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Die Gleichheit

Einrichtung der Probeehe zwecklos. Die Probezeit kann unter Umständen zu einem Erziehungsmittel für Ehegatten werden, die wirklich gemütlich an dauerndem Zusammenleben interes siert sind; sie kann aber auch zu heuchlerisch freundlichem, also unmoralischem Gebaren wenigstens während der ersten ge­fährlichen" zwei Jahre führen, wenn, wie gesagt, auf einer Seite ein materielles oder anderes besonderes Interesse zur Weiterführung der Ehe vorliegt.

§ 3. Die Unterbringung und Erziehung der Kinder nach getrennter Probeehe ist wohl das schwierigste Kapitel der ganzen Frage. Selbstverständlich bestehen diese Schwierig keiten auch schon unter den heutigen Verhältnissen. Wenn aber die Probeehe überhaupt einen Sinn haben soll, muß mit erheblich vermehrten Ehescheidungen( nach zwei Jahren) gerechnet werden. Die Einrichtung der Probeehe würde aber auch zu vermehrten erstmaligen Eheschließungen führen; dies soll ja einer ihrer Zwecke sein. Es würde also die Zahl der Familien ohne Mann( eine traurige, durch die Kriegsverluste häufig gewordene Erscheinung) noch wesentlich vermehrt werden. Die getrennte Ehefrau soll wieder dem Broterwerb für sich und ihre Kinder nachgehen. Die Kinder müssen also während des Tages in Horten untergebracht werden. Die Häuslichkeit wird vernachlässigt. Die Erziehung der Kinder ( besonders der Knaben) leidet unter der einseitigen Be­einflussung durch die Mutter( den fehlenden väterlichen Ein­fluß; siehe die Jahre 1914/18!). Die Aussicht auf Wieder­verheiratung ist äußerst gering, einmal, weil die Frau mit Kindern an sich wenig begehrt ist, und dann, weil der ge­trennten Frau immer der Verdacht der Mitschuld an der Trennung und deshalb des Vorhandenseins wesentlicher Charakter- oder anderer Fehler anhaftet.

Es muß nun jedem Mädchen überlassen bleiben, zu be­urteilen, ob ihm unter solchen Umständen die Mutterschaft noch begehrenswert erscheint, oder ob sie es nicht vorziehen soll, wenn es ihr nicht vergönnt war, nach allseitiger reif licher Prüfung ihrer selbst und ihres künftigen Ehegatten mit voller überzeugung in die Dauerehe zu gehen, in zu­sagendem Wirken für die Gesellschaft und damit für sich

und zur Magd des Mannes erniedrigt. Während des ganzen Mittel­alters bis in die Neuzeit hinein war die Frau, aller schwärmerischen Verherrlichung durch Sänger und Dichter zum Troz, von dem Mann wirtschaftlich abhängig und infolgedessen sozial minderwertig. Diese Abhängigkeit drückte auch ihrem Geistes- und Seelenleben den Stempel auf. Die Ehefrau sollte unter Verzicht auf Bildung sich ausschließ­lich dem Hauswesen widmen und dem Manne das Leben angenehm machen; ihre hauptsächlichsten Tugenden waren Treue, Gehorsam, Unterwürfigkeit und Opfersinn, ihr ganzes Dichten und Trachten follte darauf gerichtet sein, für den Mann zu leben, ihre eigene Persönlichkeit sollte verschwinden im Dienste des Mannes.

Wenn auch vielleicht die eine oder andere Frau sich innerlich und äußerlich gegen diese Versklavung durch den Mann aufbäumte, so fand sich doch die große Masse der Frauen damit ab und fügte sich widerstandslos ihrem Schicksal, wozu natürlich die Erziehung der weiblichen Jugend wesentlich mit beitrug. Es bildete sich ein Frauenideal, das uns moderne Menschen geradezu vor­sintflutlich anmutet. Die Frau unterwarf sich willenlos und ohne zu murren dem Willen und den Launen des Mannes, demütig und unter Ertötung ihrer eigenen Persönlichkeit ließ sie alles über fich ergehen, was der Mann mit ihr anstellte. In zahlreichen Dar­stellungen erzählen uns die Dichter von der Frau als das Opfer männlicher Willkür, und zwar erzählen sie uns dies nicht im Tone der Mißbilligung oder gar der sittlichen Entrüstung, sondern in Ausdrücken hohen Lobes über das Verhalten der guten Frau.

Eine der bekanntesten Erzählungen dieser Art ist die Sage von der Markgräfin   Griseldis. Die berühmtesten Dichter: Petrarca   und Boccaccio   in Italien   und Chaucer   in England haben an diesem Stoffe ihre Kunst erprobt, Hans Sachs   hat ihn zu einem Schau­spiel verarbeitet, und in den Volksbüchern ist er Jahrhunderte hin­durch lebendig geblieben. Die Sage erzählt uns von dem Mark­grafen Walter von Saluzzo in Piemont, der die wunderschöne tugendreiche Tochter Griseldis eines blutarmen Landmannes zu seiner Gemahlin erwählt, nachdem sie gelobt hat, ihm in jeder Weise zu Willen zu sein. Die Braut wird in den Kreis der Herren und Damen des Hofes geführt, ihrer ärmlichen Kleidung entledigt

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selbst, in ungestörter und ungehemmter Arbeit an der Ent­wicklung ihrer und ihrer Genossinnen Persönlichkeit ihr Lebensglück zu suchen.

Angesichts der vorstehenden schwerwiegenden Bedenken gegen die Probeehe scheidet ein etwa vorhandener geheimer ,, bevölkerungspolitischer" Mitzweck der Probeehe natürlich vollständig aus. Derartige, bewußt auf stärkere Vermehrung der Bevölkerung ausgehenden Bestrebungen werden mit Recht heute fast allseitig aus guten Gründen abgelehnt.

§§ 4, 6, 7, 8, 10. Auf die Schwierigkeiten der Eintreibung der beiderseitigen Beiträge zur Unterhaltung und Erziehung der Kinder, die durch böswillige Entziehung, Arbeitslosig­keit, Krankheit usw. entstehen können, sei hier nur hinge­wiesen. Die einseitige starke Belastung des Mannes mit Ab­gaben bei Trennung der Probeehe sowohl wie die ungünstige Stellung der getrennten Frau würde zweifellos die Zahl der Trennungen wie auch die der Wiederverheiratungen ver­mindern; durch die Erschwerung der Trennung aber würde ja gerade der Hauptzweck der Probeehe aufgehoben, und wir fämen wieder ungefähr zu den augenblicklichen Verhältnissen, daß nämlich viele unglückliche Ehen aufrechterhalten werden. Die Probeehe hebt, wenn sie die Trennung erschwert, ihren Hauptzweck selbst auf; erleichtert sie, ihrem Sinn entspre­chend, die Trennung, so führt das, besonders bei der dann bedeutend größeren Zahl der Trennungen, zu schweren Nach­teilen für Frau und Kinder( siehe das vorstehend unter§ 3 Gesagte).

Richtiger erscheint mir deshalb fürs erste eine liberalere und schnellere Handhabung des Ehescheidungsverfahrens beim Vorliegen ernster Gründe. Die gründlichste Besserung der Stellung der Frau im Staatsleben sowohl wie in der Ehe kann aber nur dadurch herbeigeführt werden, daß die Frau immer mehr arbeitend und kämpfend, durch Organi­sation, Selbstbildung und Erziehung, ihre wirtschaftliche und geistige Selbständigkeit erhöht. Mit dem zunehmenden Be wußtwerden des eigenen Wertes wird sie auch immer mehr davon abkommen, sich dem ersten besten Manne fritif- und würdelos an den Hals zu werfen. Das eigene Wertbewußt­

und mit prächtigen Gewändern geschmückt. Sie soll ihrem Herrn und Gemahl eben alles verdanken. Ihr alter Vater Giamicola, ein vorsichtiger Mann, packt die schlechten Kleider in eine Truhe und trägt sie heim, vielleicht kann sie sie später noch einmal gebrauchen. Dann findet die Hochzeit unter großen Feierlichkeiten statt, und die Ehe verläuft zunächst ganz glücklich.

Nachdem Griseldis ihrem Gemahl eine Tochter geboren hatte, be­schloß der Markgraf, sie auf die Probe zu stellen, ob ihre Treue und ihre Ergebenheit unerschütterlich sei. Eines Nachts trat er an ihr Bett und erklärte, das Volk sei unwillig darüber, daß sie ihm teinen männlichen Erben geschenkt habe, und um es zu beruhigen, sei er entschlossen, das neugeborene Kind beiseite zu schaffen und töten zu lassen. Mit blutendem Herzen, aber in ihr Schicksal er­geben, liefert sie das Kind dem Diener aus, der es fortschafft. Nur um ein ehrliches Begräbnis für das arme Kind bittet sie, da­mit die Leiche nicht den Hunden und Raben zum Fraße werde. Der Diener bringt das Kind des Grafen zu dessen Schwester in Bologna  , wo es aufgezogen wird. Als die Markgräfin   später einem Knaben das Leben schenkt, wird ihr auch dieser entrissen und nach Bologna  gebracht. Wohl trauert sie um den Verlust der beiden Kinder, und mit ernster Miene versorgt sie das Hauswesen, aber ihr Verhalten gegen ihren Mann bleibt nach wie vor unverändert. Nach zwölf Jahren wird sie auf eine noch härtere Probe gestellt. Der Mann erklärt ihr, sein Volk verlange dringend, daß er sie verstoße und ein Weib aus edlem Stande freie, er habe bereits vom Papste die Erlaubnis eingeholt, seine Ehe zu lösen und eine neue einzugehen. Voll Ergebung beugt sie sich seinem Willen, legt ihre kostbaren Kleider und die Schmucksachen ab und kehrt nackt und bloß in ihre väterliche Hütte zurück, wo sie sich in die ärmlichen Lumpen hüllt und die Arbeit einer Magd verrichtet. Ohne ein Wort der Klage oder des Vorwurfs trägt sie ihr Schicksal, ja sie entschuldigt sogar noch ihren Mann, daß er nicht anders handeln könne, denn hoch und niedrig paßten nun einmal nicht zusammen. Nach einiger Zeit verbreitet sich das Gerücht im Lande, daß der Markgraf   seine junge adelige Braut nebst ihrem Bruder eingeholt habe und daß die Hoch­zeit stattfinden solle. Er erscheint bei Griseldis und fordert sie auf,