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3n üer WeSerau. Von Franz Kliihs. Juni 1923. W«tt  «raul Wenn das Wort so dasteht, zuckt es in atlen Nerven: Man möchte blutige Berliner   Witz« machen. Denn so«troas von Wetter, wie man hier im schönen Mai und im Rosenmond erlebt«, gibt es ja gar nicht. Das einzig« gut« ist, daß noch der Schnee die blühenden Gefilde oerschonte. Aber sonst eine feuchte Kälte zum Pelzwachsenlassenl Also die Wetterau muß man kennen. Man sagt, es gehöre zum Kapitel der Allgemeinbildung, daß man ihre Schönheit zu würdigen weiß. Sie ist zwischen dem Vogelsgebirg« und dem Taunus   malerisch ausgebreitet und hat den Vorzug unter vielen anderen!, die fruchtbarst« Gegend Deutschlands   zu sein, wenn man von der Magde- burger Börde absteht. Inmitten dieser Wetterau liegt das hessisch« Kreisstädtchen Friedberg mit emem wunderbar alten Schloß auf steiler Bergkuppe. Einstmals gehörte es etwelchen Landgrafen. Aber während wir durch die Gänge und Hallen schlendern und in dem lauschigen Burgoarten mit der Vergangenheit Zwiesprach halten, taucht das Bild des letzten, des blutigen Zaren vop uns auf, der in diesem Schlosse Zuflucht fand, als er 1910 mit seiner Familie in Deutschland   Erholung von seiner Nervenüberreizung suchte. Noch heute erzählen die Bewohner von der Unzahl russischer und deutscher   Kriminaler, die da« still« Städtchen und seine Um- gebung bevölkerten, um das unheilig« Haupt de» letzten Nikolaus vor Unbill zu schützen. In Friedberg   ist ihm ja auch nicht» geschehen. Aber die Weltgeschichte läßt sich selbst durch ein Heer von Kriminal- beamten nicht in ihrem Lauf« hemmen. Von den Zinnen der Burgmauer schauen wir ins weite Land. Dort unten liegt, nur wenig« Kilometer entfernt, eines der berühmtesten Heilbä der der Welt: Bad Nauheim  . Der Ort zählt alljährlich willkommener« Gäste als den bleichen Mann au» dem Geschlecht der Romanows  . Zehntausende kehren dort w jedem Jahre«in, um in den Ouell- bädern Hellung zu suchen von allerlei Leiden, die dem menschlichen Körper zustoßen. Es ist ein wundersames Ding um diese Heilbäder! Wer als Laie es nicht selbst erprobt, hat kamn eine Vorstellung vo« ihrer Wirkung. Du bist etwa mit einem kapitalen Herzfehler be- haftet. Der Pochmuskel, der den Körper mit Blut oersorgen soll, versagt zuweilen. Er bereitet dir Atemnot, Beklemmungen, Angst- gefühle. Der Arzt sagt: Nauheim   oder Salzuflen   oder Altheid« aber Bäder müssen es sein! Du versuchst es also, packst den Koffer und fährst nach Nauheim  . Wie es sich von selbst versteht, dort Bäder zu nehnxn: streng dosiert nach arztlicher Vorschrift. Und du wirst überrascht sein ob der wunderbaren Wirkung, die sie hervorrufen. Wieso, wodurch, weshalb? Das sind Fragen, auf die dir jeder Arzt und jeder Laie jedesmal ein« ander« Antwort geben wird. Ganz zweifellos ist nur, daß die Zusammensetzung des Wasser» eine her­vorragende Roll« spielt. Aber man kann diese Zusammensetzung nicht nachmachen. Denn so, wie es der Erde entspringt, noch in seiner natürlichen Wärm«, die über 30 Grad Celsius betrögt, wird es in die Wanne geleitet. Und in dies«m natürlichen Gewässer darfst du deinen tranken Korpus baden. Von oben bis unten ist er bald bedeckt mit kleinen Bläschen, so daß er sich ausnimmt wie ein Baum, der vom Frühreif überfallen ist. Ei« entstehen aus der Menge der Kohlensäure, die in diesem salzhaltigen Wasser enthalten ist und an der Luft zum Entweichen kommt. Den angenehmen prickeln- den Reiz, den dies« Kohl«nsäur«blöschen auf die Haut ausüben, kann man nicht schildern. So uxnig wie man sagen kann, warum und weshalb gerad« dl« sogenannten Thermalbäder, da» heißt natur- warme Ouellbader, ihr« Heilkraft ausüben. Mag die Theorie aber auch sein, wie immer, die Praxi» zeigt außerordentliche Erfolg« b«i zahlreichen Erkrankungen de» Herzens und des Gefäßsystems. Das gilt für Nauheim   wie für ähnlich« Bäder. Und je mehr die Wirkung dieser Ouellwaffer be- tannt wurde, desto mehr hat ihre Anwendung in der medizinischen Praxis sich ausgebreitet. In das Heilbad Nauheim   kommen deshalb die Hellungsuchenden au« der ganzen Welt. Amerika  , Austrakie», Afrika   senden Krank« ebenso wie Rußland   und Spanien  , Norwegen  und Jtalieen kurz, wie ganz Europa  . Die Badeeinrithtungen sind Eigentum de  ? hessischen Staates, dessen gegenwärtiger Staats- und Ministerpräsident, unser Genosse Karl Ulrich, feit vielen vielen Jahren zu den jährlichen Kurgästen Nauheim» gehört. Cr führt seine verhältnismäßig körperliche Frische trotz sein« 70 Jahr« nicht zuletzt auf die regelmäßig« Anwendung dieser Bade- tur zurück. Und ander« Lobredner der Wetterou-Ouellen finden sich überall. August Bebel   und Viktor Adler   haben hier ebenso Heilung gesucht wie derZar der Vulgaren", der Koburaer Ferdi- nond, und andereFürstlichkeiten" einer entschwundenen Zeit. Die Dollarpreise beherrschen beut« begreiflicherweise hier noch mehr als anderswo den Markt. Kurtaxe, Bäderpreise, Wohnung«- miet« werden in Rücksicht auf zahlungsfähig« Ausländer festgesetzt. Und es ist nur«in Notbehelf, wenn dem zahlungslchwach«» Inländer daraufhin eine Ermäßigung des allgenieinen Preise» zugesionderi wird. Das gilt zudem auch nur kür amtlich« Toren, nicht im Klein- verkehr des täglichen Leben«. Und die Dollarpreis« machen«» iimnec weiteren Kreisen fast unmöglich, aus eigenen Mitteln sich«in« an sich notwendige Badekur zu leisten. Di« Krankenkassen aber sind durch die Geldentwertung derart in ihrer Zahlungsfähigkeit ge- schwächt, daß sie nur selten Mittel für solch« Sonderkuren bewillige« können. Bleiben die Reichsversicherur.g für Angestellte, die Jnoa- liden- und die Knappschaftsversicherung. Von deren Mitolicdern finden bisher immer nach eine nicht unerhebliche Zahl die Möglich- keit, in die Wetterau zu fahren und Heilung zu suchen au beul Thermalquellen, die aus über 200 Meter Tiefe der Erde entspringen, Wer aber, trotz dieses kalten Frühllngswetters, sein Rheunntl und sein Herzeleid hierhertrag«» tonnt«, wird diesen Winkel zwischen' Rhön   und Taunu  » nicht ohne geistige und körperlich« Stärkung verlassen. Der Schiffer. Von Han» Fr. Blunck. Eine feuchte Dunkelheit liegt über dem Wasser. Der Wind pfeift in Stößen aus der Hafenftraße der kleinen Stadt, läßt all» Lichter flackern und platzen und lärmt wie ein verwunschener Heuer- knecht. Peter Vreckwoldt hat sein« Ladungspapiev« klar, er will rasch zu seinem Ewer zurück, er mag diese Stadt nicht. Es ist zudem niemand an Bord, und er hat für seinen Jungen zu sorgen. Der Schiffer stapft schwer gegen den Wind. Es ist, als hätte er Mühe, feine breiten Eämltern zu tragen, er läßt sich nach vorn fallen und wiegt den Kopf zu jedem Schritt. Die Stirn bat e« hochgezogen, seine Gedanken sind immer Jahre zurück in diesem Hafen. Er hat ihn selten berührt, er kam hier einst mit seinem Weib auseinander. Er möcht sie nicht wiedersehen, peht den raschesten Weg zum Kai, um zu seinem Jungen Heimzukehren. Mit Gewalt hat er ihn von der Mutter geholt, sie wollt« ja nickst glauben, daß das Gericht ihn ihr abgesprochen hatte. In seinem Boot richtete sich Peter Preckwokdt auf. Die Schwere, die den Weg entlang über ihm lag, weicht, seine Hände packen das Wrickruder, daß das Wasser vor Wind und Holz zu grauem Schaum brodelt. Dünne Regenftöße schneiden ihm ins Gesicht, die Böen jagen die Spritzer pfeifend übers Dollbord, und wo er aus denr Schutz der Schuten und Tjalken über freles Wasser setzen muß, tanzt das Boot unter ihm, daß er sich mit Knien und Fersen zwischen das Holz spannen muß. um es in der Gewalt zu behalten. War er erst an Bord. Der Schiffer ist unruhig, wenn er an fein Kind denkt. Grad groß genug ist'», nach eigenem Kops Dumm- Helten anzufangen, solch Gernegroß. War vielleicht nicht recht, es zu Abend allein zu lassen. Gesindel treibt sich im Hafen umher, stiehlt auf den Schiffen. Aber wie soll er's anfangen, wenn er mit den Papieren abrechnen muß, und seine Leute an Land gehen wollen. Er kann sie nicht als Kinderwärter anstellen. Und schließ- lich, mit acht Iahren muß ein Schisferjunge auf sich selbst stehen. Was schrieb die Frau ihm von ihrer Angst? Weiberkram über den Jungen. Er hatte den Brief zerrissen. Di« Unruhe treibt den Schiffer voran. Ei ist wohl die Röhe der Stadt, die ihn so mitnimmt. Er hat de» Oelrock übergeworfen vnd wrickt und fühlt, wie sich seine Sehnen zum Bersten spannen. Der Regen dunkelt alles ab, der Wind schneidet m die Augen. Lichter funkeln mit Mühe durch die gischtige Luft und tanzen mit dem Schiff aus und ab. Jetzt, wo er über» freie Wasser fährt, muß der Schiffer jede Well« niederstoßen, er ringt körperlich mit ihnen und mit einer Angst, die ihm in die Kehle steigt. Dann hebt sich der dunkle Schiffsrmnpf neben den Lichtern hoch, ein paar Taue funkeln auf und ab, Peter Breckwoldt will an- legen. Da schlägt sein Boot hart im Dunkel aus, einen Augenblick taumelt er, tappt vorauf, treibt ab. Mit ein paar Schlägen ist er wieder längsseit. Da» Blut pocht ihm in den Schläfen, ein« fremde Jolle liegt am Schiff. Mit einem Sprung ist der Schiffer drüben, hat festgemacht und schwingt sich auf Deck. Seine Nerven spannen sich, er sieht Licht und Dunkel ineinander flackern, packt mit den Händen voraus und tappt stolpernd zur Luke. Der Jung, ist sein einziger Gedanke. Alles in ihm kreist um feine Angst. War nicht eben im Raum ein Licht erloschen? Er stemmt sich m die Tür, sie bricht vor ihm ein, die Klinke bleibt in seiner Hand. Einen Augenblick steht er vor der Dunkelheit der Kammer, fühlt, es sind Menschen vor ihm, die ihm entg«genwarten. Noch wogt er nicht, sich zu rühren. Jung, wo bist du?" Aber niemand antwortet. Da spürt er einen ftemden Atem, der mit ihm in der Kammer ist, packt um sich ins Leere. Ein Stöhnen irgendwo, er reckt beide Arme wie Hämmer voran. Sein« Nüstern schnaufen, wütend sucht er das Feindliche vor sich. Ein Schlürfen hinterm Tisch. Der Schiffer halt aus und sthleudert hart die Klink« hinüber. Ein gellender Frauenschrei. Dann hört er sein Kind:Dater," schreit er,Pater, laß sein!" Ein kleines Licht flackert auf, der Junge hat eine zitternde Kerze ln der Hand, stolpert mit weiten entsetzten Augen zu der Gestürzten. Ist Mutter doch, Vater!" Der Schiffer fühlt jäh das Schivanken des Schiffe», er muß slch festhalten, das Kind verbrennt ihn mit seinen wehen Augen. Er bückt sich, stottert etwa» Irres, kann den Leib nicht heben, den «r anfaßt, will um Vergebung betteln und schreit uoch drohend: »elltest Dir den Jungen holen, Du?" Daim wird der Körper leichter, der Mann sieht de« Weib in die Lider, die sich entfetzt gegen ihn öffnen, will sie wieder stürzen lassen. Aber er sieht Blut aus ihrem Haar rinnen und erschreckt tief, daß er ihr Gewalt antat. Da» Kind«eint und kreischt:Tu ihr nichts, Vater!" Dem Schiffer zieht ein Frost über seinen Rücken bei jedem Kreischen de« Jungen. Er heischt ihn schw»igeu, nur um etwas zu sagen, freut sich, daß das Weib nicht hört und weiß doch, daß er es nicht wieder sortweisen kann, solange der Jung darum bettelt.Hör," stottert er und rüttelt sie wech,hör doch, Lenc, der Jung will Dich hier haben!"