Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 20 oooooooo Beilage Beilage zur Gleichheit oooooooo 00 00 1913

Inhaltsverzeichnis: Aus der Entwicklungsgeschichte der Familie. Von b. s. Für die Hausfrau.- Hygiene. Feuilleton: Kain und Adah. Von Byron.

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Aus der Entwicklungsgeschichte der Familie.

Soweit unsere Leserinnen über die Entwicklungsgeschichte der gesellschaftlichen Organisation unterrichtet sind, haben sie ihre Kenntnisse und Anschauungen zumeist aus zwei Büchern der sozia­ listischen   Literatur geschöpft. Das sind Engels'" Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates  " und Bebels Die Frau und der Sozialismus". Es wird heute kaum noch bestritten werden, daß Engels Werk nicht in allen Teilen lückenloses und einwandfreies Material bietet, daß es in der Folge auch in der Theorie zu manch schiefer, unhaltbarer Schlußfolgerung gelangt. Namentlich ist dies bei der Erörterung der frühesten Formen der gesellschaftlichen Organisation der Fall. Trotz aller einzelnen Schwächen und Irrtümer bleibt die Schrift als Ganzes eine glänzende Geistestat, sie gehört zu dem wertvollsten Besitz unserer sozialistischen Literatur. Die strenge, fühne Konsequenz der Be­weisführung, die frische Vorurteilslosigkeit der vertretenen An­schauungen, die Tiefe und Schärfe, mit der die Entwicklung von Familie, Eigentum und Staat verfolgt und zergliedert wird, halten die Leser von der ersten Seite an in Atem, zwingen sie, geistig mitzugehen, selbst mitzudenken. Eine Fülle von Licht strömt von diesem Werke aus, erhellt dunkle und verwickelte ge­sellschaftliche Erscheinungen und gibt mit Kenntnissen zugleich auch neue Einsichten in das Wesen, den Gang der Menschheits­geschichte. Insbesondere erzieht es die Leser dazu, die gesellschaft­lichen Formen und Einrichtungen im Flusse einer beständigen Entwicklung zu begreifen, die letzten Endes von den Veränderungen der Produktionsbedingungen vorwärtsgetrieben wird. Auf die missenschaftliche Forschung und Theorie über die Entwicklungs­geschichte der gesellschaftlichen Organisation hat es außerordentlich anregend und befruchtend gewirkt und wirkt heute noch so auf Freund und Gegner. Wie Engels sich vorzüglich auf Morgans Forschungen über die Urgeschichte gestützt hatte, so hat sich Bebel in seinem Buche- soweit es die früheste Geschichte behandelt in der Hauptsache an Engels gehalten. Ihm kam es mit Recht vor allem auf den Nachweis an, daß sich seit der Urzeit bedeutende Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter zueinander voll­zogen haben, und daß die nie stille stehende Entwicklung weitere bedeutende Veränderungen schafft. Das Zurückgreifen auf die Ver­gangenheit gab ihm Gelegenheit, die Gegenwart schärfer und tiefer zu erfassen, als es sonst möglich gewesen wäre. Und wenn wir heute wissen, daß Bebel dabei in dem und jenem mit Engels geirrt hat, so bleibt nichtsdestoweniger der erweckende und schulende Wert auch seines Buches, als Ganzes betrachtet, unbestritten. Seine Hauptbedeutung beruht in der Darstellung der Gegenwart und in den Ausblicken, die es auf die Zukunft eröffnet.

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Das Lesen dieser beiden Bücher, die sich ja in der kleinsten Ar­beiterbibliothek befinden, muß daher immer wieder dringend emp­fohlen werden. Aber freilich dürfen die Leserinnen dabei nicht ver­gessen, daß manche Einzelheit, manche Schlußfolgerung heute nicht mehr als richtig anerkannt werden kann. Als Morgan forschte und Engels aus den Ergebnissen langjähriger Gelehrtenarbeit seine theoretischen Schlußfolgerungen zog, steckten die beiden Wissen­schaften noch in den Kinderschuhen, die uns die Bausteine zur Kenntnis der frühesten Geschichte menschlicher Organisation liefern. Es sind das die Prähistorie, die Urgeschichte und die Ethnologie, die vergleichende Völkerkunde. Die Urgeschichte macht uns mit längst versunkenen Kulturperioden bekannt, deren über­bleibsel im buchstäblichen Sinne des Wortes größtenteils aus der Erde gegraben wurden. Die Ethnologie zeigt uns Menschen­gruppen auf niederen Entwicklungsstufen. Die Ergebnisse beider Wissenschaften haben einen mächtigen Aufschwung genommen und ein reiches Tatsachenmaterial zusammengetragen, das uns die graue Vergangenheit der Menschheitsgeschichte immer besser ver­stehen lehrt.

Wohl scheint es richtig, daß die Frau der erste Sklave war. Bei manchen kulturarmen Völkerschaften aller Weltteile ist dies noch der Fall. Ferner in Vorderasien und ügypten, wo schon seit mindestens 5000 Jahren Kulturreiche bestanden haben. Aber bei

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vielen, ja wahrscheinlich bei den meisten Völkerschaften ist dieser Periode der Unfreiheit eine Zeit der Gleichberechtigung, ja einer gewissen Vorherrschaft des Weibes vorausgegangen, und diese Zeit ist viel länger gewesen als die uns bekannte Periode der Ver­fllabung. Die Gleichberechtigung der Frau besteht heute noch bei einer großen Anzahl Naturvölker, man kann sagen: auf der Hälfte des Erdenrundes. Nebenbei sei hier bemerkt, daß man unter Naturvölker" keineswegs Menschengruppen verstehen darf, die heute noch im sogenannten Naturzustand leben. Solche Völkerschaften gibt es nicht mehr, hat es vielleicht nie gegeben. Der Zustand des Menschen ist eben ein solcher der Kultur, d. h. einer gewissen Ablösung von der Natur und einer Beherrschung der Natur, wenn auch anfangs noch sehr bescheidener Art. Der Begriff Kultur schließt den Begriff körperlicher wie geistiger gesellschaftlicher Arbeit ein. Die sogenannten Naturvölker sind also nicht kulturlos, sondern mur kulturarm, und zwar auch nur gemessen an dem, was wir Kultur zu nennen belieben. Ihre Kultur ist in ihrer Art oft eine sehr hohe, das heißt alte und verwickelte, nur hat der Europäer meist dafür kein Verständnis. Die soziale Stellung der Frau bei den Naturvölkern ist sehr verschieden. Im allgemeinen aber kann man behaupten, daß sie abhängt von der wirtschaftlichen Rolle der Frau, von dem Anteil, den diese an der Versorgung der sozialen Gemeinschaft mit Mitteln des Lebensunterhaltes nimmt. Zur Fürsorge und Sicherung des Lebensunterhaltes vollzieht sich eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, und in Gemeinschaften, wo der Frau der wichtigste Teil der Arbeit dafür zufällt, nimmt auch durch Sitte und Gewohnheitsrecht das weibliche Geschlecht eine geachtete und gleichberechtigte Stellung ein. Es ist dies namentlich bei Völkerschaften der Fall, deren Hauptquelle für den Unterhalt der primitive Ackerbau ist, denn es ist hier die Frau, die den Boden bearbeitet, bestellt, die säet und erntet.

Die ungefähr 10 000 Jahre, die verstrichen sein mögen, seit die wichtigsten Kulturvölker die Zeit des primitiven Ackerbaus hinter sich haben, machen einen verhältnismäßig kleinen Zeitraum aus, gemessen an dem Alter der Menschheit, das von maßgebenden Ge= lehrten auf weit höher als 100 000 Jahre geschäßt wird. Die Periode der Knechtschaft der Frau in den kapitalistischen   Staaten nähert sich mit Riesenschritten ihrem Ende. Die weiterdenkenden Frauen dürfen also heute das tröstliche Gefühl haben, daß die Unfreiheit ihres Geschlechts wie die der Arbeiterklasse, von der die Befreiung ausgehen wird doch nur eine verhältnismäßig rasch vorübergehende übergangsperiode in der unendlich langen Kette der Welt- und Kulturgeschichte ist.

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Es ist eine umstrittene Frage, ob die Menschen von Anbeginn an in Herden zusammenlebten, die nach jeder Richtung hin kom­munistisch waren, gleich denen der heutigen tieferstehenden Affen­arten, oder ob sie in Einzelfamilien hausten. Das erstere wird von den Sozialisten in übereinstimmung mit der Naturgeschichte und der Ethnologie angenommen, das letztere behaupten gern die bürgerlichen Individualisten mit Hinweis auf die Lebensweise der großen menschenähnlichen Affen. Durch Beobachtung wird sich die Frage wohl kaum entscheiden lassen. Wie schon bemerkt, kennt man nicht mehr Völker auf der vorauszusetzenden niedersten Stufe, Völker, die auf Bäumen kletternd, ohne Werkzeuge, Feuer und fast ohne Sprache leben. Da seßt denn die Theorie mit ihren An­nahmen und Schlußfolgerungen ein. Aber gerade die individua­listische Theorie hat ein Loch. Die Naturgeschichte zeigt, daß neben den meisten Affen auch die anderen hochentwickelten Tiere, die den Kampf mit der Natur und mit äußeren Feinden aufnehmen müssen sei es durch gemeinsame Abwehr oder auch nur durch Wanderungen Wanderungen, in Herden leben. So Pferde, Rinder, Elefanten, größere und kleinere Vogelarten. Mit Ausnahme der Vögel, wo die Brutpflege die Einzelfamilie bedingt, finden wir diese in der Hauptsache bei Raubtieren, die für ihre standesgemäße" Lebens­haltung einen großen Raum beanspruchen, da bei herdenweisem Auftreten ihnen die Nahrung schnell zu knapp würde und die räuberische Herde dann durch Hunger zugrunde geht oder sich selber stückweise verspeist. Der sonst monogame Wolf jagt in den Zeiten der Wintersnot in Nudeln, freilich frißt er dann, wenn keine andere Beute da ist, schließlich doch den schwächsten Ge­nossen auf.

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Die Natur hat dem Raubtier die Einzelfamilie aufgedrängt. Auch die Einzelfamilie der großen Affen ist aus Gründen der Er­