Nr. 18
Die Gleichheit
Aber auch wenn das wirklich der Fall sein sollte, so wird der wachsenden Beschäftigung von Frauen in der Industrie überhaupt dadurch nicht der geringste Einhalt getan. Der Bericht selbst gibt zu, daß jene Arbeitskräfte zu anderen Industrien abgeströmt sind, besonders auch zur Industrie der Metallverarbeitung, welche die Frauen namentlich an den Gewindeschneidemaschinen und ähnlichen Maschinen verwendet. Tatsächlich ist die Zahl der in Oberschlesien von der Industrie beschäftigten Frauen von 16821 im Jahre 1898 auf 25101 im Jahre 1908 gestiegen, das ist von 15,2 Prozent aller dort beschäftigten Arbeiter auf 17,6 Prozent.
Und nicht viel besser liegt die Sache in den anderen schlesischen Bezirken. Der Liegniger Bericht konstatiert, daß die Verdrängung der Männer- durch die Frauenarbeit sich namentlich in den Ziege leien und in den Tuchfabriken bemerkbar gemacht habe, ferner in den Metallwarenfabriken, wo die Frauen beim Gewindes schneiden und Stanzen, auch bei Lötarbeiten verwendet werden. So hat eine Lampenfabrik vor einigen Jahren infolge eines Streits der Klempner Frauen zur Lötarbeit herangezogen, und es werden seitdem fünfzig Frauen an Stelle von Männern mit solcher Arbeit beschäftigt. Fehlgeschlagen ist nach dem Bericht des Liegnitzer Inspektors der Versuch einer Metallwarenfabrit, Frauen als Kernmacherinnen in der Formerei zu verwenden. Die Arbeiterinnen haben dort ihre Tätigkeit selbst wieder aufgegeben, weil sie nicht genügend verdienten. Welche Hungerlöhne mag man ihnen wohl gezahlt haben! Auch beim Transport und Einsetzen geformter Ziegelsteine in die Trockengerüste der Ziegeleien, ferner in Riesgruben und Tongruben werden im Gebiet der Liegniger Gewerbeinspektion viele Frauen beschäftigt. Der Bericht spricht davon, daß solche Beschäftigung„ hierzulande von jeher als Frauen arbeit angesehen worden" ist.
Sehr bezeichnend sind die Zahlen aus dem Görlitzer Inspektionsbezirk. Im Verhältnis zur Männerarbeit ist dort die Frauenarbeit in den graphischen Gewerben( Papiere, Kartonnagen, Druck usw.) von 19,1 aller Beschäftigten im Jahre 1900 auf nicht weniger als 43,5 Prozent im Jahre 1908 gestiegen; in den Glashütten von 17,4 auf 31,0 Prozent, in der Textilindustrie von 149,1 auf 163,5 Prozent und in der Gesamtindustrie von 34,9 auf 37,1 Prozent. Noch trasser wirken die Zahlen, die der Reich enbacher Bericht aus einigen Industrien liefert. So entfielen in der Zigarrenfabrikation in Reichenbach im Jahre 1904 auf 59 Männer 187 Frauen, 1907 waren es nur 45 Männer und 211 Frauen, 1908 aber 67 Männer und 276 Frauen! Auch in den Steingutfabriken hat eine Anderung im Fabrikationsverfahren die Männerarbeit verdrängt. Dadurch, daß es in einer Fabrik gelang, die bisher von Männern in Handformerei hergestellten Klosetttrichter in Gipsformen zu gießen, ist die Zahl der Arbeiter in jener Fabrit von 150 auf 30 gefallen, und an Stelle von 120 bisher beschäftigten Männern brauchten nur 30 Frauen zu treten. Auch in den Lackierwerkstätten von Blechwarenfabriken sind die Männer durch Frauen ganz erheblich verdrängt worden.
Aus dem Bericht des Breslauer Inspektors geht hervor, daß in seinem Bezirk Frauen sehr viel Verwendung fanden: bei der Herstellung von Kleinschlag in Granitbrüchen, beim Einschaufeln von Lehm in die Ziegelwalzen, beim Abnehmen der nassen Steine von den Ziegelpressen und beim Aufsetzen derselben auf die Elevatoren, ferner beim Bewegen von Lasten in Tonwarenfabriken, bei Erdschachtarbeiten(!), zum Schleifen und Polieren in Marmorschleifereien. Und für solche schwere Arbeiten scheute das Kapital sich nicht, selbst Schwangere heranzuziehen! Wobei allerdings zu bemerken ist, daß unsere„ hochentwickelte" Krankenversicherung viele Frauen nötigt, ihren Zustand solange als möglich aus Furcht vor dem Lohnausfall zu verbergen.
Wie ungeheuerlich die körperlichen Leistungen oft sind, die von der Frau zum Beispiel in der Ziegelindustrie verlangt werden, darüber lesen wir in dem Breslauer Berichte:„ Auch das Abnehmen der nassen Steine von der Ziegelpresse und das Aufsehen auf den Elevator oder die Karre ist eine ungeeignete Frauentätigkeit. Die Arbeiterin hat dabei je zwei, oft drei Steine im ungefähren Gewicht von je 4 bis 5 Kilogramm, also jedesmal 8 bis 15 Kilogramm anzuheben und wegzulegen. Bei einer Tagesleistung der Ziegelpresse von 10000 Steinen hat eine Arbeiterin also, unter der Voraussetzung, daß zwei Frauen die Presse bedienen und sich beim Abschneiden und Absetzen der Steine regelmäßig ablösen, in der Arbeitsschicht mindestens 20000 Kilogramm Masse zu bewältigen, wobei noch erschwerend wirkt, daß mit der Förderung der Presse Schritt zu halten ist, daß die Arbeit, die im Stücklohn vor sich geht, stete Spannung und Aufmerksamkeit verlangt, daß sie unter fortwährendem Beugen und Wenden des Oberkörpers stehend verrichtet werden muß und sich überdies häufig in feuchten und zugigen
275
Räumen vollzieht. Ungeeignet ist auch die vielfach übliche Verwendung von Frauen zum Einsetzen der Ziegel in die Trockengerüste, denn die Frauen müssen hierbei die hohen Gestelle auf unzureichenden Leitern erklettern, haben keinen sicheren Halt bei der Arbeit und müssen sich übermäßig recken; hinzukommen der Aufenthalt in dunstiger, staubiger Luft und das Zusammenarbeiten beider Geschlechter."
Ähnlich ist die überanstrengung und Gesundheitsgefährdung in anderen Industrien. So mußten in einer Porzellanfabrik die Frauen das Einsehen und Austragen in den Brennöfen besorgen, in einer Düngerfabrit ging ihre Tätigkeit mitten in Flußsäuredämpfen vor sich, in keramischen Druckereien wurden Schwangere samt ihrer Leibesfrucht durch die Bleivergiftungsgefahr beim Aufstäuben von Bleifarben gefährdet, und in Sägewerken hatten die Arbeiterinnen beim Stapeln der Bretter zu helfen und dabei oft auf vorgestrecktem Brett in gefährlicher Stellung, hoch am Stapel stehend, das ihnen von unten augereichte Holz aufzunehmen und in den Stapel zu legen. In einer Bellstoffabrit aber wurden den Arbeiterinnen so schwere Arbeiten zugemutet, daß der Bericht von ihnen sagt, nur außerordentlich kräftige Personen sind ihnen ges wachsen und selbst Männer haben dabei nicht lange ausgehalten"!
"
Und die sozialen Ursachen dieser furchtbaren Ausnutzung der Frau? Die Berichte der schlesischen Gewerbeinspektoren weisen sie uns mit aller wünschenswerten Deutlichkeit nach. Zwar spricht der oberschlesische Bericht auch so nebenher von dem angeblich herrschenden Mangel an männlichen Arbeitern und von der weiteren Ents wicklung der maschinell ausgestatteten Betriebe, die besonders in den Ziegeleien zur Verdrängung der Männerarbeit geführt hat; wohl spricht er auch von der größeren Pünktlichkeit und Sauberfeit" der Frauen, von ihrem geringeren Hange zum Alkohol und zu willkürlich eingelegten Feierschichten": aber im Vordergrund der Ursachen steht auch bei ihm die größere Wohlfeilheit und Willig feit". Nicht in solch beschönigender Form und darum deutlicher sagt es der Liegnitzer Bericht:" Die Arbeitgeber benutzen die Frauenarbeit seit längerer Zeit in möglichst weitem Umfang, weil die Löhne für Frauen durchweg viel niedriger sind als für Männer, und zwar auch dann, wenn die Frauen die gleiche Arbeit leisten oder gar noch mehr arbeiten als diese. Die Arbeiterin wird ferner deshalb vor dem Arbeiter bevorzugt, weil sie gefügiger ist als dieser." Also weil die Frau ein billigeres und willigeres Ausbeutungsobjekt ist als der Mann, deswegen nimmt ihre Beschäfti gung in der Industrie immer mehr zu, und daß diese Frauen arbeit wie der Breslauer Bericht feststellt recht oft„ ohne weiteres als anstößig, ungeeignet oder gefährlich erachtet werden muß", darum schert man sich den Teufel in dem Lande, das die höchste Achtung vor Frauenwürde am liebsten in Erbpacht genommen haben möchte. Alle die köstlichen Worte, die deutsche Dichter von Frauenwürde, von Mutterhoheit gesungen haben, gelten für die Männer der herrschenden Gesellschaftsschichten allenfalls den Frauen ihrer Klasse gegenüber. Die Frauen und Mädchen des Proletariats aber sind ihnen nichts anderes als Ausnutzungsobjekte für ihre Geschlechts- oder Profitgier, manchmal auch gleichzeitig für beides. k.
-
-
Frauenrecht vor der Zweiten Württembergischen Kammer.
Welche Stellung die zur Fortschrittlichen Volkspartei geeinte bürgerliche Demokratie zu der Forderung auf Gleichberechtigung der Frauen einnimmt, haben kürzlich Verhandlungen in der Zweiten Württembergischen Kammer wiederum scharf beleuchtet. Ihr lag ein Gesezentwurf vor, der die Verbesserung des Beamtenrechtes zum Gegenstand hatte und sich daher auch mit dem Recht der weiblichen Beamten befassen mußte. Die Kommission, der der Regierungsentwurf zur Vorberatung überwiesen worden war, hatte mit 10 gegen 5 Stimmen die folgende Bestimmung gestrichen:
Im Falle der Verehelichung weiblicher Beamten bleibt deren Anstellung dauernd eine vierteljährlich kändbare, und sie verwandelt sich wieder in eine solche, wenn bereits eine Anstellung auf Lebenszeit eingetreten war. Nach Lösung der Ehe können aber weibliche Beamte auf Lebenszeit angestellt oder wiederangestellt werden."
Der Beschluß auf Streichung dieses Abschnitts erregte heftigen Widerstand nicht nur bei der Rechten, sondern auch bezeichnenderweise bei den meisten Vertretern des entschiedenen" Liberalismus, des„ ernsten" Fortschritts. Ihre Haltung macht dem Namen der Fortschrittlichen Volkspartei und den Prinzipien der Demokratie, auf die sie sich beruft, wahrlich alle Ehre. Die Argumente, mit denen der Volksparteiler Leibfried unter der bekannten allge.