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Die Gleichheit

übergeordnet werden müssen. Was in Mainz   in dieser Beziehung gefehlt wurde, ist aber nichts Ungewöhnliches, sondern in Deutschland   die allgemeine Regel. Das erklärt borgekommene Mißgriffe der Assistentin, rechtfertigt sie aber nicht. Es darf schlechterdings nicht geduldet werden, daß die Polizei das persönliche Recht der Frauen und Mädchen miß­achtet; auch ist notwendig, daß in bezug auf die Fürsorge­tätigkeit für Kinder das gesetzliche Recht weiterentwickelt wird, damit die Polizeiwillkür   aufhört. In Mainz   ist aber jedenfalls nichts geschehen, was als Verschärfung einer seit­herigen übung aufgefaßt werden könnte. Dagegen sind Härten vermieden worden und Milderungen durch die weib­liche Polizeiassistentin eingetreten.

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Der Prozeß hat nicht wie viele wünschten- den Ban­frott der weiblichen Polizeiassistenz erwiesen. Aber er hat in dem besonderen Falle Fehler aufgezeigt, die in der Haupt­sache durch die Verbindung von polizeilich- krimineller und sozial fürsorgender Amtstätigkeit verschuldet worden sind. Das ist auch in dem Darmstädter   Urteil ausgesprochen, das den Angeklagten zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Vor allem hat der Prozeß die Notwendigkeit beleuchtet,§ 361, Biffer 6 des Strafgesetzbuchs aufzuheben. Danach ist jede Weibsperson" strafbar, die gewerbsmäßig Unzucht treibt, ohne der Aufsicht der Sittenpolizei unterstellt zu sein, oder die nach der Unterstellung unter polizeiliche Aufsicht den Anforderungen der Sittenpolizei zuwider handelt. Diese ge­setzliche Bestimmung verleiht der Polizei eine nur zu häufig mißbrauchte Machtfülle und liefert nicht nur gewerbsmäßige Dirnen der Büttelwillkür aus, sondern auch anständige Frauen, deren Nase irgend einem polizeilichen Gemüt miß­fällt oder auch zu gut gefällt. Sie bereitet außerdem den Boden, auf dem Kuppler und Zuhälter reiche Ernten halten. Die Bestimmung hat längst ihre vollkommene Ohnmacht er­wiesen, gewerbsmäßige Unzucht auch nur einzudämmen. Sie ist der Ausdruck der Verlegenheit der bürgerlichen Gesell schaft, mit einer Erscheinung fertig zu werden, die zu ihrer Ordnung gehört wie die bürgerliche Schacherehe. Nicht den Bankrott der weiblichen Polizeiassistenz, wohl aber die Un­fähigkeit der Polizei, vorbeugende Maßnahmen gegen die reglementierte Prostitution zu treffen und taftvoll durchzu­führen, hat der Prozeß Schapiro schlagend dargetan. b. sch.

Genossinnen, fördert die Organisation

der Hausangestellten!

Viele unserer Genossinnen waren wohl selbst einmal als Dienstmädchen tätig und haben die Leiden und Freuden dieses Berufes gekostet. Manche von ihnen denft noch mit Entrüstung zurück an alle die Drangsalierungen, die sie sich gefallen lassen nuußte. Manche sagt auch: Ach, hätten wir damals eine Organisation gehabt, die sich unserer ange­nommen hätte, wie gern würden wir uns ihr angeschlossen und uns und unseren Mitschwestern bessere Tage verschafft haben!" Genossinnen, was euch damals nicht möglich war, für eure Berufsgefährtinnen zu tun, das könnt ihr heute nachholen. Heute besteht eine Organisation, aber die wenig sten Dienstboten wissen von ihr. Belehrt sie, klärt sie auf, führt sie ihrem Verband zu!

Noch immer herrschen im Dienstbotenberuf die ungerechte sten Arbeitsverhältnisse. Die Ausnutzung der Kräfte hält gleichen Schritt mit der Herabwürdigung der Persönlichkeit. Das wird fortdauern, solange die Gesindeordnungen nicht beseitigt und vernünftige Gesetze an ihre Stelle getreten sind. Wollen wir aber so lange zusehen, wie die Kinder der Ar­beiterklasse von den Wohlhabenden an ihrer Gesundheit rui­niert, in ihrem Fortkommen gehemmt werden, wie sie an ihrer geistigen und sittlichen Entfaltung Schaden nehmen? Täglich wird vielen Dienstboten das größte Unrecht angetan. In unzähligen Fällen zahlt man ihnen nicht den sauer ver­

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dienten Lohn aus; es werden unberechtigte Lohnabzüge ge­macht; Schimpfreden, nicht selten auch Schläge begleiten die ungerechte Entlassung; schlechte, unwahre Zeugnisse drücken manchem tüchtigen Mädchen einen Makel auf.

Die Rechtlosigkeit und Unfreiheit, unter der die Hausange­stellten nach dem Gesez leiden, die Rücksichtslosigkeit, mit der sie behandelt werden, sollten jede Mutter, jede Genossin an­spornen, diese Entrechteten ihrer Organisation zuzuweisen, damit sie in ihr einen Anhalt zur Vertretung ihrer Interessen finden. Auch alle Scheuerfrauen, Wasch- und Reinemach­frauen, die auf Bauten und in Kontoren arbeiten, die zugehe­rinnen, Aufwärterinnen, Morgenfrauen: sie alle gehören in unseren Verband. Die Frauen, die gezwungen sind, sich mehr dem fremden als ihrem eigenen Haushalt zu widmen, müssen ihre schwere und schmutzige, aber doch so nützliche Arbeit oft­mals zu ganz erbärmlichen Löhnen bei übermäßig langer Arbeitszeit leisten. Ihnen allen kann der Verband helfen, er fann viele Erleichterungen für sie durchsetzen, aber die Frauen müssen sich auch ihrer Organisation anschließen. Der Verband gewährt Rechtsschutz, gibt Rat und Auskunft in allen das Arbeitsverhältnis der die Versicherungsgesetzgebung betreffenden Angelegen­heiten. Er sorgt für kostenlose Stellenvermitt Iung und Verbesserung der Arbeitsbedin­gungen durch Festsetzung von Freizeit und Begren zung der täglichen Arbeitsstunden, er gibt ! nterstütung im Krankheitsfalle und läßt sich besonders die Aufklärung und Fortbildung der Hausangestellten angelegen sein durch die Verbands­zeitung und andere Schriften sowie durch Vorträge. Die Ge­selligkeit wird ebenfalls gepflegt, und so ist für jedes Mit­glied der Verband ein gutes Mittel, das Gefühl der Verein­samung zu bekämpfen, das schon oft ein böser Berater war. Im Kreise ihrer Arbeitsschwestern fühlen sich die Mitglieder wohl und können die wenigen freien Stunden gut anwenden. Vor allem aber ist der Verband allen ein Halt und Schutz, wenn ihnen unrecht geschieht. Er übernimmt den Rechtsschutz für jedes Mitglied, welches ihm drei Monate angehört, und sorgt für geeignete Vertretung vor Gericht, ohne welche ein Mädchen schwer zu ihrem Rechte kommen kann. Vielen seiner Mitglieder konnte der Verband schon durch Gewährung von Auskunft und Rechtsschutz helfen. Manche Lohnsumme wurde schon für sie eingeklagt und manche Vorteile für sie errungen. Das Eintrittsgeld zur Organisation beträgt in den verschie­denen Ortsgruppen 20 bis 50 Pf. und der Monatsbeitrag 50 bis 60 Pf.

Wohl gehören bereits in 35 Städten über 5000 Mitglieder unserem Verband an; aber diese Erfolge befriedigen uns nicht, denn die mehr als 5000 find doch nur ein kleines Häuschen von der Millionenschar Frauen und Mädchen, die sich zu­sammenschließen müssen. Wie aber können uns die Genos­sinnen helfen, immer mehr davon zu organisieren? Die Schwierigkeit, mit welcher unsere Organisation besonders zu kämpfen hat, ist die Einzelstellung der Dienstboten im Hause ihrer Herrschaft. Abgeschlossen von Gleichgesinnten, unter­stehen sie auch der Aufsicht und dem Einfluß der Herrschaften. Allen diesen Einzelnen den Gedanken von der Notwendigkeit des Zusammenschlusses dadurch zugänglich zu machen, daß ihnen das aufklärende Material zugestellt wird­Zeitungen, Flugblätter, Broschüren, daß sie zu Verbandsveranstaltungen geladen und ihren Berufsgenossinnen zugefellt werden: das ist die dringendste, aber auch die mühevollste Aufgabe. Dab können wir nicht damit rechnen, daß jedes Mädchen, dem wir werbend nahetreten, gleich Mitglied unserer Or­ganisation wird. Wir dürfen uns nicht dadurch entmutigen lassen, daß mit all unserer Arbeit nur der erste Versuch ge­schieht, diese Ausgebeuteten für ihre ureigenste Interessenver­tretung zu gewinnen. Wir haben ihnen damit den Weg ge­zeigt, den sie vielleicht nicht gleich einschlagen, den sie aber finden, wenn sie in Not sind.