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Die Gleichheit

gehrens und das Lexikon des guten Tones einer demokratischen Reformpartei zu entwaffnen, die die gräßliche Freßlegende" verpönt. Noch auf den Barrikaden von Berlin pattierte die oppositionelle Bourgeoisie mit dem geschlagenen System. Sie übernahm die ganze Maschinerie des Feudalstaats, um sie zum " Schutze" der Ordnung gegen die Arbeiter zu fehren. Der freißende Berg revolutionärer Bourgeoisbegeisterung für die Einheit und Feiheit Deutschlands gebar in Preußen nur das Mäuslein eines Ministerwechsels. An die Stelle von Feudaladligen famen Vertreter der industriellen liberalen Großbourgeoisie.

Die gewaltige Junischlacht der heroischen Pariser Arbeiter steigerte die Furcht des honetten" Bürgertums vor dem Prole tariat zu fchlotterndem Entsetzen, die Niederlage der glorreich Geschlagenen reizte seine brutale Unterdrückungsgier um so mehr, je feiger und gefügiger es sich vor der einsetzenden Konter­revolution duckte. Die revolutionäre Erhebung Wiens im Of tober und nach verzweifelter, heldenmütiger Gegenwehr seine Knebelung durch Windischgrätz ' Kohorten wirften in der gleichen Richtung. Frech und frecher konnte die Konterrevolution auf trumpfen. Im November schon ließ sie in Berlin durch Wrangel die konstituierende Versammlung auseinanderjagen. Noch sproßte 1849 faum das erste junge Grün auf den Grabhügeln der März gefallenen, als Friedrich Wilhelm IV. durch die provisorische Verordnung, die heute noch als Wahlgefeh gilt, das elendeste. und widersinnigste aller Wahlrechtssysteme" oftronierte, und damit die Proletarier als politische Heloten unter das Geldsack regiment beugte. Das Pack der Besitzenden vertrug sich wieder, nachdem es sich geschlagen hatte. Die Arbeiter hatten mit ihrem Blute die Kosten des Schlagens zahlen müssen, sie wurden nun auch die Opfer des Vertragens. Die Großbourgeoisie begnügte sich im Parlament mit dem Plage neben dem Junfertum und lieferte diesem nach wie vor die Verwaltung und Regierung des Staates aus. Sie legte ihren Männerstolz vor Königss thronen fein säuberlich in die Altertumstruhe und fazbuckelte vor dem Gottesgnadentum, um nur bei gelegentlicher Ver­ärgerung mit der Rückverwandlung der Vernunftmonarchisten" in Jdealrepublikaner" zu drohen. So fam mit der Herrschaft des Juntertums die Selbstregiererei eines Monarchen wieder zu Ehren, den Mary in Revolution und Konter- Revolution" also charakterisiert: In dilletantischer Weise hatte er sich mit den Elementen der meisten Wissenschaften bekannt gemacht und hielt sich daher für kenntnisreich genug, sein Urteil in jeder Sache für entscheidend anzusehen. Er war überzeugt, er sei ein Redner ersten Ranges, und es gab sicher feinen Handlungs reisenden in Berlin , der ihn an Fülle vermeintlichen Wizzes oder an Geläufigkeit im Sprechen übertreffen konnte. Und vor allem hatte er seine Ideen. Er haßte und verachtete das bureau­fratische Element der preußischen Monarchie, aber nur, weil alle seine Sympathien dem feudalen Element gehörten.... Alle Kasten oder Stände des Reiches sollten einander an Macht und Einfluß so trefflich das Gleichgewicht halten, daß das Handeln des Königs völlig frei blieb." Solches wurde- es ist nüßlich, das zu betonen im September 1851 geschrieben. Reichlich 60 Jahre nach Revolution und Konterrevolution trägt Preußens Proletariat noch immer die Ketten des Drei flassenwahlunrechts, der Junterherrschaft, des kaum verhüllten Halbabsolutismus. Dieser Stand der Dinge hemmt den Vor­marsch der Arbeiterklasse in ganz Deutschland , denn einem Alp gleich lastet er auf der politischen Entwicklung im Reich. Je doch Junkermacht und persönliche Regiererei schießen in Preußen und Deutschland nicht aus eigener Lebenskraft so üppig in die Halme. Die herrschende Großbourgeoisie ist es, die sie nährt und schützt, weil sie dadurch an Sicherheit der proletarischen Geusen gegenüber gewinnt, was sie an Macht und Freiheit verliert. Lange, ehe der Hottentottenblock sich zusammenschloß, trat die preußische Dreiklassenschmach als legitimes Kind der reaktionär- liberalen Paarung in die Geschichte ein, und nach dem diese Vereinigung fich formell aufgelöst hatte, zeugte sie noch den Wechselbalg der Wahlrechtsreform Bethmann Holl wegs. Denn was ist diese im Lichte der Tatsächlichkeit be­trachtet? Mindestens ebensosehr die Frucht der schimpflichen

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Nr. 12

Schwäche des bürgerlichen Liberalismus, wie des zynischen Macht­fizels der Junker. fizzels der Junfer. Das preußische Proletariat würde zu den Fesseln seiner politischen Entrechtung und der Fuchtel der Junker die Narrenkappe verdienen, wollte es über die Lehren der Ge schichte hinwegspringen und in doktrinärer Glaubensseligkeit mit Wenn und Aber am Grabe des Liberalismus noch die Fahne der Hoffnung aufpflanzen. Wessen es sich in seinem Wahlrechtstampf von der herrschenden Bourgeoisie zu versehen hat, das schrieb bei der Beratung des Regierungsentwurfes die Haltung des Zentrums und der Nationalliberalen aufs neue mit unverwischbaren Zügen nieder. Das Zentrum gab mit der direkten in Wirklichkeit auch die geheime Wahl preis; die National liberalen aber schwingen fich im eigenen Interesse allenfalls noch zur Vertretung dieser beiden Forderungen auf, werden aber nun und nimmer den Kampf für das gleiche Wahlrecht aufnehmen, das sie als einen Raub am Monopol des Besitzes hassen. Ihr politisches Herz ist, wo ihr Geldbeutel ist, bei dem Zensus, bei dem Pluralwahlrecht. Von dem kleinen Häuslein der Demokratischen Vereinigung abgesehen, wird nicht einmal der geeinte Linksliberalismus ein getreuer, rücksichtsloser Kämpfer für die politische Hinterlassenschaft der Märzrevolution sein. Hat nicht seine Einigung sich auf dem Boden eines Programms und einer Taktik vollzogen, die nach rechts orientiert sind und An­schluß an den Nationalliberalismus fuchen? Hat nicht die erste Tagung der neuen Fortschrittlichen Volkspartei " im Zeichen belanglos plätschernden Bankettgeredes gestanden, und nicht in dem der Rüstung zum Wahlrechtskampf, des Appells an die Massen? Politischen Bettlern mag es genügen, daß der Demokrat von Payer etwelche freundliche Worte für das freie Wahlrecht fallen ließ, ausgerechnet der nämliche Herr von Bayer, der vor zwei Jahren die Bajonette der Regierung im voraus zur Mund­totmachung der Wahlrechtskämpfer gesegnet hat. Die bürger­liche Wahlrechtsdemonstration im Zirfus Busch hat gezeigt, daß die Führer des entschiedenen" bürgerlichen Liberalismus im Kampfe für das Wahlrecht nur voranschreiten, wenn die proleta rischen Massen sie mit Fußtritten vorwärtstreiben.

So wird das Proletariat die Hauptmacht, die Sozialdemo­fratie die Führerin im Kampfe um das Erbe der Demokratie von 1848 sein. Das begreift die geschichtliche Notwendigkeit in sich, über den Märzen dieses Jahres hinauszugehen. Im Ziel, in den Kampfmethoden! Wir tragen dem Feldzug für die volle Demokratie nicht die bürgerlichen, wohl aber die sozial­demokratischen Wahlrechtsforderungen voran, die das Frauen­wahlrecht, die Herabsetzung des Wahlrechtsalters, den Proporz und alle Reformen in sich fassen, die die volle politische Macht der breitesten Massen sichern. Wir lassen über ihm nicht die schwarzrotgoldenen Farben des bürgerlichen Konstitutionalis mus fliegen, vielmehr das ftolze Banner der roten Republik . In der Tat: Das plutokratische Wahlrecht und der Halb­absolutismus sind im bürgerlichen Preußen Deutschland leib­liche Geswifter. Aus Furcht vor dem Proletariat hat der Liberalismus so wenig den Willen zur parlamentarischen Macht wie zur Einführung eines demokratischen Wahlrechts. Die Geschichte des Reichstags ist eine Kette von Selbsterniedri gungen des bürgerlichen Parlamentarismus vor dem persön lichen Regiment, von Ohrfeigen, die dieses der Volksvertretung verabfolgt. Man blättere nur einmal die Ereignisse der letzten zehn Jahre nach: von der Ausschaltung des Reichstags bei der Entscheidung über den Hunnenfeldzug bis zu den be­kannten Veröffentlichungen der englischen Presse. Als Antwort darauf hat der Reichstag seine Unlust und seine Unfähigkeit dokumentiert, auch nur eine leidlich würdige Geschäftsordnung zusammenzubringen, von so umstürzlerischen" Dingen wie Mi­nisterverantwortlichkeit usw. gar nicht erst zu reden. Den Ver fall des bürgerlichen Parlamentarismus hat er sich erst fürz­lich wieder bescheinigt, als die großen bürgerlichen Parteien sich weigerten, den Ordnungsruf aufzuheben, den Ledebour für seine Kennzeichnung der konservativen Staatsstreichgelüfte erhalten hat. Als Erbe der achtundvierziger Revolution muß das Prole­tariat zur Verteidigung seiner Bürgerrechte alle Konsequenzen der Situation ziehen. Erblicken Junker und Junkergenossen