Nr. 2

Die Gleichheit

Begrüßungsansprache. Mit der Leitung der Konferenz wurden die Genofsinnen Niendorf- Kiel, Leu- Schwartau und Schröder Wandsbeck betraut. Über die Internationale Frauenton­ferenz, die als erster Punkt auf der Tagesordnung stand, berich tete Genoffin Baumann. Darauf folgte eine lebhafte Diskussion, die fich hauptsächlich mit der Propaganda für das Frauenwahlrecht befaßte. Im Verlauf der Diskussion bemängelte Genossin Zieg, daß im Bezirk von Altona   abgesehen ein im Auftrage des Parteivorstandes und der Generalfommission herausgegebenes Flug blatt nicht verbreitet worden ist, in dem das Frauenwahlrecht zu den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten gefordert wird. Sie erin­nerte daran, daß bei den Vorstands- und Vertreterwahlen der Krankenkassen die Frauen ihr Wahlrecht ausüben sollen. Die Agi­tation müsse daher auch auf diesem Gebiet einsetzen, und das um so eifriger, als bis jetzt das in Frage kommende Wahlrecht das einzige ist, das in Deutschland   die Frauen besitzen. Genosse Bar tels gab seiner überzeugung Ausdruck, daß in dem Agitations­bezirk mindestens ebensoviel geschehen sei wie anderswo. Er ist aber auch der Ansicht, daß die Agitation für das Frauenwahlrecht nie erlahmen dürfe. Seiner Meinung nach werden der Einführung eines Frauentages zur Demonstration für das Frauenwahlrecht sich wohl große Schwierigkeiten entgegenstellen. Der Beschluß zur Entfaltung einer einheitlichen Agitation gegen die Lebensmittelteuerung sei sehr zu billigen. Genossin Leu- Schwartau und Genossin Schlomer Lübeck( als Gast) erklärten ihr Einverständnis mit den Beschlüssen der Kopenhagener Konferenz und begrüßten besonders den Beschluß zur Einführung des Frauentages.

Als zweiter Punkt stand auf der Tagesordnung: Die Agi­tation und Organisation. Das einleitende Referat erstattete Genossin Baumann. Sie führte etwa folgendes aus: Die Organi sationsform ist für uns durch die Beschlüsse der Frauenkonferenz und der Parteitage zu Nürnberg   und Leipzig   gegeben. Danach ist jede Genoffin verpflichtet, der Parteiorganisation beizutreten. Welche Aufgaben haben nun die Genoffinnen in der Organisation zu er­füllen, und welche Aufgaben erwachsen der Organisation aus der Mitgliedschaft der Frauen? Gar viele sind geneigt zu sagen: In unserer einheitlichen Organisation fann es keine besondere Frauen­frage mehr geben. Der Mitarbeit der Frauen stehe nichts im Wege. Sie übersehen dabei, daß das politische Vereinsrecht ein neues Recht für die Frauen ist. Nur ein kleiner Teil von ihnen erkennt feine Notwendigkeit und seine Vorteile, und das, trotzdem dieses Recht aus den ökonomischen Verhältnissen erwachsen ist. Nach der letzten Berufs- und Gewerbezählung kommen auf zwei erwerbs tätige Männer eine erwerbstätige Frau. Auch für die Organisation sind die Frauen schwerer zu gewinnen als die Männer. Die Auf­gabe der Genossinnen ist es, geeignete Mittel ausfindig zu machen, um die Frauen als Mitglieder zu gewinnen und die Gewonnenen zu schulen. Dieser Mittel hat sich die Organisation zu bedienen. Tie Erfahrung hat gezeigt, daß dies eine Notwendigkeit ist. Daher die einschlägigen Bestimmungen des Regulativs, das in Nürnberg  beschlossen wurde, und des Organisationsstatuts, die ein Sonder­recht für die Frauen darstellen. Die Referentin erörterte diese Be­stimmungen und wies nach, wie nötig es sei, daß ihnen entsprechend allen Körperschaften und Kommissionen auch Frauen angehören. Nichts darf unversucht bleiben, die weiblichen Mitglieder zu tätigen Mittämpferinnen zu machen. Nachdem die Referentin in großen Zügen ein Bild von der Entwicklung der proletarischen Frauen­bewegung in Deutschland   gezeichnet hatte, beschäftigte sie sich mit dem jetzigen Stand der politischen Organisation des Bezirks, die Frauen und Männer umschließt. Die Zahl der weiblichen Mit­glieder hat hier eine beträchtliche Höhe erreicht. Nach dem Bericht des Parteivorstandes haben wir 5765 weibliche Mitglieder bei 39743 Mitgliedern überhaupt. Der Bezirk steht mit dieser Zahl an zweiter Stelle. Aus dieser erfreulichen Tatsache erwächst die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß wir nicht nur in den Büchern eine große Zahl weiblicher Mitglieder haben, die zwar durch das pefuniäre Opfer des Beitrags ihr Interesse für die Partei bekunden, sonst aber gleichgültig sind. Wir müssen diese Frauen auch in die Bewegung hineinziehen und in ihnen den persönlichen Drang wecken, selbst tätig zu sein. Die mündliche und schriftliche Agitation hat fich immer auch besonders an die Frauen zu wenden. Die öffent­liche Agitation ist durch die Agitation auf der Arbeitsstätte und in der Familie zu unterstützen. Daneben muß Aufklärung über die Frauenfrage verbreitet werden durch Empfehlung passender Bro­schüren und Bücher, durch besondere Versammlungen weiblicher Mitglieder, öffentliche Frauenversammlungen und geeignete Vor­träge in Mitgliederversammlungen. Wir müssen dafür sorgen, daß sowohl die Grundsätze als die besonderen und momentanen Forde rungen unseres Programms von den Frauen verstanden und ge=

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würdigt werden. Die Referentin befaßte sich eingehend mit den sozialdemokratischen Forderungen, die aus der Notwendigkeit heraus entstanden sind, für die Frau in ihrer Eigenschaft als Mutter zu sorgen, sowohl in ihrem Interesse als im Interesse des heranwachsenden Geschlechts. Neben der gemeinsamen Agitations­arbeit, an der die Genossinnen nach Kräften teilnehmen müssen, fällt ihnen noch die besondere Aufgabe zu, unter ihren Geschlechts­genofsinnen zu agitieren, für ihren Eintritt in die Organisation und für die Verbreitung der Gleichheit" zu sorgen. Auch die Durch führung des Kinderschutzgesetzes und der Kinderfürsorge, die Tätig­feit in der Jugendorganisation, bei der gewerkschaftlichen Organi­sation der Arbeiterinnen und in der Dienstbotenorganisation sind alles spezielle Pflichten der Genossinnen. Bei der Erfüllung aller dieser Aufgaben stellen sich den Frauen unendlich viele Hindernisse und Hemmungen entgegen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! Sind die Frauen von der Notwendigkeit ihrer Betätigung überzeugt, beseelt sie eine tiefe Begeisterung für unser hohes Ziel, dann finden sie auch die Kraft und die Zeit dazu. Diesen Willen in ihnen zu wecken, das muß unsere Aufgabe sein. Die Diskussion, die sich an das Referat anschloß, war sehr anregend. Allseitig wurde gewünscht, daß die Verbindung der Genossinnen mit dem Frauen­bureau wieder hergestellt werde, damit die weiblichen Vorstands­mitglieder besser unterrichtet werden über alle diejenigen Angelegen­heiten, die für die Genossinnen von besonderem Interesse sind.

Aus der Diskussion und den Berichten der Genossinnen ist besonders erwähnenswert die eifrige Agitation der Kieler   und Gaardener Genossinnen. Sie haben mit gutem Erfolg bezirks­weise Hausagitation für die Gleichheit" und für die Organi sation betrieben, die sie nur unterbrechen, wenn die wirtschaft­lichen Verhältnisse zeitweilig besonders ungünstig liegen. Genossin Leu- Schwartau teilte mit, daß die Schwartauer   Genossinnen bei der Gemeindevertretung einen Antrag auf Errichtung von Krippen und Warteschulen gestellt haben. Sie beabsichtigen die ab­lehnende Antwort, die sie voraussichtlich erhalten, agitatorisch aus­zunützen. Die Altonaer   Genossinnen berichteten, daß bei einer allgemeinen Hausagitation auch für die Gleichheit" geworben wurde. Trotz aller Mühe ist es nicht gelungen, den Abonnenten­stand auf der früheren Höhe zu erhalten. Genossin Meyer- Altona wünschte, daß in der Landpost" Artikel erscheinen, die besonders an die Frauen gerichtet sind. Die Kinderschutzkommissionen sollen ihr Augenmerk mit auf die Ausbeutung der Kinder durch die Eltern richten.

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Von verschiedenen Seiten wurde der Wunsch ausgesprochen, daß Flugblätter, die an die Frauen gerichtet sind, größere Ver­breitung finden. Genossin Zieh teilte mit, daß einige solcher Flug­blätter in Vorbereitung seien. Die Referentin faßte in einem Schluß­wort alle Anregungen, die im Verlauf der Diskussion gegeben wurden, zufammen und forderte die Anwesenden auf, diese zu be herzigen. Mit einem dreifachen Hoch auf die internationale prole­tarische Frauenbewegung wurde die sehr gut verlaufene Konferenz geschlossen.

Auf der Konferenz gelangten folgende Resolutionen zur Annahme:

Resolution 1.

Die am 11. September 1910 in Neumünster   tagende Frauen­konferenz für die Provinz Schleswig- Holstein   und das Fürstentum Lübeck   hat Kenntnis genommen von dem Beschluß der Inter­nationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen   auf Einsetzung eines Frauentages zur Propaganda des Frauenwahlrechts. Sie spricht die Hoffnung und den Wunsch aus, daß die Parteiorganisation beschließt, den Frauentag überall zu propagieren und zur Durch führung zu bringen.

Resolution 2.

Die am 11. September in Neumünster   tagende Frauenkonferenz für Schleswig- Holstein   und das Fürstentum Lübeck   wünscht, daß der auf der Internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen   ge­faßten Resolution, in Deutschland   und Österreich   öffentliche Frauen­versammlungen gegen die künstlich geschaffene Teuerung zu ver­anstalten, möglichst schon im Oktober Rechnung getragen wird.

Resolution 3.

Die am 11. September in Neumünster   tagende Frauenkonferenz für Schleswig- Holstein   und das Fürstentum Lübeck   spricht den Wunsch aus, die direkte Verbindung mit dem Frauenbureau da­durch wieder herzustellen, daß dem Frauenbureau die Möglichkeit gegeben wird, das den Bezirksleitungen durch den Parteivorstand zugesandte, auf die Frauen bezügliche Material an die weiblichen Mitglieder der Bezirks- respektive Kreisvorstände zu senden.

Linchen Baumann.