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Die Gleichheit

des Frauentages; Alkohol und Kind; Liebes- und Geschlechtsleben in der Proletarierehe; Wissen, Glaube und Aberglaube; die Not­wendigkeit der Gleichheit. Weiter famen des öfteren Artikel aus der Gleichheit" zur Verlesung, wie auch ernste und heitere Erzeugnisse bekannter Schriftsteller, so zum Beispiel von Rosegger, Grimm, Kielland und anderen. So füllten wir unsere Zusammenkünfte aus, darauf bedacht, für Verstand und Gemüt zu sorgen. Zwei Genossinnen sind Mitglieder der Meißener Kinderschußkommission, die Vorsitzende der Frauenabende hat im Vorstand des sozialdemo fratischen Vereins Siz und Stimme. Allen weiblichen Mit­gliedern wird gegen wöchentlich 5 Pf. Beitrag die Gleichheit" frei ins Haus geliefert. Um auch die schriftliche Schulung der Genossinnen zu fördern, wählten wir eine erste und zweite Schriftführerin zur Führung der Sitzungsprotokolle. So können wir jederzeit schriftlich unser Bemühen nachweisen, praktische Parteiarbeit zu leisten. Er­wähnen muß ich noch, daß die Genossinnen zur Zeit der Ferien auch Kinderwanderungen veranstaltet haben. Mit den organi­jierten proletarischen Frauen der Umgegend verknüpfen uns feste freundschaftliche Beziehungen, und die Zusammenkünfte mit ihnen haben uns manche frohe Stunde gebracht und das Grau des täg­lichen Einerlei auf Stunden vergessen lassen. Wir sind bestrebt, an der Seite unserer Männer die gegenwärtigen Zustände zu bessern, wir arbeiten und kämpfen mit ihnen auf politischem, gewerkschaft, lichem und genossenschaftlichem Gebiete. Wir sind mit ihnen, um dem Proletariat eine freie Zukunft zu erobern. Auch wir Frauen Weinböhlas wollen unseren bescheidenen Anteil haben an der Be­seitigung des Kapitalismus, an dem Siege des Sozialismus. M. Sch.

Politische Rundschau.

Die Gefahr des Weltkriegs schien fürs erste abgewendet, nach­dem der serbisch  - österreichische Konflikt durch Serbiens   Verzicht auf die Adriaküste seine Schärfe verloren hatte. Vornehmlich Eng­land hatte den Mut Rußlands   und Serbiens   gedämpft, da bei der jetzigen Lage der Dreibund nicht zu sprengen und der britischen  Bourgeoisie daher der Krieg ein zu gefährliches Wagnis war. Aber faum ist ein Streitpunkt erledigt, so tauchen neue auf, und gegen= wärtig ist die Lage wieder düsterer geworden. Die Abwicklung der Balkankrise schafft immer neuen Konfliktsstoff, an dem sich der europäische   Krieg entzünden kann. Die Friedensverhand= Iungen in London   sind auf dem toten Punkte angelangt. Die Verbündeten haben zwar die Drohung mit der Wiedereröffnung des Krieges. die sie in einem Ultimatum ausgesprochen hatten, noch nicht wahrzumachen gewagt. Sie haben die Verhandlungen nicht abgebrochen, sondern nur unterbrochen, als die Türken sich entschieden weigerten, auf die Forderung der Abtretung Adria  = nopels und der Ägäischen Inseln einzugehen. Die Mög­lichkeit zur Wiederaufnahme der Verhandlungen besteht, aber die Türkei   tut unversöhnlich. Sie droht mit der Abberufung ihrer Delegierten aus London  , wenn die Verbündeten nicht darein willi­gen, daß Adrianopel  , die heilige Stadt, türkisch bleibt.

Wenn die Ottomanen dabei gehofft haben, die Verbündeten ein­zuschüchtern und sie durch das Hinausziehen der Entscheidung mürbe zu machen, so haben sie sich darin ebenso getäuscht wie in einer etwaigen Hoffnung auf das Eingreifen der Großmächte zu ihren Gunsten. Zwar haben die Großmächte vor dem Beginn des Krieges den verbündeten Balkanstaaten erklärt, eine Gebietsver­schiebung auf der Balkanhalbinsel   werde, einerlei wie der Kampf ausgehen möge, auch bei den entscheidendsten Siegen einer Seite nicht geduldet werden. Nachdem diese Willenskundgebung der Vor­münder Europas  , auf die sich die Türken allzusehr verlassen hatten, unter dem Gelächter der Welt als wertloser Fezen Papier  auf den Müllhaufen der Geschichte geflogen ist, hatten die Groß­mächte jetzt anscheinend die moralische Verpflichtung und begrün­deten Anlaß, wenigstens dafür zu sorgen, daß die Türkei   nicht zu sehr geschröpft werde. Und so war auch die Meinung der Türken. Aber sie haben sich wie so manche vor ihnen bitter getäuscht, wenn fie an die hohe Politik" irgendwelche Maßstäbe der Moral legten. Sier gebietet nur das nackte Interesse, und das rechtfertigt jede Treulosigkeit und schiebt jegliche Rücksicht auf frühere Verpflich tungen brutal beiseite: die Mächte können sich im Widerstreit der Interessen über einen Druck auf die verbündeten Balkanstaaten nicht einigen, und so einigten sie sich, wenn auch nicht ohne Schwic­rigkeiten, auf ein Vorgehen gegen die Türkei  . Durch einen gemein­samen Schritt in Konstantinopel   wollen sie die Türken zwingen, nachzugeben und Adrianopel abzutreten. Über das Schicksal der strittigen Inseln kommen sie wohl schwerer zu einem einigen Ent­schluß. Die deutsche   Regierung, die vor wenigen Monaten noch die Freundschaft mit der Türkei   als den Triumph fluger Staats­

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kunst pries, läßt der Pforte jetzt durch offiziöse Noten der Köl­ nischen Zeitung  " sagen, sie könne ihr nur den freundschaftlichen Rat zur Nachgiebigkeit geben. Im anderen Falle werde auch das asiatische Gebiet des Ottomanischen Reiches in die Gefahr kommen, zerstückelt zu werden. Und in der Kreuzzeitung  " wird den Türken noch deutlicher erklärt: Der Besiegte muß die Zeche zahlen!

Trotz dieser Pression blieb die Türkei   fest und tat, als ob sie dem Wiederbeginn des Krieges mit voller Zuversicht entgegensehe. In­zwischen hatte sich ihr die Möglichkeit eröffnet, in Rumänien  einen Bundesgenossen zu gewinnen. Dadurch würde Bulgarien  zwischen zwei Feuer kommen. Rumänien   fordert nämlich jetzt eine Entschädigung dafür, daß es während des Krieges neutral ge= blieben ist und Bulgarien   nicht überfallen hat, als dieses mit der Türkei   im Felde lag. Rumänien   verlangt die Abtretung bul­garischen Gebiets. Bulgarien   sträubt sich, die Verhandlungen stock­ten zeitweilig. Käme es aber zum Kriege zwischen Bulgarien   und Rumänien  , so eröffnete sich nicht nur eine neue Chance für die Türkei  , sondern auch das Gespenst des großen europäischen   Krieges gewänne dann neue Gestalt. Denn ein Vordringen Rumäniens   auf Kosten Bulgariens   bedeutete eine Verstärkung des österreichischen Einflusses auf dem Balkan  . Daher würde Rußland Bulgarien zu Hilfe eilen, was wiederum Österreich   zum Eingreifen zwingen" würde, und daraus würde sich der Krieg zwischen Dreibund und Dreiverband entwickeln. Zugleich mit diesen drohenden Aussichten wurde bekannt, daß der österreichisch  - serbische Konflikt von einer Beilegung noch weit entfernt ist. Die österreichische Bresse gibt den Serben zu erkennen, daß sie mit der Aufgabe der adriatischen Küste Österreich   noch lange nicht zufriedengestellt haben. Dazu gehöre vielmehr auch die überlassung weiter Gebiete des Binnen­landes, die jetzt von den Serben besetzt sind, an das künftige un­abhängige" Albanien  . Serbien   wehrt sich gegen diese Zumutung, und so steht die Sache hier wieder einmal auf dem alten Flecke. Der Friede Europas   bleibt nach wie vor zerbrechlich wie ein rohes Ei.

Das Deutsche Reich hat inzwischen einen neuen Leiter seiner auswärtigen Politik bekommen, da der Staatssekretär v. Kider= len Wächter, der das deutsche Staatsschiff durch die Wirren der Marokkoaffäre gesteuert hat, einer Herzlähmung erlag. Zu seinem Nachfolger ist ein waschechter ostelbischer Junker, einer aus dem weitverzweigten Geschlecht derer v. Jagow, bestellt worden. Der neue Staatssekretär war zuletzt Botschafter in Rom  , nachdem er vorher als Gesandter in Luxemburg   gestanden war. Der Sprung von diesem Kleinen, unwichtigen Posten auf den sehr wich­tigen zu Rom   war außergewöhnlich, man machte für diese ge­waltige Beschleunigung der Karriere den Umstand verantwortlich, daß Herr v. Jagow als Bonner   Borusse der Korpsbruder des Kaisers ist. Sonst ist von seinen Fähigkeiten nichts bekannt. Als Botschafter in Nom soll er seinerzeit von dem bevorstehenden Kriege zwischen Italien   und der Türkei   bis zur letzten Stunde nichts gewußt haben. In der deutschen   bürgerlichen Presse wurde hie und da leise darüber geklagt, daß das deutsche Bürgertum in die wichtigsten Posten Männer berufen sehen muß, über die es nichts weiß, als daß sie korrekte Bureaukraten sind, deren Rich­tung und Fähigkeiten ihm unbekannt sind. In England und Frank­ reich   treten Politiker, Abgeordnete in solche Ämter; ihre Ver­gangenheit, ihre Leistungen sind der Öffentlichkeit bekannt, ihre Bersönlichkeiten bilden schon ein Programm. Die deutsche Bour­geoisie trägt an dieser Rückständigkeit Deutschlands   selbst Schuld. Da sie aus Angst vor der Arbeiterklasse mit der Junkerherrschaft nicht aufzuräumen wagte und wagt, so muß sie dulden, daß ihre Politik von Junkern mehr oder minder schlecht besorgt wird. Dem obersten verantwortlichen Leiter der deutschen   Politik, dem Reichs­fanzler, wird aber allgemein nachgesagt, daß er in den Dingen der äußeren Politik gänglich unbeschlagen sei. Die Beseßung des Postens des Staatssekretärs des Auswärtigen ist daher für die Kapitalistenklasse in dieser Zeit besonders wichtig, in der sie nach Ausdehnung ihrer wirtschaftlichen und politischen Herrschaft in der Welt lechzt. Haben es doch mehrere bürgerliche Blätter offen ausgesprochen, daß Deutschland   bei einer etwaigen Zerstückelung der asiatischen Türkei   ein gehöriges Stück beanspruchen müsse. Für solche Pläne kann die Waffenrüstung des Reiches natürlich nie stark genug sein, und die freifonservative, alldeutsche und na= tionalliberale Presse als das Sprachrohr der Schwer- und Groß­industriellen verfährt daher nur folgerichtig, wenn sie die von Herrn Bassermann im Reichstag begonnene Agitation für eine abermalige Heeresverstärkung tatkräftig fortsetzt.

Neuerdings ist diese Agitation besonders belebt worden durch die Ankündigung der" Post", daß in Kürze eine neue große Militärvorlage zu erwarten ist. Nach den Angaben des