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Die Gleichheit

treten. Das wachsame Auge der Gewerkschaften hat ebenfalls schon dem und jenem Prozentpatrioten das Konzept verdorben. Das Or­gan des Maurerverbandes bringt in jeder Nummer eine sogenannte Schandtafel", an der die Namen solcher Freibeuter prangen. Die Metallindustriellen und auch Textilindustrielle, die Militäraufträge ausführen, müssen in dieser Zeit des Burgfriedens" mancherorts erst durch Streifs gezwungen werden, angemessene und vertrags­mäßige Löhne zu zahlen. Die Metallindustriellen verbergen na­türlich jetzt weniger denn je ihre Vorliebe für die national­gesinnten" Gelben. Den Bewerbern, die sich auf das Inserat einer Firma hin um Arbeit melden, wird vom Unternehmerver= band der Metallindustriellen ein Schreiben zugestellt, worin der zarte Wink mit dem Zaunpfahl enthalten ist, die Firma wünsche, daß der Arbeiter dem Unterstützungsverein( Gelben Verein) der Firma beitrete. Anspruch auf Reisegeld und Sicherheit auf Einstellung wird dem von auswärts zureisenden nicht ge= geben. Der Arbeitsuchende hat also das Nachsehen, wenn er die Bedingungen nicht erfüllt, die von der Firma an seine Gesinnung gestellt werden.

Unter der außergewöhnlichen Herabsetzung der Löhne leiden be= sonders die Arbeiterinnen viel. Als nach Ausbruch des Kriegs auf dem Wirtschaftsmarkte eine Kopflosigkeit sondergleichen sich geltend machte, boten viele Angestellte, Verkäuferinnen und Arbeiterinnen an, zu niedrigeren Löhnen weiterzuarbeiten, um nur etwas zum Leben zu haben. Die Unternehmer stellten jedoch auch an das Per­sonal selbst solche Forderungen, denen man sich unter dem Drucke der mißlichen Verhältnisse fügte. Industrie und Handel haben sich im Laufe der Zeit wieder gehoben, aber die Löhne blieben häufig gekürzt. Unter vielen Beispielen eins: Die Verkäuferinnen in Warenhäusern mußten sich nach Ausbruch des Krieges eine Herabsetzung des Monatsgehaltes von 90 auf 70 Mt. gefallen lassen. Die Warenhäuser sind heute von Käufern voll wie ehedem, und die Angestellten müssen bei gleich langer Geschäftszeit ebenso­viel leisten wie früher. Die Gehaltskürzung aber blieb bestehen. Mit welchem Recht? Niemand wird das begreifen, und zwar um so weniger, als die Warenhausbesizer sehr gewinnbringende Ge= schäfte machen, indem sie sich bei Militärlieferungen zwischen Auf­traggeber und Fabrikanten schieben.

Auch die Arbeitsverteilung fordert die Kritik heraus. In man­chen Betrieben werden ganz übermäßig Überstunden geschafft, ob­gleich es sich um wenig qualifizierte Arbeit handelt, die zu er­lernen auch der ungeübten Hand ein leichtes wäre. Tausende und aber Tausende laufen indes hungernd umher und suchen vergeblich Arbeit. Viele von ihnen, die organisiert sind, werden durch die Ge­werkschaftskassen unterstützt, die das nur dank der Opferwilligkeit der beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder leisten können.

Die starke Belebung des Arbeitsmarktes in einigen Industrien wird natürlich von den betreffenden Gewerkschaften angenehm empfunden. Sie konnten sich finanziell schon wieder kräftigen, die Unterstützungen erweitern und die bisherigen Extrabeiträge auf­heben. Viele Gewerkschaften haben zum nahen Weihnachten be­sondere Gelder aus der Verbandskasse bereit gestellt und frei­willige Sammlungen ausgeschrieben, damit den Familien der im Felde stehenden Mitglieder die trübseligen Festtage erträglicher werden. Kurz, die Gewerkschaften greifen helfend ein, wo und wie sie nur können. In der Folge gibt es stets genug und übergenug Arbeit. Lobend muß da immer wieder der Tatkraft und Hingebung unserer Genossinnen gedacht werden. In vielen Zahlstellen haben sie ohne weiteres die Verbandsgeschäfte übernommen, wenn alle Funk­tionäre zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Wie man recht oft aus der Gewerkschaftspresse erfährt, erfüllen sie zur vollen Zu­friedenheit der Mitglieder die freiwillig übernommene Aufgabe. Biele Frauen bezeugen in Zuschriften an die Zentralvorstände, wie wohltätig sie in der Zeit der Not den Schuh und die Fürsorge der gewerkschaftlichen Organisation empfinden. Die Bande werden immer bewußter und fester, die die Arbeiterin und Arbeiterfrau mit den Gewerkschaften verknüpfen. Diese Entwicklung ist freudig zu begrüßen und energisch zu fördern.

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Arbeitslosenzählung im Deutschen Textilarbeiterverband. Die Oktoberzählung ergab 9531 arbeitslose Mitglieder, davon 4095 Arbeiterinnen. Im Vormonat wurden 17 574 und im Oktober des Vorjahres 2281 Arbeitslose gezählt. Am Schlusse des Monats Of­tober hatte der Verband 63 837 männliche, 48573 weibliche, zu­fammen 112 410 Mitglieder gegen 116 283 Ende September. Bei Ausbruch des Krieges zählte der Verband 133357 Mitglieder. Rund 13 000 organisierte Tertilarbeiter wurden bis jetzt zur Fahne ein­berufen, während etwa 8000 Mitglieder, die sich zu gleichen Teilen auf beide Geschlechter verteilen, durch die Kriegswirren und ihre Folgen der Organisation verloren gingen.

sk.

Genossenschaftliche Rundschau.

Nr. 7

Die ersprießliche Tätigkeit der Konsumvereine auf dem Ge­biet der Warenvermittlung in der gegenwärtigen schlimmen Kriegs­zeit wurde wiederholt auch von denen anerkannt, die vorher zu solcher Anerkennung wenig geneigt waren. Die Konsumvereine geben sich allerdings die redlichste Mühe, dafür zu sorgen, daß ihre Mit­glieder meist arme Leute möglichst wenig unter der Verteue­rung wichtigster Lebens- und Genußmittel zu leiden haben, die oft über das unvermeidliche Maß hinausgeht. Darüber wurde ja früher an dieser Stelle schon das nötige gesagt. Ein sehr interessanter Bor­gang dieser Art wird von der Konsumgenossenschaftlichen Rund­schau" berichtet. Königsberg   war bekanntlich längere Zeit in arger Striegsnot und von der Gefahr einer russischen Invasion bedroht. Daß sich unter solchen Umständen die wirtschaftlichen Verhältnisse besonders ungünstig gestalten, ist selbstverständlich. In einer Stadt­verordnetensizung beschäftigte man sich deshalb auch mit der Frage, wie der Steigerung der Lebensmittelpreise im Kleinhandel entgegen­zuwirken sei. Bei dieser Gelegenheit wurde dem Königsberger Kon­sumberein öffentlich großes Lob gespendet, weil er auf diesem Ge­biet ein schönes Beispiel der Uneigennüßigkeit gegeben habe. Ein Redner hob hervor, der Konsumverein habe nicht wie der Klein­handel die Gelegenheit benüßt, die Preise höher anzusehen, als es unumgänglich nötig war. Seine Warenpreise seien vielfach be= trächtlich niedriger als die festgesezten Höchstpreise, die ja meist im Handel zu Normalpreisen werden. Es wurde dann eine ganze Reihe Waren angeführt, deren Preise das zahlenmäßig beweisen. Diese Anerkennung ist um so bemerkenswerter, als der Konsum­verein bei der Warenbeschaffung außergewöhnliche Schwierigkeiten zu überwinden hatte. Aus den niedrigeren Warenpreisen des Kon­sumvereins wurde ferner mit Recht geschlossen, daß die Höchstpreise zum Teil viel zu hoch festgesetzt worden seien. Auch der Oberbürger­meister bestätigte das nüzliche Wirken der Genossenschaft und be= merkte, daß er gerade deshalb mit dazu beigetragen habe, das Weiterarbeiten dieses mustergültigen Betriebes zu ermöglichen.

In einem anderen Falle tritt die preisregulierende Wirksamkeit des Konsumvereins zugunsten der Allgemeinheit noch schärfer in die Erscheinung. In einer Sigung der Stadtverordneten in Wiesbaden  gab der Bürgermeister während einer Debatte über Höchstpreise folgende Erklärung ab: Der Konsumverein für Wiesbaden   und Umgegend hat in der Krise außerordentlich gut gearbeitet. Er war der Situation vollständig gewachsen. Die großen Warenvorräte, welche die Genossenschaft allein am Blaze gehabt hatte, versetzte sie in die Lage, weiter zu alten Preisen zu verkaufen. Dadurch war den übrigen Händlern die Möglichkeit genommen, mit ihren Preisen in die Höhe zu gehen. Die Arbeit des Konsum­vereins ist in dieser Beziehung dankbar zu begrüßen und lobens­wert hervorzuheben." Bemerkenswert ist in dieser Erklärung die Tatsache, daß die Preise des Konsumvereins die Händler an einer Schröpfung des Publikums verhindert haben, die sonst sicher einge­treten wäre. Beispiel auf Beispiel zeigt, wie sich die konsumgenossen­schaftliche Tätigkeit in dieser schlimmen wirtschaftlichen Not bewährt! Um so unverantwortlicher ist es, wenn trozzalledem gewisse Klein­Händlerorgane noch immer die Arbeitergenossenschaften in der klein­lichsten und rücksichtslosesten Art bekämpfen, ohne sich im geringsten an den Burgfrieden" zu kehren. So kam der Kolonialwaren­Zeitung" vor kurzem ein unglaublicher Einfall. Das Blatt er­laubte sich zu schreiben, die Konsumvereine wollten ihre Mitwir fung der Erhaltung des Vaterlandes für schnödes Geld verkaufen". Dieses Verkaufen  " soll darin bestehen, daß die Konsumvereine auch für die Beamten die staatsbürgerliche Gleichberechtigung verlangten, Konsumvereinen als Mitglieder anzugehören, ein Verlangen, dem inzwischen auch entsprochen worden ist. Es genügt wohl, das Ver­halten jenes Blattes einfach tiefer zu hängen, denn es dürfte gegen­wärtig seinen Zweck verfehlen. Eine Anzahl mittelständle­rischer Verbände haben sich an Militär-, Reichspost- und Eisen­bahnbehörden gewendet mit dem Ersuchen, den früheren Zustand wieder herzustellen, nachdem den Beamten die Zugehörigkeit zu Konsumvereinen direkt oder indirekt untersagt war. Die Erfolglosig= keit dieser Bemühungen kann gewiß als selbstverständlich angenommen

werden.

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Ein schönes Beispiel internationaler Solidarität geben in dem viel gelästerten England die englischen Vorstandsmitglieder des Internationalen Genossenschaftsbundes. Sie wenden sich mit einem Aufruf an die englischen Konsumvereine, in dem um Beiträge für einen Fonds ersucht wird, der gesammelt und ver­wendet werden soll, um in England, aufhältige unschuldige deutsche, österreichische und ungarische Feinde" zu unterstützen. Es heißt unter anderem in dem Aufruf: Diese Pflicht liegt uns nicht nur