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grellen Blinklichter ins Meilenrund. Möwen flogen zu Nest und| Sarajevos  ; ja, fie ift, was die Hagia Sophia für Konstantinopel  , was schrien mit fragender Betonung.

Walter Linde stimmte unser Leiblied an: Es dunkelt schon in der Heide, nach Hause laßt uns gehn..."

Ich hatte vermutet, die Jungen und Mädel würden Saul durch Handschlag ein Gelübde geben. Sie taten es nicht. Der Hamburger neuen Jugend ist alle schöne Geste vor Zuschauern zuwider. Aber die Bürschlein, die unseren Saul immerzu mit ihrem Spott verfolgt hatten, gingen auf dem Heimweg hinter Saul her wie Besiegte.

Wir schlossen uns immer mehr zu einer Sinnesgemeinschaft zu fammen, und nie wieder fiel ein dummes, schnoddriges Schmähwort. Als der Judenjunge" von dazumal aus familiären Gründen vor zeitig aus unserer Runde scheiden mußte und alle meine Jungen und Mädels ihm gute Wünsche mit auf die Fahrt in die Heimat und auf die Reise durchs Leben gaben, buchte ich den ersten, be­fcheidenen Erfolg meines Unternehmens.

Sarajevo  .

Bon Hermann Wendel  .

Sarajevo   ist der Untergang des Morgenlandes. Jm Treppen­flur des Landesmuseums hängt eine große Photographie von 1878, Jahr des Einrüdens der Defterreicher. Bosna  - Saraj, wie es damals nicht nur im Munde der Moslems hieß, war eine große Stadt mit ansehnlichen Gebäuden, Rafernen und Ronats, aber rein türkisch, in den tiefften Drient gebettet. Reisende aus unseren Breitegraden wagten sich nach Sarajevo   wie nach Smyrna  , Damaskus   oder Esti­Schehir. Europa   dämmerte irgendwo weit drüben gen Sonnen­untergang.

Den Franken, den Desterreichern lag vielleicht gar nichts daran, das Morgenland zurückzudrängen. Sie ftüßten fich ja, weil es fo am fommodeften war, auf die islamische Herrenschicht der Begs, hätschelten die Moslems auf Schritt und Tritt, bauten ihnen hier eine Moschee und dort eine Moschee, und das neue pompöse Rathaus von Sarajevo   gehört mit seinem strengen maurischen Stil innen und außen geradewegs nach Marokko  . Aber die westliche Zivili fation ist freffende Säure; vor ihr löst sich alles Romantische, Mittel­alterliche und Orientalische in Nichts auf. Heute geht man durch wohlgepflasterte Straßen mit hohen Häusern und geleckten Laden Scheiben und am Kai der Miljatschka mit wuchtigen Amtsgebäuden entlang wie durch Agram oder Laibach, wie durch Wien   oder Buda­ pest  . Nur die verhüllten Frauen, wandeln als Gespenster einer ver­fintenden Zeit über den europäerhaften Hintergrund dieser Stadt. Und in ein paar enge Gaffen der Tscharschija, des auch immer mehr einschrumpfenden Bazars hat sich der Orient geflüchtet. In schmalen Schragen wachen geruhsam würdige Handelsleute über ihre Barenbestände; Halva lockt und die anderen unvermeidlichen Süßig­teiten des Morgenlandes; ein Fesbügler wartet geduldig hinter feinen fupfernen Formen auf zerknautschte Kopfbedeckungen. Zwei, brei Stände nebeneinander bieten Lederwaren feil, grobe Opanten und zierliche für einen feinen Frauenfuß, geschmückte Tafchen und Täschchen und Geldbeutel; alte Hadschis, mit eisgrauem Bart, die ungefüge Brille auf der Nase, ein Buch mit fraufen Schriftzeichen vor den Augen, weise wie Marabus, nehmen, auf dem Boden ihres Geschäfts fizend, weltentrückt die Lehren des Koran   in sich auf; andere halten ganz einfach ihren Kef, indem sie sich einem zeitlosen Borsichhindösen überliefern.

Hinter einem Giftfrämer, der mit untergeschlagenen Beinen dahockt, baut sich eine ganze Mauer grüner und brauner, großer und fleiner ovaler Holzschachteln mit Drogen und Arzneien auf, von der niederen Dede baumelt geheimnisvolles Wurzelzeug und Kräuterwert, und seitab harrt an den Wänden eines Glasgefäßes ein halbes Dugend Blutegel der letzten Erfüllung ihres Seins. Ein Raffeeschant ist nicht umfangreicher als eine größere Seifentiste, ent­hält eine Bant, einen Tisch, ein Holztohlenöfchen, und der helle, schwache, doch schmackhafte Trant, der dir vorgesetzt wird, heißt Adschit. Nirgends schnelle Gebärden und heftiges Aimen, nirgends Betriebsamkeit und Geschäftigkeit, und überall blickt dich Tausend und eine Nacht aus Rätselaugen an.

Auch fommt man in den Vorstädten an verschlossenen, abweisen­den Landhäusern mit geschütten Beranden und verborgenen Gärten vorbei und weiß Bescheid. In aller Welt liebt der Moslem bei Schwazendem, wässerchen, unter fingenden Vögeln, vor blühenden Blumen und mit Kaffee und Tabat das beschauliche Auskosten der Tage, die unaufhaltsam, ohne den fleinsten Halt pahinrinnen.

Alle Geräusche des Westens, Auto, Elektrische, Lokomotiven übertönend, ist die Moschee des Gazi Husrefbeg ein heller Ruf zu

Allah   empor.

Ihr Erbauer, gewaltiger Kriegsheld und Oberherr Bosniens  in den Tagen Sulejmans des Prächtigen, hat aus den Dukaten reicher Feldzugsbeute Bosna- Saraj mit Bädern, Klöstern, Handels­häusern, Haus und Herbergen verschwenderisch ausgestattet, aber tein schöneres Denkmal fündet seit vierhundert Jahren seinen Namen als diese Dschamija. Bier Marmorsäulen tragen ihren arfadenähn­lichen Vorbau; da tlebt über vergittertem Fenster ein Schwalben­neft, eine Kanzel für den Muezzin, der täglich um die Zeit des Nach­mittags- und Abendsgebets den Gläubigen Gottes Bort einprägt. Aber erst von weitem gesehen, entfaltet die Begova Dschamija, Kuppeln und Minarets über elendes Dächerzeug hebend, thre much­tigen und doch anmutigen Reize; man begreift fie als Wahrzeichen

der Stephansdom   für Wien  , was das Münster   für Straßburg   bedeutet. Und welch ein Schwarm von geistlichen und weltlichen Bediensteten hängt an ihr, alle aus dem Batuf, dem Kirchenvermögen, schlecht und recht gespeist!

Alle Moslems, an die sechsmalhunderttausend in Bosnien   und Herzegovina  , find nach Stamm und Sprache leibliche Brüder der chriftlichen Bevölkerung: der Serbe ein orthodorer, der Kroate ein katholischer, der Moslem ein islamischer Südflame, alle drei ein Bolk, eine untrennbare Gemeinschaft. Nur Glaube und historische Tra­dition errichten Scheidewände: Hie Byzanz! Hie Rom  ! Hie Metta! Hinter dem religiösen Gegensatz zwischen Moslems und Christen springt auch ein sozialer Widerstreit auf. Die Grundherren, die Begs und Agas, glauben an den Propheten, die Grundholden, die Kmeten, find Chrifti Lehre zugetan. Und wenn die Begs mit Kind und Regel noch nicht ein Zehntel aller Moslems ausmachen, die Religion. bildet eine feste Klammer um alle, denen der Ruf des Muezzin vom Minaret gilt; reiche Herren und arme Teufel, alle sind leicht unter einen Fes zu bringen.

Durch die religiöse Hülle ist das nationale Bewußtsein noch nicht durchgebrochen; Glaubensbindung war auch für den mittel- und west­europäischen Menschen des siebzehnten, noch des achtzehnten Jahr hunderts stärker als alles andere; erst dann leuchtete auch bei uns nationales Gefühl auf. Frage hier den Moslem in Stadt und Land: Was bist du? Die Antwort zögert nicht: Ich bin Türke! Damit legt er religiöses, nicht nationales Bekenntnis ab; Türkisch, du lieber Himmel! versteht außer der Handvoll Geistlicher niemand. Frage weiter: Welche Sprache sprichst du?, und du vernimmst: Bosnansfi! Bon hundert Moslems wissen auch gerade sechs zu lesen und zu schreiben, aber die islamische Bildungsschicht ist sich über die nationalen Zusammenhänge im flaren. Ihrer viele nennen sich. nach der Zugehörigkeit befragt, Kroaten  , andere Serben. Aber ihre politische Bartei heißt nicht Kroatische  , nicht Serbische, sondern Süd­lawische Muselmanische Organisation; die Massen der Moslems werden, wenn fie, in eine notwendige Entwidlung hineingerissen, eines Tages doch zum Nationalgefühl erwachen, ohne serbischen oder froatischen Umweg fofort zur höheren Einheit beider, zum Süd­flamentum, durchstoßen.

Hermann Wendels Liebe gehört feit langem den Südflawen. Mit Land und Leuten, mit ihrer Sprache, Literatur und Geschichte innig vertraut, will er dem Berstehen dieses so oft misverstandenen Bolles dienen. Dazu sollen auch die beiden Sammlungen seiner füdslawischen Reiseeindrücke dienen, die er jetzt unter dem Titel ,, Rreuz und Quer durch ben flawischen Güden vereint( Frankfurter   Societätsdruckerei, Frankfurt   a. M.) und durch flowenische Reisetage erweitert. Wendels persönliche, Leben fprühende Art hebt sein Buch weit über die üblichen Reisebeschreibungen.

Ein Pfalm der Arbeit.

Ich habe der Menschheit Jahrhunderte hindurch gedient, tch habe Zeitalter hindurch die Bürden der Welt getragen. Ich habe die Erde durchackert und habe reicheres Wachstum aus ihr hervorgebracht.

Ich habe die Wüste blühen gemacht und die Wildnis zum Garten gewandelt.

Ich habe das Korn in die Speicher getragen, ich habe die Frucht eingesammelt.

Ich habe die Welt ernährt, ich habe alle Menschen mit Nah­rung versorgt.

Ich habe wilde Tiere gezähmt und sie zu Dienern des Men­schen gemacht.

Ich habe den Faden zum Stoff gewoben, ich habe die Kleider geschaffen. Ich habe die Menschen bekleidet.

Ich habe Berge abgetragen und den Fels zur menschlichen Wohnung gemacht.

Ich habe die Riesen des Forstes umgehauen und habe sie dem Menschen Annehmlichkeit schaffen lassen und Schutz.

Ich bin in die Eingeweide der Erde hinabgestiegen und habe sie gezwungen, ihren Schaz herauszugeben.

Ich habe im blendenden Glanz des Schmelzofens mein Wert getan, ungeschredt vom Gezisch des Dampfes und vom Geflirr des Stahls.

Ich habe die Nationen reich gemacht. Ich habe den Wohlstand der Nationen geschaffen.

Aber meine Augen sind dabei blind geworden und meine Hände find gebunden worden. Ich sah nicht, daß der Wohlstand, den ich schuf, mein war, noch daß die guten Dinge des Lebens mir gehörten.

Aber nun fallen mir die Schuppen von den Augen und ich be ginne zu sehen. Ich will in meiner Kraft auferstehen. Ich will meine Ketten zerbrechen.

Ich will mir nehmen, was mein ist. Ich will von meinem Eigentum Befizz ergreifen.

Ich will allen Menschen Wohlergehen und Fülle bringen. Ich will allen Frieden und Freude bringen.

Denn ich bin größer als die Habsucht. Ich bin mächtiger als Mammon.

Ich bin die Arbeit.