Nr. 9
Die Gleichheit
Lebensmittelteuerung beschäftigten und als Vorarbeit für Kommunalund Reichstagswahlen gedacht waren, fanden auf Veranlassung der Bezirksleitung für das westliche Westfalen statt. Die Versammlungen waren durchweg gut besucht, auch von Frauen. In mehreren Orten traten Angehörige des Zentrums der Referentin entgegen, fanden jedoch bei den Versammlungsteilnehmern keine Zustimmung zu ihren Ausführungen. Die Industrieproletarier, insbesondere die Berg arbeiter, spüren die Folgen der„ bewährten Wirtschaftspolitik" mit ihren Zöllen und Steuern gar zu sehr am eigenen Leibe. Die ge= nossenschaftliche Organisation dieser westfälischen Bevölkerung ist wegen des ausgedehnten Borgsystems besonders schwierig. Bargeld besigen die Bergarbeiter oft nur am Lohntag; nach Bezahlung der Schulden behalten sie nichts übrig und müssen sofort von neuem den Kredit in Anspruch nehmen. Daher ist es den Werkleitungen meistens ein leichtes, die Arbeiter nicht nur als Produzenten, sondern auch als Konsumenten zu schröpfen, indem sie Konsumanstalten errichten, sich als Arbeiterfreunde aufspielen und die Abhängigkeit ihrer Lohnsklaven erhöhen. Doch kommen diese immer mehr zur Erkenntnis ihrer Klassenlage. Das zeigt sich in der zunehmenden Zahl der Organisierten und der Leser unserer Zeitungen. Für unsere Bartei und unsere Presse wurden auch in den Versammlungen neue Anhänger gewonnen.
Nach furzer Pause schloß sich eine Agitationstour im sechsten sächsischen Reichstagswahlkreis an, die von der Kreisleitung beranlaßt worden war. Es fanden 17 Versammlungen statt, die sich mit der Stellung der Frau zu den Reichstagswahlen beschäftigten. Ihnen folgten in mehreren anderen Kreisen des Bezirks Dstsachsen 16 Versammlungen, zu denen die Initiative von der Bezirksleitung aus gegangen war. Alle diese Versammlungen dienten der Wahlagitation und waren gut vorbereitet. Überall zeigte sich die Wirkung der Blockpolitik in dem brennenden Verlangen, die Abrechnung am 12. Januar recht gründlich vorzunehmen. Die Frauen waren allerorts zahlreich vertreten, in vielen Versammlungen sogar in der Mehrheit.
Zwischen Weihnachten und Neujahr sprach die Unterzeichnete in fünf Versammlungen im Kreise Minden - Lübbeke . Auch hier herrschte frohe Kampfesstimmung. Was Wunder auch! Ist hier doch das Tabatarbeiterproletariat zu Hause, dem die Blodparteien durch ihre Politik das Leben doppelt schwer gemacht haben und wo liberale Fabrikanten mit der Aussperrung die Hungerpeitsche besonders erbarmungslos schwingen. Auch diese Tabatarbeiter werden am 12. Januar durch Abgabe eines sozialdemokratischen Stimmzettels bezeugt haben, daß sie mit dem bewährten Wirtschaftssystem des Reiches nicht einverstanden sind, das die Armen ärmer macht, um den Reichen den Beutel noch mehr zu füllen.
Nach Neujahr folgten noch vier Versammlungen im Fürstentum Lübeck das zum ersten oldenburgischen Wahlkreis gehört. In dieser fast überwiegend ländlichen Gegend waren die Versammlungen ebenfalls gut besucht, auch von Frauen. Hier ist die so oft vorhandene Schen der ländlichen Arbeiter und Arbeiterinnen ganz geschwunden, im Beisein ihres Arbeitgebers durch Beifall und zustimmende Auße rungen ihre Ansicht zu befunden. Auch diese ländlichen Versamm lungsbesucher wissen, daß ihre Lage nicht durch Bitten und Betteln gebessert werden kann, sondern nur durch Kampf!
-
Linchen Baumann. Agitation uuter Bergarbeiterfrauen. So kräftig der Bergarbeiterverband sich in den letzten Jahren entwickelt hat er zählt heute gegen 120 000 Mitglieder, so hindert doch leider die eigene Frau den Grubenproletarier noch oft, sich zu organisieren. Durch bas geringe Einkommen zu äußerster Wirtschaftlichkeit gezwungen, hält sie aus falscher Sparsamkeit die Gewerkschaftsbeiträge für überflüssig. Um den Bergarbeiterfrauen einen klaren Einblick in die Urfachen des heutigen Notstands der Massen zu geben und ihnen die Bedeutung des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses flar zu machen, veranstaltete der Bergarbeiterverband im Olgebiet Celle Wietze und im Stohlenrevier am Deister Agitationsversammlungen, zu denen die Frauen besonders eingeladen wurden. Diese Versammlungen nahmen durchweg einen prächtigen Verlauf und waren meist zur Hälfte, zum Teil zu Zweidrittel von Frauen besucht, für die betreffenden Gegenden eine neue Erscheinung. In Buchholz a. Aller und Steinförde hier überwachten zwei Gensdarmen die Versammlung kommen nur im Olwerk beschäftigte Arbeiter in Betracht, die einen Durchschnittsstundenlohn von 84 bis 36 Pf. er= halten. Ihr 11 bis 12stündiger Arbeitstag geht von morgens 6 Uhr bis abends 8 Uhr, mit 20 Minuten Frühstück und 1/2 Stunde Mittagspause, aber ohne Vesperpause. Nur in Ausnahmefällen wird 1 Stunde Mittag gewährt. Weder vorschriftsmäßige Speiseräume noch Wasch gelegenheiten ermöglichen ein appetitliches Verzehren des fargen Mahles. Infolge des starten Zuzugs von Arbeitern ins Olgebiet
-
137
herrscht Wohnungsnot und Wohnungsteuerung. Es werden Mietzinse von 20 bis 25 Mart und mehr monatlich für eine kleine Wohnung verlangt. Daher sind die Arbeiter gezwungen, stundenweit von Ort und Stelle ihrer Beschäftigung zu wohnen. Morgens um 4 Uhr und früher müssen sie vom Hause fort und erst abends um 8 Uhr und später sind sie wieder daheim. Ein Familienleben kennt mancher Ölarbeiter infolgedessen kaum. Seine Kinder sieht er nur Sonntags oder wenn er im Ölwerk nicht arbeiten muß. Im Sommer haust er oft mit einer Anzahl Kameraden in einer roh gezimmerten Bretterbude, die er sich auf halbem Nachhausewege gebaut hat. Er kommt dann wohl wochen- ja monatelang nicht nach Haus. Hat er einen freien Sonntag, so besorgt er daheim die schwere Ackerarbeit. Im übrigen versieht die Frau allein die kleine Landwirtschaft, die es den Bergmannsfamilien der Ölwerke ermöglicht, ihr Leben zu fristen. Vor ca. 3 bis 4 Jahren zählte man in der Gegend noch 26 bis 30 Attiengesellschaften, heute haben sie sich zu 2 oder 3 großen Nonzerns zusammengeschlossen, die sich in den ungeheuren Profit der außerordentlich ergiebigen Ölquellen teilen. Die deutsche TiefbohrAktiengesellschaft in Berlin erzielte laut ihrem 11. Geschäftsbericht nach großen Abschreibungen einen Reingewinn von 2207 686 Mt. Verteilt wurden 23 Prozent Dividende auf ein Aktienkapital von 6625000 Mt. nach Abrechnung von 140850 Mt. Belohnungen Tantiemen und Antreiberlöhne und einem Gewinnvortrag
-
-
bon 543086 Mt. Kommentar überflüssig.
Die überfüllten Versammlungen in Egestorf und Bassing. hausen a. Deister waren ebenfalls überwiegend von Frauen besucht. Die Kohlengruben am Deister sind fiskalischer Besiz. Der Durch schnittsverdienst der Arbeiter betrug in den letzten Jahren etwa 1100 Mt. Bei dem letzten Bergfest, einer alten patriarchalischen Feier, die alle zwei Jahre wiederkehrt, hatte Bergrat Schlösser den Bergleuten verkündet, daß nun auch für sie die Morgenröte einer besseren Zeit" anbrechen würde. Ihr Jahreseinkommen hat sich je doch seither um 100 Mt. verringert. Einen Beweis väterlicher Für sorge gab der genannte Herr vor einiger Zeit, als der Arbeiterausschuß wegen einer Lohnerhöhung bei ihm vorstellig wurde. Er erklärte feierlich: So lange ich am Deister etwas zu sagen habe, werden teine Durchschnittslöhne von 4 Mt. pro Tag bezahlt." Auch in dieser Gegend ist es die Frau, die durch schwere Arbeit tagein, tagaus mithilft, durch den Ertrag der fast ausschließlich von ihr bewirtschafteten kleinen Landstelle der Familie eine Existenz zu ermöglichen.
Die Bergarbeiterschaft ist jeder Neuerung schwer zugänglich, ist sie aber erst für neue Ideen gewonnen, so ist sie standhaft, treu und opferfreudig. Daß unter ihr das Evangelium des bölfer befreienden Sozialismus auf fruchtbaren Boden gefallen ist, beweist die ungewohnte Bereitwilligkeit, mit der die Frauen in jüngster Zeit den Kassierern die Gewerkschaftsbeiträge zahlen, bezeugen die allerorts im Bergrevier laut werdenden Wünsche nach Frauenber sammlungen. Die Saat geht auf, die sichere Früchte trägt!
In dem kleinsten Wahlkreis Deutschlands , zugleich dem kleinsten deutschen Fürstentum, in Schaumburg- Lippe , sprach die Unter zeichnete in Wahlversammlungen zu Stadthagen , Bückeburg , Rienstädt, Gellendorf ,-Echtorf und Südhorsten. Außer in Stadthagen hatte noch nirgends eine Frau gesprochen. Die Berg arbeiterschaft stellt das Hauptkontingent der Bevölkerung des Ländchens. In altgewohnter Untertänigkeit hängt der Schaumburg- Lipper an seinem Landesfürsten. Der erst vor wenigen Monaten verstorbene Vater des jezigen„ Monarchen" wußte, was er tat, wenn er in der einfachsten Schänke mit jedem Bauer väterlich Kostproben des Branntweins seiner eigenen Brennereien vornahm. Zwar übt das Schaumburg - Lipper Gottesgnadentum seit langem die Bragis, Staatsländereien zu verpachten, die früher dem Volke zu freier Benugung überlassen waren. Aber immerhin ist der Fürst des Ländchens der einzige deutsche Monarch, der sich seine Regierung etwas tosten läßt. Er zahlt jährlich eine bestimmte Summe zu den Kosten des Staatshaushaltes zu. Das Volt würdigt das. Das Bergwerk gehört dem Fürsten und dem preußischen Fistus. Die „ staatliche Lebensstellung", die der Bergmann von seinem 18. Lebensjahr bis zur Vollinvalidität im Alter von 41 bis 50 Jahren inne hat und die er zäh gegen fremde Arbeiter verteidigt, bringt den fürstlichen Lohn von durchschnittlich 890 Mt. jährlich. Man wagt ihn mit diesem Hungerlohn abzuspeisen, weil auch er etwas Grund und Boden besigt. Hier arbeitet er nach der achtstündigen Schicht unter Tag. Den Löwenanteil der bäuerlichen Arbeit trägt natürlich auch hier die Frau. Nur dank des Ackerbaus ist das Auskommen der Familie möglich. Der Überschuß des Bergwerfes, das die Grubenproletarier so niedrig entlohnt, belief sich im letzten Geschäftsjahr auf 429 342 Mt. Im Jahre 1908 reichten die Lipperscheit Bergleute dem preußischen Abgeordnetenhaus eine Betition ein, die eine Lohnerhöhung von 30 Pf. pro Schicht forderte. Sie wurde