370Die GleichheitNr. 24breiten Schilderungen der Feier, mit bedientenhaftem Klatschüber ihre Einzelheiten erfüllt. Ein beiläufiges Familienfestwurde durch die Macht deS Kapitals, die sich in ihm verkörperte, zu einem öffentlichen, einem politischen Geschehen. DaSJubiläum war ein schamloser Tanz der bürgerlichen Gesellschaft umS goldene Kalb.Aber freilich: über diesen Götzen warf man verhüllend dasschlichte Gewand des Mannes der Arbeit. Niemand geringerer als Wilhelm II. selbst nannte das Jubiläum„einFest und einen Triumph der Arbeit". Der Arbeit, wirklichder Arbeit? War sie es tatsächlich, der die gesellschaftlichen,höfischen, staatlichen Ehren galten? Ach, geht dochlNicht der schöpferischen Mutter des gesellschaftlichen Reichtums ward in Essen gehuldigt, sondern ihrem Geschöpf,das sich gewalttätig, fühllos als mörderische Bestie gegensie erhoben hat und ihr Mark und Blut aussaugt. Demausbeutenden Kapital genügt es nicht, seinen Lohnsklavendie Früchte ihres Mühens zu entreißen, es eignet sichauch noch die Ehre ihrer Arbeit an. Indem von der Arbeitgeredet wurde, während man das Kapital meinte, trat dieTatsache der bürgerlichen Ordnung in die Erscheinung,daß das Kapital den Proletarier gleichsam mit Haut undHaar verschlingt, ihm keine selbständige Existenz zuerkennt,sondern nur als Teil seiner selbst wertet. Marx hat das im„Kapital" also ausgedrückt:„Mit den? Eintritt in den Arbeitsprozeß sind die Arbeiter dem Kapital einverleibt. Alskooperierende, als Glieder eines Werktätigen Organismussind sie selbst nur eine besondere Existenzweise des Kapitals.Die Produktivkraft der Arbeit entwickelt sich unentgeltlich,sobald die Arbeiter unter bestimmte Bedingungen gestelltsind, und das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen.Weil die gesellschaftliche Produktivkrast der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andererseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapitalgehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital vonNatur besitzt, als seine angeborene Produktivkraft"(„Kapital", 1. Band, 11. Kapitel: Die Kooperation).Von den proletarischen Produktivkräften, die sich das Kapital stündlich einverleibt, ist bei der Jubiläumsfeier nursehr nebenher die Rede gewesen. Nicht mehr, als nötig war,um das Kapital in bengalischer Beleuchtung als Schöpferund Wohltäter erscheinen zu lassen. Der wirklichen Bedeutung der proletarischen Produktivkräfte, ihrer Existenzbedingungen hat keine Ansprache, kein Toast gedacht.Allein während zum Triumph des Kapitals die Musikkapellen spielten, Gesangvereine ihre Weisen ertönen ließen,Gelehrte schwungvoll deklamierten, Minister und Kronenträger Herrn Krupp v. Bohlen und Halbach als ebenbürtigan ihr Herz drückten, tat sich im buchstäblichen Sinne desWortes die Erde auf und enthüllte in Bildern der Verdammnis, auf wessen Kosten und um welchen Preis dieganze kapitalistische Herrlichkeit existiert. Wie Bankos Geistbei Macbeths Festmahl zogen plötzlich in die Sieges- undFreudenhalle des Kapitals die Schatten der 128 Kohlengräber ein, die der kapitalistischen Beutegier in der Zeche„Lothringen" zum Opfer gefallen sind. Wie beweglich wissennicht bürgerliche Wissenschaftler und Zeitungsschreiber vondem„Risiko" der„königlichen Kaufleute" und der„Hauptleute der Industrie" zu jammern. Lassen wir das Risikogelten, und fühlen wir mit den Geängstigtenl Aber bleibtnicht die Tatsache, daß das Risiko des Kapitals nur in Zeitenwirtschaftlichen Niedergangs oder bei allzu gewagten Spekulationen besteht? Ist in den Tagen wirtschaftlichen Aufschwungs das Risiko nicht gleichbedeutend mit phantastischemGewinn? Augenblicklich blühen den Kapitalisten goldeneTage. In der chemischen Industrie zum Beispiel schütten dieAktiengesellschaften unerhörte Dividenden aus. Als Ausdruck beklagenswert dürftigen Ertrags wird es verzeichnet,daß einige dieser Unternehmungen ihre Dividende von 45auf 25 Prozent herabsetzten, wobei nicht einmal festgestelltwerden kann, ob nicht verschleiernde Buchungen vorliegen�auf daß die Begehrlichkeit der Ausgebeuteten in den Gifthöhlen nicht allzu stark gereizt werde. Frau Berta Krupp versteuerte 1908„nur" 187 Millionen, 1911 aber 290 MillionenMarkVermögen. Gegenüber diesem schimmernden Berge Goldjener Berg entsetzlich verstümmelter Leichen, der herzzerreißende Jammer von Waisen, Witwen und Eltern! Undnun sagt: wer trägt jederzeit das Risiko, mit Leib und Lebenfür den Vorteil, die Ehren des Kapitals zahlen zu müssen?Was hat die bürgerliche Gesellschaft für dieses Risiko zubieten? Nicht einmal wirksamen Schutz! Billige Beileidstelegramme; Minister- und Kaiserbcsuche; teilnehmende und gar„auszeichnende" Gespräche der hohen, höchsten und allerhöchsten Herrschaften mit ganz gewöhnlichen Proleten; Untersuchungen, nach denen alles beim alten bleibt; kostbare Nelkenaus der Villa Hügel für Todsieche; für die Hinterbliebenendie Wassersuppen der Witwen- und Waisenrenten und Almosen„großmütiger" Spender. Weckt all das auch nur einen der128 auf, die gesund in die Zeche„Lothringen" einfuhren, umnach wenigen Stunden als zerfetzte Leichen geborgen zu werden? Zkur einen der 9559 Bergleute, die in den sechs Jahrenvon 1905 bis 1910 in Deutschland tödlich verunglückten? Istall das imstande, das Herzleid der Hinterbliebenen zu stillen,ja auch nur dem nackten Hunger vieler zu wehren?Tausende, Hunderttausende von Händen Gequälter, Ge-morderter vereinigen sich zur Niesenfaust. Ilnd während inBelsazars Festhallen die Zimbeln tönen, schreibt sie der kapitalistischen Ordnung das richtende Menetekel an die Wand.Zur Aenderung des Organisationsstatutsder Partei.Die Geschichte der deutschen Sozialdeniokratie zeigt vonAnfang an, wie klar und hoch die Anhänger der Partei dieOrganisation gewertet haben. Scharf haben sie jederzeit ihreBedeutung als eines Werkzeugs erfaßt, das die sozialistischeErkenntnis in die Tat umsetzen hilft, und dessen Güte undLeistungsfähigkeit daher eine wesentliche Vorbedingung fürdie Erfolge der Partei ist. Neben dieser sachlichen Würdigungkam und kommt noch ein anderer Umstand hinzu, um denzielbewußten Proletariern Deutschlands die Organisationteuer zu machen. Sie ist ihr eigenstes Werk, ist das stolzeDenkmal ihres Verständnisses für die geschichtliche Aufgabeihrer Klasse, der Ausdruck ihrer Tatkraft und ihrer Opferfreudigkeit im Dienste dieser Aufgabe. Der Zusammenhangzwischen ihrem Ideal, dem Ziele chrer Kämpfe und der Organisation als Mittel zum Zweck ist den Genossen stets gegenwärtig gewesen. Daher ihr volles Verständnis dafür, daß diehöchste praktische Leistungstüchtigkeit der Organisafton nurerreicht werden kann, wenn auch in ihrer Gestaltung dieWesenszüge der Sozialdemokratie zur Geltung konimenals der Partei der proletarischen Massenaktion, die die bürgerliche Gesellschaft stürzen muß. Die hausbackene technischeZweckmäßigkeit allein tut es nicht, so wenig man auch sieüber die Achsel ansehen darf.Gerade das alles macht es erklärlich, warum man in derSozialdemokratie seit ihrer Gründung nicht nur mit Ernstund Eifer an dem Aufbau und der Vervollkommnung derOrganisation gearbeitet, sondern mit Leidenschaft darum gekämpft hat. Jedoch nur langsam ist ihr festes Gefüge alsPartei entstanden, und noch heute trägt es kein streng einheitliches Gepräge. Die Gründe dafür sind bekannt: das Sozialistengesetz und die lange Bindung durch die früheren vereinsrechtlichen Bestimmungen der einzelnen„engeren" Vaterländer desDeutschen, dieZersplitterung des Reiches in„große"und kleine Staaten mit ihrem geschichtlichen Erbe politisck)crSonderzustände und Eigenarten. Was unter dein Zwang dervorliegenden Verhältnisse geworden war, was sich unter ihnenbewährt hatte, das wurde meist noch eine Zeitlang mit liebevollem Respekt behandelt, wenn gewandelte Dinge eine bessere Ausgestaltung der Organisation möglich machten. So hat