Loblied der Sonnenblume.Von Alwin Rath.Wo sich van Gogh in der alles überglutenden Farbe weit aus-gebreiteter Lupinenfclder austobt oder in strahlenden Sonnen-blumengloriolen schwelgt, da wälze ich mich mit in diesem Pracht-glutengold der Sonne.Wie zart, wie weich aber klingt diesen starten, vom Saftgrünund Chromgelb der Sonnenblum« strotzenden Bildern gegenüberdas„Bild" eines anderen Künstlers:„Der Sonnenblume gleich stehtmein Gemüte offen." Malt Mörike, eigenartig, erst srapp erend,und doch so großartig Sonst wissen die Künstler vom Wort nichtrecht mit der prangenden Blumenriesin fertig zu werden. Manbegegnet ihr selten in der Klause der Poeten. Eher in der Glas-stube der Dekorateure, hinter glitzernde» Schaufenstern.Ein anderer Künstler der Wirklichkeit aber versteht sich mit derSonnenblume direkt häuslich und sommerlich luftig einzurichten,der„Berliner Agrarier". Mit Vorl'ebe und auch mit Geschmackbisweilen pflanzt der Laubenkolonist in seinem Landgütchen die�ochschastige, diese Sonne unter den Blumen, die beim Herannahendes Herbstes mit ihren kolossalen gelben Blumenkelchen dem vonWind und Wetter mitgenommenen Sommerhcim«in« lichte freudigeTraulichkeit gibt und mit ihren ungeheuren Blättern die Häßlichkeitder oft geradezu tecrpappencn„Erholungsstätten" angenehmtapeziert!Als der Mensch noch in einem mühselig ausgebrannten undausgeschürften Einbavm sich über die Flüsse wagte, hatte derLebensgeist in dem kleinen chlorophyllgrünen Zellchen, das sich indem Kieselpanzxr der Alge vermauert, bereits das Prinzip derMüngstener Brücke, überhaupt jedes modernen Brückenbauwerks„ersonnen". In jedem unters Okular gebrachten Wassertropfenunserer Tümpel kann man noch heute solche winzige Diatomeen,Kicselalgen, hinschicßen sehen. Bald kuglig, bald sichelförmig, baldwie ein zierliches Boot anzuschauen.Bei allen aber ist in wunderbarer Regelmäßigkeit der Aus-sührung, so daß jedes der kleinen Kielelfutteräle wie ein minutiösesKunstwerk wirkt, aus den zarten Wandungen Material heraus-gespart. Unwillkürlich denkt man an die kunstvollen Durch-brechungen gotischer Bauwerke, wie des Rathauses zu Münster,und an das kostbare Arabeskenwerk in den Tempeltüren arabischerMoscheen. Und an die Müngstener Brücket Denn hier ist schondie modernste Wissenschaft des heutigen Ingenieurs tätig gewesen,die bei Eisenbauten cder überhaupt, wo größte Sparsamkeit imMaterialoerbrauch notwendig ist, nur„die Drucklinien massiv her-stellt und die Füllungen leer läßt".Dies Kunststück im Bau des Hauses hat auch die Sonnenblumemit der Zeit herausgeklügelt. Sie, diese Hochragende und doch soschlanke, die unter jedem Windhauch pendelt, unterm Sturm biszur Erde geschleudert, doch wieder elastisch und lebenszäh aufschnellt,sie hat in ihrem Innern, in diesem schmalen Schaft ihres Stengelsein Konstruktionsgcrüst von solcher Zähigkeit, solcher Leichtigkeitund solcher Federkraft sich erbaut, daß dagegen die MüngstenerBrücke oder der Eifellurm Etümperweri bleiben. Dieser immer-hin dreihundert Meter Hohe, sollte er unter einem Taifun in einPendeln, ein Schleudern kommen, daß Ihn fast die Seine bespritzte,wie würde es ihm ergehen? Würde er wieder aufspringen wiedas gelbe Ris'enkind, die Peruanerin, die doch neben ihm ein«Zwergin, ein Grashalni ist?In seinem Halm hat es den Eifelturm in kleinem, aber um sozäherem und festerem Maße federleicht aufgebaut. Zwischen diedas grüne Leben strömende Protoplasmamasse, in dies grüneLebensmark der Pflanzen steigen zahllose zähelastisch« Säulen ausfast reiner Zellulose auf. Säulen! Röhren! Was bricht schwererals eine Röhve?Diese zahllosen Röhren aber schließen sich gleich unter derOberhaut des Schaftes ringsum sozusagen zu einem einzigen Rohrzusammen, das als„Kollenchymstruktur" die Widerstandsfähigkeitder Sonnenblume gegen die auf sie anschmetternden Stürmebedingt.Der bald weihe, bald schwarze Samen ist nicht nur«in gutesMittel, um der„süßen Lora" die Langeweile des Käsigstumpssinnserträglicher zu machen. Im Kriege haben wir ganze Sonnen-blumenwälder an den rollenden Zügen vorbeifliege» sehen.Aber auch ftllher war schon ein gut Teil des„Olivenöls" ausdem Teller der peruanischen Emigrantin geflossen. Hellgelb, hatdas Oel der Sonnenblume einen sehr angenehmen, mandelartigenGeschmack und eignet sich prächtig zu jenen Fälschermanipulationen.Was für ein gutes Nutzviech die Peruanerin doch ist! Siemacht uns nicht nur die Augen blank mit ihrer Blühpracht, sie machtuns auch von oben bis unten blank, wenn's sein muß, und läßtsich geduldig in der höllischen Aetzlauge des Sodasteins, im Brüh-kessel zu Seife kochen: läßt Firnis gar aus sich schmoren und bietetnoch mit ihren nackten Wurzelknollen dem Geschmack der Süd-lönder ein eigenartiges Mahl. Welche Schmausereien aber hat sieschon vorher, als sie den Strahlenkranz ihrer Sonne eben entfaltete,den Liebesmittlern der Blüten geboten, denen zu Liebe, um sichihnen möglichst auffällig zu machen, sie dieses kolossale Konglomeratvon Blüten bildete. Und doch hätte sie dies« und ihre Fremd-bestäubung nicht nötig, da aus ihr die benachbarten Blüten bald einzartes Verhältnis anknüpfen, das in einem Dauerkuß ihrer Narbenousklingt. Nicht nur im Frosch, auch im Sonnenblumenteller kannman un Geschichtskalenter der Liebe und des Lebens blättern._Eine Hölle zu verkaufen.Von dem gewaltigen, mehr als 4000 Inseln und Inselchen um-fastenden ostasiatischcn Archipel, der das japanische Kaiserreich bildet,ist nur noch ein verhältnismäßig unbedeutender Teil, die Nordhälsteder Insel Sachalin, in russischem Besitz. Jetzt hat Japan derSowjetregierung den Vorschlag gemacht, ihm auch den Nordteil vonSachalin gegen eine Zahlung von 150 Millionen Pen käuflich ab-zutreten. Da der Vertreter der Sowjetregierung jedoch dieKleinigkeit von 1 Milliarde Goldrubel dafür verlangt hat, so habensich die Verhandlungen einstweilen zerschlagen. Aber früher oderspäter werden die beiden Kontrahenten sicherlich irgendwie auf dermittleren Linie zusammeckkommen. Denn Ruhland wird sich sagenmüssen, daß es seinen Anteil an der Insel Sachalin auf die Dauerdoch nicht lvird halten können, wenn die Japaner ihn unbedingthaben wollen. Zudem kann Rußland Sachalin sehr gut entbehren,da es in» Sibirien alles das, was es auf Sachalin zu holen gibt,unendlich viel reicher hat. Den Südteil der Insel bis zum 50. Gradnördlicher Breite hat Rußland im Frieden von Portsmouth anJapan abtreten müsten.Man darf wohl ohne weiteres annehmen, daß sich dos heutigeRußland sehr gern von Sachalin trennen wird, aber natürlich kannkann man es der Regierung in Moskau nicht verdenken, daß sie,die so nötig Geld braucht, mit dem Rest der Insel ein möglichst gutesGeschäft zu machen trachtet. Vor allem sind für das Rußland vonheute all zu üble Erinnerungen mit Sachalin verknüpft: denn dorthaben sich unter dem zaristischen Rußland die gesürchtetsten Straf»kolonien für politische Verbrecher befunden, undlange Zeit hindurch war Sachalin ein« Hölle aus Erden, in der ver-mutlich mancher von denen geschmachtet hat, die heute das ehemaligeZarenreich regieren. Bei der Abgelegenheit der Insel, die zeitweiligfast nur mit Sträflingen besiedelt war, kamen verhältnismäßig seltenSchilderungen über das Leben der Sträflinge nach Europa: aberwas gelegentlich von entkommenen Gefangenen über die Leiden derHäftlinge in den Strafkolonien berichtet wurde, war grauenerregend.Und die Flucht war, solange die ganze Insel russisch war, völligunmöglich. Erst nach 1905 gelang es hie und da einem Sträfling,über die japanische Grenze zu entkommen.Die gesamte Urbevölkerung von Sachalin zählt nur etwa 4000Köpfe: es sind teils Giljaken und Aino, teils Orotschen und Tun-gusen. Die Russen gründeten zuerst im Jahre 1857 den Post Duian der Westküste in dem noch jetzt russischen Nordteil. Aber erst imJahre 1880 b«ann die systematische Verschickung zuerst von ge-meinen, dann auch von politischen Verbrechern. Die Gesamtbevölke-rung betrug am Ende der russischen Herrschaft über die ganzeInsel etwa 28 000 Köpfe, darunter nur ein Viertel Frauen. Seitherdürfte, da beim Ausbruch der russischen Revolution alle Gefangenenfreigelassen worden sind, der Nordteil nur noch eine ganz geringeEinwohnerzahl haben, wogegen die südliche Hälfte der Insel, derjapanische Besitz, sicherlich schon eine nach hunderttausende zählendeBewohnerschaft hat: denn die Japaner verstehen mit großem Geschickzu kolonisieren.Warum wollen die Japaner nun auch noch den unwirtlichenNordteil von Sachalin haben? Zunächst natürlich aus Prestige-gründen; dann aber auch wegen der dmt vorhandenen Wirtschaft-lichen Wert«. So gibt es bei Dui an der Westküste Kohlen, ebensoim Innern und an der Osttüste. Besonders wertvoll ist der Nordenaber durch seine ergiebigen Naphthaquellen, die das seefahrendeJapan ebenso gut gebrauchen kann, wie die Kohle. Außerdem hatNordsachalin wertvolle Pelztiere: auch der Zobel kommt dort nochvor. Ein paar Hundert Millionen Pen ist das nördliche Sachalinalso schon wert, zumal, da die im Norden noch wenig durchforscht«Insel möglicherweise noch andere Naturschätze in ihren Bergen ver-birgt. Landwirtschaftlich ist allerdings in dem rauhen Lande nichtviel zu holen. Denn das Klima ist sehr rauh und wird nur an derSüd- und Westküste durch die warmen Meeresströmungen gemildert.Im Winter herrschen heftige Stürme, im Sommer kalte dicke Nebel.Di« Vegetation gleicht der Nord-Sibiriens: Tundren und Urwaldaus Nadelhölzern nehmen weite Gebiete ein. An wilden Tieren gibtes Bären, Füchse, Moschustiere, Renntiere, Seeottern und besonderszahlreich Zobel. Auch der sibirische Tiger überschreitet im Wintergelegentlich die geftorene Meerenge zwischen Sachalin und demsibirischen Festland. Das verbreitetst« Haustier ist der Hund, dermeist als Zugtier dienen muß, da Pferde und Rinder nicht heimischsind und erst von den Russen und Japanern eingeführt wurden.Die neue japanische Bevölkerung im Süden widmet sich hauptsächlichdem Fischfang im Ochotskischen Meer, der sehr ergiebig ist.Schon vor 1905 war Japan einmal, 20 Jahre hindurch, Mit«besitzcr von Sachalin gewesen. Aber im Jahr« 1875 hatte es seineAnsprüche gegen die Ueberlassung der Inselkette der Kurilen anRußland aufgegeben. Sachalin ist übrigens seiner Ausdehnung nachein recht ansehnliches Gebiet. Der Gesamtumsang beträgt etwasüber 75 000 Ouadratkilometer. Das ist fünfmal so viel wie derFlächenraum des Freistaats Sachsen. Wie die Kurilen im Südosten,so sperrt Sackmlin im Südwesten den Eingang ins Ochotskifche Meer:von der sibirischen Küstenprovinz, dem Amurgebiet, wird die Inseldurch die Tatarenstraße getrennt, die an der schmälsten Stelle nur10 Kilometer breit ist. Sie ist allwinterlich Monat« hindurch festgefroren: denn Temperaturen von 30 bis 40 Grad unter Null sindin dieser unwirtlichen Zone keine Seltenheit. Und wenn Sachalinseit dem Ende der zaristischen Herrschast auch nicht mehr im früherenSinne eine Hölle ist— ein Paradies wird es auch unter den Ja-panern nicht werden: dasiir ist das Klima zu rauh.