Nr. 15
Die Gleichheit
heit des Kulturgrades der Nationalitäten von gleichgearteten Bes dürfnissen der Voltsmassen in vielen Fällen keine Rede ist.
Aus all diesen Gründen ruhte die Herrschaft der Jungtürken auf schwankendem Fundament; sobald die Armee versagte, mußte ste stürzen. Die Liberalen aber haben auch keinen festen Rückhalt in der Bevölkerung, und so wird, wenn die Jungtürken nicht mit Hilfe treugebliebener Truppen die Macht wieder erobern, die Re altion, der dritte Lachende" sein. Zwar beteuert der Sultan, daß er die Verfassung aufrechterhalten will, aber dergleichen Fürstenworte" in solchen Situationen sind bekanntlich feinen Pfifferling wert. Jedenfalls ist die Macht bes Parlaments, das durch die Flucht einer großen Anzahl jungtürkischer Abgeordneter dezimiert ist, start erschüttert, und allerlei Anzeichen beweisen, daß der Ab solutismus sich darauf vorbereitet, langsam die verlorene Gewalt wieder an sich zu bringen.
Nicht ungefährlich ist diese Sachlage in der Türkei für den internationalen Frieden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in den inneren Kämpfen der nationale und religiöse Fanatismus wieder aufflammt
in Adana und Mersina ( Kleinasien ) gab es schon Armeniermezeleien-, daß es in Makedonien wieder zu Bandenkämpfen fommt, daß Bulgarien , Serbien und Griechenland versuchen, die Situation für sich auszunützen. Dann ist die Einmischung der Großmächte gegeben, und der durch die bürgerliche Politik geschaffene Gegensatz zwischen Österreich und Deutschland einerseits und England, Rußland und Frankreich andererseits wird lebendig. Das Proletariat hat allen Anlaß, die Maifeier des Jahres 1909 zu einer imposanten Demonstration für den Völkerfrieden zu machen.
Jm Reichstag ist am Tage vor Beginn der Osterferien noch die Reichsversicherungsordnung eingegangen. Sie faßt die ganze Arbeiterversicherung zusammen und fügt neu hinzu die Witwen und Waisenversicherung, die nur sehr niedrige Renten vorsieht. Für die Arbeiterschaft ist bei dieser, Reform" nichts Erfreuliches herausgefommen, dagegen enthält die Vorlage viele Verschlechterungen, besonders in der Krantenversicherung, wo mit der Erdrosselung der Selbstverwaltung der Arbeiter Ernst gemacht wird.
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In der Konservativen Partei hat eine Bewegung für die - erheblich verkrüppelte- Nachlaßsteuer oder richtiger Erbanfallsteuer begonnen die städtischen Elemente der Partei, die Beamten und der Mittelstand, wollen den Kreuzzug des Junker tums gegen diese Steuer nicht mitmachen. Schon rät die Kreuz zeitung " betrübt, den konservativen Abgeordneten in dieser Frage die Abstimmung freizugeben. Die Aussichten für das Zustande. kommen eines Kompromisses in der Finanzfrage mehren sich also, da der Blockfreifinn in Sachen der Liebesgabe an die Schnaps junter wahrscheinlich seinen glorreichen Traditionen gemäß schließlich umfallen wird. Kaum hat das Zentrum, dem die katholischen Arbeiter schwierig zu werden drohen, bemerkt, daß der Block voraussichtlich die Finanzreform machen wird, da erklärt sich auch die Bentrumspresse für eine gemäßigte- fehr gemäßigte Erbanfallfteuer, und die Germania " rückt gar mit der Forderung heraus, daß die Hälfte der 500 Millionen durch Steuern auf den Besitz aufgebracht werden müsse. Als das Zentrum noch die Hoffnung hatte, selbst die Reform" zu machen und den Blod zu sprengen, da hat diese ehrenwerte Partei von solcher Forderung nichts ver lauten lassen! Einen Einblick in das Wesen dieser demagogischsten aller Parteien eröffnet übrigens auch die Tatsache, daß sie bei der Reichstagserfahwahl im Wahlkreis Düren - Jülich einen der Arbeiterschaft verhaßten Grafen Salm wählen ließ, und daß sie im Wahlkreis Lüdinghausen den halben Milliardär, Herzog von Aren berg, als Kandidaten präsentiert. In Düren - Jülich kam es darüber zu einer Revolte der katholischen Arbeiter. Die Stimmenzahl des Zentrumskandidaten ging um einige Tausend herunter, der katholische Arbeiterkandidat indes erhielt weniger als ein Zehntel der Stimmen des offiziellen Zentrumsmanns. Solche einzelnen Symp tome zeigen denn doch, daß die unausbleibliche energische Aufs lehnung der katholischen Arbeiter gegen die Zentrumspolitik sicher, wenn auch langsam, heranreift.
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Die Demokratische Vereinigung, die Gruppe der unter Führung Barths aus dem Blockfreifinn ausgeschiedenen radikalen Bürgerlichen, hat zu Ostern einen sogenannten Parteitag" abgehalten. Gegenüber dem offenbaren Wunsch dieser Gruppe, eine Partei zu werden, kann das Proletariat nur sagen: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Borläufig sehen wir ein Häuflein Offiziere ohne Soldaten, Führer ohne Gefolgschaft, die obendrein eine entschiedene Abneigung gegen eine programt matische Festlegung ihrer beabsichtigten Politit, dafür aber eine reichliche Unflarheit an den Tag legen, was zum Beispiel besonders in der Debatte über die Frage hervortrat, ob die republikanische Staatsform zu fordern sei. Von den Herbstzeitlosen des deutschen
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entschiedenen" Liberalismus darf man weder Duft noch Früchte erwarten.
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In England hat die Arbeiterpartei bei einer Nachwahl in Croydon eine schwere Niederlage erlitten ihre Stimmenzahl ging um 8200 zurück. Unter anderem soll die Flottenpanit daran schuld sein. Die Schulung der Wähler läßt also start zu wünschen übrig, und die bisherige Politik der Arbeiterpartei, die von konfequentem proletarischem Sozialismus himmelweit entfernt ist, erweist sich als der Aufklärung der Arbeiterschaft über ihre Klasseninteressen nicht besonders förderlich.
Die belgische Sozialdemokratie hat den bürgerlichen Parteien ein Stück Sozialreform, den Neunstundentag für die Bergleute, abgezwungen. Das Gesetz enthält allerdings noch viele Ausnahmen, doch ist das Prinzip der gefeßlichen Arbeitszeitverkürzung zum Durchbruch gekommen.
Die französischen Sozialisten haben bei den Nachwahlen wieder einen neuen Sitz erobert, in einem zweiten Kreis gelangte ihr Kandidat in die Stichwahl. Was das Erfreulichste an diesen Tatsachen ist: die sozialistischen Stimmen haben stark zugenommen.
Der sozialistische Bizepräsident der italienischen Rammer, Genosse Costa, hat in einem würdigen und entschiedenen Schreiben die Beteiligung an einem Hofgang des Präsidiums abgelehnt. H. B.
Gewerkschaftliche Rundschau.
Der Arbeiter Maientag weist uns wieder mit besonderem Nachdruck darauf hin, wie bedeutsam die Leistungen der Gewerk schaften in betreff der Arbeitszeitverkürzung sind. Unter Schwierigkeiten und Kämpfen marschieren sie dem leuchtenden Ziele des Achtstundentages zu, das sie sich gesteckt haben und an dem fie festhalten. Schwere Konflikte mit dem beutegierigen Unters nehmertum stehen den organisierten Arbeitern noch bevor, welche die Forderung zu verwirklichen trachten, die von höchster fultureller Tragweite ist. Wir haben an dieser Stelle wiederholt betont, daß gerade die Verkürzung der Arbeitszeit, und besonders die unter neun Stunden täglich, dem erbittertsten und zähesten Widerstand der Rapitalistensippe begegnet. Vorgänge der jüngsten Zeit sind ein Schulbeispiel dafür. Die Herren Textilbarone rebellieren da: gegen, daß endlich die Gesetzgebung hinter den Errungenschaften der Gewerkschaften dreingehumpelt ist und vom nächsten Jahre an den gesetzlichen Zehnstundentag für die Fabritarbeiterinnen festgelegt hat. Der Zentralverband deutscher Industrieller hat im Bunde mit ihnen Lärm geschlagen und fauchend den drohenden Untergang der Textilindustrie prophezeit. Dieser Arger und Kummer begreift sich. Die Textilkapitalisten beuten im größten Umfange die billige und willige Frauenarbeit aus und sind jederzeit besondere Schwärmer für lange, womöglich unbegrenzte Arbeitstage ge wesen. Die Textilarbeiter und arbeiterinnen haben daher stets einen großen Teil der Kraft ihrer Organisation auf den Kampf für die Verkürzung der Arbeitszeit verwenden müssen. Ein Name spricht beredt davon: Crimmitschau . Aber wie schwer und opferreich auch die gewerkschaftlichen Kämpfe für die Verkürzung der Arbeitszeit sein mögen, sie müssen durchgefochten werden und bereiten die gesegliche Festlegung geregelter, fürzerer Arbeitstage vor. Und so führen sie auch in der Richtung des gesetzlichen Achtstundentags vorwärts. Zusammenschluß in den Gewerkschaften, Stärkung und Ausbau der Gewerkschaften, das ist daher die Mah nung, die zusammen mit der anderen zur politischen Organisation am Weltfeiertag der Arbeit erklingt.
Das Frohlocken aller Arbeiterfeinde über den zu erwartenden starken Rückgang unserer Gewerkschaftsbewegung im vergangenen Jahre der schweren Krise scheint verfrüht gewesen zu sein. Noch immer hat der wirtschaftliche Niedergang auch das Fortschreiten der Gewerkschaften gehemmt oder ihnen gar Abbruch in der Mitgliederzahl gebracht. Es würde daher durchaus keine außergewöhn liche und unbegreifliche Erscheinung sein, wenn das auch in dieser Zeit der Fall gewesen wäre. Alle Schlußfolgerungen, die vorwißige Soldschreiber der Unternehmer und ihrer Gesinnungsbrüder aus einem Mitgliederverlust der Gewerkschaften schon gezogen haben, wären also selbst dann nur blauer Dunst gewesen, wenn ihre Hoffnungen auf Schwächung der Organisationen sich in etwas erfüllt hätten. Zu unserer großen Genugtuung geht jedoch aus dem Bericht der Generalfommission im„ Korrespondenzblatt" hervor, daß im allgemeinen die Gewerkschaften ihren Mitglieder bestand in der Zeit der Krise halten tonnten. Genaue Zahlen fehlen noch, doch scheint das Ergebnis sicher, daß den Mitgliederverlusten einiger Verbände Mitgliederzunahmen anderer Organi sationen gegenüberstehen. Alles in allem hat sich also die Gewerkschaftsbewegung auch ihrer numerischen Stärke nach wacker be