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Für unsere Mütter und Hausfrauen
Bein gingen. Davon hat ja der wohlbestallte Leiter der Heimstätte kaum recht eine Ahnung, sonst wären solche Worte, die aufreizend wirken müssen, nicht möglich.
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Zunächst und vor allen Dingen muß doch dem aus dem Feldzug Heimkehrenden, und sei er scheinbar nur leicht angegriffen, Gelegenheit zu ausgiebiger Ruhe und Stärkung der angegriffenen Nerven gegeben werden, dort, wo er anspruchsberechtigt ist, das wird in den meisten Fällen die Heilstätte einer Landesversicherungsanstalt sein. Dort hat er alles, was er zu seiner Erholung braucht. Im Eigenheim nicht. Dessen kann er sich erst dann freuen, wenn er wieder auf der Höhe seiner Schaffenskraft steht. Viele werden diese Höhe nie mehr erreichen. Und denen ist mit ausgiebigen Kur- und Erholungsgelegenheiten, wie sie nur die Heilstätten bieten können, mehr geholfen wie mit einem Eigenheim. Diese Heilstätten werden sicher nicht für umsonst gebaut werden, sie werden ihre Belegzahl immer voll erreichen. Sie sind dringend nötig. Aber einstweilen hört man noch nichts von ihnen. Hier müssen die Arbeiterorganisationen sich regen.
Den Frauen aber darf es nicht gleichgültig sein, wie ihre Männer, ihre Söhne, ihre Brüder nach ihrer Heimkehr, soweit sie überhaupt erfolgt, versorgt werden. Auch ihnen gebührt eine Stimme im Rat. Das ist ja das Unglück der Nationen, daß sie die Frauen auf den wichtigsten Gebieten ausschalten, nur als Gebärapparat ist ihnen ihre Tätigkeit recht. Der fortschreitende Sozialismus wird auch darin Wandel schaffen. Schwester Lydia Ruehland.
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Die Mutter als Erzieherin.
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Kleine Maulhelden. Zu den widerwärtigsten Erscheinungen in dieser traurigen Zeit gehören nächst den Kriegswucherern die„ Heimkrieger", die beim Frühkaffee oder am Stammtisch schneidige Feldzugspläne entwerfen und die halbe Welt erobern wollen. Zwar sind sie jetzt schon wesentlich bescheidener als in den ersten Kriegsmonaten, wo sie im Geiste bereits in Paris einmarschierten und vor London ankerten; indessen vollbringen diese Tapferen mit dem Munde natürlich immer noch erstaunliche Taten. Und wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen: die vielen Schulsiegesfeiern und die Schlammflut gewisser Kriegsjugendschriften haben da sehr verderblich gewirkt.
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Gewiß soll hier nicht die Behauptung aufgestellt werden, das jugendliche Maulheldentum sei erst eine Errungenschaft des Kriegs. Die Neigung zum Großsprechen ist wohl mehr oder minder der Jugend aller Zeiten und aller Länder eigen; die naive Selbstüberschäzung des jungen Menschen, von Sachkenntnis unbeschwert und noch nicht von Lebenserfahrungen herabgedrückt, verführt allenthalben dazu, den Mund recht voll zu nehmen. Dennoch will mir scheinen, als leiste unsere Schuljugend, namentlich die redegewandtere der norddeutschen Großstädte, auf diesem Gebiet besonders Hervorragendes. Man beobachte doch einmal die Kinder in ihren täglichen Gesprächen, wie sie sich gegenseitig zu überbieten suchen mit dem, was sie„ können", was sie„ getan haben" oder ,, tun werden", was sie„ haben", oder auch mit dem, was der Vater ist oder hat. Unvernünftige Eltern mögen sich an der Maulfertigteit ihrer Sprößlinge freuen, die sich von nichts imponieren lassen und die im Aufschneiden so leicht keiner unterkriegt. Einsichtige Erzieher aber werden den Zusammenhang sehen zwischen den fleinen Maulheiden, die vielleicht noch spaßig wirken, und den erwachsenen Großschnauzen", denen jeder Mensch von Geschmack und Herzensbildung vorsichtig aus dem Wege geht. Der Berliner Emporkömmling, der es so trefflich verstanden hat, die Deutschen bei aller Welt unbeliebt zu machen, und der Biertischstratege der Gegenwart, der vom sicheren Port seines Reklamiertendaseins die Welt aufteilt sie waren auch einmal Kinder, und früh übt fich, was ein Meister werden will". Deshalb wird eine Mutter, die es mit ihren Erziehungspflichten ernst nimmt, sehr aufmerksam werden, wenn sie Neigung zur Prahlerei bei ihrem Kinde bemerkt, und sofort gegen diese Untugend zu Felde ziehen. Aber wie das tun? Mit Reden und Ermahnungen wird man hier wenig ausrichten. Wo es gilt, den Gedankenkreis des Kindes zu bilden, seine Sinnesrichtung zu beeinflussen, da ist das ernst eindringliche Gespräch an seinem Plaze. Einen Charakterfehler jedoch wie die Prahlsucht wird man auf diese Weise nicht beseitigen. Soll man es vielleicht mit Schelte und Strafe versuchen? Eine hastige Mutter gibt dem kleinen Maulhelden wohl einen Klaps auf den großen Mund; damit ist der gewiß zunächst gestopft, aber für die Zukunft ist dabei nichts ge= wonnen. Hier wie überall muß man den Ursachen der kindlichen Unarten nachspüren. Was will der kleine Maulheld eigentlich mit
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seinen übertreibungen und Prahlereien? Er will sich ein Ansehen geben vor den anderen, er möchte mehr scheinen als er ist. Hier muß die Erziehung eingreifen. Sie muß Schein und Sein einander gegenüberstellen; sie wird den Nachweis führen, daß das, was der kleine Prahler erzählt, ja gar nicht stimmt, und ihn auf diese Weise beschämen, zunächst nur vor sich selbst; wenn aber das nichts nutzt, dann auch vor seinen Kameraden. Das Gelächter der anderen, das ist die wirksamste kalte Dusche für Hans Großmaul. Ein klassisches Beispiel dieser Methode gibt die alte Fabel" Der Prahler" von Äsop . Einer rühmt sich, in Rhodus habe er einst einen gewaltigen Sprung getan; da antwortet ihm einer der Zuhörer fühl: Hie Rhodus, hic salta! das heißt: hier ist Rhodus, hier springe! Dort galoppiert eine Rotte kleiner Jungen auf ihren Steckenpferden heran, mit geschwungenem Säbel und großem Geschrei einen eingebildeten Feind zu überrennen.„ Drauf, Jungs!" schreit der Anführer, seht, die Franzosen laufen schon davon, wenn sie uns kommen sehen!" Da fährt aus einer Haustür ein kleiner Dackel mit lautem Gekläff heraus, und siehe da: die Steckenpferdkavallerie stiebt nach allen Seiten auseinander. " Ja, ja," sagt ein alter Herr, der die Geschichte mit angesehen hat, die Franzosen reißen vor euch aus, und ihr reißt vor einem Dackel aus!" Und beschämt ziehen sich die Helden in ihre Unterstände" zurück. Nicht immer gelingt es, die kleinen Prahl= hänse so rasch zu überführen. Eines Tages erzählt der Jüngste: " Mutter, jezt kriege ich schon alle Jungen in meiner Klasse unter, auch den Bruno, der doch zwei Jahre älter ist als ich!" Die Mutter sagt nichts darauf, aber sie denkt:„ Wart', das will ich mir merfen!" Wenige Tage später kommt der Junge heulend nach Hause und flagt:„ Der Bruno hat mich so sehr gehauen!"„ Ei, ei," sagt die Mutter, ich denke, du kriegst den Bruno jetzt unter, warum läßt du dich denn von ihm hauen?" Der Spott, im allgemeinen ein bedenkliches Erziehungsmittel und bei weichen, empfindlichen Gemütern ganz unzulässig beim Prahlhans ist er recht am Blaze. Gelegentlich mag man seine übertreibungen zum Schein als bare Münze hinnehmen, ihm aber dann, indem man sie etwa noch überbietet, zeigen, wie man sie einschätzt. Wie es der bekannte Handwerksbursche tat, der den Riesenkohlkopf, von dem ihm sein Kamerad vorschwindelte, gleich mit einem noch größeren Kessel übertrumpfte, damit man seinen Kohlkopf darin kochen fönne". Wenn der Maulheld merkt, daß man sich über ihn lustig macht, dann ist er schon halb kuriert.
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Ein Kind, das etwas weiß und etwas kann, mag sich ruhig dessen freuen: ein starkes, wohlbegründetes Selbstbewußtsein ist die Vorbedingung alles energischen Handelns, während Mangel an Selbstvertrauen die besten Kräfte lahmlegt. Aber Selbstüberschäzung und Maulheldentum sind nicht nur lächerlich und ab= stoßend, sie sind auch eine große Gefahr für den Einzelmenschen wie für Klassen, Völker und Parteien. Sie täuschen sich und anderen eine Kraft vor, die nicht besteht, und bei der ersten ernsten K. D. Probe erfolgt dann der Zusammenbruch.
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Kinderschutz.
Von der Tätigkeit der Berliner Kinderschutzkommission. In dem jüngst erschienenen Tätigkeitsbericht des Verbandes der Sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend ist ein überblick über die Arbeit der Kinderschußkommission enthalten. Er umfaßt die Zeit vom 1. April 1914 bis 1. April 1916 und ist eine ernste Mahnung, gerade jetzt während des Krieges die Arbeit für den Schutz und die Fürsorge der proletarischen Kinder nicht ruhen zu lassen, sondern nach Kräften zu steigern. Der Krieg hat wie überall, so auch auf dem Gebiet der Kinderausbeutung und Kinderverwahrlosung bedenklichste Folgen gezeitigt. Die Aufhebung der gesehlichen Schutzbestimmungen für die Kinderarbeit wurde nur für den äußersten Notfall vorgesehen, sie hat sich aber in der Praxis aus einer Ausnahme in die Regel verwandelt. Selbst auf schulpflichtige Kinder ist dieser gesundheit- und entwicklunggefährdende Ausnahmezustand übertragen worden. Der Bericht unserer Kinderschußkommission führt als Beispiel zwei Fälle an. In dem einen wurden Kinder von 11 bis 12 Jahren während der Sommerferien in der Landwirtschaft von früh 7 Uhr bis 12 Uhr mittags und von 1 Uhr mittags bis abends 9 Uhr beschäftigt, also dreizehn volle Stunden in der heißesten Jahreszeit. Der Stundenlohn betrug 15 Pf. Gegen solches Verbrechen an Leib und Seele der Kinder gibt es leider keine gefeßliche Handhabe. Im zweiten Falle wurden in einer Buchdruderei Kinder im Alter von 12 bis 13 Jahren während der Ferien 7 Stunden täglich beschäftigt, ebenfalls bei