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Die Gleichheit

samteinkommens betrug. Ein solcher Anteil verträgt sich nach meiner Ansicht nicht mit den Anforderungen der Øygiene. Wenn noch verhältnismäßig viele Frauen den politischen und wirtschaftlichen Bestrebungen des Mannes und unseren Idealen feindselig gegenüberstehen, so hat dies häufig seinen Grund mit darin, daß mit dem Versammlungsbesuch ein Wirtshausbesuch verbunden ist. Denn dieser Wirtshausbesuch hält sich nicht immer in geordneten Grenzen und kann manch­mal für eine Familie von den schlimmsten Folgen begleitet sein. Szenen, wie sie Genossin Popp als Kind erlebte ihr angetrunkener Vater schlug am Weihnachtsabend mit dem Beil den Christbaum zusanimen, kommen noch immer vor. Daß Geschehnisse dieser Art schwer auf der Frau lasten, daß sie einen furchtbaren Eindruck auf die zarte Kinderseele machen und Furcht und Verachtung für den Vater erzeugen, ist ganz natürlich. In Familien, aus denen der Alkoholismus des Mannes Ruhe, Frieden und Freude treibt und die Dürftig­feit zur Armut verschärft, wird der Geist des Sozialismus nur sehr schwer einziehen. Wie sollte auch die geplagte und von den höchsten Sorgen des Alltags niedergedrückte Frau noch über unsere hohen Ideale nachdenken können? Ihr trau­riges eheliches Leben treibt sie oft der Kirche oder Stunden­gängern in die Arme.

Wenn der Mann weitaus häufiger und mehr als die Frau frinft, so hat dies allerdings seine besonderen Gründe, von denen die meisten und wichtigsten mit den sozialen Verhält­nissen unmittelbar oder mittelbar zusammenhängen. Eine Hauptquelle des Alkoholgenusses ist in ungünstigen Arbeits­bedingungen zu suchen. Da ist zum Beispiel der Glasbläser, der bei einer Temperatur von etwa 60 Grad Celsius schaffen muß, der Arbeiter, der gebückt und halb nackt an den Stron­tianöfen der Melaffezuckerfabriken bei 56 Grad Celsius seine Arbeit verrichtet. Sie beide müssen infolge hoher Schweiß­ausscheidung ihrem Körper ganz erhebliche Flüssigkeitsmengen zuführen. Das Bedürfnis nach erwärmenden und anregenden Getränken entsteht auch bei dem schweren Mühen der Zie­geleiarbeiter, die den ganzen Tag bis über die Knie im nassen Lehm stehen und ihn geschmeidig treten müssen. Wenn die Leute nicht immer halb im Dusel wären, würden sie die Ar­beit gar nicht verrichten können," sagte ein Ziegeleimeister. Dem nämlichen Zwange unterliegen leicht Arbeiter, die ge­zwungen sind, Staub einzuatmen; sie glauben mit Alkohol ihre Kehle puzen zu müssen, um die unangenehmen Empfin­dungen im Halse loszuwerden. Und so gibt es noch viele an­dere Arten von Arbeitern, die nicht aus Genußsucht trinken, sondern um die Unluftgefühle abzuwehren. Dazu kommt noch, daß der Arbeiter von Jugend auf, wie ein belgischer Arzt schreibt, in die Jacke eines Gewebes von Irrtümern einge­zwängt ist, die ihn an die Nüglichkeit des Alkohols glauben machen. Man hat ihm die zahlreichen Wohltaten dieses Ge­tränks gerühmt, und er hat nichts anderes als das gehört. Man hat ihm gesagt und wieder gesagt, daß der Alkohol stärke, daß er nähre, daß er anfeuere, daß er erwärme, daß er er­frische, daß er unvermeidlich sei für die Arbeiter. Und diese schauderhaften unwahrheiten hat er gehört, hört er nicht nur in seiner Umgebung, sondern auch im Munde von Leuten hohen Ranges, mitunter seiner Vorgesezten, ja sogar von Ärzten, die manchmal dem Wort auch noch das Beispiel hinzu­fügen."

Die Gewerkschaften und die Beamten der Gewerbeinspek­tion haben im Kampfe gegen den Alkohol eine wichtige Auf­gabe zu erfüllen. Sie müssen unablässig für bessere, gesunde Arbeitsbedingungen wirken, bei denen die vielfachen Anreize zum Genuß alkoholischer Getränke fehlen. An erster Stelle solcher Arbeitsbedingungen steht die Verkürzung und Nege­lung der Arbeitszeit. Im Kampfe dafür liegt das Schwer­gewicht dessen, was die Gewerkschaften leisten, um dem Alko­holismus entgegenzuwirken. Arbeitszeitverkürzung und Ar­beitserleichterung sind Grundbedingungen, daß die Prole­tarier zu einer höheren kulturellen Lebensführung empor­steigen, bei der der Alkohol nicht als Freund und Tröster er­

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scheint. Die Beamten der Gewerbeaufsicht müßten alle diese Bestrebungen tatkräftig dadurch unterstützen, daß sie unge­schminkt die Busammenhänge zwischen schlechten Arbeits­bedingungen und Alkoholgenuß aufdecken. Namentlich hätten fie auch der Sorge für hygienisch einwandfreie Arbeitsräume die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Schließlich sollten sie immer aufs neue den Unternehmern die Pflicht einschärfen, darauf bedacht zu sein, daß die Arbeiter gute und billige Er­saßgetränke für den Alkohol haben könnten.

Der Kampf gegen den Alkoholismus   lenkt die Gedanken auch auf die Reformbedürftigkeit unserer Gewerkschafts- und Volkshäuser. Diese sind leider recht oft materiell von Groß­brauereien abhängig, die Darlehen gewährten, um ein sicheres Absatzgebiet zu haben. Der starke Bierverbrauch wird dann fast zur Notwendigkeit, damit die Zinsen aufgebracht werden können, und die ganze Lage der Dinge ist dem Vertrieb alfo­holfreier Getränke nicht günstig. In seinem Schriftchen Das Volkshaus, wie es sein sollte" macht Genosse Peus einen sehr vernünftigen Vorschlag. Wenn die Arbeiter nicht imstande sind, die Mittel für ein Volfshaus aus eigenen Kräften auf­zubringen was das Idealste wäre, so sollten sie bestrebt sein, die Zinsen für das fremde Kapital durch eine direkte Steuer zu decken, die auf jeden einzelnen gelegt würde. Der Verzehr würde ein völlig freier, und die Preise könnten sich fast auf die Selbstkosten beschränken. Damit wäre ein Anreiz mehr gegeben, das Volkshaus zu besuchen.

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Indessen und durch diese Auffassung unterscheidet sich der aktive Abstinent vom Mäßigkeitsapostel-, es genügt nicht, wenn wir den Alkohol nur indirekt bekämpfen. Wir müssen ihn auch direkt angreifen. Hier sind es namentlich die Trinksitten, denen unser Kampf gelten muß, die auch unter der Arbeiterschaft noch eine große Rolle spielen. Wenn klassen­bewußte Proletarier vergnügt beieinander sind, wenn sie Feste feiern, so brauchen sie wahrhaftig nicht die Gepflogenheiten studentischer Vereinigungen nachzuahmen oder das, was bei den Banketten der besten Kreise" üblich zu sein pflegt.

Mit meinen Ausführungen ist gewiß nicht erschöpft, was zur wichtigen Frage des Kampfes gegen den Alkohol zu sagen ist. Doch wird die Erörterung auf der Internationalen Frauenkonferenz gewiß weitere Darlegungen zu ihr zeitigen. Wer ehrlich und entschlossen den Alkohol bekämpfen will das ist meine persönliche Meinung, der muß es vom Stand­punkt der Abstinenz tun, mit der Mäßigkeitspredigt erreicht man nichts. Auf Eisen gehört Eisen. Wir müssen den Kampf gegen den Alkohol wollen im Interesse unserer Frauenbewe­gung, im Interesse des Sozialismus. Luise Müller.

Material zur Tagesordnung

der dritten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz.

Aus Dänemark  .

1. Das kommunale Frauenwahlrecht. Das Wahlrecht und die Wählbarkeit zu der Stadtverordnetenversammlung in Kopen hagen, zu den Stadträten und den Steuereinschätzungskom­missionen in den Provinzstädten sowie zu den Gemeinderäten auf dem Lande befißt eine jede unbefcholtene Frau, die durch Geburt oder Erwerbung das dänische Staatsbürgerrecht be­sitzt, das 25. Lebensjahr erreicht hat, sowohl in dem Jahre, in dem die Wahl stattfindet, wie auch in dem vorhergehen­den Jahre ihre Gemeindesteuern gezahlt und während dieser Zeit ununterbrochen in der betreffenden Gemeinde gewohnt hat. Ebenso steht Wahlrecht und Wählbarkeit auch jeder Frau zu, die mit einem Manne verheiratet ist, der die obigen Be­dingungen erfüllt. Was den Steuerzenfus anbetrifft, so set erwähnt, daß außerhalb Kopenhagens   alle Einkommen- also auch die allerniedrigsten auch die allerniedrigsten steuerpflichtig sind, wogegen in Kopenhagen   nur von Einkommen über 800 Stronen Steuern entrichtet werden.

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