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Die Gleichheit

weil der Geist oft trotz der Gabe den Wunsch nicht erfüllte, so wurde der Mensch vorsichtig: er bot dem Gotte nur erst das Geschäft an, indem er ihm für den Fall der Erfüllung der Bitte eine Gabe versprach er tat ein Gelübde. Darüber, wie die Geister und Heiligen dann oft um die Gegenleistung geprellt wurden, gibt es auch aus neuerer Zeit und aus katholischen Kreisen eine große Anzahl Anekdoten, so die von der beinstarken Kerze, die auf ein Dreierlicht zusammenschmilzt.

Dabei konnte der Priester freilich nur schlechte Geschäfte machen, da er aber auch die Willensmeinung der Götter, das Orakel beherrschte, so hatte er ein Mittel, den Gedankengang über das Verhältnis von Göttern und Mensch in seinem Sinne und Jnteresse zu lenken. Hatte der Mensch zuerst die Götter ge­pflegt, und standen sie in seiner Schuld, so erklärte der Priester nun das Opfer als eine Schuld der Menschen an die Götter, und schließlich als eine so große, daß sie der Mensch überhaupt nie abzahlen könne; er blieb immer im Rückstand. Das nicht auszurottende Übel gab dem Priester recht. So entstand der Begriff der Erbschuld, die, nachdem den Priestern auch noch die Umwandlung der objektiven Schuld in eine subjektive Ver­schuldung gelungen war, zur Erbsünde wurde. Schon 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung wußten die jüdischen Priester diese moralische Schuld durch ihre Paradiesesgeschichte zu illustrieren.

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offen, aber der Buddha schloß: also ist die Kultschuld nicht der Grund dieses übels. Diese Erkenntnis erlöste von der Schuld und der Qual des Gewissens; aber was erlöste nun vom Übel? Eine ganze Kette von Ursächlichkeiten gebiert das übel. In dieser Kette ist Kult und Kultschuld kein Glied; aber des Menschen Tun und Lassen im Leben und Verkehr ist eines dieser Glieder. Also halte das Gesetz! nicht das Gesetz des Kultes, sondern das Gesetz des Lebens! Jeder Fehltritt ist die Ursache eines übels."

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Als im fünften Jahrhundert die jüdischen Tempelpriester in den Mosesbüchern das Schuldbewußtsein und seine Sühne zu einem neuen System, nicht ohne eine gewisse Großartigkeit, zu­sammenschweißten, hatte Buddha seine Volksgenossen durch die obige Erkenntnis bereits erlöst. Alle Opfer wie alle Schuld, ja selbst die Götter als opferheischende Wesen waren damit abge­tan. Aber ursprünglich doch wohl nur für eine Provinz, viel­leicht gar nur für eine Klasse von höherer Kultur berechnet, wurde diese Auffassung wieder besiegt; im heutigen Buddhis mus ist Buddha selbst zum Gotte geworden, hat Mönch- und Priestertum, von denen die Lehre befreien sollte, die Gläubigen wieder ganz in der Hand.

Die Bewegung gegen die Teuerung

Entstanden aber ist die Idee wie die Geschichte der Erbsünde in Desterreich und der Blutsonntag in Wien  .

jedenfalls in Babylonien  .

Nunmehr steht der Mensch schon von der Geburt an im Banne dieses Schuldgesetzes; zur Abtragung solcher Schuld, mit solcher Schuld wird er geboren. Von der entsprechenden Gegenleistung hängt die Zukunft nicht nur seines Lebens, auch seiner vom Leibe befreiten Seele ab. Die Vorstellung des von der Welt geschiedenen Jenseits kam auf, das der Wilde noch nicht kennt. Für den Gläubigen hatte das den Vorteil, daß er nicht mehr auf die Gaben seiner Nachkommen nach dem Tode angewiesen war, für den Priester, daß ihn niemand mehr nach der irdischen Gegenleistung fragen konnte.

" Die Gesamtheit der Urvorstellungen zur Tilgung jener Schuld," sagt Julius Lippert  ," Geschichte des Priestertums", ist der Kultus, die Kultanwaltschaft des Priestertums. In Peru   und Ägypten   nahm der Kult vorweg rund ein Drittel alles Landes, ein Drittel aller Arbeitskraft des Menschen als Unterpfand für jene Schuld in Beschlag; mit dem Resterlöse den Druck des Gewissens zu erleichtern, gewährten tausend An­stalten den Menschen Anleitung und Anreiz. Der jüdische Priesterstaat nahm der Theorie nach in Städtegut verwandelt den zwölften Teil des Landes und den zehnten des Ertrages, also ungefähr ein Fünftel des Nationalvermögens in Beschlag, ungerechnet den Gotteskasten am Tempel und den Opferzwang. Das Brahmanentum fehrte lieber gleich die Rechnung um; es schrieb sich gleich die ganze Welt auf die Kreditseite und trug ein kleines Debet zum Lebensunterhalt des Schuldners ein. Die reichen Schätze Griechenlands   verwahrten die Banken der Kult­schuld, die Tempel, und der Druide( keltische Priester) ließ in den Händen des Volkes nur den auf das Jenseits lautenden Schuldschein. Peinlichste Gewissenhaftigkeit ängstigte den Römer mit dem Gedanken, daß er trotz alles Aufwandes seiner Schuld nimmer ledig werden könne. Groß, erschütternd und beäng stigend ist die Geisterfurcht des Wilden, aber je älter, je fort­geschrittener in einem Lande die Kultur, desto schwerer lastet ein Aufwand, der immer wachsend, doch nie die Höhe der Schuld erreichen kann. Objektiv dokumentieren den Tatbestand die Un­glücksfälle des Lebens; subjektiv spiegelt er sich als Gewissens­angst und Verzweiflung.

Einmal kommt die Zeit für jedes Volt, für jeden Menschen da prüft er seine Taten nicht auf den Willen, sondern auf den Erfolg; zweifelnd hält er auf dem Wege inne, ob er ihn weitergehen solle. So stand sinnend der Genius des Inder­volfes in Gautama  , dem Buddha.

Zweck alles Aufwandes, der die Völker erdrückte, war die Abwehr des übels. War sie erreicht? Nein! War nicht genug geschehen? Auch der Brahmane wußte nicht mehr zu verlangen. Das Übel blieb in der Welt; tam wel en viere

I. K. Die Leserinnen der Gleichheit" erinnern sich wohl noch des Berichts, der hier über die Demonstration der Wiener Arbeiter­schaft vom 2. Oftober 1910 gegeben wurde. Eine Viertelmillion Menschen waren damals mit Fahnen und Standarten auf die Ringstraße gekommen, und vor dem Rathaus wurden Reden ge­halten für die Einfuhr von argentinischem Fleisch. Denn die Fleisch­not ist in Österreich   besonders groß, und zu ihr hat sich dank der Erhöhung der Zolltarife von 1906 eine Teuerung aller anderen Lebensmittel gesellt. Die Demonstration vom 2. Oktober wurde durch eine Aktion unserer Abgeordneten im Parlament unterstützt. Der Erfolg war, daß die Regierung durch ihren Handelsminister, den Christlichsozialen Weiskirchner, erklären ließ, zunächst könnten 10000 Tonnen überseeischen Fleisches nach Österreich   gebracht werden. Das wird jetzt ein Jahr, und im Verlauf dieser Zeit sind nur 4000 Tonnen Fleisch eingeführt worden. Auf die Reklamierungen im Parlament machte die Regierung das Geständnis, daß Österreich  ungarischen Regierung gebunden sei. Es wurde auf einen geheimen bei der Einfuhr überseeischen Fleisches an die Zustimmung der Vertrag verwiesen, durch den dieses Abkommen festgelegt sein sollte. und die ungarische Regierung gab nur die Zustimmung zur Ein­fuhr von 2000 Tonnen. Der Verkauf des eingeführten gefrorenen Fleisches geschah derart, daß es den Konsumenten zum Teil ver­ekelt wurde, für viele aber überhaupt nicht zu erlangen war. Fast alle Fleischer boyfottierten es, und wenn sie es doch führten, so richteten sie es so her und verkauften es mit solcher Miene der

Geringschätzung, daß tatsächlich auch viele Konsumentinnen, vor allem aus der Arbeiterklasse, mißtrauisch wurden. Dann war das eingeführte Fleisch auch nicht so billig, als man erhofft hatte. 30 Heller Zoll belasten jedes Kilogramm, dazu noch die teure Fracht und der Wucherprofit der Fleischer. So hieß es denn im Juni, 700000 Kilo. Fleisch lagern noch unverkauft in den Kühl­räumen und werden nach dem Hafen von Triest   zurücktransportiert, weil kein Bedarf vorhanden ist. Diese Nachricht brachte das Volk in Bewegung; das Volk, das Fleisch entbehren muß, weil es zu teuer ist. Bei den Massen wußte man nicht, daß es in Wien   un­verkauftes argentinisches Fleisch gab, nirgends war es angekündigt worden. Die Empörung richtete sich vor allem auch gegen die Kommunalverwaltung, die die Pflicht gehabt hätte, für die Verpro­viantierung zu sorgen. Der Schrei nach billigem Fleisch erhob sich von neuem, und zwar nicht bloß aus dem Proletariat, sondern auch aus dem Bürgertum, das ja nicht nur aus Kapitalisten besteht. Die Beamten­vereine, die Hausfrauenvereinigungen, Posiangestellte usw. hielten Versammlungen ab, in denen die Einfuhr überseeischen Fleisches und die Öffnung der Grenzen nach den Ballanstaaten gefordert wurde. Es stellte sich heraus, daß dank der österreichischen Grenz­sperre die Viehzucht in Rumänien   fast ruiniert ist, weil sie feinen Absatz mehr fand. Österreich   kann jetzt von Rumänien   nicht einmal die paar tausend Rinder und Schweine bekommen, deren Einfuhr die österreichisch- ungarischen Agrarier der Regierung großmütig er­laubt haben. Im Hafen von Triest   tamen zwei Schiffe mit argenti­gemische Regierung muste mit der