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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Ballsaal auf den Drachenfels  ", wo die werdenden Schwieger- und Großmütter thronen! Haltet das deutsche Haus rein!

Prüft man das Buch und das Problem, soweit ein solches darin aufgerollt wird, vorurteilslos, so wird man sich zu feinem der beiden Heerhaufen schlagen können. Als erstes Gefühl nach der Lektüre des wenig umfangreichen Bandes stellt sich eine ehrliche Enttäuschung ein, denn zweifellos finden sich in der gewaltigen Bücherwelle, die jährlich über den Markt dahinrauscht, Werke von ähnlich dokumen­tarischer Bedeutung und tieferem Werte, die unbemertt vorüber­gehen. Dieses hat vor den anderen Glück gehabt und ist zu einem Verlegererfolg und zu dem geworden, was man das Buch der Saison nennt. Dann flößt die Heldin der Tagebuch aufzeichnungen beim besten Willen zum seelischen Verständnis im ersten Augenblick kaum ein anderes als medizinisches Interesse ein. Diese Elsie Lindtner ist ein reiches, verwöhntes, hysterisches Weibchen, das zwei Jahrzehnte mit ihrem Gatten friedlich zusammengelebt und ohne Bedenken und nicht ohne innere Teilnahme alle ehelichen Pflichten erfüllt hat, und das ihm im zweiundvierzigsten Jahre seines Lebens davongeht, ohne ersichtlichen äußeren Grund, nicht von einer Leiden­schaft fortgeriffen: sie muß fort von den Menschen, heraus aus dem Ganzen". In Einsamkeit und Abgeschiedenheit läßt sie sich eine Villa bauen und lebt nun dort, mehr und mehr einer wachsen­den Männertollheit verfallend. Schließlich bietet sie sich einem jüngeren Manne an, der früher einmal für sie in Leidenschaft flammte. Dieser kommt, sieht die Spuren des Alters an dem einst geliebten Weibe, die Krähenfüße um die Augen, die formlofen Hüften und wendet sich. Nur damit er ihr ewiges Weh und Ach aus dem einen Punkte kuriere, wirft sie sich darauf ihrem geschiedenen Manne wieder an den Hals, aber auch er dantt: mit einer Neun­zehnjährigen hat er sich bereits verlobt. Dazwischen orakelt Elsie Lindtner in den seltsamsten Aphorismen über die Beziehungen der Geschlechter zueinander, die meist von der Tiefe jenes vielzitierten Wortes sind: Wenn Männer ahnten, wie es in uns Frauen aus­fieht, wenn wir über die Vierzig hinaus sind, sie würden uns fliehen wie die Pest oder uns niederschlagen wie tolle Hunde."

Zweifellos ist diese unbefriedigte Hysterika ein Typ, der in der weiblichen Bourgeoisie von heute nicht gerade selten ist und der neben der schneidenden sozialen Not unserer Zeit mit seiner win­selnden erotischen Not fast verächtlich erscheinen mag. Denn mehr noch als von den großen Leidenschaften der Seele gelten hier die Verse der Ada Christen:

All euer girrendes Herzeleid

Tut lange nicht so weh

Wie Winterkälte im dünnen Kleid,

Die bloßen Füße im Schnee.

All eure romantische Seelennot Schafft nicht so herbe Pein,

Wie ohne Dach und ohne Brot Sich betten auf einen Stein.

Körperlich ausgeruht und überernährt, geistig unbeschäftigt, ge­schlechtlich unbefriedigt, mag dieser Typus wohl schließlich in dem Verhältnis zum Manne den Mittelpunkt alles Seins, Fühlens und Denkens finden und von einer hißigen Brunst verzehrt oder zu Ratastrophen getrieben werden. Man täte im übrigen Karin Michaelis   unrecht, wenn man glaubte, sie hätte dieses Entartungs­geschöpf als ein Vorbild hinstellen wollen. Ich hatte," mit diesen Worten hat sie sich darüber ausgelassen, tatsächliche Beobachtungen an einer Anzahl mondainer Frauen, Gesellschaftsschönheiten gemacht. Der Zusammenbruch, den sie erlitten, wenn es galt, Abschied von der Jugend zu nehmen, gestaltete sich mir zum tünstlerischen Pro­blem. Es gibt ein gefährliches Alter, eine Krisis für die Mehrzahl, aber so wie meine Frau Elsie Lindtner erleben sie die Inhaltslosen, Leeren, Krankhaften. Ich habe doch die Heldin ironisiert als eine mit Flittergold übertünchte, geistig abnorme Frau. Vielleicht habe ich ihr mitunter Dinge in den Mund gelegt, die ich denke und nicht scharf genug herausgehoben, was sie meint, so daß es als meine Ansicht gilt."

Aber es geht doch nicht an, das Buch lediglich als eine litera­rische Sensation oder eine Modetorheit zu verwerfen. Mag der Typ, den es schildert, ein unerfreuliches Produkt einer sich zersetzenden Gesellschaftsordnung sein, so ist er doch auch zugleich ihr Opfer. Und wenn der Widersinn unserer sozialen Verhältnisse, im letzten Grunde bedingt durch den Konflikt zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, sich bei den Besitzenden in derlei erotischen Leibes- und Seelennöten äußert, so steckt auch darin ein Stück Tragik. Es ist ja eines unserer wuchtigsten Argumente gegen die bestehende kapitalistische Ordnung, daß ihr Druck Mitgliedern aller Klassen auf die eine oder andere Art unerträglich wird, und wie unsere

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sozialistische Erkenntnis den spießbürgerlichen Hohn über die alte Jungfer" ebenfalls eines und vielleicht das jämmerlichste Opfer unserer Gesellschaftsordnung als eine verständnislose Graufam­keit brandmarkt, so sollten wir uns auch nicht an dem billigen Spott über jene anderen Opfer genügen lassen, ob uns nun ihre Erschei­nung menschlich sympathisch ist oder nicht.

Sobald man den Horizont weiter spannt, kann man sogar einen Fortschritt der Entwicklung darin erkennen, daß auch die Frauen zwischen vierzig und fünzig ihr Recht auf Leidenschaft fordern. An sich wäre es eine sehr dankenswerte und ergiebige Aufgabe, zu untersuchen, wie sich in den Dramen und Romanen das Lebens­alter der Heldinnen immer höher hinaufschiebt. Es würde sich er= geben, daß Karin Michaelis   mit ihrer Frau von Vierzig schon Vor­gänger gehabt hat. Ganz zu schweigen von Balzac  , der den Back­fisch zur Seite schob und die Frau von dreißig Jahren einführte, schrieb bereits vor Jahrzehnten der berühmte französische   Kritiker Jules Janin  : Die Frau von dreißig, vierzig Jahren war früher ein Territorium, das als verloren für die Passion, das heißt für den Roman und das Drama galt; aber heutzutage, dank der Ent­deckung jener lachenden Gefilde, herrscht die vierzigjährige Frau allein in Drama und Roman. Diesmal hat die neue Welt ganz die alte Welt unterdrückt, und die Frau von vierzig Jahren besiegt das junge Mädchen von sechzehn. Wer klopft?" ruft das Drama mit seiner tiefen Stimme. Wer ist da?" schreit der Roman mit seiner hohen Fistel. Ich bin es," antwortet zitternd das sechzehnte Jahr mit seinen Perlenzähnen, seinem Busen von Schnee, mit seinen weichen Linien, seinem frischen Lächeln, seinem sanften Blick. Ich bin es. Ich stehe in dem Alter wie Julie bei Racine, Desdemona bei Shakespeare  , Agnes bei Molière  , Zaïre   bei Voltaire  , Manon Lescaut   beim Abbé Prévost  , Virginie bei Saint Pierre. Ich bin es, ich habe dasselbe liebliche, flüchtige, bezaubernde Alter wie alle jungen Mädchen bei Ariost  , bei Lesage, bei Byron und Walter Scott  . Ich bin es, ich bin die Jugend, die hofft, die unschuldig ist, die ohne Furcht einen Blick, schön wie der Himmel, in die Zukunft wirft. Ich habe das Alter der kenschen Neigungen, aller edlen Instinkte, das Alter des Stolzes und der Unschuld. Weist mir meinen Platz an, lieber Herr!" So spricht das liebliche Alter. von sechzehn Jahren zu den Romanschriftstellern und Dramen­dichtern. Wir sind," lautet die Antwort, mit deiner Mutter be­schäftigt, Kind; komm' nach zwanzig Jahren wieder, und wir wollen sehen, ob wir etwas aus dir machen können."

Warf sich Jules Janin   hier zum Verfechter der Sechzehnjährigen gegen die Vierzigjährige auf, so unterließ er es, nach dem Grund zu forschen, der die Vierzigjährigen im Leben wie in der Literatur an eine Stelle rückte, an der sie früher nie gestanden haben. Ohne Zweifel prägte sich darin ein Fortschritt in der Befreiung der Frau aus. Nach der Zertrümmerung des Mutterrechts hat die von Männern beherrschte Gesellschaft des Privateigentums das Weib zum Geschlechtstier entwürdigt mit dem einzigen Zwecke, den Vätern Erben zu gebären. Aber um ganz zweifelsfrei legitime Erben zu gebären, mußte gleichzeitig in diesem Geschlechtstier Weib das Geschlecht nach Kräften gefesselt werden. Der Orientale behängte zu diesem Ende sein Weib mit Schleiern und sperrte es hinter Gitterwerk; für den Abendländer tat eine juristische Vergitterung und eine moralische Verschleierung dieselben Dienste. Von der Überzeugung durchdrungen, daß heißes Blut das Schloß auch des raffiniertesten Keuschheitsgürtels zu sprengen vermag, hat die Ge­sellschaft durch Jahrtausende hindurch dem Gefühl des Weibes Ketten angelegt. Sie hat ihm suggeriert, daß, was beim Manne eine flüchtige Entgleisung der Minute ist, für die Frau die dauernde Schande des Lebens bedeutet; sie hat ihm eingeredet, daß durch natürliche Bestimmung der Mann zur Vielweiberei, aber nicht das Weib zur Vielmännerei neige; sie hat ihm beizubringen gewußt, daß wieder von Natur die Frau weniger sinnlich sei als der Mann. In allen medizinischen Handbüchern findet sich diese Lüge einer Gesellschaft, deren Gesetze bis heute nur von Männern ge­schrieben wurden, und eine Lüge, denselben Gründen entsprungen und demselben Zwecke geweiht, ist es, wenn man die Frau zwischen vierzig und fünfzig zwingt, nicht mehr Weib zu sein und schon in ihrem Außeren, schmucklos gekleidet, auf alle die Reizmittel Verzicht zu leisten, die nun einmal im Verkehr der Geschlechter eine so große Rolle spielen. Nicht die Natur in ihrer unerschöpflichen Güte, son­dern die engherzige Gesellschaftsordnung des kapitalistischen   Privat­eigentums ächtet es als einen Schimpf und eine Schande, wenn sich eine Frau mit grauen Haaren bacchantisch benimmt, während fie für einen greisen Sünder männlichen Geschlechts das verstehende und verzeihende Lächeln immer bereit hat. Hätte die Natur das Weib von seinem vierzigsten Jahre ab zur Entsagungsrolle ver­dammt, so hätte sie auch von diesem Jahre ab den Brand der