Nr. 3

Die Gleichheit

reiche Erute für unsere Arbeiterbewegung erwarten. Im Juni 1909 schufen Partei und Gewerkschaften eine Zentrale für das Arbeiterbildungswesen Hamburgs, deren Geschäfte seit dem 1. September des gleichen Jahres durch ein Sekretariat erledigt werden. Diese Zentralbildungskommission, in deren Händen auch die Leitung der freien Jugendbewegung liegt, hat ihren zweiten Tätig  teitsbericht herausgegeben. Er verzeichnet bemerkenswerte Fortschritte. Besonders günstige Resultate wurden damit erzielt, daß die einzelnen Kurse nach Lehrstufen gegliedert worden sind. In dem zweistufigen Kursus über Nationalökonomie und in dem dreistufigen über Ge­schichte haben sich praktische Stil- und Aufsatzübungen und die redne­rische Wiedergabe einzelner Lehrabschnitte durch Teilnehmer sehr be­währt. 27 halbjährige Kurse fanden im Berichtsjahr statt: über Nationalökonomie 4, Geschichte 5, Sozialpolitik 1, deutsche Sprache und Stilübungen 11, Rechnen und Buchführung 6. Frauen und Mädchen nehmen in wachsender Zahl mit großem Ernst und Eifer an dem Unterricht teil. Gleichsam als Vorbereitung für die Unter­richtskurse wurden im ganzen Stadtgebiet 106 wissenschaftliche Vor­träge gehalten. Um in den Arbeitern Kunstverständnis und das Be­dürfnis nach künstlerischen Genüssen zu wecken und zu stärten, ver­anstaltete die Zentralbildungskommission eine große Anzahl litera­rischer und musikalischer Unterhaltungsabende. Außerdem wurde zweimal die Neunte Symphonie von Beethoven   in der neuen Musik­halle aufgeführt. Das war nur dadurch möglich, daß verschiedene Parteis, Gewerkschafts- und Genossenschaftsbetriebe zu den Kosten der Aufführungen beitrugen. Die über alles Erwarten gelungenen Veranstaltungen haben die Aufgaben der Instanzen erhöht, die das Arbeiterbildungswesen in Hamburg   leiten. Am 1. Januar 1910 hat die Zentralbildungstommission die Verwaltung der Partei- und Gewertschaftsbibliothek übernommen und gründlich bessernde Hand an sie gelegt. Es wird geplant, die Bibliothet großzügig auszu­bauen, damit sie den Bedürfnissen der großstädtischen Arbeiter ge= nügt. Zur Ergänzung der Unterrichtsturse soll mit ihr eine Mas terial und Hausbibliothek und ein Lesesaal verbunden werden. Diese Absichten werden sich leider erst verwirklichen lassen, wenn durch einen neuen Anbau im Gewerkschaftshaus Raum für die Neuerungen geschaffen worden ist. Welche Erfolge muß dann der Unterricht zeitigen! Ist das Bollwert des Unverstands der Massen" überstiegen, wer will uns dann noch widerstehn?

eg.

Von der proletarischen Frauenbewegung in Schleswig­ Holstein  . Der zwanzigste Parteitag der Sozialdemokratie für die Provinz Schleswig- Holstein   und das Fürstentum Lübeck  fand am 1. und 2. Oktober in dem idyllisch gelegenen Gutin statt. über die gesamten Verhandlungen einen Bericht in der Gleich­heit" zu geben, erübrigt sich, da das Sache der Tageszeitungen ist. Nur das, was speziell die Frauenbewegung betrifft, möchte ich davon herausheben. Zunächst kann von einer Zunahme der weiblichen Mitglieder berichtet werden. Ihre Zahl stieg von 5882 auf 7150, also um 1268. Bei 44887 Gesamtmitgliedern machen die Frauen fast ein Sechstel davon aus. Die Zahl der weiblichen Vorstandsmitglieder in den Ortsvereinen stieg von 44 auf 47. Immerhin gibt es noch 44 Vorstände, in denen leine weiblichen Mitglieder tätig sind. Den meisten Kreisleitungen gehört eine Genossin an, und eine Genossin sitzt auch in der Be­zirksleitung. In den größeren Städten sind die Genoffinnen in vielen Kommissionen tätig, manche helfen bei allen Arbeiten mit. Es gilt allerdings betreffs der Mitarbeit der Genoffinnen noch manches Vorurteil zu überwinden, sowohl bei den Männern die gewohnt sind, die Arbeit allein, ohne Hilfe der Frauen zu ver­richten und daher in der Heranziehung der Genoffinnen manches als auch bei den Frauen selbst, die da meinen, die Mitarbeit schicke sich nicht für sie.

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Die besonderen Veranstaltungen zur Schulung der weib. lichen Mitglieder haben erfreulicherweise wieder zugenommen. Der Bericht weist 144 gegen 48 im Vorjahr nach. 54 öffent. liche Frauenversammlungen fanden statt. Das ist absolut ungenügend. Besonders die Versammlungen der weiblichen Parteimitglieder dürften sich in allen Städten und größeren Orten durchführen lassen, während es in fleinen Orten wohl an geeigneten Kräften dafür fehlen dürfte. Es genügt auch nicht, wenn in einem Orte gelegentlich einmal eine solche Veranstaltung stattfindet. Die Bersammlungen müssen vielmehr zu einer ständigen, allmonat lich regelmäßig wiederkehrenden Einrichtung werden. Die Berhandlungen der Frauenkonferenz in Jena  , der Leitfaden für Leseabende, der im Auftrag des Parteivorstandes herausgegeben worden ist, sowie die einschlägigen Artikel in der Gleichheit" geben uns vielerlei sehr beachtenswerte Fingerzeige. Wo eine Genoffin für die Leitung der Schulungsabende noch nicht vorhanden ist, sollte sich ein Genosse dieser Sache widmen. Neben der Heranziehung

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ber Frauen zu allen Arbeiten für die Partei sind diese Zusammentünfte der weiblichen Mitglieder besonders geeignet, den Genosfinnen die Zurückhaltung bei Erörterung polis tischer Fragen abzugewöhnen und sie zur selbstän digen Regelung ihrer Angelegenheiten zu erziehen. Daß letzteres besonders nötig ist, beweist die oft gehörte Klage: den leitenden Genossinnen fehlt es an Initiative.

Mit Bedauern muß gesagt werden, daß die Leserzahl der ,, Gleichheit" zurückgegangen ist. Sie beträgt 3299 gegen 3623 im Vorjahr. An dem Rückgang sind alle Wahlkreisorganisationen beteiligt, mit Ausnahme der Parteiorganisation des ersten und zweiten Kreises, wo die Leserzahl von 219 auf 297 gestiegen ist. Das gibt zu denken, und man sucht nach einer Erklärung. Im ge­druckt vorliegenden Jahresbericht heißt es dazu: Die Ursachen lassen sich schwer feststellen. Wenn sie zum Teil darin liegen sollten, daß die Frauen sich mehr dem Studium der Tagespresse zuwenden, tönnte man sich damit abfinden, da in dieser die speziellen Fragen der Frauenagitation nach und nach immer mehr Platz gefunden haben. Entwickelt sich dieses weiter, wird später einmal die Frage erwägenswert, ob nicht die so gut redigierte ,, Gleichheit" mehr und mehr zu einem belehrenden wie unterhaltenden Familienblatt aus­gestaltet werden kann." Die Diskussion der Frage förderte auf dem Provinzialparteitag noch verschiedene Ansichten zutage. Einige Ge­nossen meinten, der Inhalt der Gleichheit" sei zu schwer verständ­lich, und die Frauen hätten keine Zeit übrig, um das Blatt zu lesen. Oft fehle es auch am nötigen Gelde, um es zu bezahlen.

Nach meiner Überzeugung, die auf dem Parteitag auch vielfache Zustimmung fand und sich mit der Ansicht der weiblichen Dele­gierten deckte, sind verschiedene Ursachen für den Rückgang der ,, Gleichheit" abonnenten vorhanden. Die oben erwähnten lasse ich jedoch nicht gelten. Mit den nämlichen Gründen kann man all unserer Agitation entgegentreten. Was da von den Frauen ge­sagt wird, gilt auch für viele Männer. Durch unsere Aufklärungs­arbeit suchen wir in ihnen den Willen zu erzeugen, die genannten Schwierigkeiten zu überwinden. Verdrängen wir die Schund= literatur durch unsere Presse, so fallen alle oben genannten Gründe weg. Eine Hauptursache für den Rückgang der Gleich­heit" abonnenten ist nach meiner Meinung darin zu suchen, daß wir nach Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes bei der Frauen­agitation mehr Gewicht gelegt haben auf die Gewinnung neuer Parteimitglieder als auf die Verbreitung der Gleichheit". Früher agitierten wir bei allen Gelegenheiten in erster Linie für unser Organ und erzielten damit für dieses eine verhältnismäßig hohe Leferzahl. Schon auf der im vorigen Jahre in Neumünster  tagenden Frauenkonferenz wurden Hinweise und Anregungen zu dieser Frage gegeben. Nur eine ständige Agitation, die be= sonders von den Genossinnen selbst betrieben wird, tann hier Abhilfe schaffen. Die Genossinnen der großen Städte vor allem sollten eine Ehre darin sehen, nichts unversucht zu laffen, um die Abonnentenzahl der Gleichheit" zu erhöhen. Die " Gleichheit" ist eine der Waffen, mit denen wir unsere Gleichbes rechtigung erkämpfen. Sie tann nicht durch Frauenbei­lagen unserer Tageszeitungen ersetzt werden. kommt nicht darauf an, daß etwas speziell für die Frauen ge= schrieben wird, sondern ausschlaggebend ist, was für die Frauen geschrieben wird. Vor allen Dingen dürfen wir nicht wünschen, daß unsere Gleichheit" auf das Niveau eines Familien­blattes herabgedrückt wird. Auch darf der Inhalt nicht in erster Linie für die zu gewinnenden Frauen bestimmt sein; er soll allen etwas bringen. Zur Agitation unter den Indifferenten dienen Flugblätter und turze, leichtverständliche Schriften, wie sie in unserem Bezirk schon öfter verwendet wurden. Außerdem ist es Aufgabe der in unserem Bezirk erscheinenden Parteizeitungen Ham­burger Scho", Schleswig- Holsteinische Volkszeitung"," Flensburger Voltszeitung" und Lübecker Voltsbote", viel mehr als bisher über und für die Frauenbewegung zu bringen, am besten wohl in einer ständigen Rubrik. Auch diese Anregung fand auf dem Parteitag Zustimmung. Hoffen wir, daß diesem Bedürfnis Rechnung getragen wird.

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Besonders erwähnt wird im Jahresbericht, daß die Genossinnen mit Geschick und Umsicht in den Kinderschußtommissionen tätig waren und mancher Ausbeutung von Kinderkräften ein Ende bereiten halfen.- über den Verlauf des Frauentages am 19. März 1911 und andere Veranstaltungen in den einzelnen Kreisen find Berichte in der Gleichheit" erschienen, so daß ein Ein­gehen darauf sich erübrigt.

Fürs erste wird es Aufgabe unserer Genossinnen in ben Ortsvorständen der größeren Ortsvereine sein, dafür zu sorgen, daß regelmäßig Versammlungen der weiblichen