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Die Gleichheit

derem hat sie uns auch die abergläubischen Vorstellungen und Bräuche der Kulturvölfer als altreligiöse verstehen gelehrt.

Auf der Entwicklungsstufe, wo der Mensch fähig wird, wenigstens einen kleinen Kreis der Natur, in deren Mitte er steht, mit denkendem Blicke zu übersehen, sind es vor allem zwei Beobachtungen, die er machte, zwei Tatsachen, die, wie die Erfahrungen lehrten, ihm besonders auffielen: einmal, daß in seiner natürlichen Umgebung so viel vor sich geht, das weder er selber, noch einer seiner Mitmenschen tut, sodann aber, daß beim Tode des Menschen etwas aus ihm ent wichen war, das er, der Ding und Funktion noch nicht trennen konnte, für ein Etwas für sich ansehen mußte die Seele. Da er außer sich und diesen Seelen nichts Leben­des und Wirkendes kannte, drängte sich ihm der Schluß auf: also sind es die unsichtbar entwichenen Seelen, die die sonst unerklärlichen Vorgänge in der Natur hervorrufen. Jedenfalls haben alle, auch die wildesten und wenigst zivilisierten Völker einen Geisterglauben oder Seelenglauben; die Begriffe Geist und Seele sind durchaus dasselbe. Man hat noch kein Volf ohne solchen Glauben gefunden. Religion ist dieser Glaube noch nicht, und sofern gewisse Völker nichts weiter besaßen als diesen Geisterglauben, kann man sie wohl als religionslos be zeichnen.

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Diese Seelen nun, die die Natur bewegen, in ihr wirken, fügen dem Menschen manches Gute, aber doch noch weit mehr Schlimmes zu die Natur meint es mit dem wilden Men­schen lange nicht so gut, wie eine poetische Weltauffassung träumt. In der Welt herrscht das übel. Es konnte nur von den Seelen kommen. Der Mensch suchte sich deshalb mit den Seelen, die er noch von der Zeit her kannte, da sie im Leibe wirkten Verwandte, Freunde, zu denen sich ja sogar seine eigene Seele, wenn er träumend schlief, begab und mit ihnen verkehrte, in eine Verbindung zu setzen, um ihre Hilfe, sei es unmittelbar, sei es mittelbar durch Schutz vor feindlich ge­sinnten Seelen, zu erlangen. Und weil er sie gleich sich auf einer ewigen Jagd nach des Lebens Notdurft vorstellte, so ver pflegte er sie vor allem mit Speise und Trank. Auch bot er ihnen, woran die Lebenden sich erfreut: Vergnügungen durch Musit, Gesang, Tanz. Das ist der Kult dieses Wort be­dieses Wort be­deutet: Pflege. Dieser Kult das ist die Religion. Es ist nicht bloßer Glaube an höhere" Wesen, sondern die tatsäch liche, betätigte Verbindung des Menschen mit der Geisterwelt, und so ist die alte, oft angegriffene Auslegung des lateinischen Wortes religio   als" Bindung" doch wohl noch die beste.

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Aus den obengenannten Kultbräuchen ist aller Gottesdienst" in seinen sämtlichen einzelnen Formen bis zu denen des Christen­tums hervorgegangen- leider erlaubt der Raum nicht, auf die interessanten Einzelheiten einzugehen. Mythologische Märchen, wie sie später in Kulturzeiten entstanden und die Formen des Kultes zu deuten versuchten, haben mit der Religion nur einen schwachen Zusammenhang. Ebensowenig sind aber sittliche Ge­fühle die Geburtshelfer der Religion.

( Der Naturmensch ist in dieser Beziehung oft äußerst gefühl­los nach unseren Begriffen, aber er ist logisch nach den wenigen Begriffen, die er besitzt. Es ist noch nicht viele Jahre her, daß uns die Forscher von einem jungen Kongoneger erzählten, der seine Mutter nur deshalb tötete, weil er von ihrem abgeschiedenen Geiste einen stärkeren Beistand für einen bestimmten Zweck er­hoffte, als sie ihm im Leben leisten konnte. Und dieser Wilde tat gar nichts anderes, als die zivilisierten, christlichen Kata­Ionier im Mittelalter dem heiligen Romuald antun wollten. Romuald, ein Italiener des zehnten Jahrhunderts, hatte sich in Katalonien   niedergelassen und war daselbst in den Ruf eines Heiligen gekommen. Als er das Land wieder verlassen wollte, beschlossen seine Anhänger, ihn zu ermorden, um aus seinem Körper wundertätige Reliquien zu machen. Er erfuhr es aber und drückte sich französisch. Ob die Geschichte selber wahr ist, tut gar nichts zur Sache ihr Grundgedanke ist nicht erfunden. Die Moral bildet sich in der Gesellschaft und vor allem nach der Gesellschaft. Erst wenn sich gewisse Anschauungen und Handlungsweisen in der Gesellschaft durchgesetzt haben, kommt

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die Religion, die sich ihnen vielleicht vorher entgegengestemmt hatte, und sanktioniert sie notgedrungen, um sie später ebenso zäh gegen Neues als" Gottes Ordnung" zu verteidigen.)

Die Religion ist also feine vom Himmel herabgeschneite hochheilige" Jdee", sondern eine dem Naturmenschen im Kampf ums Dasein aufgezwungene materielle Leistung, eine ost gar nicht leicht zu erfüllende handfeste Verpflichtung. Denn der Mensch muß den Geistern den Kult leisten, wenn er nicht in allem unglücklich sein, nur Feinde im Geisterreich haben will.

Die geregeltste Form dieses Kultes ist der Ahnenkult, die Verehrung der Geister der Eltern und Voreltern. Er stellt sich auf einer gewissen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung ein und findet sich noch heute bei vielen Naturvölfern; in China  bildet er die eine Hälfte der Staatsreligion, die andere ist eine ziemlich richtungslose Verehrung aller möglichen guten und bösen Geister.

Was der Mensch den Geistern leistete, faßt man allgemein unter dem Namen Opfer" zusammen. Je mehr sich das Menschendasein fomplizierte, desto mehr auch das Geisterwirken, desto mehr aber auch der Kult und die Opfer. Und je mehr dies geschah, desto notwendiger schienen besondere Kultbesorger, die mit den Geistern am geschicktesten Umgang pflegen konnten -die Priester. Die Schamanen, die Medizinmänner", bilden denn auch eins der ersten Gewerbe, die sich aus der noch un­differenzierten Urgesellschaft loslösen.

Aber das Priestertum ist, selbst wenn seine Träger mit den reinsten Absichten ihre Aufgabe unternahmen, ein gefährliches Handwerk. Es fonnte feinem Priester unbemerkt bleiben, daß auf der Götter Hilfe kein ganz sicherer Verlaß sei. Wollte er Gewerbe und Ansehen nicht aufgeben, dann mußte die eigene Intelligenz weiterhelfen. Auch der katholische Pfarrer ordnet nicht eher einen Regenbittgang an, als bis das sinkende Baro­meter nicht wenigstens Aussicht auf Witterungswechsel eröffnet. Das Geschäft, so sehr es vorerst, gleich dem Geisterglauben über­haupt, auf bloßer Selbsttäuschung beruht, führt beim Priestertum eigener Unternehmung, wie es die unzivilisierten Völker besitzen, allzuoft zum Betrug. Die offiziellen Priesterschaften der Kultur­völker unterliegen ihrerseits vielfach politischen Einflüssen, die sich dann in ihren Lehren" widerspiegeln. Aber je mehr der­gleichen fremder Einschlag das Gepräge der Religion bestimmt, desto stärker muß der Priester auf seine Ehrlichkeit pochen, desto schärfer muß er den verfolgen, der an seiner Berufung und seiner Lehre zweifelt. Wo Vielgötterei herrscht, kann das Priester­tum wohl allerlei Auswüchse treiben, aber allzu stark und schlimm kann seine Macht nicht werden, obwohl auch schon im bar­barischen Afrika   die Fetischpriester gelernt haben, zusammen­zuhalten; auch im alten Griechenland, das so heitere zwei- und eindeutige, oft geradezu lästerliche Gottesmärchen erfand, wurden viele Philosophen wegen Gottlosigkeit von den Pfaffen verfolgt. Jedoch an der unfernen Stadtgrenze endete die Macht der Orts­priesterschaften. Wo aber der Monotheismus  , der Glaube an einen einzigen Gott, einer großen geschlossenen Priesterorganis sation die Kraft der Einheit verleiht, so daß diese zu der mäch­tigsten Organisation in der Gesellschaft werden kann, da wehe den Zweiflern.

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Das Übel der Welt wird auch durch die Opfer nicht aus­gerottet, aber es würde ohne diese doch noch viel schlimmer sein. Und so steigert der Priester das Opfer immer mehr; er lebt ja vom Opfertisch, und die Gesellschaft muß ihn durch das Opfer ernähren. Der Gedanke des Opfers, der Verehrung" besaß beim Naturmenschen noch den Begriff einer freien Gabe beide Worte bedeuten ursprünglich nur Gabe, Geschenk. Der Geist hatte auf sie mit einer womöglich größeren Gabe zu antworten. Die altindische Opferformel ist:" Ich dir- du mir!" In der Veda, dem ältesten Religionsbuch der Inder, sagt der Opfernde: Hier ist die Butter- wo find deine Gaben?" Und er dankt dem Gotte für diese nicht, das Wort danken" fehlt im Veda. Das entspricht ganz der römischen religiösen Formel do ut des: ch gebe, damit du gibst"." Lohne  , wie Göttern geziemt, mit reichlichem Segen die Gabe", wird die Göttin der Liebe, Aphrodite  , in einem griechischen Gedicht angerufen. Und