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Die Gleichheit

nügte die Verlegenheit Osterreichs  , um in Polen  , das damals noch teilweise staatlich selbständig war, mit Rußland   zusammen Gebietseroberungen zu machen. Im Jahre 1795 schloß Fried rich Wilhelm zu Basel sogar förmlich einen Sonderfrieden mit der Republik  , die dem frömmlerisch- lüfternen Herrn zwar vers haßt, aber nicht minder fürchterlich war. Osterreich   sezte den Krieg allein fort. Mit glänzendem Erfolg führte der Revo lutionsgeneral Napoleon Bonaparte   den Feldzug gegen den Kaiserstaat in den Gefilden der Lombardei  , die damals noch zu Österreich   gehörte. Die Schlachten von Arcole und Rivoli, die Ende 1796 und Anfang 1797 geschlagen wurden, eröffneten die Reihe der Triumphe, die der geniale Feldherr über die österreichische Monarchie erfocht. In jenen Jahren stand auch Tirol gegen die Franzosen auf. Im April 1797 fämpfte die Tiroler Miliz unter dem Sturmfommandanten Philipp von Wörndle bei Spinges   im Eisactal mit einer fast sagenhaften Tapferfeit gegen die Franzosen des Generals Joubert. Etwa gleichzeitig focht nicht weit von Bozen   Andreas Hofer   als Führer einer Passeirer   Rotte mit bemerkenswertem Erfolg gegen Soldaten des französischen   Generals Delmas. Aber was wollten diese lokalen Siege gegenüber den Taten der napoleonischen Armee bedeuten? Jm März 1797 fiel die Feftung Mantua  , der lezte nördliche Stüßpunft der Österreicher, in die Hände Bona partes, der nun in starten Märschen die Richtung gegen Wien  einschlug. Österreich   beeilte sich, zum Frieden zu kommen. In Leoben   kam es zu Verhandlungen; im Herbst des Jahres 1797 wurde zu Campo Formio zwischen Osterreich   und der Republik  der endgültige Frieden geschlossen, in dem Franz die Lom bardei und das damals österreichische Belgien   an Frankreich  geben mußte.

Aber die Ruhe war nicht von Dauer. Als der gefürchtete Bonaparte sich nach Ägypten   begab, um der werdenden eng lischen Weltherrschaft am Nil ein französisches Kolonialreich entgegenzustellen, glaubten die Monarchen Europas   den Augen­blick gekommen, den Krieg gegen Frankreich   aufs neue zu be ginnen. Der treibende Faktor war das wirtschaftliche Interesse der Engländer, die die französische   Kolo­nialmacht seit Jahrzehnten planvoll untergruben und den neuen Bundeskrieg gegen Frankreich   mit ihrem Gold unterstüßten. Schon hatten die Verbündeten starke Erfolge gegen die Republik   errungen; abermals hatte sich die Tiroler Landesverteidigung mit Glück erhoben. Da kehrte Bonaparte aus dem Often zurück. Die Schlacht bei Marengo, die am 14. Juni 1800 geschlagen wurde, gab den Sieg in die Hände Napoleons  . Im Februar 1801 wurde zu Lunéville   ein zweiter Frieden zwischen Franz und Frankreich   geschlossen, der den Frieden von Campo Formio bestätigte. Um die Garantien des Friedens zu verstärken, mußte der Kaiser Franz Tirol in die Hände einer französischen   Okkupationsarmee geben, die das Land bis zum April 1801 besetzt hielt. Tirol erhielt von Wien  Belobigungen für seine Untertanentreue.

Und ein drittes Mal sah sich Frankreich   zum Kampf gegen den deutschen   Kaiser gedrängt. Im Jahre 1805 verstand es der englische   Minister Bitt aufs neue, die österreichische Regie rung und andere europäische Höfe, zumal Rußland  , gegen Nas poleon zu mobilisieren. Aber mit sehr energischen Griffen packte Napoleon  , der inzwischen Kaiser der Franzosen geworden war, bie süddeutschen Klein und Mittelfürsten am Genick, um sie in den Krieg gegen Österreich   mitzuschleppen. Der Kurfürst von Württemberg  , der Kurfürst von Bayern   sahen nur eine zwie fache Möglichkeit: fie mußten entweder Napoleons   Partei er greifen oder ihrer Vernichtung durch den Kaiser der Frans zosen gewärtig sein. Sie traten wenn auch ohne Ehrlich feit auf die Seite Napoleons  . Der bayerische   Kurfürst Max Joseph führte eine unwürdige Komödie auf, die den not gedrungenen Verrat am deutschen   Kaiser bemänteln sollte. Die Schlacht von Austerlitz   war ein vollkommener Sieg Napoleons  . Tirol, das von den Milizen des Schüßenhauptmanns Joseph Hager   und anderer Führer wader verteidigt war, wurde nun von den österreichischen Schußtruppen preisgegeben und geriet abermals in die Gewalt einer französischen   Offupationsarmee.

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Nr.22

Aber mehr. Durch den Frieden von Breßburg vom Dezember 1805 verlor Osterreich   eine Menge von Provinzen- Tirol, seit den Tagen jener Margarete Maultasch  , seit 1363 mit Österreich   verbunden, wird von Napoleon   zu Bayern  geschlagen, und der Kurfürst von Bayern   wird für seine Dienste zum König erhoben. Seit diesem Gnadenakt Napoleons  nennen sich die bayerischen Landesherren Könige von Gottes Gnaden.

Was besaß nun Bayern   an der neuen Provinz? Die Frage nötigt uns, einen furzen Rückblick auf die innere Geschichte Tirols zu werfen.

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Tirol hatte eine fast einzigartige politische Vergangenheit, die sich wohl bloß mit der Geschichte der wesensverwandten Schweiz   vergleichen läßt. Daß die Freiheit in den Bergen wohne der Satz ist mehr als eine Redensart. Tirol hatte jederzeit eine Verfassung, die dem konstitutionellen Ge­danken dem Grundsatz der Teilnahme des Volfes an der Regierung entsprach. Schon im vierzehnten Jahrhundert, eben jener Zeit, in der die Schweizer Eidgenossenschaft   ihre Unabhängigkeit von den Habsburgern erkämpfte, bestand Tirol der Landesherrschaft gegenüber auf dem Grundsay land­ständischer Vertretung seiner Interessen. Aber nicht der landständische Gedanke überhaupt ist das Wesentliche, denn er war Gemeingut der westeuropäischen Entwicklung sondern der besondere tirolische Inhalt dieses Gedankens. Als Landstände als Gesellschaftsklassen, die auf dem Landtag vertreten waren galten nämlich in Tirol nicht bloß die Prälaten, die Ritter und die Magistrate, sondern auch die Bauern. Die Landstandschaft der Bauern, dieser Ehrentitel der Tiroler Geschichte, war aber nur darum möglich, weil bestimmte wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen ge geben waren.

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Wie stand es mit den europäischen   Bauern jener Zeit? Wenn man noch von einigen niederländischen und italienischen also vorwiegend geldwirtschaftlichen Bezirken absieht, waren die europäischen   Bauern allenthalben leibeigen. Sie hatten keine persönliche Bewegungsfreiheit; sie hatten kein Grund­eigentum; sie mußten dem Grundherrn maßlose Dienste jeder Art leisten; und von dem Boden, den er ihnen zum Nießbrauch ließ, vom Vieh und von der Fahrbabe zahlten sie ihm die drückendsten Abgaben; ihre Rechtsfähigkeit war eine Komödie, denn der Grundherr, gegen den sie flagten, war zugleich ihr Richter.

Österreich   begann diesen wahnsinnigen Zustand unter Joseph II.  zu beseitigen, Frankreich   vernichtete ihn in der Revolution; Preußen ergriff die ersten Maßnahmen zur gepriesenen und dabei so fragwürdigen, ja trügerischen Bauernbefreiung in der Beit Steins und Hardenbergs als der preußische Thron frachte und Rußland   erlebte Ahnliches in der liberalen" Ara Alexanders II., also in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

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Anders aber außer den genannten Ländern in Tirol. Klüger als sein Vater, der österreichische Herzog Leopold, der seinen Angriff auf die Freiheit der Schweizer   Bauern in der für ihn unglücklichen Schlacht von Sempach   1386 mit dem Leben büßte, verfuhr Herzog Friedrich mit den Tirolern. Im Interesse seiner eigenen Macht unterstügte er Bauern und Städter gegen einen Adel und eine feudale Geistlichkeit, die den vierten Stand den Bauer ins Joch der Leibeigen­schaft zwängen wollten und das Aufblühen der Städte mit heftiger Mißgunst saben. Der Gang der Ereignisse gab dem Herzog recht. Er konnte Tirol festhalten, denn er gönnte den Bauern ihre uralten Rechte: Freiheit, Grundeigentum und Landstandschaft. Und als im Jahre 1525 der Bauernfrieg ganz Deutschland   erschütterte, da blieb der Tiroler Bauer ruhig. Da es in Tirol feine Leibeigenschaft gab, hatte der Tiroler Bauer feinen Grund zur Empörung. Aber wir müssen genauer sein. Gab es in ganz Tirol feine Leibeigenschaft? Mit nichten -es gab sie in den Herrschaftsbezirken der Bischöfe von Brixen  und Trient  , also in Südtirol  . Den frommen Herren und ihrer Gottseligkeit war es gelungen, den Bauer zu versklaven und