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Für unsere Mütter und Hausfrauen
wären. Die Organe bekommen nicht genügend Blut vom Herzen zu gepumpt, das Blut staut sich in den sogenannten Blutadern, und es ist dann schlecht um die Zellen im Zellenstaate bestellt, denen es an Sauerstoff und Nährstoffen mangelt. Das ist zum Beispiel bei den Leuten der Fall, die einen Herzfehler haben oder irgend eine andere Krankheit des Herzens. Bei den Herzkrankheiten kann der Arzt wiederum sehr viel tun. Allerdings stoßen die Maßnahmen des Arztes bei den Herzkrankheiten häufig genug auf den Widerstand der sozialen Verhältnisse. Ein Herzfranker soll eine bestimmte Lebensweise führen. Er muß Maß in der Arbeit halten und das ist ja nicht immer gut möglich.
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( Fortsetzung.)
Die Erwartung auf einen freundlichen Empfang bei Bruder und Schwägerin erfüllte sich. Die ersten Tage ging alles gut, dann aber stellten sich doch allerhand Mißhelligkeiten heraus. Die Schwägerin war das leichte Wesen der Bukarester Frauen gewöhnt. Sie begriff nicht, wie man so ernst sein und den Wunsch nach Beschäftigung haben konnte wie Amalie Dietrich . Diese wieder konnte sich nicht an die Stadt gewöhnen. Das Leben in der freieren Natur und die Beschäftigung mit Pflanzen und Tieren fehlte ihr. Sie kam sich in dem wohlgeordneten Haushalt des Bruders recht überflüssig vor und entschloß sich daher, eine Stellung als Stüße bei einem Mühlenbesizer in Siebenbürgen anzunehmen. Ihr Kind ließ sie bei den Verwandten, die selbst finderlos waren und die kleine Charitas am liebsten ganz angenommen hätten. Die Reise von Bukarest nach Sieben bürgen dauerte nur drei Tage, war aber noch beschwerlicher als die Reise durch die Walachei. Die Wege waren so schlecht und abschüssig, daß Amalie einen großen Teil davon zu Fuß zurücklegen mußte. Bei den Müllersleuten fand sie eine freundliche Aufnahme. Die Woche hindurch gab es viel Arbeit in Haus und Feld. An den Sonntagen aber durchstreifte Amalie Dietrich die wilde Gegend und sammelte eine Menge seltener Pflanzen und Tiere. Einige freie Tage benutzte sie zu einer Wanderung in die Karpathen, die damals noch wenig bekannt waren. Die seltenen Betrefakten( Versteinerungen), die sie dort fand, sandte sie in das Forsthaus nach Siebenlehn als Zeichen, daß sie ihren Gatten noch nicht vergessen hatte. Sie erhielt einen Dankbrief von Dietrich, in dem dieser von seiner Sehnsucht nach ihr sprach. Da gab sie furz entschlossen ihre Stellung auf, holte ihr Kind aus Bukarest , und trotzdem ihre Verwandten ihr von der Heimkehr abrieten, oder wenigstens die kleine Charitas behalten wollten, machte sie sich auf die Reise und traf an einem trüben Novembertage im Siebenlehner Forsthause ein zur nicht geringen Überraschung Dietrichs.
Nun begann wieder das alte Leben, das gemeinschaftliche Arbeiten, aber auch die immerwährenden Geldsorgen. Um seine Sammlungen zu verwerten, beschloß Dietrich, mit seiner Frau in verschiedene deutsche Städte zu reisen und sie dort den Gelehrten und Museen anzubieten. Ihr Kind mußte Amalie zu fremden Leuten bringen, und um das Reisegeld zu sparen, durchwanderte das Ehepaar Thüringen , Hessen , Westfalen und kam an den Rhein bis nach Köln . Da Amalie immer großen Respekt vor der Herkunft und der Gelehrsamkeit ihres Gatten hatte, hielt sie es für selbstverständlich, daß sie den schwerbepackten Korb mit den Sammlungen auf dem Rücken trug. Ihre Erholung auf der beschwerlichen Wanderung waren die Besuche bei den Leuten, die Interesse für die Sammlungen hatten und die der bescheidenen einfachen Frau mit großer Hochachtung begegneten. Die Schmerzen, die ihr wunder Rücken in diesen Wochen aushalten mußte, veranlaßten sie, bei einer späteren Reise Hund und Wagen anzuschaffen. Sie spannte sich mit dem Hund vor den Wagen, und nun wurden statt des Rückens Brust und Schulter wund. Mehr noch litt aber Amalie unter der erneuten Trennung von ihrem Kind, das sie wiederum bei fremden Leuten lassen mußte und das dem Vater vollständig gleichgültig blieb, weil es ein Mädchen war. Diesmal ging die Wanderung durch die Lausitz nach Böhmen , von da durch Schlesien bis Krakau . Sie war besonders beschwerlich, weil sie im kalten harten Winter unternommen wurde. Und doch tönt kaum eine Klage in den Briefen Amaliens an ihren Bruder, außer der, daß sie von ihrem Kinde fern sein muß.
Amalie litt dauernd unter dem Konflikt, ob sie ihrem Manne Gehilfin oder ihrem Kinde Mutter sein soll. Im übrigen erscheint es ihr selbstverständlich, daß sie mit dem Hunde den schweren Karren ziehen muß, während ihr Mann neben ihr geht, denn ihr Wilhelm ist ein feiner, gebildeter, gelehrter Herr, der einen zarten Körper hat". Aber sie ist auch stolz darauf, daß sie in den vornehmen Häuslichkeiten der gelehrten Herren, die sie aufsucht, überall mit
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großer Achtung aufgenommen wird, sobald sie ihren Namen nennt, trotzdem ihre von den Wanderungen stark mitgenommene bäuerliche Kleidung so gar nicht in die vornehme Umgebung paßt. Die Gelehrten fanden bald heraus, welch tiefes Wissen sich die einfache Frau durch ihre Naturbeobachtungen erworben hatte. Schließlich fam es dahin, daß Dietrich seine Frau allein in die Welt hinausschickte, während er daheim die Sammlungen ordnete. Jm Grunde war ihr das auch lieber, da sie sich viel leichter in all die Unbequemlichkeiten schickte und zufrieden war, wenn sie nur eine Schütte Stroh als Nachtlager hatte. So war sie elf Wochen allein in den Alpen und brachte reiche Ausbeute heim. Dietrich dachte sich immer neue Reisen aus, die Amalie mit dem Hund und dem Karren ausführen mußte. Über die großen Anstrengungen hätte sie nicht geklagt. Aber um so schmerzlicher war ihr jedesmal der Abschied von ihrem Kinde, für das der Vater gar fein Interesse hatte. Auch Dietrichs Verhältnis zu der Frau, die sich für ihn opferte, wurde immer kälter und gleichgültiger. Auf einer ihrer Reisen durch Holland und Belgien erkrankte Amalie schwer an einem Nervenfieber und lag wochenlang im Krankenhaus zu Harlem . Aber auch da dachte sie nicht an sich, sondern sorgte sich immer um Mann und Kind und trauerte, weil sie dieses Mal kein Geld heimbringen konnte. In elendem Zustand begab sie sich auf den Heimweg, aber kein freundlicher Empfang erwartete sie. Ihr Mann hatte sich nicht darum gekümmert, was aus ihr geworden war. Er hatte sie für tot gehalten und eine Stelle als Hauslehrer angenommen, um versorgt zu sein. Auch um das Kind hatte er sich nicht gekümmert. Charitas hatte bei fremden Leuten gegen Hilfeleistungen Unterkunft gefunden. Mit dieser Handlungsweise hatte aber Dietrich die Geduld der schwergeprüften Frau erschöpft, die fünfzehn Jahre lang nur für ihn gelebt hatte. Sie zog den Trauring vom Finger und zerriß die Bande, die sie an den einst so innig geliebten Mann geknüpft hatten.
Nun war Amalie Dietrich ganz auf ihre eigene Straft angewiesen, aber sie war fest entschlossen, durch ihre Arbeit sich und ihr Kind durchzubringen. Erst hatte sie die Hoffnung, sich in ihrer Tochter eine Gehilfin heranzuziehen. Aber Charitas teilte das Interesse ihrer Mutter für Pflanzen und Tiere nicht. Sie haßte vielmehr die Beschäftigung damit, denn sie erblickte darin den eigentlichen Grund für ihre traurige Kindheit. Die Mutter verstand ihr Kind darin. Da sie aber selbst sehr darunter litt, daß ihr Schulwissen mangelhaft war, so wollte sie ihrer Tochter die Möglichkeit geben, eine möglichst umfassende Bildung zu erlangen. Dazu aber gehörte Geld, und sie sah sich gezwungen, die mühseligen Wanderungen wieder aufzunehmen, um ihre Sammlungen zu verkaufen oder zu bereichern. Bei dieser Gelegenheit tam sie in Hamburg in das Haus eines Doktor Meyer, des Schwagers von Karl Schurz . Mit Staunen hörte dieser, unter welchen schwierigen traurigen Verhältnissen Frau Dietrich ihre wertvollen Sammlungen zusammengestellt hatte, und bewunderte die tiefe Gelehrsamkeit der bescheidenen Bauersfrau. Er gab ihr den Rat, sich fest anstellen zu lassen, um ihre Kenntnisse besser verwerten zu können, und empfahl sie an Godeffroy, den „ Fürsten der Südsee", wie man ihn in Hamburg nannte.
Dieser ließ fünfundzwanzig große Seeschiffe zwischen Australien und Europa hin und her fahren und hatte in Hamburg das weithin berühmte Godeffroy- Museum gegründet. Es sollte eine Fundgrube für die Erdkunde werden, vor allem aber für die Natur- und Völkerkunde der damals noch wenig zugänglichen Südseeinseln. In Godeffroys Auftrag waren schon verschiedene Gelehrte in die Tropen gegangen, um Material für das Museum zu sammeln. Dr. Meyer war überzeugt davon, daß Amalie Dietrich eine wertvolle Mitarbeiterin Godeffroys werden würde. Diese selbst war viel zu bescheiden, um zu glauben, daß eine einfache Frau wie sie einer solchen Aufgabe gewachsen sein könnte. Aber der Wunsch, auf diese Weise die Wunder der Tropenwelt zu erforschen, ließ ihr keine Ruhe. Sie verschaffte sich Zeugnisse von einer Reihe namhafter Gelehrter, die sie von ihren Reisen her kannte und die ihr gründliches Wissen schätzten. Damit wagte fie endlich den Gang in das vornehmste Patrizierhaus Hamburgs . Er war nicht vergeblich. Godeffroh hatte zwar die einfache Frau zuerst mißtrauisch als Bettlerin angesehen, er erkannte jedoch aus jedem einzelnen der vielen Zeugnisse, wie sehr Amalie Dietrich von bedeutenden Gelehrten geschätzt wurde wegen ihrer außerordentlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Naturwissenschaften. Er verstand, welch unschäzbare Kraft er in ihr gewinnen würde. So bot er ihr einen Kontraft an, nach dem sie auf mehrere Jahre in Godeffroys Auftrag nach Australien gehen sollte, um dort Forschungen zu unternehmen, deren Ergebnis für die Sammlungen in Hamburg bestimmt war. So erhielt die einst in Siebenlehn so viel verhöhnte ,, Nellenmale" eine Stellung, zu der man bisher nur Gelehrte als brauchbar erachtet hatte, und eine Lebensaufgabe, die zu lösen sich wohl mancher Mann gescheut hätte.