Nr. 7

Die Gleichheit

gemein ist die überzeugung, daß das Zentrum sich viel zu sehr an das Süße der Stellung einer Regierungspartei gewöhnt hat, als daß es Lust hätte, wieder in die Wüste der Opposition zu ziehen. Das Zentrum sucht durch die Aufpeitschung der religiösen Leiden­schaften nur seine inneren Schwierigkeiten eine Zeitlang in den Hintergrund zu drängen, und es hofft durch den Oppositionsrum­mel die Aufmerksamkeit der katholischen Arbeiter von seiner ar= beiterfeindlichen Haltung in der Fleischnotfrage und anderen Dingen abzulenken. Wenn der Theaterdonner seine Wirkung ge= tan hat, so wird das Zentrum schon wieder einen Grund zum Eine lenken finden. Es hat auch so übrigens bereits erklärt, daß es die ,, Staatsnotwendigkeiten", das heißt vor allen Dingen die Militär­ausgaben, nicht zu verweigern gedenke. Es wird also den Etat nicht ablehnen, sondern höchstens hier und da der Regierung einen Nadelstich versetzen. Und auch das nur sparsam, um einen wirk­lichen Bruch seiner Beziehungen zur Regierung und vor allem zu den Junkern zu verhüten. Und das Verhalten der Konservativen zeigt denn auch schon, daß das schwarzblaue Bündnis durch die Entrüstungsfomödie des Zentrums nicht gestört werden wird. Die Junker gestatten ihren Bundesbrüdern seelenruhig ihre kleine Extratour, wenn sie ihnen nur den Wuchertarif verteidigen und die vermaledeite Erbschaftssteuer verhindern helfen.

Für die Arbeiterklasse hatte das angeblich sozialreformerische Zentrum in dieser Etatdebatte kein Wort. Es blieb der Sozialdemo= fratic allein vorbehalten, die Forderungen und Beschwerden des Proletariats vorzutragen. Das Zentrum glaubte im Besitz des religiösen Zugmittels sich die sonst beliebte Umwerbung der Ar­beiter durch ein bißchen sozialpolitisches Getue schenken zu können. Seinen wahren arbeiterfeindlichen Charakter aber hat es dann bei der fortschrittlichen Interpellation über das Koalitionsrecht der Staatsarbeiter enthüllt. Bei dieser Interpellation gab der Staats­sekretär des Junern Delbrück   eine Erklärung ab, die nicht nur dem Koalitionsrecht der Staatsarbeiter, sondern auch dem der Ar­beiterklasse überhaupt höchst feindlich lautete. Angesichts dessen hatten die sogenannten Arbeitervertreter des Zentrums nichts Besseres zu tun, als Angriffe gegen die Sozialdemokratie und die freien Gewerkschaften zu schleudern! Eine Haltung, die jener des christlichen Bergarbeitergewerfvereins während des Ruhrberg­arbeiterstreits durchaus würdig war.

Gewerkschaftliche Rundschau.

H. B.

Die" loyale" Handhabung des Reichsvereinsgefeßes, die die Regierungsvertreter seinerzeit feierlich versprochen haben, macht in unserem Rechtsstaat aufsehenerregende Fortschritte. Na­mentlich im Osten haben die Behörden die Sucht, die Gewerkschaf­ten dadurch zu bekämpfen, daß sie deren Ortsvereine für politisch erklären. Nunmehr ist die Entscheidung der Frage, ob die Ge­werkschaften politische Vereine sind, vor eine höhere Gerichts­instanz, vor das preußische Oberverwaltungsgericht, gebracht wor­den. Drei Ortsverwaltungen unserer Zentralverbände rufen diese Gerichtsinstanz wider die Willkür höherer Behörden an. Es ist Alage erhoben worden vom Geschäftsführer der Verwaltungsstelle Bielefeld desFabrikarbeiterverbandes gegen den Oberpräsidenten der Provinz Sachsen  , vom Vertreter der Orts­gruppe Culmsee des Zimmererverbandes gegen den Oberpräsidenten der Provinz Westpreußen   und vom Former Welzel als Vertrauensmann der Ortsgruppe Kotzenau   des Metallarbeiterverbandes gegen den Regierungspräsi­denten in Liegniß. In allen Fällen handelt es sich darum, daß die höhere Behörde ortspolizeiliche Verfügungen gebilligt hat, die die Einreichung der Sagungen und ein Verzeichnis der Vor­standsmitglieder der gewerkschaftlichen Zweigvereine verlangten. Die Behörden begründeten ihr Ansinnen damit, daß es sich nach ihrer Auffassung bei diesen Organisationen um politische Vereine im Sinne des Reichsvereinsgesetzes handle. Das Oberverwaltungs­gericht beschloß Beweiserhebung, nicht über das Vereinsleben der einzelnen hier in Betracht kommenden Zweigvereine, sondern über den Charakter der genannten drei Zentralverbände. Es soll dar­über der Polizeipräsident von Berlin  , also Herr v. Jagow, in bezug auf alle drei Verbände gehört werden, und außerdem in jedem Einzelfall die Polizeibehörde des Ortes, wo der Sitz der Verbände sich befindet. Zur Beantwortung liegt ihnen diese Frage lor: Was ist bisher darüber bekannt geworden, ob, wodurch und inwiefern der Verband auf politische Angelegenheiten einzuwirken bezweckt? Für den gesunden Menschenverstand ist es ohne wei= icres flar, daß wenn anders rechtliche Bestimmungen einen Sinn haben sollen die Gewerkschaften keine politischen Vereine find. Sollte wider Erwarten für die höheren Gerichtsbehörden der gesunde Menschenverstand etwas gelten, so hätte doch die

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Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts feine allzugroße Be­deutung. Denn die mittleren und unteren Behörden kehren sich auch an die Entscheidungen des höchsten Gerichts nicht, wenn es gegen Arbeiter geht, wie ihre stete Mißachtung des Koalitions­rechts beweist. Entscheidet das Gericht wider die Gewerkschaften, so bleut es damit den Arbeitern wieder einmal ein, daß es keine politische Neutralität geben kann und daß die Gewalten des lapi­talistischen Klassenstaats die letzten wären, eine solche anzuer­kennen. Das ginge wider die Natur ihres Amtes. Die Amts­pflicht läßt bei unseren Hütern der Gesetze das Rechtsgefühl ab­handen kommen, wenn sie von unseren Gegnern wider uns an­gerufen werden. Ein Spruch des Versicherungsamts der Amtshauptmannschaft Bauzen beweist das. Das Amt hatte über die Krankenversicherungspflicht von drei Konsum= angestellten zu entscheiden. Diese waren in den Vorstand der Kasse gewählt worden, was einer großen Textilfirma nicht paẞte. Auf die Beschwerde der Firma Hin verneinte denn auch die Amts hauptmannschaft die Versicherungspflicht jener drei Eindring­linge mit der Begründung: der Konsumverein charakterisiere sich als Wohlfahrtseinrichtung, er könne nicht als Ge­werbe im Sinne der Gewerbeordnung angesehen werden. Die sächsischen Behörden ficht es wenig an, daß diese Wohlfahrts­einrichtung" mit der Umsatzsteuer beglückt wurde, womit fie un­zweideutig als Handelsbetrieb anerkannt worden ist.

Die großen Rüstungen im Baugewerbe für die Bewegung im kommenden Frühjahr haben auf das Reichsamt des Junern Eindruck gemacht. Staatssekretär Dr. Delbrück hat an den Vor­sitzenden des Gewerbegerichts in München   Dr. Brenner ein Schreiben gerichtet. Darin erklärt der Minister, es liege im öffent­lichen Interesse, schon jetzt mit der Einleitung von Tarifverhand­lungen im Baugewerbe zu beginnen. Der Tarif laufe zwar erst am 31. März ab, es drohe jedoch im Baugewerbe ein so schwerer Kampf, daß bereits jetzt alles getan werden müsse, um ihm vor­zubeugen. Das Zentralschiedsgericht war bereits zusammengetre­ten, um zu erörtern, auf welche Weise sich ein Kampf vermeiden lasse. Das letzte große Ringen im Baugewerbe 1910 ging in erster Linie um die Erhöhung der Arbeitslöhne. Es wurde durch eine Entscheidung des Schiedsgerichts beendet, nach der die tariflichen Säße allgemein um 5 Pf. für die Stunde erhöht werden sollten. Das Schiedsgericht erkannte dabei an, daß in dieser schematischen Regelung für die Arbeiterschaft vieler Orte eine empfindliche Härte lag. Sollen die jetzigen Verhandlungen zu einem für die Arbeiter annehmbaren Ergebnis führen, so müssen sie bei diesem Punkte einsetzen. Außer den Lohnerhöhungen, die schon durch die Teue­rung bedingt sind, werden aber die Bauarbeiter auch für viele Orte eine Verkürzung der Arbeitszeit fordern. Bei der Aus­cinandersetzung über diese Forderungen wird es sich um die Ar­beitsbedingungen von rund 350 000 Arbeitern handeln. Wie wir an dieser Stelle wiederholt berichtet haben, sind die Scharf­macher im Baugewerbe längst am Werke. Die Unternehmer rüsten mit allen erdenklichen Mitteln für einen Kampf. Die Lieferanten müssen in den Wehrschaz" Beiträge zahlen, und sie sollen weiter gezwungen werden, gegebenenfalls keine Baumaterialien an Bau­unternehmer zu liefern, die nicht aussperren. Doch auch die Bau­arbeiter sind nicht müßig gewesen. Ihr Kampffonds hat die be achtenswerte Höhe von 12 Millionen Mark erreicht, so daß sie den kommenden Dingen: mit Gelassenheit entgegensehen und sich fürs crste auf ihre eigene Kraft verlassen können. Der Verbands­tag des Bauarbeiterverbandes, der Mitte Januar stattfindet, wird natürlich zu der Tariferneuerung Stellung nehmen. Daneben stehen aber noch andere wichtige Punkte auf seiner Tagesordnung. Nach eingehenden Erwägungen tritt der Vorstand mit dem An­trag an den Verbandstag, Erwerbslosen   unterstützung cinzuführen. Krantenunterstüßung bestand bisher schon. Vor der Einführung einer Arbeitslosenunterstützung scheuten aber bisher die Mitglieder wegen der zu erwartenden hohen Kosten zurück. Die Erwerbslosenunterstützung soll für die Dauer von 8 Wochen gezahlt werden, und der Vorstand hofft sie mit Hilfe einer Bei­tragserhöhung durchführen zu können. Für die Monate Januar und Februar, wo bis zu 75 Prozent der Mitglieder arbeitslos sind, soll keine Unterstützung gezahlt werden. Der Verbandstag wird voraussichtlich der Einführung der Erwerbslosenunterstützung zu stimmen. Weiter wird der Vorstand die Einsetzung eines Bei­rats beantragen, dessen Wirken die demokratische Regelung des Verbandslebens sichern soll. Endlich muß der Verbandstag an Stelle des verstorbenen Genossen Bömelburg einen ersten Zentralvorsitzenden wählen.

Der Kampf um den wöchentlichen Ruhetag im Bäckereigewerbe ist vom Zentralverband der