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Die Gleichheit

hizkirchen und Bindsachsen  . Trotzdem der Wahlkrets eine beinahe ausschließlich landwirtschaftliche Bevölkerung auf weist, waren die Versammlungen recht gut besucht. Ja, in vielen Orten konnten die Säle die Versammlungsbefucher nicht fassen, und die Leute mußten in großer Zahl von den Treppen und der Straße aus zuhören. Nur in Klein Karben  , wo nicht ge­nügend vorgearbeitet worden war, und in Vilbel   hätte der Versammlungsbesuch stärker sein können.

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In allen Versammlungen sprach die Unterzeichnete über Die Frau und die Politik". Mit der größten Spannung lauschten die Versammelten den Worten der Rednerin und gaben durch häufige Zwischenrufe und Beifall ihre Zustimmung fund. Die Frauen be­wiesen in allen Versammlungen rege Anteilnahme und ihr Ver ständnis für den Wert des Wahlrechts. Auch Gegner waren in fast allen Versammlungen zahlreich anwesend, verhielten sich aber sehr ruhig und meldeten sich nur in zwei Orten zum Wort. In Nieder Mockstadt erklärte ein Agrarier, die Frau hätte in der Politik nichts zu tun, die Frau gehöre ins Haus usw.; furz, er bewies, daß sein Berständnis sich auf der Höhe des faifer lichen befindet. In Hizkirchen behauptete ein Landwirt, in allen Bunften mit der Referentin einig zu sein. In der Frage der Invaliden- und Altersrentenversicherung allerdings könne er sich nicht mit ihr einverstanden erklären, weil diese die Arbeit­geber zu viel Geld kosten und die Rentenempfänger oftmals noch rüftig genug seien, um ihren vollen Lohn zu verdienen! Beiden Gegnern wurde im Schlußwort die gebührende Antwort zuteil. Wenn im Wahlkreis Friedberg Büdingen auch noch viel Feld brach liegt, das durch uns beadert werden muß, so schreitet bie Bewegung doch rüstig vorwärts. Der Kreiswahlverein hat auch bei dieser Agitationstour viele männliche und weibliche Mit­glieder gewonnen, und der Frankfurter Volksstimme" und der Gleichheit" wurden neue Leser zugeführt. Berta Lungwiz. In den Monaten März, April und Mai sprach die Unterzeich nete auf einer Agitationstour durch acht Gaue des Deutschen Textilarbeiterverbandes in insgesamt 52 Versammlungen. Es fanden Versammlungen statt im Gau Kassel   11, im Gau Augsburg 4, im Gau Iauen 3, im Gau Stuttgart   11, im Gau Düsseldorf 5, im Gau Neugersdorf   3 ufw. Die Versammlungen waren zum Teil sehr gut, manche aller­dings auch schwach besucht, in allen waren aber die Arbeite­rinnen stark vertreten. Wo der Versammlungsbesuch zu wünschen übrig ließ, war dies immer durch die gleichen Gründe verursacht: die Überlastung der Arbeiterinnen mit Berufs- und Hausarbeiten, bie weite Entfernung der Arbeitsstätte vom Wohnort. Ferner hatten die Oster- und Pfingstfeiertage mit der ihnen voraus gehenden vermehrten Arbeitsanspannung der Frauen den Besuch einiger Bersammlungen ungünstig beeinflußt. In Zukunft wer ben die den Festtagen vorangehenden Tage für Versammlungen ausfallen müssen.

In den Bezirken, wo in der Textilindustrie viel Arbeiter und Arbeiterinnen aus ländlichen Orten beschäftigt find, pulsiert das gewerkschaftliche Leben weniger stark, und die Agitation erzielt nur schrittweise Erfolge. Dort find naturgemäß auch die Löhne und Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen die schlechtesten. So erreichen in einem Betrieb Nordhausens Puzerinnen einen Lohn von 4 Mt. in der Woche. Leider kümmerten sich bisher die Arbeiterinnen dieses Musterbetriebs um die ge werkschaftliche Bewegung weniger als der Unternehmer, der stets einen feiner Söhne in die Arbeiterversammlungen schickt. Durch ihre Gleichgültigkeit machen es die Lohnstlavinnen dem Herrn leicht, sich um die versprochenen Lohnzulagen herumzu­drücken. Und nur durch Anschluß an den Textilarbeiterverband tönnen sie ihren Ausbeuter zwingen, das Gesetz zu beachten, das borschreibt, daß Arbeiterinnen am Sonnabend den Betrieb um 8 Uhr zu verlassen haben, und nicht zuläßt, daß sie noch ¼ nach 5 Uhr auf ihr Geld warten müssen. Noch übertroffen wird die oben angegebene Lohn, höhe" im Betrieb des Kommerzienrats Sem­ Iinger   in Beil   am Main  . Hier brachte es eine siebzehnjährige Spulerin sogar in zwei Wochen auf 4 Mt. Das lag natür­lich nicht an dem schlechten in diesem Betrieb verarbeiteten Material; nimmermehr würde dies der Herr Kommerzienrat zugeben, der sich als erste Autorität im Baumwollhandel aufspielt. Vielmehr ist nach Herrn Semlingers eigenem schriftlichen Bescheid das Mädchen faul". Aber selbst dieser Lohn von 4 Mt. für zwei Wochen ward nicht ungekürzt ausgezahlt. Es wurden davon noch Strafen abgezogen, so daß das junge Mädchen 17 Bf. für zwei Wochen Arbeit erhalten haben soll. Mit solchen Löhnen wollen fich aber die jungen Mädchen nicht länger zufrieden geben, fie beginnen allmählich auch in diesem Betrieb sich der Organisation

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anzuschließen. Den gleichen Schritt tun die Weberinnen, die nach ihrer Meinung von 10 Mt. Berdienst für zwei Wochen nicht leben können. Die Unternehmer beklagen solche Begehrlichkeit" der Arbeiterinnen als ein betrübendes Zeichen der Zeit. In Ein­tracht war man bisher mit den Arbeiterinnen ausgekommen und hatte aus den Anspruchslosen Riesenprofite herausgeschunden.

Daß das anders werden soll, wollen auch die Inhaber der Stuttgarter   Tertilbetriebe nur sehr schwer begreifen. Die im Gau Stuttgart   schnell und kräftig fich entwidelnde Or ganisation der Textilarbeiter bringt nach Ansicht der Fabrikanten die Arbeiterinnen vom richtigen Wege ab. Es ist den Herren na­türlich äußerst unangenehm, daß die Arbeiterinnen das Aus­waschen der Maschinenflede, das Reinigen der Arbeitssäle und Aborte nicht mehr ohne Entschädigung besorgen werden. Die Ar­beiterinnen meinen auch, daß ihr Lohn nicht durch übernahme weiterer Maschinen, sondern durch bessere Bezahlung der Arbeit erhöht werden muß. Und sie halten es für durchaus notwendig, daß sie selbst ein Wort bei der Festsetzung der bei den verschic densten Anlässen erhobenen Geldstrafen mitzusprechen haben. Weiter verlangen sie, daß die Unternehmer ihnen Nadeln und Nähfaden liefern, und weisen ganz entschieden die Berdächtigung zurück, daß diese Lieferung Anreiz zum Diebstahl geben könnte. Endlich bestehen sie darauf, daß bei den zweiwöchentlichen Lohn­zahlungen ihnen ihr sauer verdienter Lohn ganz ausbezahlt wird, und daß der Unternehmer nicht den Lohn für drei Tage einbe hält, um diese Summe in seinem Betrieb arbeiten zu lassen. Wenn die Unternehmer aber glauben, durch Entlassung einzelner Arbeiterinnen die Mehrzahl vom Anschluß an den Deutschen  Textilarbeiterverband abzuhalten, so sind sie auf dem Holzweg. Erfreulicherweise hat der Organisationsgedanke unter den Arbei­terinnen des Stuttgarter   Gebiets bereits so start Wurzel gefaßt, daß solche Schreckmittel ihre Wirkung gänzlich verfehlen.

Much   noch in vielen anderen Orten unseres Verbandsgebieis ist die Arbeiterschaft am Werke, die fich hebende Lage der Textil industrie zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen auszunutzen. Und überall beteiligen sich die Arbeiterinnen an diesen Lohnbewe­gungen, überall nehmen sie vor allem an dem Kampfe um wei­tere Verkürzung der Arbeitszeit lebhaftesten Anteil. In einigen Orten des Vogtlandes, wo die Unternehmer zur Zeit der Krise die Organisation zu vernichten trachteten, haben Arbeite­rinnen das schwierige Werk des Erhaltens und Aufbauens ihrer Organisation in aller Stille betrieben. Nun können sie den kom menden Kämpfen gerüstet entgegensehen. Es geht allerorts vor wärts! Die Versammlungen brachten dem Verband eine statt­liche Anzahl neuer Mitglieder. Es darf die Hoffnung ausge sprochen werden, daß die emfige Tätigkeit der örtlichen Funktio­näre und der Eifer der in der Aufklärungs- und Werbearbeit tätigen Kolleginnen dem Deutschen Textilarbeiterverband weitere Scharen von Kämpfern und Kämpferinnen zuführen wird. Dann fann in Zukunft durch die Organisation noch Größeres für die Verbesserung der Lebenslage der Textilarbeiter und Textilarbei­terinnen getan werden. Marta Hoppe, Berlin  .

Unsere Frauenbewegung in Dessau  , Coswig   und Bölnitz hat durch den Frauentag einen fräftigen Anstoß erhalten. Die Versamm­lungen waren sehr gut besucht und brachten auch zufriedenstellende greifbare Erfolge. Mit großem Interesse und Verständnis folgten die Frauen den Ausführungen des Referats und äußerten den Wunsch, bald wieder eine Frau sprechen zu hören. Die weitere planmäßige Aufklärungsarbeit verspricht in den drei Orten die besten Früchte. Luise Siedel.

Im siebten sächsischen Reichstagswahlkreis fand im Anschluß an unseren Frauentag eine Agitationstour statt. In verhältnis. mäßig starker Zahl nahmen die Frauen an den Versammlungen teil, in denen die Bedeutung der politischen Rechte für die Frauen dargelegt und die Forderung des Frauenwahlrechts begründet wurde. Die Versammelten folgten stets mit der größten Aufmerk­samkeit den Ausführungen der Rednerin, und der Beifall am Schluffe des Referats bewies, daß sie ihnen aus dem Herzen ge­sprochen hatte. Eine Resolution, die die Schlußfolgerung aus der Rede zog, wurde überall einstimmig angenommen. Doch ließen es die Versammelten dabei nicht bewenden, eine große Anzahl bon ihnen trat unseren Reihen bei, so in Meißen   25, in Großenhain   16; in Bratwig, Riesa  , Bobersen  . Oberau usw., überall gewannen wir neue Mitstreiter und Mit­streiterinnen, im ganzen über hundert. Nun liegt es an der Lei­tung in den einzelnen Orten, die neu Gewonnenen zu halten und in unserem Sinne zu schulen. In den größeren Orten halten die Frauen bereits Leseabende ab, und in den übrigen sollen solche in Bälde ins Leben gerufen werden. Also auch hier geht es