39t Die Gleichheit Nr. 25 konstatieren können. Dazu aber ist nötig, daß wir mit der größten Schonungslosigkeit die Schäden der kapitalistischen   Gesellschafts- ordnung aufdecken; daß wir die durch den neuesten Steuerraubzug weiter verschärftenKlassengegensätze nnverhüllt zum Ausdruck bringen und die daraus naturgemäß sich ergebenden Konseguenzen zeigen. Daß die revolutionäre Energie der Massen im Sinken begriffen sei, daß diese sich in der kapitalistischen   Ordnung häuslich einrichten könnten, ist ein Popanz, der höchstens ein paar Käuzlein in ihr Dunkel zurückschrecken kann. Ich habe auf meinen letzten Agita- tionstouren in Ost- und West preußen   und besonders auch im frommen Rheinland   die Beobachtung machen können, daß es nur des belebenden Luftstoßes bedarf, um den glimmenden Funken zum Feuer der Erkenntnis zu entfachen und dem Sozialismus Scharen neuer Bekenner zu werben. Daß derkecke Schuß", der diesmal das Gefecht einleitete, von oben kam, ändert an dieser Sachlage nichts. Die Gärung ergreift immer weitere Kreise der besitzlosen Klasse. Wir brauchen nur dafür zu sorgen, daß auS dem schäumenden, ungebärdigen Most klarer feuriger Wein wird. Im niederrheinischen Agitalionsbezirk sprach ich in 25 Versammlungen über die Themata:Vermehrte Volkslasten, ver« ringerte Volksrcchte",Steuerpolitik und Sozialpolitik in Preußen- Deutschland  ",Das Werk des Schnapsblocks und die proletarischen Frauen",Das Zentrum im Lichte seiner neuesten Leistungen". Mit einer einzigen Ausnahme waren die Versammlungen sehr gut besucht, eine Anzahl davon tüchtig überfüllt. Und das obgleich es schlechterdings keine Schikane und Repressalie gibt, die nicht von unseren Gegnern gegen uns ausgespielt worden wäre. Die ge- schorenen Zentrumsagitatoren ließen ihren Schundromanphantasien noch freieren Lauf als bisher, wenn sie ihren frommen Schafen von der Kanzel herab die fff Sozialdemokraten schilderten. Sie konnten aber dadurch nicht verhindern, daß doch mancher Saulus durch unsere Versammlungen in einen denkenden Paulus verwandelt wurde, der künftig sein Heil nicht mehr in der Hoffnung auf das Jenseits suchen will, sondern bereit ist, gemeinsam mit seinen Klassengenoffen sich ein besseres Diesseits zu erkämpfen. So waren zum Beispiel in Euskirchen   eine stattliche Anzahl Mitglieder des christlichen Jünglingsvereins in unsere Versammlung dirigiert worden. Wahrscheinlich zu dem schönen Zwecke, um uns durch Radauszenen die christliche Duldsamkeit möglichst drastisch vor Augen zu führen. Die jungen Leute hörten jedoch die Ausführungen über die famose Arbeiterfreundlichkeit des Zentrums nicht nur mit ersichtlichem Jnlereffe und unbedingter Ruhe an, sondern gaben auch am Schlüsse ihrer Zustimmung deutlich Ausdruck. Einige von ihnen wurden für unsere Organisation gewonnen. In Bendorf  bei Koblenz   ist seit geraumer Zeit die Herrschast der starken Büttel- saust proklamiert. Die Hermandad war in der heiligen Dreizahl zu unserer Versammlung gekommen. Die dadurch beabsichtigte Wir- kung auf die Masse ging jedoch vollständig verloren. Das Lokal war mehr als überfüllt, und die anwesenden Arbeiter und Ar- beitertnnen gaben in der lebhaften Diskussion einer unzwei- deutigen Absage an die geistigen und materiellen Gewalten unseres Klassenstaats Ausdruck. Sehr interessant gestaltete sich die Versammlung in Würselen  (Landkreis Aachen). Sie mußte, aus Mangel an einem Lokal, fast»ine Stunde außerhalb des Ortes tagen.- Eine alle Scheune, mitten im Walde gelegen, bot uns eine mehr romantische als bequeme Zufluchtsstätte. Kopf an Kopf standen die ausgemergelten Männer und Frauen, die ernsten Gesichter fahl beleuchtet vom Scheine einer kleineu 'Laterne. Durch das schadhafte Dach blitzten die Sterne, und die Strahlen des Mondes woben sich Silberfäden gleich in daS Bild. Wunderbar stimmungsvoll klang zum Schluß daS Hoch auf die rote revolutionäre Internationale in die stille Sommernacht hinaus. In Aachen   waren etwa 700 Personen zu der Versammlung er- schienen. Dort hatten die frommen Mucker kräftig» Propaganda für unS gemacht. Kurz vorher hatte die berühmte Heiligtumsfahrt stattgefunden. Hunderttausend« waren in der alten Krönungsstadt zusammengeströmt, um von demHemd der Muttergottes" und denWindeln des Jesukindleins" wunderbare Segenswirkungen zu erflehen. Die Freidenker hatten während dieser Tage eine Ver- sammlung einberufen, um über diesen Götzendienst und den damit verbundenen Schacher Ausklärung zu verbreiten. Di« noch im Dunklen wandelnde fanatisiert« Meng« hatte ihnen jedoch unter geistlicher Leitung und mit echt christlichen Waffen: Stöcken, faulen Eiern, Apfelsinen und lieblichem Gebrüll die Versammlung gesprengt. Ei verlautete, daß diese Szenen in unserer Versammlung wieder- holt werden sollten. Di« Genossen haben jedoch den frommen Brüdern dies« Gelüste rechtzeitig zu vertreiben gewußt. So wurde der prächtig« Verlauf der Versammlung nicht gestört, und eS ge- lang nun, auch in Aachen   das Verständnis für unseren Kampf und unsere Ziele wiederum in weitere Kreise zu tragen. Das gräßliche Elend, unter dem die dortige Arbeiterschaft seufzt, trat mir so recht kraß in einer Versammlung der Tabakarbeiterinnen vor die Augen. Die Zustände scheinen heute noch eben so entsetzlich, wie sie ans den Erhebungen zutage treten, die die preußische Regierung in den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der dortigen Gegend vornehmen ließ. Und dabei drängt sich einem gerade im schwarzen Aachen   der Widersinn und die erbärmliche Heuchelei dergottgewollten Weltordnung" so recht auf. Die christliche Kirche, die Vertreterin der allumfassenden Barmherzigkeit und Nächstenliebe, deren Vertreter nach dem Worte ihres Stifters keine Schätz« sammeln sollen, sie stapelt tote Kapitalien Haufen- weise auf und läßt dieKinder Gottes" in Hunger und Elend verkommen. Einen Millionenwert repräsentiert allein der Aachener Domschatz, eine Sammlung der kostbarsten Kleinodien. Bei der Besichtigung bei Domes habe ich recht von Herzen gewünscht, daß auch die Aachener   Arbeiter und Arbeiterinnen die Worte bald richtig deuten lernen, die überall in den Wandelgängen dieses Gebäudes angeschrieben stehen:Vor Taschendieben wird gewarnt." Es bliebe noch so manches zu berichten, was für die Leserinnen derGleichheit" zweifellos von Interesse wäre. Besonders aus dem Kölner   und Mülheim   er Kreise. Aber nicht alles kann Raum finden. Meine Eindrücke laffen sich so zusammenfassen: Wir können mit dem Fortschritt unserer Sache zufrieden sein. Die Zahl der neuen Kämpfer und Kämpferinnen wächst, weitere Massen wurden zum Denken und damit auch zum Handeln angeregt. Und wir werden uns auch sürder nicht auf die Bärenhaut legen, sondern das Feuer auf der ganzen Linie eröffnen. Der Sieg wird unser sein._ B. Selinger. Politische Rundschau. Am 24. August wurde zu Breslau   der Katholikentag eröffnet. Diese Veranstaltung soll angeblich ganz unpolitisch sein, in der Tat ist sie aber eine Parade des Zentrum?. Sie bietet diesem vor einem regulären Parteitag den Vorteil, daß die Leitung all« ihr unbequemen politischen Angelegenheiten unter Berufung auf den unpolitischen Charakter der Tagung von der Erörterung ausschließen kann, dagegen unter der Maskesozial" auf die Tagesordnung all« solche politischen Dinge zu bringen vermag, auf deren Behandlung sie Wert legt. Die Wahl deS Bureau? erfolgt so undemokratisch wie nur möglich, die Zulassung von Anträgen hängt vollständig von dem Befinden der Leitung ab, und nur Wohlhabenden ist die Erlegung des hohen Beitrags möglich, der zur Teilnahme an den internen Beratungen berechtigt. So hat das Zentrum nicht zu de- fürchten, daß eine dieser Paraden jemals anders alS Programm« mäßig verlaufen könnte, das heißt, daß an der Zentrumspolitik ernsthafte Kritik geübt werde. Auch in Breslau   ist folglich von der Rolle des Zentrums beim Steuerplünderungszug des Schnapsblocks nicht die Rede gewesen. Dagegen erlaubte man sich einige kräftige Worte gegen das jämmerliche Reichsvereinsgesetz, daS der Libera­lismus verschuldet hat. Der Katholikentag bekam es insofern zu spüren, als ihm die behördliche Genehmigung versagt wurde, in den Arbeiterversammlungen die polnischen Vertreter in ihrer Mutter- spräche reden zu lassen. Di« preußische Junkerbureaukratie läßt eben keine Gelegenheit vorübergehen, wo sie beweisen kann, daß sie sich an Rückständigkeit und Borniertheit von keiner herrschende» Kaste der Welt übertreffen läßt. Natürlich fehlte es dem Katholiken- tag nicht an dem üblichen Schaugepränge der Umzüge usw. Indes war die Beteiligung an der Parade der katholischen Arbeilervereinler geringer als in den Vorjahren. Und das trotz der großen An- strengungen, die man gemacht hatte, um genügend Statisten zu- sammenzubringen einzelne katholische Magnaten hatten auf ihre Kosten die bedauemswerten katholischen Proletarier im Extrazug befördern lassen. Die Breslauer Sozialdemokratie veranstaltete am selben Tage eine wuchtige Gegendemonstration. Vom Grabe Lassalles, an dem zahlreiche Kränze niedergelegt wurden, zogen die Massen in musterhafter Ordnung durch die Straßen Breslaus  . In einer Riesenversammlung wurden die Zentrumssünden von Bern- stein gegeißelt; in der Woche folgte eine große Frauenver- sammlung, in der Genossin Ihrer die Taten des Zentrums bei der Reichssinanzreform brandmarkte. Bon den Verhandlungen des Katholikentags ist bemerkenswert eine Rede des Kardinals Kopp über den katholischen Volks- verein. Der Kirchensürst nahm darin Stellung zu einem inneren Zwist in dem Zentrumslager, der neuerdings offenbar wurde. Einer Richtung der Partei, die von den Reichstagsabgeordneten Roeren und Bitter und von Geistlichen geführt wird, ist das Zentrum zuweltlich" geworden. Sie will seinen Charakter