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Die Gleichheit

lischen Großgrundbefizer, der Landlords und der hohen Finanz, hat fie natürlich wütenden Widerstand erweckt. Nachdem die Annahme der Vorlage im Unterbaus gesichert ist, fezen die genannten Inter­essengruppen ihre Hoffnung auf das Oberhaus, die Kammer der erblichen Gesetzgeber, in dem die Landlords die Mehrheit haben. Nach der ungeschriebenen, aber durch jahrhundertelange Übung feststehenden englischen Verfassung hat aber allein das Unterhaus in finanziellen Fragen zu entscheiden. Die Verwerfung der Budget­vorlage durch das Oberhaus würde eine Antastung der Volkerechte bedeuten und einen Kampf gegen das Oberhaus selbst entfesseln. Die entschieden liberalen Elemente der Regierungspartei haben daher die Regierung aufgefordert, die Verwerfung des Budgets durch die Lords mit der Auflösung des Unterhauses und den Appell an die Wähler zu beantworten. Der rechte Flügel der Liberalen will hingegen dem Kampfe ausweichen und die Zus stimmung der Lords durch Zugeständnisse erkaufen. Neuerdings heißt es, daß die Lords die Entscheidung umgehen wollen, indem fie erklären, die dritte Lesung des Budgets nicht vornehmen zu fönnen, weil es revolutionär" sei und sie erst wissen müßten, ob die Wähler dem Unterhaus zu einem solchen revolutionären" Aft die Ermächtigung geben. Würde die Entscheidung der Wähler zu­gunsten der Liberalen ausfallen, so werde sich das Oberhaus dem Volkswillen unterwerfen. Auch das würde bedeuten, daß sich das Oberhaus ein Kontrollrecht in Finanzfragen anmaßt, das es bisher nicht hatte.

Die Stellung des englischen Proletariats in diesem Kampfe ist feine einheitliche, geschlossene. Der kleinere Teil, der in der nicht im Parlament vertretenen Sozialdemokratischen Partei organisiert ist, bekämpft das Budget als eine Scheinreform- die Unabhängige Arbeiterpartei dagegen und die Parlamentarische Arbeiterpartei treten für das neue Budget als einen Fortschritt ein. Sie halten es für notwendig, die Liberalen im Kampfe gegen die Lords und gegen die Schutzzollpläne der Konservativen zu unterstützen.

Dabei verliert natürlich ihre Bekämpfung der schlechten Seiten des Budgets, der neuen Bier und Tabatsteuern, erheblich an Schlagkraft. Die Arbeiterpartei ist von dem ehrlichen Bestreben beseelt, die Liberalen nach links zu drängen und unterstützt sie in der Hoffnung, fie dadurch vorwärts zu treiben. Wie die neuesten Tatsachen jedoch beweisen, kann sie nicht verhindern, daß der rechte Flügel des Liberalismus die Regierung zu Zugeständnissen an die Konservativen veranlassen möchte. Das geschieht nicht zuletzt, um einen offenen Kampf gegen das Oberhaus unnötig zu machen und so der von den Rechtsliberalen nicht gewünschen Demokratisierung bes Staats zu entgehen. Daß die Erziehung der Arbeitermassen zu sozialistischer Erkenntnis erschwert wird, wenn die Arbeiter­partei in enger Rampfgemeinschaft mit den Liberalen ficht, ist auch nicht zu leugnen.

In Agypten   regt sich unter der Intelligenz und der ent­stehenden Bourgeoisie fräftig die Unabhängigkeitsbewegung. In Genf   fand ein Kongreß der ägyptischen Jugend statt, der die Frei­gabe des Landes von der englischen Herrschaft fordert.

Ein Generalstreit hat in zwei österreischen Städten, in Trient   und Rovereto  , eingesetzt. Er stellt einen Protest gegen die absolut ungerechtfertigte Ausweisung des italienischen   Genossen Mussolini   dar, der Redakteur der italienischen sozialistischen   Organe des Gebiets von Trient   war. Die Ausweisung erfolgte, nachdem Genosse Mussolini   von einer lächerlichen Anklage freigesprochen worden war, die die Polizei gegen ihn zuwege gebracht hatte.

Im Kampfe gegen die marottanischen Riffkabylen haben bie Spanier einige billige Erfolge erzielt. Doch ist der frivole Krieg für die Profite einiger Bergwertskapitalisten, der ungezählte Millionen und Taufende von Menschenleben verschlingt, noch nicht beendet. In Spanien   selbst dauern die Nacheorgien der Reaktion

an.

Gewerkschaftliche Rundschau.

H. B.

Die Berichte über den Stand der wirtschaftlichen Kon­junktur in Deutschland   find widerspruchsvoll und geben fein flares Bild der Lage. Was aus manchen Orten berichtet wird, zeigt fein Zurückgehen der Krise, sondern läßt sogar noch eine Vers schlechterung des Geschäftsganges für den Winter befürchten. Jeden­falls weicht die Krise auch dort nur langsam zurück, wo im Sommer und Herbst stets eine beffere Konjunktur des Wirtschaftslebens ein­tritt. So ist leider abermals ein Winter mit großer Arbeitslosig­keit und all den sozialen Schrecken schlechten Geschäftsganges recht wahrscheinlich. Der Bericht des Reichsarbeitsblattes hatte im Auguft für den Arbeitsmarkt eine allmählich aufsteigende Beschäftigungs­furve verzeichnet. Auf dem Rohlenmarkt des Ruhrreviers ist

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jedoch die Lage unverändert unbefriedigend, während aus den Rohlenbezirken in Schlesien   und Mitteldeutschland günstigere Berichte vorliegen. In der Metall- und Maschinenindustrie war der Geschäftsgang lebhafter, ebenso auch im Baugewerbe und in der Bekleidungsindustrie. Die Textilindustrie dagegen leidet noch nach wie vor unter einer ungünstigen Konjunktur. Noch mehr trifft das von der Tabatindustrie zu, in der mit dem 15. August, wo der Wertsteuerzuschlag auf Rohtabak in Kraft getreten ist, ein empfindlicher Rückschlag erfolgte. Ahnlich liegen die Dinge für das Braugewerbe. Die Kranfenfaffen buchten am 1. September eine Zunahme der bei ihnen gemeldeten Beschäftigten um insgesamt 9542 Personen im Vergleich zum August. Auch nach den Statistiken der Gewerkschaften hat laut reichsstatistischer Zusammenstellung die furchtbare Not der Arbeitslosigkeit im zweiten Quartal etwas nachgelassen. Der Prozentsaz der arbeitslosen Mitglieder ist von 4,4 auf 2,8 gefallen. Möchte doch die kleine Belebung des Ar­beitsmarktes anhalten und sich auf alle Industriezweige ausdehnen. Mit Schaudern erfüllt der Gedanke, daß die Not der werktätigen Maffen, die ohnehin schon durch die wahnwißige Steuerpolitit aus gepowert werden, noch durch ein Andauern der Krise verschärft und auf die Spize getrieben wird. Viele Zehntausende müssen bereits heute am Hungertuch nagen, was soll aus ihnen werden, wenn im Winter die Arbeitslosigkeit anhält, ja vielleicht steigt?

Eine große Aussperrung in der Holzindustrie Südwest­deutschlands planten die Unternehmer. In Frankfurt   a. M. wollen die Herren eine gesonderte Tarifabmachung, die jedoch die Arbeiter zurückweisen, die daran festhalten, daß sich auch die Frank­ furter   Meister dem allgemein gültigen Tarif unterstellen sollen. Auf die Weigerung der Arbeiter, die Seitensprünge der Unter­nehmer mitzumachen, drohten diese mit der Aussperrung. Mit der Verwirklichung ihrer Drohung hatten sie jedoch tein Glück; von etwa 1600 beschäftigten Arbeitern wurden nur 260 ausgesperrt. Ein gründliches Fiasto! Danach dürfen wir hoffen, daß die Ar­beiter leichtes Spiel haben werden, die Absichten einiger Scharf­macher zu Boden zu schlagen.

Für das nächste Frühjahr ist eine größere Lohnbewegung im gesamten Baugewerbe zu erwarten. Hier deuten die Wetterzeichen auf Sturm. Beide Parteien rüsten. Nahezu 90 Prozent aller im Baugewerbe bestehenden Tarife laufen im März 1910 ab und sollen erneuert werden. Die Löhne der baugewerblichen Arbeiter stehen heute noch wie 1907. Die seitdem eingetretene starke Lebensmittel­verteuerung allein schon würde die Forderung auf höhere Löhne vollauf rechtfertigen, zumal da die 1908 abgeschlossenen Verträge nur in einzelnen Fällen ganz unbedeutende Steigerungen des Ver­dienstes gebracht haben. Die Festsetzung der Löhne wird heiß um­stritten werden. Der Arbeitgeberbund hat außerdem beschlossen, feine Verkürzung der Arbeitszeit unter zehn Stunden zu bewilligen. Auch will er eigene Arbeitsnachweise gründen, eine Einrichtung, gegen die sich die Arbeiter energisch wehren werden, weil erfahrungsgemäß die Unternehmernachweise als schofle, brutale Maßregelungsbureaus wirken. So erscheint der Kampf unvermeidlich. Die in Frage kommenden Arbeiterverbände haben in diesem Jahre viel zur Stärtung ihrer Reihen getan. Der Maurerverband hat um rund 20000, der Banhilfsarbeiter. verband um 17000 und der Zimmererverband um 5000 Mit­glieder zugenommen. Und da die Kassenverhältnisse in diesen Organisationen sehr gute sind, so werden die Unternehmer die Arbeiter gewappnet finden.

In der Nordhäuser Kautabatindustrie sind die Arbeiter nicht nur von den allgemeinen Leiden betroffen worden, welche die volksfeindliche infame Steuerpolitik der Tabatarbeiterschaft beschert hat, sondern sie werden noch von einem besonderen unheilvollen Geschenk bedroht. Die Preisaufschläge auf Kantabat, die die Fabri fanten infolge der Tabaksteuererhöhung eintreten ließen, bewegen sich für den Konsumenten zwischen 40 bis 100 Pf. pro Pfund. Damit die Röllchen Kautabat dennoch weiterhin für 10 Pf. pro Stück verkauft werden können, werden sie kleiner gemacht, so daß eine größere Anzahl davon als bisher auf ein Pfund gehen. Der Röllchenmacher erhält aber seine Entlohnung nicht nach der Stück­zahl der hergestellten Röllchen, sondern nach dem Gewicht des ver­arbeiteten Tabats. Dank der Neuerung muß er nun 4 bis 10 Stück Röllchen pro Pfund oder 400 bis 1000 Stück pro Zentner mehr machen als früher, bekommt aber dafür nur den nämlichen Lohn wie ehemals. Um die Differenz auszugleichen, haben die Arbeiter eine Erhöhung des Lohnsatzes verlangt, die in Wirklichkeit keine Steigerung ihres Verdienstes bedeutet, sondern nur Aufrechthaltung des bisherigen Erwerbseinkommens. Ob die selbstverständliche Forde rung ohne weiteres Anerkennung seitens der Unternehmer findet, steht beim Abschluß dieser Rundschau noch nicht fest.