218

Die Gleichheit

Die Unterzeichnete unternahm für den Deutschen Tertil. arbeiterverband eine Agitationstour durch Württemberg  , Baden   und die Pfalz   und sprach in 36 Versammlungen. Leider waren manche davon schlecht besucht. Die Textilarbeiterschaft der betreffenden Orte lebt in so niederdrückenden Verhältnissen, daß sie fein Zutrauen zu dem Gedanken fassen kann, ihre Lage mit Hilfe der Organisation aus eigener Kraft zu verbessern. So lernte die Unterzeichnete große Scharen von Textilproletariern fennen, die sich tagsüber mit einem Stück Brot und einem Krug Most als Nahrung begnügen. Fleisch, das für so intensiv arbeitende Menschen sehr notwendig wäre, fommt nur sehr selten auf den Tisch. Viele der Textilarbeiter treiben zu Hause nach der Fabrikarbeit noch etwas Landwirtschaft und bauen Kartoffeln und Gemüse. Da diese Proletarier infolgedessen weniger direkte Geldausgaben haben, so begnügen sie sich in der Fabrik mit ganz geringen Löhnen. Sie schädigen dadurch ihre Arbeitsgenossen, die allein auf ihren Ver­dienst in der Fabrit angewiesen sind. Solche halbländliche Fabrik­proletarier sind sehr schwer für die Organisation zu gewinnen, auch deswegen, weil sie noch viel weniger freie Zeit haben als die übrigen Proletarier. Trotz aller Schwierigkeiten beginnt aber auch unter ihnen die Erkenntnis aufzudämmern, daß die gewerkschaft­liche Organisation eine Notwendigteit ist, und durch die Versamm­lungen konnte wieder eine stattliche Anzahl neuer Mitkämpfer dem Deutschen Textilarbeiterverband   zugeführt werden. Helene Wagner.

überall schreiten wir vorwärts. Denn überall ist durch die Er­bitterung gegen die Regierung und die herrschenden Parteien der Boden für unsere Werbearbeit vorbereitet. Und daß die Unzu­friedenheit auch bereits weite Kreise der ländlichen Bevölkerung erfaßt hat, die bisher den Rückhalt der Reaktion bei den Wahlen bildete, zeigte sich auch auf einer Agitationstour der Unterzeich neten durch einen Teil Mecklenburgs. Um in den Frauen, die durch die Verteuerung der Lebenshaltung aufgepeitscht sind, die Erkenntnis zu wecken, daß ihre Interessen mit dem öffentlichen Leben verknüpft sind, und daß die Frauen durch Betätigung im politischen Kampfe Einfluß auf die Gestaltung der Verhältnisse auszuüben vermögen, war als Thema der Versammlungen gewählt: Die nächsten Reichstagswahlen und die Aufgaben der Frauen". Die Agitationstour berührte folgende Orte: Wittenburg  , Hage now, Alt Karstädt, Lübtheen  , Boizenburg  , Parchim  , Sübs, Krimiz, Gadebusch  , Schönberg, Rehna  , Greves mühlen, Selmsdorf   und Warin  . Überall, mit Ausnahme Hagenows, waren die Versammlungen gut besucht. Sie brachten der Partei 186 neue Mitglieder, unter ihnen 57 Frauen. So wird auch unser weiteres Ziel erreicht werden, die einmal aufgeklärten Frauen zur Mitarbeit in den Reihen der Sozialdemokratie festzu­halten und zu schulen. Gleichfalls zahlreich besucht waren die Ver­sammlungen in Brüel   und Warnemünde  , in denen wir 18 neue Mitglieder, darunter 7 Frauen, gewannen.

In den Orten des Lübecker   Wahlkreises Sch I utup, Ober­Büßau, Morgarten und Travemünde   fanden Versamm­lungen statt mit dem Thema: Volksbelastung und Volksbefreiung". Die Versammlungen wiesen einen stattlichen Besuch auf. In Travemünde   wollte bisher die Bewegung nicht recht gedeihen. Personenkultus und Patriotismus hielten das Erwachen des Klassen­bewußtseins der Proletarier hintan. Um so erfreulicher war es daher, daß in diesem Orte das Versammlungslokal bis auf den letzten Play besetzt war. Selbst die Frau Pastor" war erschienen. Und hier gelang es, 32 neue Mitglieder, unter ihnen die ersten 11 weiblichen, zu werben und damit die Mitgliederzahl der Dr ganisation zu verdoppeln. So sammelt unsere Bewegung allerorts neue Kräfte, die unseren Sieg verbürgen. Käthe Leu.

Auch in der dunkelsten Ecke Deutschlands  , in Aachen  , nahm der sozialdemokratische Frauentag einen imposanten Verlauf. 35000 Flugblätter waren in Stadt und Land verbreitet worden. Der öffent lichen Frauenversammlung am 19. März wohnten zirka 400 Per­sonen bei, für Aachener Verhältnisse eine stattliche Besucherzahl. Den überwiegenden Teil der Versammelten bildeten Frauen, von denen immer mehr trotz der flerifalen Verdummungspolitik ihre Interessen erkennen. Die Versammlung wurde in schöner Weise eingeleitet durch zwei von dem Frauen- und Mädchenchor Blüh auf" vorgetragene Freiheitslieder. Bei der Eröffnung der Versamm­lung machte der Vorsitzende darauf aufmerksam, daß nach dem Reichsvereinsgesetz Personen unter 18 Jahren nicht an der Ver­fammlung teilnehmen dürften. Als er hiernach dem Redner das Wort erteilen wollte, erklärte der überwachende Polizeibeamte, daß noch Personen unter 18 Jahren im Saale seien. Die betreffenden jungen Mädchen verließen den Saal, und in allgemeiner Heiterkeit kam der Spott der Versammlung über das fretheitliche Vereins­

Nr. 14

gefeh" zum Ausdruck. Genosse J. Honrath- Aachen sprach über den Kampf der Frauen und Mädchen um gleiche Staatsbürger­rechte" unter lebhafter Zustimmung und stürmischem Beifall der Versammelten. Einige Damen der bürgerlichen Gesellschaft- wie gesagt wurde, Mitglieder des Vereins für Frauenstimmrecht- nahmen an der Versammlung teil und folgten mit Interesse den Ausführungen des Redners, zu denen sie hin und wieder zustim mende Bemerkungen machten. Aber bei der Abstimmung über die Resolution, die im übrigen von allen Anwesenden angenommen wurde, enthielten sie sich der Stimme. Ein Beweis dafür, daß die werktätigen Frauen von den Damen nichts zu erwarten haben. Ein begeistertes Hoch auf das allgemeine Wahlrecht und die inter­nationale völkerbefreiende Sozialdemokratie schloß die Versammlung. 20 Frauen ließen sich in den sozialdemokratischen Verein aufnehmen und fast ebensoviel Abonnenten für die Rheinische Zeitung  " wur den gewonnen. Wir werden unverdrossen weiterarbeiten, damit auch in das schwarze Aachen immer stärker das Licht der sozia listischen Erkenntnis dringt. H. R.

Von den Organisationen. Den Frauenbildungsabend am 15. März hatten die Genossinnen des zweiten Hamburger Wahlkreises zu einer fleinen stimmungsvollen Märzfeier gestaltet. Genosse Sauer gab eine Schilderung der verschiedenen für das Proletariat bedeutungsvollen Märztage. Der fnappen Stizzierung des Wiener Aufstandes vom 13. März 1848, der dem Polizeiregiment Metternichs ein jähes Ende bereitete, ließ er eine lebendige Dar stellung der Berliner   Barrikadenfämpfe am 18. März folgen. Er zeigte, wie dann das Proletariat um die Frucht seiner blutigen Opfer durch die Feigheit der Bourgeoisie betrogen wurde. Und wieder war es im März, als im Jahre 1871 das arbeitende Volk von Paris   die Kommune proklamierte, die es dann zwei Monate lang heldenmütig gegen die von den deutschen   Siegern unterstützte Reaktion verteidigte. All die Märzsiege des Proletariats endeten mit einer Niederlage, da der Arbeiterklasse noch die Organisation fehlte. Inzwischen ist aber diese Drganisation in der Sozialdemo fratie und durch die Sozialdemokratie erstanden. Mit dem Vortrag einiger Freiligrathscher Gedichte, wie Die Toten an die Lebenden" usw., fand die Feier einen würdigen Abschluß. Es wurde einstimmig be­schlossen, im zweiten Hamburger   Wahlkreis allmonatlich einen Frauenbildungsabend abzuhalten.

An dem in Barmbeck   am 25. März stattgefundenen Frauen­bildungsabend schilderte Genosse Leuterit in Fortsetzung seines Vortrags über" Wandlungen des Eigentums" eingehend die Ents stehung des Feudaleigentums" und seine Entwicklung bis zu seiner Auflösung durch die bürgerlich- kapitalistische Produktionsweise. Das bürgerliche und kapitalistische Eigentum" behandelte dann Genosse Leuterit am 31. März in Winterhude   Eppendorf  . Jn anschau­licher Weise zeigte er den Werdegang des Kapitalismus auf von der Manufaktur zu den Kartellen und Trusts.

Die seit Januar in größerer Anzahl veranstalteten Frauenbildungs­abende erfreuen sich starken Zuspruchs. Auch agitatorisch wirken fie gut, da an jedem dieser Abende Mitglieder für die Partei gewonnen

werden.

e. g.

Berichtigung. Der Überblick über den Frauentag bedarf einer fleinen Korrektur. In Nürnberg   sind nicht Männer und Frauen in dem Demonstrationszug gegangen, sondern nur Frauen, zu vier nebeneinander, in so großer Zahl, daß der Zug vom Bahnhof aus bis fast zur Burg sich erstreckte. Alle, die im Zuge gingen, strahlten vor Freude. Der Riesensaal des Herkulesvelodrom hatte einem Meer von Frauenhüten geglichen. Nürnberg   hat noch nie eine ähnliche Demonstration gesehen, überwältigend ist zum Aus­druck gekommen, daß die Frauen selbst ihr Bürgerrecht fordern und erringen wollen.

Politische Rundschau.

Die letzten Reichstagsverhandlungen haben wieder den Beweis erbracht, daß der Imperialismus, das heißt das Streben der Bourgeoisie nach Ausdehnung ihrer Macht, ihrer Ausbeutungs­gebiete und Märkte, freiwillig vor dem Wunsche der Völker auf Siche rung des Friedens und Erleichterung der militärischen Rüstungen die Waffen nicht streckt. Als der Anwalt des beutegierigen Kapita­lismus hat der Reichskanzler am 30. März gesprochen. Zur Des batte stand der sozialdemokratische Antrag auf Einleitung inters nationaler Verhandlungen, um eine Einschränkung der Rüstungen herbeizuführen. Der Reichstanzler erklärte die Frage der Abrüstung für unlösbar und den Krieg als eine ewige, gottgewollte Einrichtung. Und das Völkerrecht des Kapitalismus proflamierte er in dem Sage, daß der Schwache die Beute des Starten ist. Die Kosten für die Rüstungen müssen aufgebracht werden; ist ein Volk dazu nicht mehr