Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 2

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Beilage zur Gleichheit

Inhaltsverzeichnis: Manch holder Morgen. Gedicht von William Shakespeare.  Staroline Schlegel- Schelling. Von Anna Blos  . Die verbesserte Stochtiste. Von M. Kt. Feuilleton: Beim Ge­meindevorsteher. Von Jeppe Aakjaer.  ( Fortsetzung.)

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Manch holder Morgen.

Manch holder Morgen stieg aus Finsternissen, Mit Herrlichkeit die Höhen zu umwerben, mit goldnem Mund der Wiesen Grün zu küffen Und blaffe Ströme wundersam zu färben; Bis niederftes Gewölk am Himmelszelt In trübem Schwarm sein Antlitz überzog, Und er sich barg vor der verlaffnen Welt, Und heimlich, ohne 3ier, gen Westen 30g. William Shakespeare  .

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Karoline Schlegel- Schelling.

Ein Lebensbild aus Deutschlands   klassischer Zeit. Von Anna Blog. " Hier ruhet Karoline Dorothee Albertine Schelling, geborene Michaelis  . Das Grab der treuen und ewig Geliebten bezeichnet mit diesem Stein ihr hinterbliebener Gatte Friedrich Wilhelm Jo­ seph Schelling  . Jedes fühlende Wesen stehe mit Andacht hier, wo die Hülle schlummert, die einst das edelste Herz und den schönsten Geist einschloß. Ruhe sanft, Du fromme Seele, bis zur ewigen Wiedervereinigung. Gott  , vor dem Du bist, lohne Dir die Liebe und Treue, die stärker ist als der Tod." Diese schönen, tiefempfunde nen Worte finden sich auf einem Grabstein des stillen Klosterfried­Hofes zu Maulbronn  . Viele Menschen wandern nach dem kleinen schwäbischen Städtchen, um die weithin berühmten Mauern des ehemaligen wundervollen Zisterzienserklosters zu bewundern. We­nige wissen, daß in ihrem Schatten eine der interessantesten, reizend­sten Frauen ruht, die Freundin der größten Geister unserer flaf­fischen Literaturperiode im achtzehnten Jahrhundert. Der Gatte, der in der rührenden Grabschrift seinem Schmerz Ausdruck zu geben suchte, war der berühmte Philosoph Schelling  , Fichtes Nach­folger an der Universität Jena, dessen Denkmal in München   steht. Er hat sich einen Namen durch seine Identitätslehre" gemacht, wie er sie insbesondere in seinem Buch von der Weltseele" ver­tritt, in der er die organische Weltanschauung entwickelt. Nach ihr ist das All ein einheitlicher, innerlich lebendiger Zusammenhang, der in jedem Teil seinen Ausdruck findet, und in den sich jeder Teil, jedes Ding und Geschehen einfügt.

Karoline, wie wir sie furz nennen wollen, gehört zu den Frauen, die viel geschmäht und viel gepriesen wurden. Sie fiel aus dem Rahmen der Alltäglichkeit, war eine Individualität, die es wagte, ihr eigenes Leben leben zu wollen, ihrer Natur und Veranlagung zu folgen. Das erregte natürlich Anstoß in den Kreifen, in denen fie lebte, und paßte nicht in die Zeit, der sie angehörte. Man suchte damals noch den Frauen möglichst enge Grenzen zu ziehen, ihnen einen eng beschränkten Wirkungsfreis zuzuweisen. Die Durch­schnittsfrau galt als Jdeal. Karoline aber ragte weit über den Durchschnitt hinaus. Sie hatte Freunde, die mit schwärmerischer Verehrung an ihr hingen. Sie wurde von diesen als bedeutende, geistreiche Frau gefeiert. Wilhelm v. Humboldt   rühmte ihren hohen Geist. Aber auch die Zahl ihrer Neider und Feinde war groß. Man mußte sie ganz oder gar nicht lieben", schrieb Schelling   nach ihrem Tode. Erst die Neuzeit bemüht sich, die eigenartige Frau in ihrem bollen Wert zu schäzen. Karolinens Briefe sind zuerst von G. Wait, dann auch von Erich Schmidt   und Ricarda Huch   herausgegeben worden. Wir haben aus jener Zeit eine ganze Reihe von Briefen bekannter Persönlichkeiten. Man schrieb damals nicht im Tele­grammstil unserer Tage. Man verwendete viel Zeit auf die Korre­spondenz und bemühte sich, nicht nur die Ereignisse des Tages zu berichten, sondern man vertiefte fich in seine Gefühle und suchte diese zu schildern. Aus den Briefen Starolinens lernen wir eine Frau von außerordentlicher Bildung und Begabung kennen, eine Frau, die die mannigfachsten Interessen hatte und in freundschaft­licher Verbindung mit namhaften Persönlichkeiten stand. Es be­fanden sich darunter bie hervorragendsten Vertreter der glänzend­

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sten Periode unserer Literatur, und das macht diese Briefe besonders interessant. Was wir aber vor allem schätzen lernen, das ist die Art, wie Karoline sich durchzusehen vermochte, wie sie sich zu immer grö­Berer Klarheit durchrang, wie sie anregend und fördernd noch heute wirkt. Auch sie war eine Bahnbrecherin für die moderne Frauenbe­wegung und rang um die geistige Freiheit nicht nur für sich, sondern zugleich für die nachfolgenden Generationen ihres Geschlechts. In­sofern ist ihre Gestalt und ihr Leben von Interesse für die prole­tarischen Frauen, die ja, indem sie für materielle Unabhängigkeit tämpfen, dem gleichen Biele entgegenstreben: der Freiheit der Per­sönlichkeit.

Dorothea Karoline Albertine Michaelis war die Tochter des Pro­fessors David Michaelis   in Göttingen  . Sie wurde am 2. September 1763 in der fleinen Universitätsstadt geboren. Schon früh zeigte sie einen außerordentlichen Eifer, ihren Geist zu bilden. Mit fünf­zehn Jahren korrespondierte sie schon in gutem Französisch mit ihren Freundinnen. Im Gegensatz zu sonstigen Briefen junger Mädchen handelt es sich in diesen Briefen fast ausschließlich um geistige Interessen. Karoline berichtet von ihren Sprachstudien, gibt Urteile ab über zeitgenössische Dichter und erzählt, daß sie wie Her­tules alle Schwierigkeiten bei ihren Studien zu überwinden sucht. Sie las Rousseau  , Dante, Shakespeare   im Original und war immer leidenschaftlich bemüht, alle neuen Werke der deutschen   Lite­ratur fennen zu lernen. Die bedeutendste ihrer Freundinnen war Therese Heyne  , deren bewegtes Leben sich häufig mit dem Karo­linens freuzte. Das Urteil, das Therese über sie gab, ist interessant und bedeutungsvoll. Sie nennt Karoline ein sehr fluges Mädchen, das aber zu viel Eitelkeit hat, um ohne Falsch zu sein, und zu wenig Welt und Erfahrung, um Toleranz zu besitzen. Theresens scharfes Urteil beruht zum Teil darauf, daß die beiden Mädchen von Kindes­beinen an Rivalinnen gewesen waren. Daß ein so luges junges Mädchen in dem engbegrenzten Kreis der Kleinen Universitätsstadt voller bürgerlicher Vorurteile viel Anstoß erregte, zumal ihr Tem­perament fie oft au Unvorsichtigkeiten aller Art fortriß, läßt sich denken. Karoline schreibt selbst, daß sie ihren guten Ruf verloren habe, daß sie sich aber mit ihrem munteren Temperament über die Matschereien hinfortzusehen vermöchte. In ihrem Elternhause fühlte sie sich nicht verstanden. Die Mutter zog ihre Geschwister vor. Dazu kam eine fehlgeschlagene Erwartung, eine unglückliche Liebe. So fühlte sich Karoline im ruhigen Hafen, als ein Freund ihres ge­liebten Bruders, Dr. Böhmer, ihr seine Hand antrug.

Die meisten Briefe aus ihrer Brautzeit und jungen Ehe sind an ihre Freundin Luise Gotter, geborene Stieler, in Gotha   gerichtet. Weniger bedeutend als Therese Heyne   zeichnete diese wie ihr Mann sich durch tiefes Gemüt aus, war immer bereit, Karoline zu ber­stehen, zu trösten und ihr eine Heimat zu bieten, wenn ihr Lebens­schiff an einer Klippe zu scheitern drohte. Wie dankbar Karoline diese Treue empfand, spricht sie in den schönen Worten aus: E3 ist so süß, geliebt zu werden, und kein Herz fühlt das mehr, keines ist dankbarer und gibt so Liebe für Liebe wie das meinige." So froh Karoline war, Göttingen   verlassen zu können, so war das fleine stille Klaustal im Harz   doch nicht der Ort, an dem sie mit ihren reichen Gaben, ihrem Wissensdurst, ihren vielseitigen Inter­essen sich wirklich wohl fühlen konnte. Voller Humor schildert sie die Schlafmüßen der Gesellschaft, in die ihr Gatte sie einführt, deren Spirits feinen Spiritus haben, und die Unmöglichkeit, sich in die dortige Form hineinzugießen. Dr. Böhmer selbst war ein viel beschäftigter Arzt, zudem bei aller Güte nicht imstande, die geistigen Ansprüche der jungen Frau zu befriedigen. So suchte sie durch Lesen ihren geistigen Hunger zu stillen, und wie ein Notschrei geht der Wunsch nach Büchern durch all ihre Briefe. Ich bitte Dich um Brot, und Du gibst mir einen Stein", schreibt sie ihrer Schwester, als diese ihr statt Bücher Uhrbänder schickt.

Schon bald nach der Geburt ihres Töchterchens Auguste denkt Karoline an den Augenblick, wo sie das enge Klaustal verlassen wird:" Du wirst schütteln den Staub von deinen Füßen und doch mit leichtem Herzen die Höhe hinter dir sehen." Trotz allem gab sie sich redlich Mühe, ihre Pflichten als Hausfrau treulich zu er füllen. Sie mag keine Nadel abstricken, ohne den Eifer und die Aus­ficht, etwas fertig zu bekommen, und greift lieber zu verzweifelten Mitteln, um sich zu beschäftigen, als mit Gleichgültigkeit das Morgenlicht durch die Vorhänge schimmern zu sehen und ohne Sa­tisfattion fich niederzulegen. Eine zweite Tochter war ihr geboren