu langer Arbeitszeiten trifft zunächst jede Frau, ob verheiratet oder unverheiratet, schärfer als den Mann, denn ihr Körper ist weniger widerstandsfähig als der seine. Auch an sich unschädliche Arbeiten werden gefährlich durch zu lange Dauer. Anhaltendes Stehen zum Beispiel, das dem normalen Mann nicht viel ausmacht, ist für die Frau mit schweren Schädigungen der Gesundheit verbunden. Regel­störungen, Anschwellung der Füße und Beine können die Folge sein; noch nicht ausgewachsene junge Mädchen tragen Verbil dungen des Beckens davon, die nachher die Veranlassung zu schweren Geburten und Fehlgeburten sind; Frauen dagegen, welche schon mehrfach geboren haben, erleiden durch anhalten. des Stehen nicht selten Senkungen der Unterleibsorgane mit all ihren lästigen, beschwerlichen und gefährlichen Folgen. Ar­beiten, die in fitzender Haltung und, wie das meist der Fall ist, mit nach vorn gekrümmtem Oberkörper ausgeführt werden, find immer dann für den weiblichen Organismus gefahrbringend, wenn sie sich über viele Stunden des Tages erstrecken, gewohn heitsgemäß und dauernd geübt werden und nicht von häufigen Pausen unterbrochen sind. Störungen in den Organen und Funktionen des Unterleibs, Bleichsucht und Blutarmut  , häufig auch Magenleiden sind die Wirkungen davon. Näherinnen, Stickerinnen, Buchhalterinnen zu Tausenden wissen darüber ein Lied zu singen. Der weibliche Körper bedarf größerer Scho­nung als der männliche, sowie er auch im Durchschnitt eine Stunde mehr Schlaf gebraucht als dieser, wenn er leistungs­fähig bleiben und nicht verkümmern soll. Wieviel junge Prole­tarierinnen aber zwischen 16 und 20 Jahren, deren körperliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, ziehen sich durch zu lange Arbeitszeiten Schäden zu, die ihnen ihr ganzes Leben vergiften und nur zu oft den Grund zu frühem Siechtum oder anhaltendem Kränkeln geben!

An diesen Übeln haben sie später nicht allein zu tragen, sondern ihr Mann, ihr Hauswesen und das Kind werden in Mitleidenschaft gezogen. Ein kränklicher, durch Arbeitsüber­