Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 12 O O O O O O O O

Beilage zur Gleichheit oooooooo 1915

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Inhaltsverzeichnis: An die Nationen. Von Robert Hamerling.- Japanische Ökonomie. Von Robert Wilbrandt.  ( Fortsetzung.) Striegsküche. Von M. Kt. Feuilleton: Wie ein Mensch geboren ward. Von Maxim Gorki.  ( Fortsetzung.)

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An die Nationen.

Von Robert Samerling.

Vernehmt mich, groß' und kleine Nationen, Die ihr geharnischt tretet auf den Plan! Ihr ringt umsonst nach Eigenruhmes Kronen: Der Einzelvölker Arbeit ist getan.

Die an der Seine, am Belt, am Ister wohnen, Begegnen fortan sich auf einer Bahn. Was ihr getrennt erstrebt und still begründet, Vollendet ihr vereint nur und verbündet.

In dieser Zeit, wo Draht und Schiene spotten Der Alpen   und ein Kabeltelegramm Den Morgengruß des Yankee bringt dem Schotten, Wo ziehn von Land zu Land, von Stamm zu Stamm Die Zeitungsblätter als Erobrerflotten-

In dieser Zeit baut Zwietracht Wehr und Damm? Wenn Völtergeister ineinanderzittern,

Da soll das Herz der Menschheit sich zersplittern?

Weltbürgertum vermögt ihr's auszutreiben,

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Wenn es zutiefst euch schon im Blute sitzt? Wer lernte nichts von andern? Wegzureiben, Wie Rost   vom Stahl, vermeint ihr's? Wie gerigt Mit Demantgriffeln in kristallne Scheiben Bleibt es- und wächst, wie in den Baum geschnitzt! Was Vätern einst von außen angeflogen, Ihr habt es mit der Muttermilch gesogen! Noch Großes, Einzelvölker, mögt ihr schaffen, Ureigenes zu schaffen ist zu spät! Und manchen schönen Kranz mögt ihr erraffen, Der audrer Stirnen länger schon umweht! Reich mögt ihr werden, blühend, stark in Waffen, Und Klug auch mögt, durch Mut und Kraft erhöht, Zum Gipfel klimmen auf des Ruhmes Stale Nur eins könnt ihr nicht sein: Originale! Und ihr, die lang voran, mit rascherm Schritte, Den anderen gewandelt auf der Bahn

Der Menschlichkeit, der Bildung und der Sitte, Zum niemals ganz erreichten Ziel hinan: Bedenkt, heut wandelt ihr in ihrer Mitte,

Seut ringen sie mit euch auf ebnem Plan: Des Geistes Hort ward allgemeinſam- eigen, Kein Paria ist mehr im Völkerreigen!

Ob klein, ob groß, ihr habt ein Recht zu leben! So schreibt euch mutvoll ein in Klios Buch; Ein heilig Recht ist allen euch gegeben:

Nur sei nicht Saß mehr euer Bannerspruch! Seid nicht bemüht zu trennen, nein, zu weben; War Trennung Segen einst, nun ist sie Fluch! Daß sie das Werk der Weltgeschichte kröne, Versammelt Mutter Erde ihre Söhne. Solange tausendfältig Kain den Abel  ,

Unblutig oder blutig, noch erschlägt, Und nicht der Streit, den einst erregt zu Babel Des Sprachenkampfs Erinnys, beigelegt­Solang nicht Poesie als Taub' im Schnabel

Des ewigen Völkerfriedens Ölzweig trägt- Go lange, fag' ich euch, tros der Fanfaren Des Fortschrittjubels, sind wir noch Barbaren  .

Japanische Dekonomie.

Von Robert Wilbrandt  .

2. Europäisierung.

( Fortsetzung.)

All das kann nun heutzutage durchfahren werden am Fenster der Elektrischen und des Schnellzugs. Ausschließlich in der Eisen­bahn größere Strecken reisend, sind wir von Jokohama   über Tokio  ins Innere nach Nikko   und ins Seidenland von Kiriu gelangt, dann gegen Süden über Nagoya   nach Kioto  , Nara  , Osaka  , Kobe und nach der Dampferfahrt durch die Binnenlandsee, von Nagasaki  nach Moji. Die ganze nördliche Hälfte, die wir ungesehen lassen mußten, ist ebenso von Eisenbahnen durchzogen. Und wie die Ver­kehrsmittel, die als kaiserlich- japanische Staatsbahn nun die lang­gestreckten Inseln zu einem wirtschaftlichen Ganzen zusammen­schließen, so das Gewerbe. Wir besichtigten Webereien und Färbe­reien im Seidenland um Kiriu, Spinnereien in Tokio   und Osaka  , Schiffswerften in Tokio   und Kobe, Porzellanfabriken in Nagoya  und Kioto  ( neben altjapanischer Stickerei und Lackarbeit) und end­lich die staatlichen Eisen- und Stahlwerke in Edamitsu. An einigen der Fabriken überwog noch der Eindruck altjapanischen Betriebs: massenhafte Arbeitskräfte, viel Handarbeit, deren Durcheinander zu drolligen, die Arbeiter selbst nur erheiternden Zusammenstößen führte, wenig Spezialisation, so daß schon die wechselnden Auf­träge die Maschinenanwendung verboten und allgemeines Wirrsal mit sich brachten; das Ganze einer solchen Unternehmung, troß oder gerade wegen ihrer 1800 Arbeiter, durchaus handwerksmäßig, ob­wohl die Statistik einen Riesenbetrieb" buchen würde. Neben solcher Idylle, die ein heiteres, zufriedenes und langsames Arbeits­völkchen in durchaus patriarchalischem Arbeitsverhältnis konser­viert, stehen die Eindrücke importierter, modernster Maschinerie, Riesenbetriebe auch der Kapitalanlage nach, durchaus kapitalistischen Geistes, durch Wohlfahrtseinrichtungen nach europäischem Muster erträglicher, friedlicher, dauerhafter und ertragreicher gemacht.

In der riesigen Spinnerei und Weberei von Osaka   sahen wir bei elfstündiger Arbeitszeit, nur zweimal monatlich von einem Ruhetag unterbrochen, entsprechend elende Massen von Kindern, Mädchen, verheirateten Frauen. Staatlicher Arbeiterschutz ist zwar vom Parlament beschlossen, aber von der Regierung noch nicht in Kraft gesetzt und voraussichtlich auch so lange praktisch unerreich­bar, als die liberale" Partei der Kapitalsinteressen am Ruder ist. In Osaka  , dem japanischen Manchester  ", hatten wir überhaupt im Gegensatz zu Alt- Japan   den Eindruck einer proletarisierten, her­untergekommenen Bevölkerung. Die Europäiſierung bringt dieselbe tapitalistische Produktion und dieselbe soziale Frage wie bei uns.... Mit welcher Schnelligkeit haben die Japaner bereits europäische Wissenschaft zu erlernen und die erworbenen Methoden selbständig zu benutzen verstanden! Als Beispiel seien Kitasato und Hata, Robert Kochs bedeutende Schüler, genannt. Und ergreifend ist die Dankbarkeit für den großen Lehrer, wie sie Kitasato als Leiter des großartigen Instituts für Infektionskrankheiten zum Ausdruck gebracht hat: neben dem Institutsgebäude steht ein kleiner Schrein, ein Tempelchen im Sinne der altjapanischen Shintoreligion; im Geiste der Heldenverehrung und Pietät ist es dem Andenken Robert Kochs geweiht.*

Der Kern freilich in all dem japanischen Lernen und Nach­gestalten ist weniger die Hingabe an das Vorbild des Auslandes als vielmehr dessen nationale überwindung, die Emanzipation von seiner peinlich empfundenen, möglichst schnell auszugleichenden überlegenheit in gewissen Dingen.

Zur Ergänzung sei folgende Zeitungsnotiz angefügt: Die japanische Presse konstatiert mit Befriedigung, daß die traditionelle Feier des Geburtstags des berühmten deutschen Bakteriologen Koch durch den Krieg mit Deutschland   nicht im geringsten beein­trächtigt worden sei. An der diesjährigen Feier in Tokio   nahmen über 300 japanische   Ärzte und Professoren teil." In Europa   fü­digen sich Gelehrte feindlicher Staaten jegliche gemeinsame Arbeit für die Zukunft,