Nr. 13

Die Gleichheit

geisterung für die Eroberung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts zu allen öffentlichen Vertretungskörpern für alle über zwanzig Jahre alten Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts fämpfen. Die Versammelten erklären weiter, uns ablässig an der Stärkung der sozialdemokratischen Organisation und der Verbreitung ihrer Presse zu arbeiten, da die wachsende Macht der sozialdemokratischen Partei die alleinige Gewähr ist für die Demokratisierung aller öffentlichen Einrichtungen und für die Be­freiung der Arbeiterklasse von der Klassenherrschaft."

Der erste geschlossene Aufmarsch der arbeitenden Frauen zum Kampfe für ihr Bürgerrecht hat der sammelnden und führenden Sozialdemokratie Tausende weiblicher Mitglieder zugeführt und den Lesertreis der Parteipresse, die Sphäre des sozialdemokratischen Einflusses beträchtlich erweitert. Zehntausende bisher Gleichgültige haben den ersten Anstoß zu ihrer Erweckung erhalten, neue Scharen Rechtloser blicken auf das rote Banner in dem hoffnungsfreudigen Vertrauen, daß es dem Kampfe für Gerechtigkeit und Kultur voran­getragen wird. In der heißen Atmosphäre einer energischen Aktion blüht stets der Weizen der Sozialdemokratie.

II. In Österreich  .

Der Frauentag in Wien   bot ein überwältigendes Bild von der Reife des weiblichen Proletariats. Es war die erste große Frauen­demonstration für die politischen Frauenrechte. Wieviel Frauen an ihr teilgenommen haben, läßt sich nicht leicht abschätzen, weil viel leicht ebensoviel, als im Zuge gegangen sind, Spalier gebildet haben, Die Zahl der Teilnehmerinnen wird mit 15000 bis 20000 an= gegeben. Von 1/24 Uhr an kamen die Bezirkszüge anmarschiert, an der Spitze die Abgeordneten und sonstigen Funktionäre der Partei. Alle Bezirke führten in reicher Zahl Standarten mit sich. Die Ge­noffinnen und Genossen einiger Bezirfe trugen weiße Armbinden mit der roten Inschrift: Heraus mit dem Frauenwahlrecht!" Die Metallarbeiterinnen, die Papierarbeiterinnen usw. hatten eigene Tafeln, die ihre wichtigsten Forderungen in Verbindung mit dem Frauenwahlrecht enthielten. Die streitenden Schneiderinnen, die weiblichen Konsumvereinsbediensteten, die Handlungs gehilfinnen marschierten geschlossen im Zuge. Mit roten Fahnen famen in sesten Gruppen die Arbeiterinnen einzelner Fabriken. Die Heimarbeiterinnen hatten eine Standarte mit prachtvollem rotem Bande, auf das eine begeisterte Genoffin gestickt hatte: Frauen­tag 1911. Unsere jüngste Organisation, die der Dienstmädchen, marschierte mit 120 Teilnehmerinnen im Zuge. Ihre Standarte hatte die Inschrift:" Für gleiches Recht und menschen würdige Behandlung". Als eine Viertelstunde vor 4 Uhr die Versammlung eröffnet wurde, waren die Säle überfüllt, obwohl nur 200 Stühle für ältere und kränkliche Frauen auf­gestellt worden waren und die Menge Kopf an Kopf gedrängt stand. Und trotzdem hatten nur 4 von den demonstrierenden 21 Be­zirken Platz gefunden. Es war ein feierlicher Augenblick, als die Sängerinnen des Arbeitergesangvereins das von Genoffin Schle finger gedichtete Frauenwahlrechtslied" ertönen ließen. An uns, ihr Frauen, ist die Reihe, zu kämpfen jetzt für unser Recht", flang es aus jugendlichen Mädchenkehlen durch den Saal. Dann eröffnete Genoffin Schlesinger die Versammlung mit einer gehalt­vollen Ansprache. Die Genossinnen Schlesinger, Boschet, Scherer und Schuler bildeten das leitende Bureau. Die Rede des Genossen Dr. Adler über die Berechtigung des Frauenwahl­rechts ergriff viele Frauen bis zu Tränen. Genossin Popp wür digte vor allem die internationale Bedeutung des Frauentages und begründete dann kurz vor den Saaleingängen harrten Tausende- die Forderung des Frauenwahlrechts und empfahl eine entsprechende Resolution zur Annahme, die allen Wahlrechtsversammlungen in Osterreich   vorgelegt wurde. Genossin Dworschat brachte die Solidarität der tschechischen, Genossin Scherer die der pol nischen Proletarierinnen mit der Rundgebung zum Ausdruck. Frau v. Fürth  , die Vorsitzende des Frauenstimmrechtskomitees, versicherte die schwesterliche Solidarität der bürgerlichen Frauen im Kampfe um das Frauenstimmrecht.

Nach der Abstimmung über die Resolution erfcholl wieder das Frauenwahlrechtslied, und der Zug setzte sich in Bewegung. Durch die ganze Ringstraße an den Absteigequartieren der Potentaten und Geldtönige vorbei, an der Hosoper, der Hofburg, den Museen und dem Parlament vorüber bewegte er sich auf den Rathausplatz zu. Dort, von der Rampe des Rathauses herab, hielten die Genofsinnen Ansprachen und würdigten mit fräftigen Worten die Bedeutung des Tages, worauf der Abmarsch der Demonstrierenden unter Ge­fang in die Bezirke erfolgte. Während der Versammlung in den Blumenfälen hatten in Garten und auf der Straße die Genoffinnen

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Seidel, Boschek und Proft gesprochen. In einem Nebenfaal tagte die Versammlung der tschechischen Proletarierinnen, die eben­falls überfüllt war. Im Zuge, das soll noch hervorgehoben werden, marschierten auch 300 tschechische Biegelarbeiterinnen in ihrer gewohnten Kleidung: Kopftuch, Rock  , Jacke und Schürze. Sie hatten zwei Stunden Wegs bis zum Versammlungslokal, und da sie ge­wöhnlich in Pantoffeln oder barfuß gehen, trugen viele die un­gewohnten Schuhe in der Hand. Welch ein Gegensatz das alles zu dem Korso, den die elegante Welt Sonntag nachmittag zu der nämlichen Stunde auf dem Ning abhielt. Die Polizei störte die Demonstration für das Wahlrecht der Frauen nicht, mit Auss nahme von zwei Fällen, wo sie um die Eroberung von zwei staats­gefährlichen Standarten einen heißen Kampf führte. Die eine trug einen Protest gegen den Moloch" Militarismus, die andere gegen die Ausbeutung. Die Genofsinnen trugen dann an Stelle der konfiszierten Standarten hoch erhoben ein Blatt, auf dem zu lesen war: Konfisziert.

Die Wiener   Genossinnen sind stolz auf ihre erste Demonstration für das Frauenwahlrecht, und sie tönnen es sein, haben doch Zehn­tausende Frauen ihre politische Reife bewiesen. Soweit bis jetzt Nachrichten vorliegen, ist der Frauentag auch überall im Lande großartig verlaufen. Die deutschen   Genossinnen allein haben weit über hundert Versammlungen abgehalten, auch die tschechischen und polnischen Genossinnen, sowie die italienischen Genossinnen in Triest   haben Versammlungen vielfach mit öffentlichen Demon­strationen veranstaltet.

Genossinnen Deutschlands  ! In begeisterter Kampfes flimmung senden euch die Genofsinnen Österreichs   von ihrem ersten Frauentag fchwesterlichen Gruß. Möge dem Rufe: Es lebe das Frauenwahlrecht! bald der Sieg folgen für euch und für uns. Adelheid Popp.  

III. Jn Dänemark  .

Die Aufforderung der Internationalen Frauenkonferenz zu Kopen­ hagen  , dem Antrag der Genossin Zetkin   entsprechend einen Frauens tag zur Demonstration für das Frauenwahlrecht abzuhalten, hat auch in Dänemark   Widerhall gefunden. In Kopenhagen   und in der Nachbargemeinde Frederiksberg hat die sozialdemokratische Partei fünf große Versammlungen veranstaltet, und in einer Reihe der größeren Städte: Aarhus  , Esbjerg  , Roldrug usw., haben die Frauen ebenfalls für ihr politisches Bürgerrecht demonstriert. Männliche und weibliche Redner der Partei haben mit großem Nachdruck die Forderung vertreten, und überall haben die massen­haft erschienenen Frauen der folgenden Resolution zugestimmt:

Die Versammlung spricht ihre tiefe Unzufriedenheit und ihr Bedauern darüber aus, daß die Frauen noch von dem Wahlrecht und der Wählbarkeit zum Reichstag ausgeschlossen sind. Sie schließt sich vollständig dem dringenden Verlangen an, das immer mehr in der ganzen Kulturwelt emporloht, den Frauen ihre politische Gleich­berechtigung mit den Männern zu gewähren. Der jetzige Stand der Dinge ist moralisch niederdrückend, ben Interessen der Gesell schaft schädlich und den demokratischen Anschauungen unserer Zeit zuwider. Dieser mißliche Stand der Dinge muß beseitigt werden.

Die Versammlung erklärt sich solidarisch mit dem Standpunkt, den die Sozialdemokratie zu der Wahlrechtsfrage im Reichstag vers treten hat, und fordert die Regierung und die Erste Kammer auf, möglichst bald die von der Zweiten Kammer beschlossenen Ände rungen der Verfassung gutzuheißen, dank deren die Frauen das politische Wahlrecht erlangen werden."

Wie aus der Resolution hervorgeht, ist die Demonstration für das Frauenwahlrecht in Dänemark   gerade zu rechter Zeit gekommen. Die Zweite Kammer( Joffething) hat vor kurzem eine Änderung der Ver­fassung beschlossen, welche den Frauen zu dem kommunalen auch das politische Wahlrecht bringen würde. Aber die Reform stößt in der Ersten Kammer( Landsthing) auf eine Schwierigkeit, die prinzipiell mit der Frauemvahlrechtsfrage selbst nichts zu tun hat. Wenn eine Änderung der Verfassung in Kraft treten soll, so muß zunächst eine Auflösung beider Kammern erfolgen. Bei einer solchen Auflösung muß die Regierung Stellung zu der alten Streitfrage nehmen, ob die vom König ernannten lebenslänglichen Mitglieder des Lands­things ebenfalls verabschiedet werden können. Die regierende Partei wagt diese Frage weder zu bejahen, noch zu verneinen, und des­wegen wird jede Frage verschleppt, die eine Anderung der Ver­fassung nach sich zieht. Eo fommit es, daß auch die Frauen mit ihrer Rechtsforderung zunächst warten müssen. Die Demonstrationen des 19. März haben den hohen Herren gezeigt, mit welcher Un geduld diese auf ihre Gleichberechtigung warten.

Bei unserer Demonstration für das Wahlrecht haben wir nicht vergessen, was die Frauenkonferenz den Genofsinnen eingeschärft