Nr. 7Mit besonderer Wärme tritt sie ein für eine Veredelung dererotischen Beziehungen. Das Verhältnis von Mann und Weib,harmonisch ausgestaltet, gilt ihr als Quelle aller körperlichen undgeistigen Kraft In Wort und Schrift und Tat bekämpft sie dieUnmoral der heutigen Moral. Kein Strafgesetzparagraph vermagsie davon abzuhalten, auch in ihrerärzllichen Praxis zu tun, was ihrsoziales Gewissen ihr vorschreibt.Und wäre es nach ihren Berufs»kollcgen gegangen, dann hätte dieedle Frau ihr Leben wohl imZuchthaus beschlossen. VierzehnTage vor ihrem Tode aber schicktsie als letztes Mahnwort eine Ar-beit an die Strafrechtszeitung, inder sie sich gegen den Klassen-charatter der 8§ 218, 219 wendetund die Straffreiheit der Unter-brechung der Schwangerschaft for-dert. Aber schon viel eher hat sieden Plan eines großen Frauen-Heims entworfen und dafürFreunde geworben, hat sie durchEinrichtung eines mustergültigenVersuchskindergartens, durch Sie-delungspläne, durch praktische Auf-klärungsarbeit gezeigt, wie dasBevölkerungsproblem in sozialisti-schem Sinne zu lösen ist. Und dochist ihr die wirtschaftliche Fragenicht das Primäre. Was wirbrauchen, ist ein neuesHerz, pflegte sie zu sagen Und aus dieser Erkenntnis er-wächst ihr glühende? Interesse für Unterrichts- und Erziehung?-fragen, an deren Lösung sie in ihrem Wirkungsort Münchenmit aller Energie, deren sie fähig ist, arbeitet. Aber auch dakommt es ihr nicht so sehr darauf an, daß ihr Name genanntwird, als daß geschieht, was ihrwerwoll erscheint. Pädagogenvon europäischem Ruf haben vonihr Anregung und Hilfe bckom-men Und als die Philister ihram Ende ihr liebstes Kind, dieMünchener Versuchsschule, ausden Händen rissen, da waren siesich wohl bewußt, daß das dereinzige Schmerz war, den mander' Sechzigjahrigen nach demHeimgang ihres Lebensgefährtennoch anzutun vermochte.— DerKrieg hatte sie in vieler Be-ziehung noch härter getroffen alsdie meisten von uns.Sie war geborene Engländerinund liebte ihre Kinderheimat mitder ihr eigenen Treue. Nichtminder verwachsen aber war siemit Deutschland, in dem sie vierzigJahre fruchtbarer Arbeit verlebthatte. Im Oktober 1914 gehtsie unter falschem Paß nach Eng-land, tritt dort in lebhaste Be-ziehung zu Ramsay Macdonald,Norman Angell und anderenführenden Geistern der englischenFriedensbewegung. Erst imJanuar 191S kommt sie mitwertvollen Aüfschlüsien über daspolitische Leben in England nachMünchen zurück und macht mitihrer kleinen Schrift.Kriegs-gegner in England� den mutigenVersuch, den lodernden Völterhaß zu bekämpfen. Ein gütigesGeschick hat Hope Bridget Adams Lehmann davor bewahrt,diesen Frieden mitzuerleben. Und doch sehe ich sieauch in diesen Tagen tiefster Vvlksnot. frei von Haß, mit einemkleinen, mutig/n Lächeln und den klaren Augen in die Ferneschauen:.Kind, täuschen wir uns nicht, es ist nur Märzensturm,der Völkerfrühling muß kommen!" Antonie P s ü l f.Dr. med. Hope Bridget Adams LehmannAls ihre Gesundheit dafürverschiedenes, Mäntelnähen u.Ottilie Baader-DiedrichsOttilie Baader-DiedrichsDie, von der wir zuletzt sprechen, ist eigentlich die Erste. Un-zenrennlich ist da» Erwachen der arbeitenden Frauen mit ihremNamen verknüpft. Und der Lebenden dürfen wir unserenDank bringen. Bald 7S Jahrezählt Ottilie Baader anJahren, aber ein quellfrische»Jungsein strömt aus von dieserschlichten, wundervollen Frau.Ottilie Baader ist 1847 inFrankfurt a. d. O. geboren. DerVater arbeitete dort in einerZuckerfabrik. Sie war die zweitevon vier Geschwistern. DieMutter starb früh, und Ottiliemußte schon mit sieben Jahrenfür den Haushalt sorgen. AlsOttilie 13 Jahre alt war, zogder Vater mit den Kindern nachBerlin. Sie hatte in Frankfurteinige Jahre eine Mittelschulebesucht, in Berlin war es aberdann mit dem Schulbesuch vorbeiund sie mußte arbeiten. Sieleinte zuerst Wäschenähen, nochmit der Hand, wie es damalsüblich war, hat dann späterin einer Wollfabrik gearbeitetund dort alle Leiden derFabrikarbeiterin um die KOerJahre herum kennengelernt.nicht mehr reichte, versuchte siea., dann aber lernte sie Maschine-nähen, kaufte sich dann später selbst eine Maschine und hat dannauch das Los der He-mardeiterin während vieler Jahre hindurchgründlich kennengelernt. Sie lebte mit ihrem Vater, der nichtmehr arbeiten konnte, zusammen.Aus der Kirche ist Ottilie Baadererst in ihrem 30. Jahre ausgeschieden. Sie war, wie sie selbsterzählt, eine tiefreligiöse Natur,vor allem in ihren jungen Mäd-chenjahren, aber die Kirche hatsie in vielen ihrer Formen ge-radezu abgestoßen. So ist sieeinmal zu Ostern in die Kirchedes bekannten Berliner Predi»gers„Tränenschulze" gegangenund hat dort mit einer Schwä-gerin zusanimen das Abendmahlgenommen. Als sie aber ausder Kirche kamen, haben sie sichbeide nur angesehen und danngesagt:„Nie wieder!"— Sie hatdann aber auch alle Leiden, alldie Mutlosigkeit der älter werden-den Frau, die nur für die Arbeitvon morgens in aller Frühe bisin die späte Nacht hinein da ist,die von allem Lebenswerten undSchönen ausgeschlossen ist, durch-machen müssen. Einen Inhaltbekam ihr Leben erst, als sie mitder Sozialdemokratie in Bcrüh-rung kam, als sie anfing, sozial-demokratische Versammlungen zubesuchen. Das war kurz vor Erlaßund während des Soziolistenge-setze». Diese Versammlungen wur-den natürlich nicht als„sozial-demokratische" angekündigt, son-dern es waren Versammlungen der Schästeorbeiter, der Maurerund anderer Berufe. Eingeführt wurde sie in diese Kreise durch die„Freie Gemeinde", der sie und ihr Vater sich nach ihrem Austrittaus der Kirche angeschlossen hatten. Sie erzählt selber, wie sie zu-erst erstaunt aufhorchte, wenn sie die Menschen in diesen Versamm-limgen so frei von der Leber weg sprechen hörte. Auch sie hat dannfast durch einen Zufall sprechen gelernt. Und es dauerte nicht lange,