364

Die Gleichheit

zur Verhinderung des Kriegs empfiehlt. Diese Entschließung soll dem internationalen sozialistischen   Kongreß vorgelegt werden, der am 23. August in Wien   geplant ist. Sie kommt gerade zur rechten Zeit und ist nicht vergebens, auch wenn die sozialistische Inter­nationale vielleicht ihre Beratung in Wien   nicht abhalten kann, weil sie dann schon mitten im Handeln begriffen ist.

Die innere Politik Deutschlands   trägt in dieser kritischen Zeit, wo die Regierung jede Stunde gezwungen fein kann, an das bewaffnete Bolt zu appellieren, dieselben volksfeindlichen Cha­rakterzüge wie bisher. Wir zählen die Symptome nur auf: die Verurteilung des sozialdemokratischen Schriftstellers Marchlewski  zu 3 Monaten Gefängnis, weil er in Anknüpfung an die Baberner Borgänge die verrohenden Wirkungen der militärischen Erziehung aufgezeigt hatte; der Ausschluß der Öffentlichkeit bei einem Mili­tärmißhandlungsprozeß vor dem Kriegsgericht der 1. Marineinfpet­tion Kiel, vom Vorsitzenden damit begründet, daß die Tatsachen in der Presse erfahrungsgemäß anders dargestellt werden, als sie sich abspielen; die Verurteilung des Musketiers Fischer vom Infanterie­regiment Nr. 164 au 3 Monaten Gefängnis auf die Denunziation eines einzigen Zeugen hin wegen angeblicher Betätigung sozial­demokratischer Gesinnung"; die bevorstehende neue Militärvorlage, die eine halbe Milliarde für den Bau strategischer Eisenbahnen verlangt; die öffentliche Billigung chauvinistischer und kriegshebe­rischer Schriften durch den Sohn Wilhelms II.; die Ausdehnung der Untersuchung wegen Propagierung des Massenstreits auf wei­tere Teilnehmer der Verbandsgeneralversammlung der Berliner  Wahlvereine; die Einleitung einer Untersuchung wegen öffentlicher Sammlung für die bedauernswerten Opfer des Charlottenburger  Schreckensurteils; die Verurteilung eines Redakteurs des Vor­wärts" zu 6 Wochen Gefängnis wegen angeblicher Majestäts­beleidigung; die Verurteilung des elfäffifchen Zeichners Walk zu 1 Jahr Gefängnis wegen deutschfeindlicher Schriften und Kari­faturen; der Kampf der Polizeipräsidenten gegen die Organisation der Schußleute, die mehr persönliche Freiheit verlangen; die Voll­endung des Gemeindewahlrechtsraubs in Anhalt; die Politisch­erklärung eines Arbeiterturnvereins in dem bayerischen Neu­ stadt   an der Aisch; die Aufhebung des freireligiösen Unterrichts durch den baherischen Kultusminister; die Nichtbestätigung des Bürgermeisters Knöpfler von Babern als zweideutigen Elsässers"; das Verbot für die in Elsaß- Lothringen   garnisonierenden Sol­daten, Wirtschaften zu besuchen, in denen Blätter in franzöfifcher Sprache aufliegen. Die Reichstagswahlen in& abiau Wehlau  und in Koburg  , die mit dem Sieg der Kandidaten des Frei­finns endeten, find symptomatisch nicht für die Wiedergeburt des Liberalismus", sondern nur für feinen rettungslosen Verfall. Von ganz anderer Bedeutung ist der einstimmige Beschluß des Parteitags der Sozialdemokratie Bayerns  , der jedem Genossen die übernahme von repräsentativen Verpflich tungen höfifcher und dynastischer Art bei Ausübung gemeindlicher Ehrenämter berbietet, und die Ankündigung, daß die Partei von der Verteidigung zum Angriff übergehen werde.

"

In Frankreich   wurde festgestellt, daß die Militärrüftungen ein Defizit von über einer Milliarde Franken eintragen. Die Ent­hüllungen des Senators Humbert über mangelnde Kriegsbereit­schaft Frankreichs   hatten den Zwed, die Mißstimmung über die dreijährige Dienstzeit durch Aufstachelung der chauvinistischen Leidenschaften zu verwischen.

In England steht ein Streit der schottischen Bergarbeiter drohend am Horizont. Hinter den 100 000 schottischen Berg­arbeitern, die gegen Herabsehung ihrer Löhne kämpfen, steht die gesamte britische   Bergarbeiterschaft. In den Streit der Parteien wegen der Selbstregierung Jrlands hat der König eigenmächtig eingegriffen. Die liberale Partei hat sich nicht dagegen gewehrt, dagegen hat die Arbeiterpartei gegen die verfassungswidrige Ein­mischung der Krone energisch Protest erhoben. Die vom König ein­berufene Versöhnungskonferenz ist gescheitert.

In Italien   hat die Sozialdemokratie eine Reihe glänzender Gemeindewahlfiege erfochten. Die Regierung setzt ihren Rachefeld­aug gegen die Teilnehmer des Massenstreits fort. Die Sozialisten und Republikaner der Romagna beschlossen, auf den 2. August einen Kongreß einzuberufen, der der Schredensherrschaft der Regierung ein Halt gebieten soll. Die Regierung hat den Reservejahrgang 1891 zu den Waffen gerufen, angeblich gegen einen drohenden Eisenbahnerausstand, möglicherweise auch gegen Albanien  .

In Mexiko   hat der Präsident Huerta zugunsten seines An­hängers Carbajal abgedankt und das Land verlassen. Carbajal ist seinerseits bereit, dem Führer der Konstitutionalisten, Carranza, die Regierung abzutreten. Zwischen beiden wurde vorläufig ein Waffenstillstand geschlossen. A. Th.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Str. 23

19

D

Auch in der Berichterstattung der Gewerkschaftskartelle kommt der Mitgliederrüdgang der Gewerkschaften im letzten Jahre zum Ausdruck. Daß aber die durch die Krise verschuldete rückläufige Be­wegung feinerlei Anlaß zu Befürchtungen gibt, beweist gerade das start pulsierende Leben in diesen für die Gewerkschaften so wich­tigen Institutionen. Es bestehen zurzeit 824 Startelle, davon kom­men 800 für die Berichterstattung in Betracht. Ihnen gehörten 9682 Zweigvereine mit 2311 837 Mitgliedern an. Die Tätigkeit der Gewerkschaftskartelle wurde namentlich durch die Arbeitslosig- 8 keit erheblich vermehrt, infolge der im Berichtsjahr viel mehr Ur­beitslosenzählungen vorzunehmen waren als im Vorjahr: 1913 wurden 179 Arbeitslosengählungen veranstaltet gegen nur 27 im Jahre 1912. Weiterhin erforderten die Wahlen zu den sozialpoli­tischen Körperschaften, namentlich die zu den Ortskrantenlaffen, einen erhöhten Aufwand an Arbeit und Geld. Trotz diefer gestei­gerten Anforderungen und trotz der Krise wurde auch sehr rührig agitiert, wurden doch 2800 allgemeine und 1125 berufliche Ver­fammlungen abgehalten, erheblich mehr als im Vorjahr. Weniger erfreulich ist, daß die Zahl der weiblichen Vertrauens­personen von 84 auf 69 gefallen ist. Wir meinen, angesichts des noch wenig günstigen Stands der Arbeiterinnenorganisation dürfte kein Mittel ungenügt bleiben, um die Proletarierinnen für den gewerkschaftlichen Zusammenschluß zu gewinnen, und ein wich­tiges Werkzeug hierfür sind weibliche Vertrauenspersonen. Die Be­schaffung geeigneter Näumlichkeiten ist von jeher eine der wich tigsten Aufgaben der Kartelle gewesen. Die Zahl der Gewerkschafts­häuser, Gewerkschaftsherbergen und der von den Kartellen unter­haltenen Versammlungssäle ist denn auch vermehrt worden. Ebenso wurde in Bildungs- und Erziehungsarbeit Tüchtiges geleistet. Ge meinsame Bibliotheken zählt man jetzt 659 und Lesezimmer 106, Bildungsausschüsse 501, und für den proletarischen Nachwuchs mir­fen 480 Jugendkommissionen. Für die unentgeltliche Rechtspflege bestehen in 112 Orten Arbeitersekretariate und in 232 Orten Aus­tunftsbureaus. Der Tätigkeitsbereich der Kartelle erweitert sich täglich. Mit der Jugenderziehung und der Arbeit für die Volks. fürsorge sind ihnen neue wichtige Aufgaben erwachsen. Sie haben fich allen ihren Pflichten mit größtem Fleiß gewidmet, auch in einer für sie nicht günstigen Zeit. So wirken die Gewerkschafts­fartelle, indem sie die Kräfte der Organisationen in erfolgreicher Arbeit zusammenfassen zum Nuzen und Wohl der Arbeiterschaft. Während sonst in dieser Zeit des Jahres auf dem Feld des Wirt­schaftslebens Ruhe herrscht, kündet heuer flirrender Waffenlärm von Zusammenstößen zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern. In der Niederlausißer Zegtilindustrie ist es zu einer großen Aussperrung gekommen. Über diesen Kampf, an dem un­mittelbar 30 000 Arbeiter und Arbeiterinnen beteiligt sind, wird an anderer Stelle des Blattes berichtet.

Nach einem halben Jahr ist der Kampf in der Solinger Waffenindustrie mit einem für die Arbeiter annehmbaren Frieden beendet worden. Noch kurz bevor es dazu kam, drohten die Unternehmer mit einer allgemeinen Aussperrung, die über 13 000 Arbeiter erfaßt hätte. Es wurde vereinbart, daß die bisherigen Preise in Kraft bleiben, ferner, daß eine Vergleichskommiffion zur Schlichtung von Differenzen eingefeht werden soll. Die Fabri­fanten verpflichten sich, ihre Arbeiten nach Möglichkeit im Solinger  Industriebezirk anfertigen zu lassen. Diejenigen Arbeitswilligen, die während des Streifs aus ihren Organisationen ausgetreten sind, haben sich innerhalb vier Wochen wieder in ihre Vereine auf­nehmen zu lassen. Die Forderung der Arbeiter, daß die Unter­nehmer die Kriegskosten zu zahlen hätten, wurde fallen gelaffen, da daran die Vergleichsverhandlungen zu scheitern drohten. Im übrigen aber bedeutet der Ausgang des langen Kampfes einen fast vollständigen Sieg der Arbeiter. Länger als ein halbes Jahr wurde auf den Linte- Hofmann- Werken in Breslau   ge­tämpft. Die Firma mußte schließlich den Arbeitern so weit ent gegenkommen, daß diese, wenn sie auch ihre Forderungen nichteil restlos durchsetzten, mit dem Grrungenen wohl zufrieden sein konn ten. So wurde denn die Wiederaufnahme der Arbeit mit 3046 gegen 382 Stimmen befchloffen. Der Kampf ist mit großer Einigkeit von Angehörigen der drei großen Gewerkschaftsorganisationen geführt worden.

Jm Bremer Hafen hatten Hafenarbeiter Lohnforderungen erhoben und waren daraufhin ausgesperrt worden. Weil sie es nun ablehnten, bedingungslos die Arbeit wieder aufzunehmen, drohen die Unternehmer eine Generalaussperrung an. Ebenso wollen die Tabaffabrikanten in Mannheim   die Aussperrung ber­hängen, weil die Arbeiter die Verlängerung des bisherigen Tarifes ohne Lohnzulage zurückwiesen und bei vier Firmen die Arbeit

18 C