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Die Gleichheit

des politischen Lebens ist, sondern die Politik schlechtweg, die die kapitalistischen   Staaten auf der erreichten Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung befolgen müssen. Daher er­schöpft er sich auch keineswegs in der weltmachtstollen Aus­landspolitik, zu seinem Wesen gehört die arbeiterfeindliche Heimatspolitik. Dieser gewalttätige Gesell hat zwei gepan­zerte Fäuste, von denen er die eine drohend gegen konkurrie­rende Staaten schwingt und Wilden, Barbaren  , Völkern an­derer Kultur ins Antlig schlägt, die andere aber die Arbeiter­Klasse im Vaterland fühlen läßt. Gerade das Feuer der im­perialistischen Heimatspolitik ist es, das in Deutschland   dem Proletariat auf den Nägeln brennt. Es ist die Politik der Wucherzölle und Wuchersteuern, des Zuchthauskurses wider Streifende, des Stillstandes der Sozialreform, der Wahlrechts­verweigerung. Als politische Führerin und Vorkämpferin des Proletariats hat sich deshalb die Sozialdemokratie be­reits seit längerem mit einzelnen Seiten des Imperialismus auseinandersetzen und in der Praxis mit ihm ringen müssen, noch ehe sie theoretisch vollkommen klar über ihn geworden war. Nun sollte in Chemniß die Theorie einer einheitlichen und traftvollen Praris den Weg zeigen. Die Verhandlungen dar­über waren der Höhepunkt des Parteitags, und zwar sowohl nach der Bedeutung des Gegenstandes, wie auch nach der ernsten und fachlichen Art der Auseinandersetzung damit. Troßdem ist die Frage unseres Dafürhaltens noch nicht ge­flärt worden. Das Referat des Genossen Haase bot gewiß eine Fülle wertvollen wirtschaftlichen und politischen Mate­rials zur Erkenntnis des Imperialismus, der ihn treibenden Kräfte und beherrschenden Ziele, es zeichnete scharf hervor­tretende Entwicklungslinien der kapitalistischen   Ordnung. Es litt jedoch darunter, daß es nicht voraussetzungslos ge­nug, daß es vielmehr von Grund aus in der überzeugung aufgebaut war, in dem Lebensprozeß der kapitalistischen   Ge­sellschaft und seiner Abwicklung die Begründung für die Forderung der Abrüstung finden zu müssen. Gewiß war es notwendig, daß das Referat die einander entgegenwirkenden und durchkreuzenden Tendenzen beleuchtete, die der Kapita­lismus seiner Zwiespältigkeit entsprechend auch für den Im­perialismus zeitigt. Hier Kräfte, die unaufhaltsam zum Rüstungswahnsinn treiben, internationale Gegensätze und Verwicklungen schaffen und furchtbare Kriege vorbereiten. Dort hingegen andere, die internationale Interessengemein­schaften erzeugen, nach Milderung des Rüstungsdrucks und Frieden verlangen.

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Es wäre die Aufgabe des Referats gewesen, das Stärke­berhältnis dieser verschiedenen Tendenzen an der Hand der vorliegenden politischen, geschichtlichen Erfahrungen gegen­einander abzuschätzen und in der kapitalistischen   Wirtschaft nachzuforschen, ob und warum die einen über die anderen die Oberhand erhalten müssen. Aber dieses Erwägen und diese Untersuchung ist in dem Referat leider unterblieben. Statt die kriegstreibenden und friedenssehnsüchtigen Tendenzen- um grobe Sammelnamen zu gebrauchen in dem Raume der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu prüfen, wo sich die Sachen ,, hart stoßen", betrachtete es sie in dem luftigen Reiche der Möglichkeiten und Wünsche, wo fie leicht beieinander wohnen. So führten die Gedankengänge Genossen Haase zu einer über­schätzung des Bodens, den der Friedenswille des internatio­nalen Proletariats finden könne. In der Folge weist er in dem proletarischen Kampfe gegen den Imperialismus der Forderung der Rüstungsbeschränkungen eine nach unserer Meinung übertriebene Rolle zu.

Wohl halten wir unter bestimmten Umständen eine zeit­weilige Verständigung zwischen zwei oder mehreren Staaten über Einhalt beziehungsweise Beschränkung des Rüstens nicht für ausgeschlossen. Allein wir vermögen solchen Ab­machungen keine dauernde und international entscheidende Bedeutung zuzuerkennen. Die Lebensinteressen, die die kapi­ talistischen   Klassen als Gesamtheit in den einzelnen Ländern an dem Bestehen und dem fortwährenden Steigen des Nü­stungswahnsinns haben, werden fie früher oder später un­

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fehlbar wieder über den Haufen rennen, davon abgesehen, daß jeder Zwei-, Drei- oder Vierbund in der Welt des Rapi­talismus seines Speeres Spike gegen irgendwelche andere Staatengruppe kehrt und mindestens ebensosehr eine Bereit­schaft zum Kriege als eine Sicherheit des Friedens bedeutet. Die internationalen Schiedsgerichte, die in unseren waffen­starrenden, blutbefleckten Zeiten wie Veilchen im Verbor­genen blühen, widersprechen großen Hoffnungen so nach­drücklich, wie dies die Begeisterung tut, mit der in allen Län­dern alle bürgerlichen Parteien die schwindelnd hohe Leiter der Rüstungsausgaben emporklettern... isne

Trotz allem können wir uns nicht besonders gegen die ver­tretene und beschlossene Forderung der Rüstungsbeschrän­fungen ereifern. Sie gibt Gelegenheit, die ganze Frage des Imperialismus vor die Massen zu tragen und hier den wahnwißigen Gegensatz der kapitalistischen   Ordnung selbst mit ihren Lebensnotwendigkeiten zu den Ansprüchen der Vernunft, der Kultur, aller Menschheitsideale aufzuzeigen, zu denen sich auch die kapitalistischen   Klassen mit den Lippen bekennen. Sie vermehrt die Anlässe, das internationale Soli­daritätsempfinden der breitesten proletarischen Massen zu wecken, sie zum klaren Bewußtsein zu schulen und als un­erschütterlichen Friedenswillen den imperialistischen Kriegs­hezereien entgegenzustellen. Wir würden es jedoch für ver­fehlt, ja für gefährlich halten, wenn über dieser Forderung aus dem Kampfe des Proletariats ebenso spurlos wie aus dem Referat und der Resolution des Genossen Haase die grundsäßliche Forderung verschwinden sollte: Umwandlung des stehenden Heeres in eine Volksmiliz. Gerade weil der Imperialismus nicht nur Auslandspolitik ist, sondern auch Inlandspolitik, übertrifft sie an Tragweite wesentlich die befürwortete Rüstungsbeschränkung. Sie läuft in ihrer Ver­wirklichung darauf hinaus, das Proletariat für seinen Be­freiungskampf zu rüsten, die Produktionsmittel des Todes, die ultima ratio der kapitalistischen   Klassenherrschaft in Hände zu legen, die von denkenden, wissenden, tatbereiten Köpfen gelenkt werden.

In einhalbstündiger Debatterede, deren sachlicher Wucht sich wohl niemand zu entziehen vermochte, rollte Genosse Lensch die Frage des Kampfes gegen den Imperialismus von dieser Seite her auf. Ihm sekundierten tapfer die Ge­nossen Bannekoek und Cohen. Eine abschließende Klä­rung des Problems war jedoch unmöglich. Neben der Kürze der verfügbaren Zeit stand ihr hindernd im Wege, daß man sich in der Partei noch nicht eingehend genug mit der Frage beschäftigt hat. So ward die vorgelegte Resolution gegen wenige Stimmen und bei etwas zahlreicheren Stimmenthal­tungen angenommen. Das eherne Muß der geschichtlichen Entwicklung wird den Imperialismus auf der Tagesord­nung des proletarischen Klassenkampfes halten, und die zwingende Logik ihrer Dinge dürfte in ihren harten Fäusten die schillernde Blüte der Rüstungsbeschränkung zerdrücken, ehe die offizielle Theorie zu einer Entscheidung in der um­strittenen Frage gekommen ist.

Daß die gesamte Politik des Deutschen Reiches im Zeichen des Imperialismus steht, erhärtete unzweideutig der Be­richt, den Genosse Stadthagen   über die Tätigkeit unserer Reichstagsfraktion erstattete. Es fand seine eindringlichste Bestätigung durch die Reden und Be­schlüsse zur Lebensmittelteuerung, zum Berg­arbeiterschutz und zum Arbeitswilligenter­rorismus. Was zu diesen Erscheinungen von den Ge­nossen Scheidemann, Hue und Haupt gesagt mor­den ist, wird von Millionen Herzen tief empfunden werden. In den Tagen der Teuerung, der quälenden Entbehrungen, ja des würgenden Hungers klang Scheidemanns hinrei­Bende Rede wie der zornige Schrei der Enterbten selbst nach Brot. Sie legte lichtvoll die Wurzeln der Teuerung und des Massendarbens bloß und zeigte hier den Todfeind: den Kapi­talismus, dort den Erlöser: den Sozialismus. Allein der Parteitag gab für den Kampf um Brot und Fleisch nicht