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Für unsere Mütter und Hausfrauen

seinem Unglauben zu heilen, wenn er tun wolle, was ihm geboten würde. Der Sultan   nahm den Mönch beim Wort. Der Heilige führte den Herrn der Gläubigen zu einer Aufe, die bis an den Rand voll Wasser war. Der ganze Hofstaat war zugegen und um­ringte neugierig die Kufe. Der Mönch gebot dem Fürsten  , den gan­zen Kopf ins Wasser zu tauchen und augenblicklich wieder heraus zuziehen. Der Sultan   tat es. Raum aber hatte er den Kopf im Wasser, sah er sich am Fuße eines Gebirges, unfern dem Meeres­geftade, ganz einsam. Man denke sich sein Entsehen! Er ver­wünschte den Mönch und schwor, ihm den Hegenmeisterstreich zeit­lebens nicht zu verzeihen. Allein was half's? Er mußte sich wohl in sein Schicksal ergeben. Zum Glück bemerkte er Leute in einem Walde. Es waren Holzfäller. Mit Rat derselben kam er zu einer jenseits des Waldes gelegenen Stadt. Allein er befand sich weit von Ägypten  , am Kaspischen Meere. Niemand kannte ihn. Er wagte nur nicht zu sagen, daß er der Sultan von Ägypten   wäre. Nach mancher­lei Abenteuern gewann er die Gunst eines reichen Mannes und heiratete dessen schöne Tochter. Mit dieser hatte er vierzehn Kinder, nämlich sieben Knaben und sieben Mädchen. Seine Frau starb end­lich, und nach mehreren Jahren geriet er durch verschiedene Un­glücksfälle, Krieg und Krankheit ins größte Elend. So weit fam es, daß er in den Straßen der Stadt sein Brot betteln mußte. Er meinte oft bittere Tränen, wenn er seinen gegenwärtigen betrüb­ten Bustand mit der Pracht des ehemaligen ägyptischen Palastes verglich, und hielt sein Los für Strafe und Züchtigung des vielbe­wiesenen Unglaubens. Er beschloß, Buße zu tun und sich nach Mekka   durchzubetteln. Er vollbrachte die Wallfahrt glücklich. Ghe er aber die heilige Stätte berührte, wollte er sich durch eine Wa­schung vorbereiten. Er ging zum Fluß, entkleidete sich, tauchte ganz unter und erhob sich wieder. Neues Wunder! Wie er den Kopf her­auszog, stand er nicht im Fluß, sondern dicht vor der Kufe, bei seinen Höflingen und dem Mönch, der ihn geheißen hatte, den Kopf ins Wasser zu stecken. Troß seines Erstaunens und seiner Freude fonnte er sich doch des Grimmes gegen den Mönch nicht enthalten, der ihm den boshaften Streich gespielt und ihn so vielen Gefahren und Leiden preisgegeben hatte. Aber das Erstaunen des Sultans stieg aufs höchste, als er vom ganzen Hofe, dem er seine Schicksale erzählte, vernahm: er wäre gar nicht von der Rufe weggegangen, sondern habe diesen Augenblick erst den Kopf ins Wasser getaucht und ebenso plötzlich wieder zurückgezogen.

Ihr Herren, fuhr der Staatsrat fort, jeid wohl alle im Falle unseres Sultans von Ägypten  . Hätte man euch vor der Revolution gesagt, was ihr alle während derselben tun würdet, ihr hättet es nicht geglaubt. Jetzt habt ihr den Kopf aus der Kufe gezogen und wollt nun nicht Wort haben, was ihr zur Zeit der Wunder dachtet, fühltet, lebtet. Sollten die ausgewanderten Bourbonen   und Ade­ligen je wieder nach Frankreich   zurückommen, ich wette, sie halten die ganze Geschichte seit 1789 für nicht geschehen und stehen, wie der Sultan von Ägypten, fröhlich vor der Kufe und betrachten die Jammerjahre wie eine träumerische Selbsttäuschung.

Man lächelte. Nun, nun, sagten einige, der Herr Staatsrat mag in manchem recht haben. Aber sollte man im Ernst wohl denken, daß die armen Bourbonen je wieder zurückkommen? Das gehört nun doch ins Reich der Unmöglichkeiten.

Hm, es ist sehr möglich! sagte Stryf. Und in der Tat erlebte er auch noch diesen Umschwung der Dinge und wie alles wieder ins vorige Geleise der politischen Ordnung zurücktrat.

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Der Umschwung konnte für einen Mann von Stryks Denkart nicht gefährlich sein, besonders da er bei dem Napoleonischen Mon­archentum zuletzt abermals in Ungnade gefallen war. Man er­zählte sich: Napoleon   habe von seiner politischen Sehergabe gehört. Kurz vor der Abreise des Kaisers aus Frankreich   zum Feldzug nach Rußland   ging einer seiner Generale zum Staatsrat und fragte ihn Der alte beiläufig, was er vom Ausgang des Feldzuges halte? Geschäftsmann wunderte sich über die Frage und wollte nicht ant­worten. Dem General kam dies sonderbar vor. Ich denke, wir feiern die Weihnachten in Petersburg  , sagte er; es scheint aber, Sie fürchten von der Unternehmung schlechtes Gelingen. Der Staatsrat zuďte nach seiner Gewohnheit die Achseln und versetzte: Es ist sehr möglich.Das brachte ihm Schaden. Er ist ein Narr! hieß es, und sein Name verschwand ganz von selbst auf der Liste der Staatsräte. Da aber die verbündeten Mächte in Frankreich  einrückten und allenthalben die Napoleonischen Schöpfungen zer­stört wurden, sagte jedermann: Stryk ist ein Prophet. Das ist im­mer das Schicksal der Weisern.

Seine Ungnade unter der Regierung der Anmaßer( wie nun plötz lich die verbannten Kaiser und Könige illegitimer Herkunft hießen) gereichte ihm zur Gnade bei dem neuen legitimen Landesfürsten.

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Doch fehlte wenig, sein Sprichwort hätte ihn auch bei diesem wieder in übeln Ruf gebracht.

Denn als der Fürst eines Tages den Staatsrat fühlen ließ, man halte ihn für einen Achselträger, weil er bei allen Wechseln der Ne­gierungen immer obenan geblieben wäre, und daß er es folglich mit feiner treu gemeint haben möge, antwortete der alte Mann ganz trocken nach seiner Gewohnheit: Es ist sehr möglich; denn, setzte er schnell hinzu, indem er sich besann, ich war allezeit ein treuer Staatsdiener.

Das ist platter Widerspruch! rief der Souverän, wie fönnen Sie sich als einen treuen Staatsdiener proklamieren, wenn Sie heute einem rechtmäßigen, morgen einem unrechtmäßigen Herrn den Hof machen?

Eben, weil ich mich immer befliß, kein Herrendiener, sondern ein Staatsdiener zu sein. Unter unrechtmäßigen Herren oder übelden­fenden Herren ist es jedem redlichen Freund des Vaterlandes dop­pelte Pflicht, dem Staate zu helfen.

Was Staat? sagte der Souverän. Ich rede von der Regierung. Können Sie die vom Staate getrennt denken?

Nein, allergnädigster Herr; wohl aber die Person getrennt von der Regierung.

Der Souverän warf einen finstern Blick auf den Staatsrat und fagte: Das ist Revolutionssprache, die jetzt nicht mehr gelten soll. Merten Sie sich das: Ich und der Staat sind ohngefähr dasselbe. Sie sind nicht der Diener des Staates, sondern mein Diener für den Staat.

Der Staatsrat berbeugte sich schweigend. Nach einiger Zeit ward er seines Alters wegen zwar vom Amte entlassen, aber doch mit Beibehaltung seines Gehalts.

Auch in seiner Abgeschiedenheit von den öffentlichen Geschäften behielt er das einmal erworbene Ansehen und besonders den Ruf eines politischen Sehers. Denn alle Staatsveränderungen hatte er nach seiner Weise lange und mit auffallender Sicherheit vorausge­sagt, so daß man sich gern mit einer Art Aberglaubens an ihn wen­dete, um seine Meinung wegen der Zukunft zu erfahren.

Als man ihm einst über seine seltene Gabe ein Kompliment machte, konnte er sich des Lachens nicht enthalten. Man kann, sagte er, unter Leuten, die schlechterdings blind sein wollen, ganz wohl­feil zur Würde eines Schers und Weissagers gelangen. Mit ge­sundem Menschenverstand und kaltem Blut reicht man weit, wenn alle Welt in leidenschaftlicher Heftigkeit widereinander rennt und sich über die Dinge, wie sie sind, verblendet.

Könnten Sie uns nur Ihre Sehergabe mitteilen! sagte einer seiner Bewunderer.

Es ist sehr möglich! gab er zur Antwort. Um in die Zukunft zu Rückwärts schauen, muß man rückwärts sehen, nicht vorwärts.

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in die Vergangenheit, da hängt der Prophetenspiegel. Aber unsere Minister sehen nicht gern dahin; ohnedem haben sie vom vielen Lesen der Bittschriften, Lobreden und diplomatischen Noten turges, verdorbenes Gesicht.

Aber was sagen Sie von der jetzigen Zeit?

Sie bleibt nicht, mit allem, was in ihr ist. Gegen diese Prophe­zeiung läßt sich nichts einwenden! sagte der Alte.

Also meinen Sie, die Unruhen und Änderungen seien noch nicht zu Ende! Und doch ist der böse Geist unter die Ratten und Mäuse von St. Helena   verbannt. Woher sollte er wiederkommen? Oder glauben Sie, er oder seinesgleichen könne wieder erscheinen und Sput treiben?

Der Staatsrat zudte die Achseln: Es ist sehr möglich. Übrigens hat der böse Geist nicht die südamerikanische, sondern die franzö sische Revolution gemacht; er hat aber das, was die Revolutionen im menschlichen Geschlecht beschleunigt, mächtig befördert, weil er, seiner Dynastie wegen, dagegen kämpfte, nämlich gegen Wahrheit, Aufklärung, Freiheit, Recht, nicht nur bei den Franzosen  , sondern auch bei andern Völkern. Das weckte auch die andern Völker. Nun will man aber wieder mit Waffengewalt, mit Inquisition  , Tortur, Nunziatoren, diplomatischen Pfiffen, Haarbeuteln, Perücken, Spießrutenlaufen, Adelspatenten, Ordensbändern, Staubbesen, ewigen Bündnissen, Zenfurgesehen und dergleichen altlöblichen Dingen zum ewigen Frieden helfen. So geschah es schon zur Zeit Franklins und Washingtons, zur Zeit der Bastillen, zur Zeit der Davouste und Palms. Dieselben Mittel und Ursachen werden die­selben Wirkungen haben. Darauf verlaẞt euch.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart  .