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Diefes scheinbar fo einfache und doch so revolutionäre Wert, den Brief international freizügig gemacht zu haben, gebührt dem Weltpoftverein, der aus dem im September 1874 in Bern  abgeschlossenen Internationalen Postvertrag hervor ging.

Bis dahin hatten sich die Bölker durch Transitschifane, durch Bant um die anteiligen Portobeträge, die nach der Länge der Weg strecke bemessen wurden, durch Briefsperren und Vergeltungssperren bas Leben gegenseitig schwer gemacht und sich gegenseitig isoliert. Nun fielen mit einem Schlage alle Schranken und ein unerhörter Aufschwung des Verkehrs war die Folge. Daß die Vereinfachung und Verbilligung des internationalen Verkehrs auch den nationalen Belangen d. h. der Postkasse und der Volkswirtschaft der einzelnen Bertragsländer gut befamen, versteht sich von selbst.

lieben Augen feien im Mutterleib noch ftrahlend und groß gewesen, wie der Himmel Gottes, aber in der Stunde der Geburt am Rai von Galatha sei der Fluch auf sie gefallen und habe ihren Glanz brutal verlöscht; nun irre er Tag und Nacht durch die ewige Nacht feiner armen Augen, aus denen im Schlafen, wie im Wachen dicker Eiter rinne und Schuld an allem trage seine Mutter, da sie eine ver fluchte Hure gewesen ist, die Allah   strafen möge. So fingt er mit freischender, hoher Stimme und reißt dazu den Schurf von den eitrigen Höhlen. Und weiter: der Effendi möge näher treten und sehen, wie Allah   die Sünden der Mütter an den Kindern rächt; der Effendi möge einen Biafter geben, damit er selbst verschont bleibe Don Allahs Zorn." Und wenn der Knabe dann immer noch nicht die runden Piasterstücke im Handteller spürt, bricht er schließlich in einem wirkungsvollen Heultrampf zusammen. Dann wirft ihm der fremde Effendi die Piafter hin, um möglichst rasch fortzukommen und der hochgewachsene Anatolier tritt in ftillvergnügtem Interesse näher, be­fieht sich kopfschüttelnd die schwärenden Augen, stellt Fragen nach Einzelheiten, erteilt gute Ratschläge, zahlt und entfernt sich mit Jede Internationale bedarf einer Verständigungssprache. Es pathetischen, runden Bewegungen, wie immer. Ich hatte das seltene Ift nicht ohne eine gewisse Ironie, wenn wir hören, daß es der Glück, diesen Knaben später am Mittag in einer fleinen Milchbude deutsche Bevollmächtigte Heinrich Stephan   war, der damals mit zu sehen. Er aus einer Schüffel und schien sehr zufrieden zu sein, Erfolg für die französische Sprache eintrat, trotzdem anfänglich eine wenigstens grinste er ganz selig vor sich hin. Deur   gefellte sich eine Mehrheit des Kongresses die englische als Vertragssprache für zwedzärtlich die Hände streichelte. Es wird wohl seine Mutter gewesen Frau zu ihm, eine kleine blaffe Zigeunerin, der er zur Begrüßung mäßiger im internationalen Verkehr bezeichnete.

Bei Abschluß des Weltpoftvertrags hatten sich ihm 22 Länder mit über 350 Millionen Einwohnern angeschlossen. Heute sind alle Staaten der Welt ohne Ausnahme Unterzeichner, die ganze Mensch heit ist seiner Segnungen teilhaftig.

In den fünf Jahren, da Vernunft und Menschlichkeit zum Schweigen und Dulden verdammt waren, löfte sich auch der Welt­poftverein auf; doch hat bekanntlich die Schweizer   Zentrale für bie Zwede der Kriegsgefangenenkorrespondenz ausreichenden Erfaz ge­schaffen und nach Beendigung des Weltkrieges die zerriffenen Fäden wieder angeknüpft.

Der geistige Vater des Weltpoftvereins, Generalpostmeister Heinrich Stephan  , war 1831 als Sohn eines Schneidermeisters in Stolp   in Hinterpommern geboren. Stephan, der in seiner Jugend ein stürmischer Verkehrsreformer war, und der auch die Bedeutung der Luftschiffahrt und Elektrizität für den Nachrichtenverkehr früh Beitig flar erkannt hat, erlitt im Alter das Schicksal so vieler Stürmer and Dränger. Wie Luther   und andere vor ihm verknöcherte und verfümmerte er nach kurzem Hochfluge.

Unwillkürlich wenden sich heute die Blicke über Bern   hinaus nach dem anderen schweizerischen Size internationaler Neubildungen, nach Genf  . Hoffen wir, daß die Zeit nicht fern sei, wo in einem wahren Bölkerbunde alle jene Nationen vereinigt find, die den Weltpoftvertrag bereits unterzeichnet haben.

Der große Bazar in Stambul  .

Von Dr. Friedrich Mayer.

D.

Dieses Labyrinth ist mindestens eine Quadrameile groß, liegt auf halber Höhe des Stambulhügels und hat an den Enden der zwei Hauptstraßen, die treuzförmig fich im Mittelpunkt schneiden, je zwei Tore.

Man steigt vom Hafenzollamt, wo befrachtete Kamele mit langen, nachdenklichen Gefichtern in der Sonne fauern, die fteile, holprige Händlergasse aufwärts zum Bazar. Man fann zu dieser kleinen Man kann zu dieser Bleinen Strecke von einigen hundert Metern gut eine Stunde brauchen, oder länger, denn das Gedränge ist groß und die Bettler stellen sich dem fremden Effendi in den Weg, wie und wo sie nur können. Ach, diese Bettler! Bei uns in Europa   ist das ein letzter Ausweg vor der Ver­zweiflung, dort aber ein anerkanntes Gewerbe, das Gewerbe des

Elends.

Da sitzt einer in der glutheißen Mittagssonne nur mit einem Lendentuch bekleidet auf den harten Pflasterkiefeln mitten im Strom der Fußgänger und preist mit irrer, weinerlicher Stimme die Ge­rechtigkeit Allahs, der ihm auf die Anklage des Propheten hin feine Arme genommen habe, die Allahs   Feinde schlugen, wo immer fie sie trafen, und sein linkes Bein, das schneller gewesen sei, als alle Beine der Ungläubigen zusammen. Um ihn hat sich ein kleiner Kreis ge­bildet, Wasserträger und Straßenjungen, denen er dann nach dieser Einleitung den Grad seiner Zerknirschung begreiflich macht, indem er die lederbraune Haut des einen Schenkels mit Messern rißt, denen, welche nicht lesen können,( er fann es ja auch nicht), die einge­brannte Aufschrift seines Rüdens herfagt. Allah  , barmherziger Gott, vergiß nicht die Verbrechen Deines Knechtes Ali und züchtige ihn solange, bis er wieder würdig ist, die Seligkeiten Deiner Himmel zu genießen" und endlich seinen fahlen Schädel, mehr ein braun ladierter Totentopf mit Glasaugen, als das Haupt eines Lebenden, bröhnend zehnmal auf das Pflafter schlägt. Nach seiner Berechnung trägt das pro Person einen Piafter ein. Da aber feiner der Passan­ten, besonders der Europäer, die das ganze Schauspiel mehr für einen spontanen Ausbruch der Verzweiflung, als für eine mimische Dar­bietung zu Erwerbszwecken zu halten geneigt sind, mit dem Back­fchifchgeben einen Anfang macht, greift er zum letzten, unfehlbaren Mittel, feine Piafter zu erlangen: Troß der Verstümmelung seines Leibes schnellt er sich, wie in plötzlichem Irrsinn auf den nächst­stehenden Effendi, umflammert mit dem einen Bein die Füße feines Opfers und heult, daß jeder ihm gerne 100 Piafter gäbe, wenn er nur aufhören wollte. Wenn dann der Trick auf diese Weise gelungen ift, winkt er einen Jungen herbei, welcher Früchte und Trinkwasser feilbietet, und stärkt sich seelenruhig für die nächste Szene.

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Einige wenige Schritte weiter bietet sich ein anderes Bild: Ein 15jähriger Knabe, faum befleidet, irrt mit vorgereckten Armen durch die Menge und fingt das Lied von seinen eitrigen Augen. Seine

fein, die verfluchte Hure, die Allah   strafen möge".

So fönnen Stunden vergehen, bis man das östliche Tor des großen Bazars erreicht.

Im Innern des überdachten Labyrinths herrscht ein purpurnes Halbbuntel. Rechts und links an den Wänden stehen die Buden und Berkaufstische der Händler, vielfach sind es tiefe Nischen im Ge mäuer, von einem Lämpchen erhellt, wo die Armenier oder Spaniolen ihre Ware zur Schau legen. Sobald ein Fremder den Bazar betritt, beginnt der persönliche Wettbewerb der Händler von rechts und links mit wüstem Geschrei. Die einzelnen verlassen ihre Stände und zerren bie Opfer ihrer Beredsamkeit an den Kleidern. Dabei handelt es sich richt allein um Teppiche aus der Levante  , um feidene Chimonos aus Jaffa  , um Keramit, um Rosenöl aus Thrazien  , sondern ab und zu tritt auch eine verhuzelte Alte oder ein schmutziger Kerl auf den Fremden zu und preisen ihr schönes Töchterchen, ein unberührtes Mädchen von 13 Jahren an, das sie für zwei Bfund abließen, wenn es der Effendi haben wolle. Aus einem engen Schacht in der Mauer tommt einer angeschlichen und flüstert, er habe die beste Opiumbude von ganz Stambul  , ein anderer sagt, er wiffe eine fleine Schiffs­Tabung schöner Knaben aus Syrien  , brunten im Goldenen Horn.

Ich trete in die Bude eines Griechen, der Teppiche und seidene Tücher feilhält. Eine hizige Flut von Worten fommt mir entgegen: Fragen nach Herkunft, Nationalität und Beruf. Das Opfer muß zuerst topographisch und soziologisch bestimmt sein, es müssen sich Berührungspunkte heraustüfteln lassen, damit man es desto besser andere Technik zur Anwendung: Ein steinalter schweigsamer Perfer, faffen kann. Als aber diesmal das System versagt, fommt eine der, die hoye, braune Filzröhre auf dem Kopf in der Ede fauert, soll den besten Tee, den ich je getrunken hätte". Der Grieche selbst dreht Tee bereiten, Tee, duftig, wie die Blumenwiefen des Himmels, anatolischen Tabak zu einer Zigarette. Er spricht französisch und nennt mich seinen lieben, einzigen Freund. Er legt mir Riffen zu recht und als ein zartes, hübsches Ding in den weiten türkischen Hosen aus Tüll eintritt und mir den Tee reicht, einen Tee, wie ich ihn wirklich noch nicht getrunken habe, da zieht er die Kleine beiseite, schämtheit auf die pralle Bruft des Mädchens und meint ganz bündig, nimmt meine Hand, legt sie ohne eine Spur von Pifanterie oder Ber Liebe und diese, Lilly, wie er sie nannte, sei überdies das beste bie Mädchen des Orient seien töftlich und hingebungsfähig in der unter den Mädchen des Orients. Und alles das, um mir einen aufzuhängen, einen Mantel, deffen Muster die Handstickerei perfi seidenen Abendmantel für meine blonde Geliebte in Germanien  " scher Mädchen sein sollen, in deffen einer Ede sich aber der winzige Aufdruck fand: Finished England".

In den Bazarstraßen ist jetzt das Gewühl an seinem Höhepuntt störender und malerischer Wirkung angelangt, denn es ist Mittag, die heißeste Stunde des Tages, und alles hat sich in die fühlen Gewölbe­gaffen geflüchtet. Halbnackte Weiber tauern in den Ecken und warten in unbegreiflicher Gelassenheit auf den Mann, der sie nimmt und ihnen das Brot schenkt für den Abend, andere halten dem schreiten­ben Fremden ihre halbtoten Säuglinge vor die Beine, vielfach nicht einmal ihre eigenen Kinder, sondern die von Prostituierten, welche das Ausborgen der fleinen Würmer zu Bettelzwecken als Neben erwerb betrachten.

Plötzlich gellt von irgendwoher ein furchtbarer Schrei, wie das Brüllen eines todwunden Tieres. Ich eile in die Richtung: Es ist ein Epileptiker, der, Schaum vor dem Mund, sich auf der Erde windet, ein Türfe. Keiner hilft, faum daß einer stehen bleibt. Aber aller Augen sind mit ganz fachlichem Interesse auf den Unglücklichen gewendet und jeder verbeugt sich flüchtig zu pathetischem Gruß. Man zollt wohl bem Teufel, den man im Leib des Elenden eingeschlossen wähnt. Einen Augenblick lang ist das allgeemine Geschrei noch zurückgefurbelt auf das Mindestmaß der Reklamewirtung, dann aber gehen die hohen Bogen des Lebens über den Körper des fallsüchtigen Lürfen weg und jede Erinnerung an das, was sich vor zwei Minuten ereignete, ist meggetilgt aus den Gehirnen der pielen, welche nichts anderes denten fönnen, als immer wieder sich, ihre Gier und ihre erbärmliche Not. Und durch das nahe Nordportal des Bazars tönt in unheimlicher Fremdheit der Gebetsruf vom Minaret.