Diz Schmetterlingslegende.
Zwifchen den Ellenbogen die aufgefchlagene Schrift, Tchwer den Kopf geftützt von der Linken, forfcht Hieronymus .
Er licht nicht den Wald, nicht die Trift,
die grün in die dämmrige Zelle winken, Itumm ift ihm der fluß,
der mit rauichender Stimme spricht.
Berge von Schreibwerk, Mauern von Rollen, Büchern und folianten verftellen Gehör ihm und Geficht
und grau hockt der Staub auf Ecken und Kanten.
„ Christentum und Sozialismus stehen einander gegenüber pie Feuer und Waffer."( Bebel , Christentum und Sozialismus.)
Nach der Marg'ichen Geschichtsauffassung sind die großen Männer nicht die Führer sondern die Widerspiegel ihrer Beit. Von diesem Gefeß lann der nicht ausgenommen werden, der an dieses Gesez glaubt. Wir müffen darum auch bei Bebel nach den Bedingungen fragen, welche feine Religionsfeindschaft verursachten. Zwei Gründe laffen fich finden. In der wissenschaftlichen Welt herrschte zu Bebels Jugendzeit eine streng materialistische Betrach tungsweise vor. Sie fonnte nicht ohne Einfluß auf die Gedankens welt des damals Emporstrebenden bleiben. Zu diesem theoretischen Einfluß geiellte sich ein zweiter ein praktischer. Die foziale Be
Tag und Nacht fitzt Dieronymus über Schnörkeln und Lettern, wegung stedte in jenen Tagen noch vielfach in den Kinderschuhen. wendet Seite um Seite in Rolle und Buch.
Kein anderer Laut als von knilternden Blättern macht in dem Itillen Gebäufe Befuch.
In dumpfem Sinn
dämmert Hieronymus über die Blätter hin,
und ein blauer Falter in rafch beflügeltem Tanze gaukelt durch offene fenfter in die trübe Bücherfchanze. Hieronymus hebt die blöden, übernächtigen Lider, runzelt die Stirn und fchaut dem falter zu.
Der zickzackt behende auf und nieder,
zirkelt im Kreis, buicht fort im Nu
und wiegt fich luftig im Ichönsten Sonnenltrable.
Huffpringt Hieronymus mit einem Male,
reckt lich, daß die Kutte hinter die Knöchel fchnellt,
die Arme er wie zwei flügel hält,
wiegt fich und biegt lich, kippt und wippt, walzt eine Runde, wirbelt die ganze Zelle aus
und tanzt mit dem falter im feligen Bunde
weiter und weiter durchs tote Haus.
Dumpf poltern zulammen die Bücher und Rollen, gefprengt ift der graue, bleierne Ring. Ueber die Haufen weg tanzen und tollen Hieronymus und der Schmetterling.
Und der zehn Jahre in Büchern und Rollen um Gott gewühlt und gefchanzt
bat fich den Himmel in einer bellen Morgenstunde ertanzt. Karl Bröger .
Sozialdemokratie und Religion.
Bon Dr. Victor Engelhardt.
es
Es galt die trag bindämmernden Massen erst aufzurütteln; galt, ihnen den wahren Grund ihres Jammers zu zeigen und ihnen flar zu machen, daß sie bier auf dieser Erde fämpfen müßten, um erlöst zu werden. Für solche Gedanken konnte das in Briefter märchen eingelullte Proletariat aber nur gewonnen werden, wenn man ihm die Hoffnung auf ein befferes Jenseits aus dem Herzen riß. So fand sich aus zweierlei Gründen, einem inneren und einem äußeren, die junge Sozialdemokratie der Religion beraubt. In den Menschen aber lebt eine unstillbare Sehnsucht nach einem allumfassenden Jdeal.
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Für diese Sehnsucht fand der Arbeiterphilofopb Diezgen das rechte Wort. Wie Marg und Bebel lehnt er den christlichen Gottesund Jenseitsglauben ab, aber der Zukunftsglaube, die Erlösungshoffnung steigt in ibm mit religiöser Kraft empor. Damit wird der soziale Gedanke selbst zur Religion: Die Religion war bisher Sache des Proletariats, nun fängt die Sache des Proletariats an religiös zu werden. Das Evangelium der Gegenwart verspricht unfer Jammertal endlich in realer wirklich greifbarer Weise au erlösen. Arbeit heißt der Heiland der neuen Zeit."( Dieggen, Religion der Sozialdemokratie.)
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Diepgens Geist griff weiter um sich. Der alte Liebknecht fagte: Saben wir nicht, was die Kraft der Religion bildet, den Glauben an die höchsten Jdeale." Und bald wurde für tausend und aber tausend niedergedrückte Proletarierfeelen die soziale Be wegung zu einer im innersten Herzen erlebten Religion. Solch hohe Begeisterung brachte es mit sich, daß nun auch Männer, die ursprünglich von der Religion berfamen, in die soziale Bewegung eintraten, daß Pfarrer Sozialdemokraten wurden. Der Schweizer Pfarrer Kutter war einer der ersten. Für ihn war der Uebergang nicht leicht, denn er mußte noch alle Sozialdemokraten für Atheisten halten. Trotzdem fand er den Weg zu ihnen: Die Cbriften be fennen Gott, aber sie haben ihn nicht."( Sutter, Sie müssen.) Für Rutter lebt in der sozialdemokratischen Bewegung Gottes Geist, ohne daß es ihre Anhänger wissen.
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Jede Versammlung, welche frei wird von der Politit des Tages und sich in einere geistige Höben erhebt, zeigt, wie lebendig auch heute noch die Anteilnahme an religiösen Fragen ist. Dieser Anteilnahme gegenüber versagt das Programm, denn mit seinem Wort„ Religion ist Privatsache" stellt es den einzelnen allzusehr auf sich selbst. Es gilt darum, den Satz Religion ist Privatiache" Unter des hatte sich in der wissenschaftlichen Welt eine Wand mit lebendigem Inhalt zu füllen. Den lebendigen Inhalt liefert lung vollzogen. Der Materialismus war überwunden." Jdeadie Geschichte des Sozialismus in feiner Stellung zur Religion." listische Philosophie, namentlich Kantsche Gedanken wurden wieder Betreten wir bei solch historischer Betrachtungsart laifischen mit Begeisterung aufgegriffen. Diese Entwicklung beeinflußte die Boden, so finden wir in Marg den Mann, welcher mit seiner neue Forichergeneration, wie der Materialismus die alte. materialistischen Geschichtsauffaffung die Utopie überwand. Er hat tauchten in Bernstein , Max Adler und Eisner überzeugte Kantianer gezeigt, daß der Lauf der Geschichte von der wirtschaftlichen Lage auf. Der idealistische Lufthauch, der auf diese Weise die Reihen der der Völker abhängt, und daß wirtschaftliche Umwälzungen die Partei durchwehte, machte dann feinerseits den Weg für manchen großen Umwälzungen der Geschichte bedingen. Dieser allgemeinen Pfarrer frei, der bisher vor dem Materialismus der Sozialdemokratie Anschauung ordnet die Religion sich zwanglos unter. Die religiöse zurückgeschreckt war. In diesen freisinnigen Männern vermählte sich die Welt ist nur der Refleg der wirklichen Welt. Für eine Gesellschaft moderne Wiffenicbaft, die religiöse Strait und die soziale Ethik zu von Warenproduzenten ist das Christentum. namentlich in einem oft wirkungsvollen Ganzen. Für Maurenbrecher stammt jede feiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw. Religion aus dem„ Leid" und damit wird ganz im Dießgenschen die entsprechende Religionsform."( Marg, Kapital) Damit wird der Religion, oder besser gesagt, der Religionsform zwar jeder absolute Wert aberkannt; eine starke Abneigung oder gar Feind schaft gegen die Religion kommt in diesen Worten aber noch nicht zum Ausdrud.
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August Bebel steht theoretisch auf demselben Standpunkt wie Marg. Er sagt:„ Die Religion ist die Widerspiegelung des jeweiligen Gesellschaftszustandes".( Bebel , Die Frau und der Sozialismus.) Auf Grund dieser Erfenntnis glaubt er den Untergang der Religion überhaupt und des Christentums im besonderen vor aussagen zu fönnen. Wenn es keine Unterdrücker mehr gibt, wird es kein Mensch mehr nötig haben, andere durch Märchen und Jalusionen über ihr trauriges Los hinwegzutäuschen. Ohne gewaltsamen Angriff und ohne Unterdrückung der Meinungen werden die religiösen Organisationen und mit ihnen die Kirche allmählich verschwinden."( Bebel , Die Frau und der Sozialismus.)
In diesen Worten liegt gleichzeitig das Bekenntnis zur vollen Toleranz. Bebel will in feiner Weise einen geiftigen Zwang aus geübt sehen. Andererseits hat er persönlich jede Religionsform bereits überwunden, ja ist ein Feind der Religion. Sie werden fich.... nicht wundern, wenn ich mich nicht nur als Gegner des Katholizismus, sondern als Gegner jeder Religion bekenne."
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Sinne die Sozialdemokratie, die alles Leid befämpit- aur böchsten Religion. Kalthoff. der ebenfalls der sozialdemokratischen Bewegung nabesteht, gelangt zu einer durchaus persönlichen Religion.„ Ich und wäre fann doch nicht bekennen, was ein anderer geglaubt dieser ein Luther, ein Baulus, ja ein Chriftus."( Kalthoff, Religiöſe Weltanschauung.) Die Unendlichkeit der Welt, die Ewigkeit der Zeit und der Entwicklungsgedante vereinigen fich in seiner Seele zu einem durchaus persönlichen, aber fraftvollen Weltbild.
Die geschilderte Entwidlung führte mit Notwendigkeit Männer der verschiedensten Weltanschauung in die Reiben der Sozialdemofratie zusammen. Und die Sozialdemokratie mußte daraus erkennen, daß sich ihre wirtschaftlichen Bestrebungen mit jeder Weltanschauung vertragen, solange diefe Weltanschauung eine rein theoretische Anficht bleibt, und sich nicht zu einem Werkzeug der herrschenden Klassen berabwürdigen läßt.
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Damit ist der wahre Inhalt des Wortes Religion ift Privat. sache" gegeben. Es bedeutet: Freiheit des Geistes, Freiheit der Gedanken Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben zu bes fennen oder zu verschweigen. Und Freiheit von jedem gwang in geistigen Dingen. Nur wenn wir diefe gewähren, fönnen wir für den Einzelnen das Glid vollenden, das eine soziale Gefellfchaftsordnung der Gesamtheit bringen foll.