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Frauenstimmrecht.

Die Gleichheit

I. K. Für das politische Wahlrecht der dänischen Frauen hat sich der Handelsminister Hansen bei einer Festlichkeit aus­gesprochen, welche die Kommune Aarhus   den zum Kongreß vers sammelten Vertretern der Vereinigung dänischer Provinzstädte ge­geben hat. Der Minister sagte im wesentlichen: Was das polis tische Wahlrecht anbelangt, so müssen die Frauen den Männern gleichgestellt werden. Über diese Forderung ist nicht erst lange zu reden. Der Widerstand dagegen fann einer Regierung gefährlich werden. Das beweist England, wo der Widerstand gegen das Frauenwahlrecht die liberale Regierung ins Wanken gebracht hat. Es liegt gar kein Grund vor, sich lange zu bedenken. Ich werde für die politische Gleichstellung der Frau mit dem Manne mit äußerster Kraft wirken." Der Handelsminister braucht nur mit äußerster Kraft" dafür einzutreten, daß der Antrag zur Wahlrechts­reform Gesetz wird, den die sozialdemokratische Fraktion im Reichstag eingebracht hat, und sein Jdeal ist verwirklicht. Freilich ist kaum anzunehmen, daß die dänische Regierung geschlossen für das Frauenwahlrecht eintreten wird. Der Ministerpräsident Neer­gaard hat jüngst einer Frauendeputation erklärt, daß er persön lich zwar ein prinzipieller Anhänger des Frauenwahlrechts sei, daß jedoch diese Reform erst aufgegriffen werden könne, nachdem man die Frage der Landesverteidigung erledigt habe. Und Laerntsen, der Minister des Innern, meinte kurzerhand, daß zurzeit die Ein­führung des Frauenwahlrechts nicht zu erreichen sei. Die dänische Sozialdemokratie ist die einzige politische Macht, die geschlossen und ernsthaft für das volle Bürgerrecht aller Frauen eintritt.

Auf der Generalversammlung des Nationalen Verbandes für Frauenstimmrecht, die in Stockholm   tagte, wurde die Reform des Oberhauses als wesentliche Voraussetzung für die Zuerkennung des Bürgerrechts an das weibliche Geschlecht be­zeichnet. Das ist eine sehr schwächliche Stellungnahme, welche be­kundet, daß auch in der schwedischen Frauenstimmrechtsbewegung die Interessen der besitzenden und herrschenden Klassen stark zum Ausdruck kommen. Nicht Reform, sondern Beseitigung des Oberhauses muß die Losung aller wirklich demokratisch, fortschritt­lich Gesinnten sein. Die schwedische Sozialdemokratie fordert die Beseitigung der Ersten Kammer, die, abgesehen von anderen reak­tionären Wesenszügen, auch der Einführung des Frauenwahlrechts Hindernisse bereitet.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

I. K. Von der sozialistischen   Frauenbewegung in den Ver­ einigten Staaten  . Das nationale Frauenkomitee der Sozia= listischen Partei hat einstimmig Genossin Anna A. Maley als nationale Organisatorin erwählt. Das Amt der natio­nalen Organisatorin ist ein neues und wurde erst vom nationalen Frauenkomitee geschaffen. Die jetzige Organisatorin ist die zweite Genoffin, die es bekleidet, nachdem ihre Vorgängerin es nach kurzer Tätigkeit niedergelegt hatte. Die nationale Organisatorin steht im Dienste der Sozialistischen Partei, und ihre Agitationstouren wer­den von deren Hauptbureau aus geleitet. Ihre Aufgabe ist es, die Ideen des Sozialismus besonders unter den Frauen zu ver breiten und der Partei neue weibliche Mitglieder zuzuführen. Zur­zeit unternimmt unsere Organisatorin ihre erste Tour in den Neu­ England  - Staaten, wo der Sozialismus zwar schon manche Erfolge aufzuweisen hat, wo es aber bis jetzt so gut wie gar feine fozia­listische Frauenbewegung gibt. Die Touren sind so eingerichtet, daß die Organisatorin in jeder Ortschaft zwei Tage zubringt. Am ersten hält sie eine Agitationsversammlung ab, am zweiten organi­ftert sie unter den schon vorhandenen weiblichen Parteimitgliedern ein Frauenagitationskomitee, dem die Aufgabe zufällt, die sozia listische Agitation unter den Frauen der Ortschaft systematisch forts zusetzen. Auf solche Art werden durch die Tätigkeit der Organi­satorin nicht nur vorübergehende, sondern dauernde Wirkungen erzielt. Genossin Anna A. Maley eignet sich besonders gut für das ihr anvertraute wichtige Amt. Sie entstammt einer finderreichen " Farmer" familie aus dem Westen, und da sie in einem ländlichen Haushalt aufwuchs und ihre Familie, wie sie selber erzählt, mit mehr Buben und Mädeln als mit irdischen Gütern gesegnet war, so lernte sie frühzeitig nicht bloß alle häuslichen und ländlichen Arbeiten verrichten, sondern gleichzeitig auch von früher Jugend an der eigenen Kraft vertrauen. Unter großen Schwierigkeiten ge­lang es ihr, sich eine gute Schulbildung anzueignen, und kaum siebzehnjährig verdiente sie bereits ihren eigenen Lebensunterhalt als Volksschullehrerin in einem ländlichen Schulbezirk, wo einige ihrer Schüler fast ebenso alt waren wie sie selbst. Später siedelte

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ihre Familie in eine Großstadt über, und das junge Mädchen ver tauschte den Lehrerinnenberuf mit Bureauarbeit. Als Stenographistin und Maschinenschreiberin war Anna Maley in mehreren großen Geschäftshäusern tätig. In der Zeit ihrer übersiedlung in die Stadt und ihres Berufswechsels würde sie mit dem Sozialismus bekannt, dessen Lehren sie sich rasch und gründlich zu eigen machte. Anna Maley, die sich aus eigener Kraft wissenschaftliche sozialistische Bildung aneignete, hat sich auch von einer gläubigen Katholikin zur Freidenkerin emporgerungen. Bald nach ihrem Eintritt in die Partei begann sie agitatorisch zu wirken, und ihre klaren, ernsten, eindrucksvollen Reden fanden überall lebhaften Beifall. Vor drei Jahren kam Genossin Maley nach New York  , und während des letzten Jahres war sie hier in der geschäftlichen Leitung des N. Y. Call", Parteiorgan in englischer Sprache, tätig. So vollständig widmete sie sich dieser Aufgabe in rastloser, oft bis an Erschöpfung grenzender Arbeit, daß sie während der Zeit für die Agitation fast verloren war. Diese völlige, selbstlose Hingabe an ihre jeweilige Pflicht ist charakteristisch für unsere Genossin. Vor einigen Mo­naten legte sie ihr Amt am Call" nieder und wurde bald darauf als nationale Organisatorin erwählt. Die Berichte von ihrer ersten Agitationstour lauten ermutigend. Wir hoffen, daß die Tätigkeit der nationalen Organisatorin unsere Bewegung kräftig fördern wird. Meta L. Stern.

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Wie ein liberaler Armenpflegschaftsrat über die Mit­wirkung der Frauen in der Armenpflege denkt, das haben fürzlich Verhandlungen in Erlangen   gezeigt. Frauen aller Parteis richtungen hatten beim Stadtmagistrat eine Eingabe eingereicht, in der sie für ihr Geschlecht die Zulassung als Helferinnen bei der Armen- und Waisenpflege sowie die Bestellung als Vor­münderinnen forderten. Der Armenpflegschaftsrat, der sich mit der Eingabe zu befassen hatte, besteht aus mehreren Geistlichen, aus den Vorsitzenden der Armenpflegebezirke und aus Vertretern der städtischen Kollegien, unter denen sich ein Sozialdemokrat befindet. Die Armenpfleger sind ihrer Berufsstellung nach Priva­tiers, Bäckermeister, Spezereihändler und Schuhmachermeister. Nach dem bayerischen Armengeseh sind nur Männer zur Armen­pflege zugelassen. In Nürnberg  , wo man die Frauen zur Armen­pflege herangezogen hat, gab man sie daher als Helferinnen den Pflegern bei. Die Frauen Erlangens erwarteten, daß hier das gleiche geschehen würde. Doch alle Gründe, die für die Erfüllung der erhobenen Frauenforderungen sprachen, halfen nichts. Die meisten Armenpfleger sind der Ansicht, daß es ein Mißtrauensvotum bedeute, wenn man ihnen Frauen zur Seite stellen würde. Einige der Herren erklärten im Brustton heiligster überzeugung, sobald beschlossen werde, Frauen zur Armenpflege hinzuzuziehen, würden sie ihr Amt niederlegen". Den Bogel   schoß aber ein Wackerer mit der feierlichen Versicherung ab, daß die Zuziehung der Frauen zur öffentlichen Betätigung die Eifersucht der Pflegersgattinnen hervor rufen werde!! Man pries die Tätigkeit der frommen Schwestern in der Krankenpflege, man sprach sich auch für die Zuziehung der Frauen zur Waisenpflege aus, aber von ihrer Mitwirkung bei der Armenpflege wollte man durchaus nichts wissen. Als ob ein Kind erst dann der Fürsorge benötigen würde, für welche Frauen ein gutes Verständnis besitzen, wenn es Waise ist! Manches Kind, das Vater und Mutter hat, befindet sich in größerer Not und Ges fahr, leiblich und geistig zu verkommen, als das Waiſenkind, für das ein Vormund zur Aufsicht bestellt ist. Gerade in der Armen­pflege liegt ein großes Feld, das die Frau mit Nußen für die All­gemeinheit bearbeiten kann. Hier vermag sie in ihrer Eigenschaft als Hausmutter am besten zu erkennen, was not tut, gewiß besser als ein ehrsamer Spezereihändler oder Schuhmachermeister. Die Geistlichen, die dem Armenrat angehören, erwiesen sich liberaler als wie die Liberalen, denn sie unterstützten kräftig das sozialdemo fratische Mitglied, das für die Eingabe eintrat. Ein Geistlicher begründete die Mitwirkung der Frauen durch ein Bild. Er ver­glich die beiden Geschlechter mit den Beinen und betonte, daß je­mand mit einem Bein ein Krüppel sei und der Hilfe seines Mit­menschen bedürfe. Allein die Körperschaft wollte sich nicht über­zeugen lassen. Sie beschloß, abzuwarten, bis das Gesetz eine Neu­regelung der Materie bringt. Die Genofsinnen Erlangens wie ihre Vertreter im Stadtparlament werden nicht ruhen, bis die Frau ihren Platz in der Armenpflege erobert hat, zum Wohle der Arm­sten der Armen und zum Nußen der Gemeinde.

a. r.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Bilhelmshöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart  .

Drud und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .