Nr. 22

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Die Gleichheit

liefern. Damit für diese sogenannten Überzigarren" die Wickel nicht fehlen, wird den Wickelmacherinnen dementsprechend Schuß abgezogen. Für diese ungerechte Praxis können die Fabrikanten auch nicht einen einzigen stichhaltigen Grund angeben. Denn Überzigarren werden sonst nur geliefert und zwar 10 pro 1000 Stück-, wo den Arbeitern 25 bis 35 Gratiszigarren verabfolgt werden. Dies ist bei den Aachener Zigarrenarbeiterinnen nicht der Fall. Durch die Einrichtung schlagen die Fabrikanten nicht allein die Bezahlung der Meister heraus, sondern auch noch teilweise den Pflichtteil zur Alters, Invaliden- und Krankenversicherung. Die Arbeiterinnen werden aber durch sie um so härter getroffen, als ihre Entlohnung ohnehin miserabel ist. Für den Rahmen Zigarren werden 64 Pf. bis 1,25 Mt. gezahlt, hin und wieder wohl auch 1,50 bis 1,60 mt., der letztere Satz jedoch nur für derartig schwierige Fassonen, daß die Arbeiterinnen nicht viel davon fertigstellen können. Für 1000 Formen Wickel, das sind 2000 Stück, werden 3,25 bis 4,50 Mt. bezahlt, nur vereinzelt und bei schwierigen Fassonen 5 bis 5,50 Mt. Außerdem gibt man den Arbeiterinnen noch schlecht zu bearbeiten­den Tabat, meist Stückblatt, so daß sie mit solchem Material bei angestrengter Arbeit Hungerlöhne von höchstens 7 bis 12 Mt. pro Woche erreichen können. Allerdings kommen einige Arbeiterinnen in der Zigarrenindustrie auf 15 bis 17 Mt. in der Woche, doch sind das nur Ausnahmen, die obendrein sehr oft von der besonderen Gunst der Meister oder des Chefs abhängen. Vor allem ist aber selbst dieser Ausnahmelohn für die geleistete Arbeit erbärmlich genug. Der Verdienst der Zigarrenfortiererinnen ist ungefähr gleich hoch. Auf der niedersten Stufe stehen jedoch die Löhne der Hilfs arbeiterinnen. Der schlechten Entlohnung entspricht in einigen Fabriken die menschenunwürdige Behandlung der Arbeiterinnen durch einzelne Meister, Meisterinnen, Chefs usw. Besonders muß in diesem Zusammenhang die Firma Bernh. Franken erwähnt werden. Dort schaltete bis vor kurzem eine Meisterin, Willers ist ihr Name, welche die Arbeiterinnen in der schamlosesten Weise aus­beutete. Sie ließ sich von Arbeiterinnen Geschente aller Art machen. So erhielt sie von den Armsten die Kommunionkleider ihres Kindes. Die Arbeiterinnen, welche sie mit Geschenken bedachten, erhielten Vergünstigungen bei der Arbeit, so daß sie etwas mehr verdienten als ihre Arbeitsschwestern. In Wirklichkeit stellten sie sich durch ihre Liebedienerei auch nicht besser als diese, denn was sie mehr verdienten, ging ihnen durch die Geschenke an ihre Meisterin vers loren. Freilich waren die übel daran, welche das Geben scheuten, fie wurden nach Noten schifaniert. So bedauerlich es auch ist, daß Arbeiterinnen die Hand zu dem geschilderten Mißbrauch boten, angesichts ihrer elenden Lebensverhältnisse wird es begreiflich. Diese durch die Kirche von jeher zur Knechtseligkeit erzogenen Prole tarier ermangeln jeglicher Aufklärung. Es hält daher schwer, den betörten Arbeiterinnen die Erkenntnis beizubringen, daß sie eine bessere Bezahlung nicht erbetteln und erkaufen dürfen, sondern daß sie das Recht haben, ihre Arbeitskraft zu den höchsten Preisen au verkaufen. Als dem Deutschen Tabatarbeiterverband die Mißstände bei der Firma Bernh. Franken bekannt wurden, wandte er sich in einem Schreiben an sie, um Abhilfe zu erreichen. Doch bei den Unternehmern fand er taube Ohren. Erst als die Herren erfuhren, daß die Meisterin Willers auch Zigarren zum Verkauf anbot zu auffällig billigen Preisen, zum Teil um die Hälfte des Wertes, sahen sie sich veranlaßt, der ihnen sonst so nütlichen Antreiberin den Laufpaß zu geben. Bei derselben Firma ist es noch die Sortiermeisterin Havenet, die die Arbeiterinnen ihrer Abteilung ihre Macht in bes sonderer Weise fühlen läßt. Auch in ihrem Falle wäre eine Unter fuchung angebracht. Denn die Dame schaltet und waltet in dem Betrieb, ganz wie es ihr beliebt.

In der Aachener Bigarrenindustrie gibt es auch eine große Zahl Heimarbeiterinnen. Ihre Lage ist noch weit trostloser als die der Fabrikarbeiterinnen. Die Heimarbeiterinnen erhalten meist die schlechtest bezahlte Beschäftigung mit nach Hause und müssen selbst für die Arbeit Raum, Licht und Heizung stellen. Dabei ist die Wohnungsmiete in Aachen   unerschwinglich hoch. Ein Gang in die Wohnungen der Zigarrenheimarbeiterinnen zeigt uns mit erschrecken­der Eindringlichkeit, wie notwendig es ist, den Kampf gegen die Schäden der Heimarbeit mit aller Energie durchzuführen. Ich trete ein in eine solche Heimarbeiterstätte. Ein und dasselbe Zimmer dient als Wohn-, Schlaf- und Arbeitsraum. Rechter Hand stehen zwei ärmliche Betten für Mann, Frau und Kinder, linker Hand be findet sich der Herd, auf dem eben das färgliche Mittagsmahl kocht. Mehrere Kinder fauern in der Stube, die größeren belfen bereits der Mutter das Deckblatt entrippen, damit die Arbeit schneller von statten geht und mehr einbringt. Am Tische sitzt die Mutter und macht Zigarren. Plöglich schreit das Kleinste. Die Frau springt auf, um es zu beruhigen, und kehrt dann haftig wieder zur Arbeit

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zurück, benn sie muß das Verfäumnis nachholen. Es gilt jede Minute auszunuzen, damit der Hungerlohn erreicht wird. Auf meine Frage: Wie lange arbeiten Sie des Abends?" entringt sich ein Seufzer der gequälten Brust. Man verliert so viel Zeit, da man täglich zur Fabrit gehen muß, die Arbeit zu holen; dann wollen die Kinder versorgt sein, und es gibt sonst im Hause zu tun. Erst wenn es Abend ist und alle im Bette liegen, kann ich nachholen, was fertig werden muß. So wird es oft 12, 1 Uhr, bis ich zu Bette komme. Dann ist das Material so schlecht, man verdient dabei so wenig. Aber man muß doch arbeiten, die vielen Kinder kosten mehr, als der Mann verdienen kann." Ich fragte sie: Wissen Sie, woran das liegt, daß Sie so schlecht entlohnt werden?" Da meint die Frau: Ja, ich weiß, wenn alle einig wären, dann könnte es besser fein. Aber in Aachen   ist das nicht möglich. Hier ist nichts anzu­fangen, man muß sich eben hineinfügen, denn besser wird es doch niemals." Rein Fünkchen Glauben an eine bessere Zukunft, an die Befreiung der Arbeit von Ausbeutung und Knechtschaft! Hoff­nungslos ergeben sich diese Arbeitsbienen in ihr Schicksal. Eine Treppe höher, ein Haus weiter, überall das gleiche Bild. Ist die Arbeit in der Zigarrenindustrie schon ohnehin sehr gesundheit­schädigend zirka 60 Prozent der Arbeiter verfallen der Tuberku lose, so ist das Leben der Heimarbeiterinnen und ihrer Ange­hörigen doppelt gefährdet, da sie in demselben Raume, wo sie ar­beiten, vielfach auch schlafen und essen. Die Folge ist frühzeitiges Siechtum von Mutter und Kindern. Das ist der Segen der Heim­arbeit, deren Lichtseiten- so fürchtete man die Gewerkschaften auf der Hygieneausstellung in Dresden   nicht genügend zur Geltung bringen würden. Bewundernswert ist es, wie die meist gut katho­lischen Zigarrenfabrikanten eine derartige Ausbeutung mit ihrer Religion zu vereinbaren wissen. Wie stellen sich aber zu solchen Arbeitsverhältnissen die christlichen Gewerkschaften, die ja im Aachener Gebiet herrschend sind? Nun, es fällt ihnen gar nicht ein, hier Verbesserungen zu erstreben. Sehen diese Helden doch ihre Hauptaufgabe darin, die freien Gewerkschaften in ihrer Entwic lung durch die niederträchtigsten Mittel, darunter Lügen und Ver leumdungen, zu hemmen. Wer das Wesen der christlichen Gewerk­schaften noch nicht kennt, kann es in Aachen   und Umgegend an der Quelle studieren. Je mehr aber diese Organisationen sich ducken, je bedingungsloser sie sich dem Zentrum und Unternehmertum ver­schreiben, desto eher muß auch die verblendetste Arbeiterschaft sehen, wer ihre Feinde und wer ihre Freunde sind. Die Proletarier wer­den erkennen, daß nur die freien Gewerkschaften ihre Interessen ehrlich und wirksam vertreten. Möchten auch die Tabatarbeiterinnen einsehen, daß sie nur im Deutschen   Tabatarbeiterverband für ihre Sache erfolgreich kämpfen können. Ohne Unterschied des Religions­bekenntnisses fann jede Arbeiterin Mitglied dieser Organisation werden. Leider stehen dem Verband auch noch viele Tabalarbeite­rinnen fern, deren männliche Angehörige gewerkschaftlich oder poli­tisch organisiert sind. Hier Wandel zu schaffen, wie es die Beschlüsse der Gewerkschaftskongresse und Parteitage fordern, ist die heiligste Pflicht eines jeden organisierten Proletariers. Ohne die Frauen werden wir nie imftande sein, den Kapitalismus niederzuzwingen.

H. R.

Die Mikstände im Lehrlingswesen anerkannte kürzlich die Handelskammer Konstanz   durch einen allerdings ziemlich belanglosea Vorschlag zu ihrer Beseitigung. Der Sekretär der Handelskammer vertrat die Meinung, namentlich für weibliche Lehrlinge müßte Ordnung geschaffen werden. Die schlimmsten Auswüchse der Lehrlingszüchterei wiesen die Gewerbe der Kleider­macherinnen und Puhmacherinnen auf. Mit dem Vorschlag, Abhilfe zu schaffen durch Festsetzung einer Mindestlehrzeit, Herbei­führung des Abschlusses guter Lehrverträge usw. war die Handels­fammer einverstanden. Die endgültige Regelung dieser Angelegen­heit vertagte sie auf die nächste Konferenz der vier badischen Handelskammern und bemerkte ferner: Die Regelung des weib­lichen Lehrlingswesens für Kleider- und Puhmacherinnen und Fri­feusen war wiederholt Gegenstand eingehender Beratung auch in Kreisen von Interessenten, welche die Notwendigkeit der Regelung und Unterstellung unter die Handwerkskammer allgemein anerkannten und wünschten." Zu diesen Interessenten dürften schwerlich alle Unternehmer zu rechnen sein!

mg.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. I. K. Der Internationale Frauenrat der englischen Genos­finnen hat in der ersten Hälfte des Juli seine Quartalversammlung abgehalten. Es nahmen daran teil: Delegierte der Unabhängigen Arbeiterpartei, der Sozialdemokratischen Partei, der Fabier, der Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen, des Arbeite­rinnenverbands und der Gewerkschaft der Handlungsgehilfinnen. Den Vorsis führte Genossin Hendin von der Sozialdemokratischen