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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Diesem ganz und gar ursprünglichen Geiste, dem, wie nur je dem jungen Goethe, Dichten, Schreiben glückselige Gelegenheits­arbeit im innerlichsten Sinne des Wortes war, riet der ältere Goethe in einer steifleinen- wohlwollenden Rezension der Jenaer Literatur­zeitung, er solle einmal zu mehrerer Übung hochdeutsche Verse ins Allemannische übersetzen. O neinum größere Formenreinheit war es Hebel so wenig zu tun wie je einem Wiesenblumenstrauß um ein venetianisches Glas oder einer Schwarzwaldlandschaft Hans Thomas um eine Seidentapete. Goethe   hat Hebel nicht verstanden. Jean Paul   wußte es besserer, der Liebling Hebels. In seiner er, der Liebling Hebels. In seiner bizarr- begeisterten Art rief er aus, da er es nicht deutlicher sagen konnte, man solle Hebel lesen wie alles Gute, wenn nicht einmal, so doch wenigstens" zehnmal. Dr. Wilhelm Hausenstein  . Bemerkung. Gedichte und Schazkästlein sind bei Reclam   zu haben( 24, 143, 144). Die Gedichte sind unbedingt im Originaltext zu lesen; übersetzung ist unmöglich. Der Gedichteausgabe bei Reclam  ist ein Wörterverzeichnis beigefügt.

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Deutsche Kulturgeschichte

im Lichte unserer Fremd- und Lehnwörter.

Von E. Soernle.

( Schluß.)

Die italienischen   Städte hatten die Situation, die durch die Kreuzzüge geschaffen wurde, energisch ausgenügt. Genua   riß den Handel an sich, der seit uralten Zeiten von Ost- und Südasien   sich nach dem Schwarzen Meer bewegte, und Venedig   beherrschte den Handel mit Agypten   und den Arabern. Von Norditalien   famen die Maultierkarawanen nach Deutschland   mit den Erzeugnissen Süd­ europas   und des Drients, wie Zucker, Melone, Ingwer( früher Gingiber) und Safran. Solche Wörter sind zum Teil arabischen oder indischen Ursprungs.

Die Araber entfalteten damals eine blühende Kultur, und das Abendland stand, namentlich auf wissenschaftlichem Gebiet, in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu der arabischen Welt. Das fönnen wir schon an der Menge der Wörter erkennen, die auf Um­wegen über andere Sprachen oder unmittelbar aus dem Arabischen in den deutschen Wortschatz gelangten, zum Beispiel Alchymie  , Almanach, Algebra, Alkohol, Admiral, Diwan, Matratze, Damast, Alkoven.

Die Kreuzzüge hatten Bahn gebrochen für die frühkapitalistische Entwicklung. Nicht nur in Italien  , auch in Deutschland   blühten die Handelsstädte empor, mächtige Handelshäuser geboten auf dem Weltmarkt. Aber daß diese Bewegung von Italien   ausging, sieht man an italienischen   Lehnwörter wie Bant, Tara, Brutto, Netto, Tratte, Agio, Giro und anderen taufmännischen Ausdrücken.

Die kapitalistisch- bürgerliche Entwicklung hatte ein neues Geistes­leben zur Folge. Kunst und Wissenschaft fanden die materielle Möglichkeit und die innere Kraft, sich ihrer kirchlichen Gebunden­heit zu entledigen. Der kühne Handelsherr, der ganzen Flotten gebot, fühlte sich nicht mehr ausschließlich als Mitglied einer Gemeinschaft, die ihren Mittelpunkt in der Kirche hatte; er lebte nicht mehr um der Kirche willen, sondern um seiner selbst willen. Der Mensch wurde Selbstzweck. Im heidnischen Altertum war bereits eine solche Ent wicklungsstufe erreicht worden. Und als von den andrängenden Türken gehetzt, im fünfzehnten Jahrhundert griechische Gelehrte nach Italien   tamen und die Kenntnis antiker Kunstdenkmäler und Wissenschaften sich verbreitete, da hob ein Zeitalter der Renaissance, der Wiedergeburt, an, und zwar zuerst in Italien  .

Auch in Deutschland   begann man eifrig, die griechischen und römischen Schriftsteller zu studieren. Die Gelehrtensprache war allenthalben Latein, eine Menge Universitäten wurden gegründet. Diese Gelehrtenbewegung nannte man Humanismus  . Bis auf den heutigen Tag spricht man von humanistischen Gymnasien. Die wissenschaftliche Sprache ist seit jener Zeit durchsetzt mit lateini­schen und griechischen, zum größten Teil höchst unnötigen Fremd­wörtern. Auch wurden Bezeichnungen für politische Einrichtungen der Griechen und Römer furzweg auf moderne Verhältnisse über­tragen, auf die sie streng genommen gar nicht paßten. So sprechen wir heute noch von einem Senat, Wagistrat und dergleichen. Die Studenten schufen sich allerlei seltsame Wortformen, indem sie an deutsche   Wörter griechische oder lateinische Endungen anhängten, zum Beispiel burschifos, Pfiffifus, Luftibus, Schwachmatifus.

Seit der Mitte des siebzehnten und im achtzehnten Jahrhundert waren die Franzosen die tonangebende Nation Europas  . Das stehende Heer des französischen   Königs wurde vorbildlich für alle absoluten Fürsten Deutschlands  , daher heute noch so viele militä­rische Bezeichnungen französische Fremdwörter find. In bezug auf

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Eleganz, Geschmack, Mode stand Frankreich   lange Zeit an leitender Stelle, was wir an den vielen französischen   Bezeichnungen für Putz­und Friseurartikel, für allerlei Delikatessen und Luxuswaren ents nehmen können. Noch heute ziehen viele Gewerbetreibende rein französische Bezeichnungen, zum Beispiel coiffeur  , café, charcutier den deutschen Wörtern oder den unserer Sprache einverleibten Lehnwörtern vor, wie man auch häufig französische Wortwendungen neben deutschen findet, zum Beispiel Friseuse neben Friseurin, Directrice neben Direktorin. Bemerkenswert ist dabei, daß wir manches Fremdwort in einem ganz anderen Sinne gebrauchen, als dies in seiner Heimat der Fall ist, zum Beispiel heißt unser Eisen­bahncoupé( Abteil) auf französisch compartiment, was wir Rouleau nennen heißt le store. Gänzlich überflutet mit französischen   Fremd­wörtern war Deutschland   im siebzehnten und achtzehnten Jahr­hundert, die Gebildeten sprachen fast nur Französisch, bei den à la mode Menschen war mindestens jedes zweite Wort französisch, ein Zeichen, welch schwere Wunden unter anderem der Dreißigjährige Krieg der deutschen Kultur geschlagen hatte. Gelehrte und Sprach­gesellschaften haben sich seither um die Reinigung der Sprache be­müht, aber noch heute leiden wir an dem Ballast ganz unnötiger Fremdwörter, die statt die Sprache zu bereichern, ihre Deutlichkeit nur verdunkeln.

Der Überschwemmung Deutschlands   mit französischen   Worten ging seit dem siebzehnten Jahrhundert ein fleinerer italienischer Strom zur Seite. Die Italiener brachten uns mit ihrer Musik und Oper eine Unmasse italienischer musikalischer Fachausdrücke, zum Beispiel Largo, Allegro, Piano, Rondo usw. Auch die Bezeichnung Ballade für ein erzählendes Voltslied stammt aus Italien  .

Mitten unter den Deutschen   wie unter den anderen Völkern fristeten seit Jahrhunderten die Juden ein gedrücktes und gehetztes Dasein. Von allem gesellschaftlichen und politischen Leben aus­geschlossen, wie auch von den meisten Erwerbszweigen, lebten sie von Geldgeschäften oder Hausierhandel. Ost fielen fie dem irre­geleiteten Hasse des Volkes und der Habgier der Fürsten  , immer aber der Spottsucht des christlichen Pöbels zum Opfer. So kommt es, daß die meisten Wörter jüdischen Ursprungs, die in Schriftsprache oder Mundart heute noch gebräuchlich sind, dazu dienen, Gering­schätzung auszudrücken oder jedenfalls einen verächtlichen Beiklang haben, man denke nur an Wörter wie Gauner, Schacher, Pleite, schmusen, schofel, koscher.

Auch von den östlichen Nachbarn, den slawischen Völkern, zum Beispiel Russen, Tschechen, Polen  , haben die Deutschen   allerlei Wörter übernommen, die den östlichen Kulturverhältnissen ent­sprechen. Wörter wie Knute, Kutsche, Peitsche, Droschke, Dolch, Petschaft, pomadig, Hallunke sind slawischen Ursprungs. Das Wort Stlave ist aus Slave entstanden. In den unaufhörlichen Kriegen im Mittelalter der Deutschen   mit ihren östlichen Nachbarn, den Slawen, wurden von den Deutschen   eine Menge Kriegsgefangener gemacht und an die Italiener und Franzosen als Knechte verkauft. Im Munde der Romanen wurde der Name zu esclave, esclavo, schiavo und erhielt die Bedeutung nicht des Volkes, sondern des Standes( Knecht). Von den romanischen Ländern kam das Wort wieder nach Deutschland  .

Solche zurückgeflossene Lehnwörter gibt es eine ganze Zahl, zum Beispiel liegt dem Worte Balfon, das wir aus der italienischen Sprache übernommen haben, das deutsche   Wort Balfen zugrunde. Das Wort Biwat ist eine Entstellung des französischen   bivouac, das seinerzeit aus dem deutschen Beiwacht entstanden ist. Manche Wörter haben den Weg durch mehrere Sprachen und wieder zu­rück ins Deutsche gefunden, zum Beispiel das althochdeutsche Wort band, bandi Band ging zunächst ins Italienische über als banda Zeugstreifen. Daraus entstand das italienische   Wort bandiera  . Die Franzosen machten daraus bannière, und aus dem Französi schen entstand das deutsche   Wort Banner.

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In neuester Zeit brachte die reißende Entwicklung des Kapita­lismus mit ihrem beispiellosen Aufschwung von Wissenschaften und Technik, Welthandel und Industrie einen gesteigerten Verkehr und Kulturaustausch zwischen fast allen Bölfern der Erde mit sich. Auch England bereicherte jetzt unseren Sprachschatz besonders mit Wör­tern aus der Welt des Sports. Das Wort Sport selbst, Sweater, Velvet, Pudding, aber auch das Wort Streit sind englische Fremd­wörter. Fremdwörter wie Telegramm, Photograph, Lokomotive, Barometer sind spezifisch modern, man hat sie nicht einfach über­nommen, sondern aus lateinischen oder griechischen Sprachteilen neu zusammengesetzt. Eine Neubildung aus griechischen und latei nischen Elementen zugleich ist zum Beispiel Automobil. Eine oft ganz sinnlose Nachahmung dieser Art der Wortschöpfung sind die häufigen Fremdnamen, welche die Industrie ihren Erfindungen beilegt.