Nr. 17

Die Gleichheit

Die Milderungen der Strafvorschriften für Hausfriedens. bruch, der von mehreren gemeinschaftlich oder unter Mitführung von Waffen begangen wird, für Arrest, Siegelbruch und Vereitelung der Zwangsvollstreckung sind zu begrüßen. Die neuen Vorschriften sehen unter anderem überall Geldstrafe vor, die nach den jetzigen Bestimmungen unzulässig ist. Infolge dessen kommt es jetzt oft bei ziemlich harmlosen Fällen zu ver­hältnismäßig harten Strafen.

Besonders dringlich ist die Strafmilderung für Diebstahl und Unterschlagung; leider sind hier gerade die Vorschläge der Novelle sehr unzulänglich. Die heutigen Vorschriften sind von wahrhaft drakonischer Härte; in dem Bestreben, das heilige Eigentum zu sichern, haben die Gesetzgeber des neuen deutschen Reiches Bestimmungen geschaffen, die empörende Urteile zeitigen. Daß ein armer Teufel auf Monate ins Gefängnis oder gar auf mindestens ein Jahr ins Zuchthaus wandert, weil er zum drittenmal irgend eine geringfügige Sache entwendet hat, ist teine Seltenheit. Denn das Gesetz schreibt bei Rückfallsdiebstahl Buchthausstrafe, bei Annahme mildernder Umstände Gefängnis nicht unter drei Monaten vor. Der geringfügigste Diebstahl muß unweigerlich mit Gefängnis bestraft werden, und wenn auch die bitterste Not zu dem Vergehen getrieben hat. Die harten Bestimmungen über den Rückfallsdiebstahl können es dahin bringen, daß ein armer Schächer, der sich bei allen seinen drei Diebstählen im ganzen Dinge im Werte von noch nicht einer Mark angeeignet hat, ebenso hart bestraft wird, wie ein großer Gauner, der seine Mitmenschen um Hunderttausende brachte.

Dieser Schandfleck der deutschen Rechtspflege soll jetzt be seitigt werden durch eine Erweiterung des§ 370 Nr. 5 des Strafgesetzbuches, der die Entwendung von geringen Mengen von Nahrungs- oder Genußmitteln zum alsbaldigen Ver­zehr( sogenannter Mundraub) als übertretung mit Geldstrafe bis zu 150 Mt. oder Haft bis zu sechs Wochen belegt, und durch einen neuen§ 248 a. Die Anderung der Nr. 5 des§ 370 fügt den Nahrungs- und Genußmitteln hinzu andere Gegen stände des hauswirtschaftlichen Bedarfs"( worunter Feuerungs-, Beleuchtungs- und Reinigungsmittel zu begreifen sind), und stellt die Unterschlagung solcher Dinge der Entwendung gleich. Es würde also fünftig nicht bloß jener der milderen Vorschrift des§ 370 unterstehen, der etwas Brot oder Fleisch entwendet, um seinen oder Angehöriger   Hunger zu stillen, sondern auch der, der Kohlen, Petroleum, Seife in geringer Menge zum als baldigen Gebrauch anderen wegnimmt. Das ist durchaus an gebracht, da solche Entwendungen um nichts schlimmer sind,

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wurde, was nicht sofort verzehrt oder verbraucht wird, sondern längere Zeit gebraucht werden kann? Die Tat wird deshalb nicht schlimmer, wie oben gezeigt worden ist. Wir müssen fordern, daß der Geltungsbereich der Nr. 5 des§ 370 noch mehr erweitert wird. Die Entwendung von häuslichen Gerät schaften, Kleidungsstücken und ähnlichen Dingen müßte von ihm erfaßt werden.

Der neue§ 248 a ist auch wieder zu eng. Er macht zur Bedingung, daß die Entwendung aus Not erfolgt. Wenn der Fehltritt von jungen ungefestigten Menschen begangen wird, die etwa als Verkäufer durch leichte Gelegenheit verlockt werden, so muß die Strafe für Diebstahl eintreten, die unweigerlich Gefängnis ist. Andererseits soll der aus Not Handelnde nur dann die Wohltat des§ 248 a genießen, wenn er geringwertige Gegenstände nimmt. Fallen ihm statt deren Dinge von Wert zuerst in die Finger und steckt er sie ein, ohne lange zu über­legen, so soll er unbedingt ins Gefängnis wandern. Erkennt man die Not schon als Milderungsgrund an, so muß sie auch in diesem Falle als solcher gelten. Und außerdem sollten Leicht finn und Unüberlegtheit als mildernde Umstände neben der Not zugelassen werden.

Prinzipiell haben wir zu fordern, daß die unter dem Zwange der Not verübten Entwendungen überhaupt straffrei bleiben sollen. Nicht der einzelne ist der Schuldige, der die Tat aus führt, sondern die Gesellschaft, die ihn in Not verkommen ließ. In besonders krassen Fallen von Not haben österreichische Richter schon auf Freispruch erkannt. Das wäre auch in Deutsch­ land   schon unterm heutigen Gesetz möglich, wenn die Richter ihre vielbewährte Auslegungskunst, die das Menschenmöglichste leistet, nach dieser Seite hin üben wollten. Aber dazu gehört freilich mehr soziales Verständnis und mehr Unabhängigkeit von Klassenvorurteilen, als sie bei der weit fortgeschrittenen Zuspigung der Klassengegensätze in Deutschland   der deutsche Durchschnittsrichter aufbringt.

Bei allem, was noch zu wünschen übrig bleibt, sind die in diesem zweiten Abschnitt besprochenen Teile der Novelle Fort schritte und Verbesserungen, mit denen die Sozialdemokratie einverstanden sein kann. Aber so lange die Strafjustiznovelle nach altem reaktionären Rezept zum Ausgleich für die ver späteten Reformen die skandalöse Verschlechterung der Beleidi gungsparagraphen enthält, den heimtückischen Anschlag auf die Arbeiterpresse und die Wahrheit, so lange ist das Werk natürlich unannehmbar und mit aller Kraft zu bekämpfen.

H. B.

als der Mundraub. Heute verfällt die unglückliche Mutter, Zur Literatur über die Dienstbotenfrage.

die ein paar Hände voll Kohlen nimmt, um ihre Kinder vor Kälte zu schützen, den harten Bestimmungen über den Diebstahl, obgleich ihre Handlung doch dieselbe Beurteilung verdient wie die Wegnahme einiger Semmeln, um den Hunger der Kinder zu stillen.

Aber wenn dieselbe Mutter, um ihre Kinder vor Kälte zu schützen, ein warmes Tuch, ein Kleidungsstück entwendet? Ist ihre Tat dann um so viel schlimmer als die Fortnahme einiger Kohlen, die demselben Zwecke dienen sollten? Gewiß nicht. Und wenn sie einige Groschen nimmt, um für ihre hungernden Kinder Semmeln zu kaufen, ist sie dann um so viel schuldiger, als wenn sie die Semmeln selbst nimmt? Sicherlich nicht. Und doch will hier die Justiznovelle einen großen Unterschied machen. Nur bei Gegenständen hauswirtschaftlichen Verbrauches soll der § 370 gelten; für die Entwendung oder Unterschlagung anderer geringfügiger Gegenstände soll, wenn sie aus Not geschah, nach dem neuen§ 248 a Geldstrafe bis zu 300 Mt. oder Ges fängnis bis zu sechs Monaten eintreten. Wie bei Nr. 5 des § 370 soll die Verfolgung auf Antrag eintreten, die Zurück nahme des Antrags zulässig sein und die Tat gegen einen Verwandten absteigender Linie oder gegen den Ehegatten straf

los bleiben.

Das ist gegen den jezigen Zustand freilich eine Verbesserung. Aber doch nur eine halbe Berbesserung. Weshalb soll die Tat härter beurteilt werden, wenn etwas Geringfügiges entwendet

Wie sehr sich die junge, zielbewußte Dienstbotenbewegung. in Deutschland   bereits den bürgerlichen Kreisen fühlbar macht, mit welchem Schrecken sie die Vertreter der guten alten Ord­nung" erfüllt, das geht deutlich aus den Schriften flerifaler und freisinnig- bürgerlicher Autoren hervor, die sich in letzter Zeit mit der Dienstbotenfrage befaßt haben. In herz­beweglichen Tönen jammern sie, daß das gute Einvernehmen zwischen Dienstgebern und Dienstmädchen gestört sei. Daran seien sowohl die Hausfrauen schuld, die es ihren Dienstboten gegenüber an Mütterlichkeit" fehlen ließen, wie die Mädchen, die nicht genügend Fleiß und Demut" befundeten. Die Klagen tönen stets in eine warnende Aufforderung an die Hausfrauen aus, durch zeitgemäße Reformen" der sozialdemokratischen Agitation" den Boden abzugraben.

Von den klerikalen Wortführern wird zugleich lebhafte Propa ganda für die Organisationen der Dienstboten gemacht, die auf konfessioneller Grundlage stehen und womöglich von Herrschaften geleitet werden. Die Herren können sich dabei der Erkenntnis nicht verschließen, daß die existierenden flerifalen Dienstbotenvereine, die lediglich Schulen der Demut und Frömmigkeit sind Mariahilf und Notburgavereine und wie sie sonst heißen mögen fich den vorliegenden Aufgaben nicht gewachsen zeigen. Trotz allen den mit Händen zu greifenden Gründen, welche zur Organisation der Dienenden drängen, behaupten die

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