Jugendurlaub und Wirtschaft.
Die freien Gewerkschaften fordern in ihrem Programm für die gewerkschaftliche Jugendarbeit ein Verbot der Ueberstunden des 8ftündigen Arbeitstages für Jugendliche und die Gewährung von 2 bis 3 Wochen zusammenhängenden Ferien im Jahre unter Fort zahlung des Lohnes. Diese Forderungen haben vor kurzem die Billigung aller Jugendverbände gefunden. Auf einer gemeinsamen Tagung, die Anfang Oftober in Raffel geplant ist, sollen alle mit diesen Forderungen in Verbindung stehenden Fragen eingehend er
örtert werden.
Eine der wichtigsten ist die Frage, ob sich die aufgestellten Forderungen mit den Erforderniffen der Wirtschaft in Einklang bringen laffen. Es ist ja immer ein beliebtes und sehr einfaches Mittel der Unternehmer gewesen, auszurechnen, wieviel Arbeitsstunden durch die Berkürzung der Arbeitszeit oder durch die Gewährung von Urlaub verloren gehen und deshalb so und soviel weniger produziert werde. Damit war dann bewiesen, daß die Forderungen undurchführbar sind. In den folgenden Zeilen wollen wir darlegen, daß diese Argumentation durchaus falsch ist.
Durch die Verfürzung der Arbeitszeit ist die Produktion nicht geringer, sondern erheblich größer geworden. Untersuchungen, die pon den Gewerkschaften angestellt worden sind, zeigen dies deutlich. Bir führen diese Betspiele an, weil an der Mehrproduktion genau wie die erwachsenen auch die jugendlichen Arbeiter beteiligt sind. Alle angeführten Bergleiche sind unter den gleichen Verhältnissen vorgenommen, d. h. die erhöhte Produktion bei geringerer Arbeitsgeit ist nicht etwa auf eine Verbesserung der Arbeitsmittel oder der Betriebseinrichtungen zurüdzuführen.
In einer Stuhlfabrik in Frohburg in Sachsen betrug die wöchentliche Arbeitsleistung in 53 Stunden 30 Stühle oder 8 bis 9 Seffel. 1922 wird dieselbe Arbeitsleistung in 47 Stunden vollbracht. In Weinheim ist in der Stuhlindustrie bel 48stündiger Arbeitszeit die Leistung nicht geringer geworden als früher in 54 Stunden. In einer Möbelfabrit in Köln wurde an 12 Waschfommoden früher 52 Stunden gearbeitet, jezt 46 Stunden; an 12 Schränken früher 132 Stunden, jegt 108 Stunden. In der Nürnberger Metallindustrie wurden für die Herstellung eines Motorgehäuses 1914 12 Stunden gebraucht. 1922 nur noch 10 Stunden. Von den Lüdenscheiber Metallbrüdern( 200 Mann) find folgende Produktionsziffern feft gestellt worden: Vor dem Kriege wurden in 10stündiger Arbeitszelt 35 Wafferteffel 20 Zentimeter mit Deckel hergestellt. Nach dem Kriege in 8stündiger Arbeitszeit 45 Stück. Schmortöpfe 20 Zentimeter mit Deckel vor dem Kriege 70 Stüd, nach bem Kriege 88 Stüd. Teller, 20 Zentimeter früher 300 Stüd, feht 400 Stüd ufw. Wir sehen hier also, in wie starkem Maße troy erheblich ver. türzter Arbeitszeit die Produktion gesteigert wurde. Diese Bei fpiele sind der sehr lesenswerten Schrift von Herz und Geibel Arbeitszeit, Arbeitslohn und Arbeitsleiftung" entnommen.
Intereffant ift in diesem Zusammenhange auch das Gutachten tes bekannten Großindustriellen Dr. Bosch, das er bem Reichswirtschaftsrat erstattete. In diesem erklärt er, daß er sich auch nicht während des Krieges dazu habe bringen laffen, bie 8ftündige Arbeitszeit zu überschreiten, weil er genau wußte, daß auf die Dauer feine Erhöhung, fondern eine Berringerung der Produktion eingetreten wäre.
Ein wefentliches Moment der Produktionssteigerung ist auch die Arbeitsluft. Wenn jeder Arbeiter, ob jung oder alt, weiß, daß er nach vollbrachter Arbeit genügend Freizeit zur Verfügung hat, die er nach seinem Geschmad ausfüllen fann, und wenn er weiß, daß er Im Jahre einen bestimmten nennenswerten Urlaub bekommt, der ihn geistig und förperlich auffrischt, so wird sich die Arbeitsfreude er beblich steigern.
Schließlich darf man bei all diefen Erwägungen nicht vergeffen, daß in erster Linie das Wohl des jugendlichen Menschen tehen muß. In zweiter Linie kommt erst alles Weitere, auch ble Rücksicht auf die Wirtschaft. Was nügt eine blühende Wirtschaft, wenn die Menschen leiden. Nun heißt es, daß die Beurlaubung ber vielen Lehrlinge, jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen eine tarte Störung der Betriebsführung bedeute. Gewiß wird eine Störung durch den Urlaub eintreten. Aber fchließlich läßt sich auch alles einrichten. Biele Betriebe, darunter sehr große, fchließen ihre Bforten für die in Frage tommende Urlaubszeit und find mit einem Schlage über alle Schwierigkeiten hinweg. Aber auch für die übrigen Betriebe bleiben Möglichkeiten offen, z. B. vorübergehende Einstellung von Aushilfskräften usw.
Auch für Jugendliche und Lehrlinge find in einer ganzen Anzahl von Gewerben tarifliche Bestimmungen über den Urlaub ge troffen worden, die doch zeigen, daß die Durchführung eines Urlaubs durchaus möglich ift. So erhalten Buchdruckerlehrlinge 6 Tage, Schuhmacherlehrlinge 7 Tage, Buchbinderlehrlinge in Großbetrieben 6 bis 14 Tage, Lehrlinge in der Branche Herren und Damenwäsche 1 bis 3 Wochen, fugendliche Transportarbeiter bis 6 Tage, in einzelnen Branchen bis 12 Tage usw.
Es sei auch noch auf die Tatsache hingewiesen, daß durch die Ausfperrungsmaßnahmen des Unternehmertums in jedem Jahre Millionen von Arbeitsstunden vergeudet werden. In diesem Lichte betrachtet, nehmen sich die Argumente der Unternehmer sehr fonderbar aus. Achtstundentag und Urlaub für die arbeitende Jugend find nicht nur wirtschaftlich möglich und tragbar, sondern sie bedeuten eine Pflege unseres wertvollsten Gutes, der menschlichen
Arbeitskraft. Die aufgestellten Forderungen bedeuten Politif auf weite Sicht. Möge die Tagung in Kaffel dies allen Boltsgenoffen eindringlich vor Augen führen. Richard Limm.
Mitstreiter.
der Frage der Arbeitszeit und des Urlaubs für die erwerbstätige Die Beschlüsse des Ausschusses der deutschen Jugendverbände in Jugend haben ein lebhaftes Echo geweckt. Während bisher nur die sozialistischen und freigewerkschaftlichen Organisationen mit Nachdruck und Entschiedenheit für einen ausreichenden Schuß der arbeitenden Jugend eintraten, mehren sich jetzt die Stimmen aus anderen Lagern, die die Beschlüsse des Ausschusses unterstützen und ihre Verwirklichung fordern.
Kürzlich fand auf Burg Lauenstein in Oberfranken eine Konferenz zur Beratung fozialethischer Fragen statt, die aus allen Kreisen der Bevölkerung start beschickt war. Sie beschäftigte sich unter anderem auch mit der Frage des Schußes der arbeitenden Jugend und kam zu folgenden Beschlüssen: Die Konferenz fordert:
1. Die Ausdehnung der gesetzlichen Schutzbestimmungen für die Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter und Angestellten anftatt bis zum vollendeten 16. Lebensjahr bis zum vollendeten 18. Lebensjahr.
2. Die Festsetzung einer Arbeitswoche der Jugendlichen von höchstens 48 Stunden einschließlich des Pflichtunterrichts und der Aufräumungsarbeiten.
3. Ausreichende Arbeitspausen an jedem Tage. 4. Arbeitsschluß am Sonnabend mittag. 5. Unbedingtes Verbot der Nachtarbeit.
6. Einen bezahlten, zusammenhängenden Irlaub von min deftens 18 Tagen im Jahr.
Die Konferenz ist sich der Verantwortung für die Forde rung einer längeren Freizeit voll bewußt. Dieselbe muß ergänzt werden durch nachdrücklichste Sorge aller in Frage tommenden öffentlichen und privaten Stellen für die richtige Verwendung der Freizeit."
Die Jahresversammlung des deutschen Bereins für Schub gefundheitspflege, die foeben in Bonn stattfand, erörterte entlaffene Jugend. Dr. med. Setttant- Schöneberg und das Problem der Gesundheitsfürsorge für die soul. Frau Dr. med. Szagunn- Charlottenburg stellten in ihren Leitfäßen folgende fozialpolitische Forderungen auf: Verbot der Nachtarbeit und Affordarbeit für Jugendliche, Fernhalten von Jugendlichen aus gesundheitsschädigenden Betrieben, Wegfall con Abzügen am Arbeitslohn für die Zeit des Fortbildungsschulunterrichts; ferner einen gesetzlich zu bestimmenden arbeits. freien Halbtag( den Sonnabend).
Da die Leitfäße weiter die Forderung nach gefeßlicher Fest vollendeten 17. Lebensjahre und zwar in der Weise, daß die vier legung einer 48ftündigen Arbeitswoche für die Jugendlichen bis zum Stunden, die für den halb arbeitsfreien Sonnabend gewünscht wur den, auf die anderen Arbeitstage perteilt werden follten, enthielten, wurden auf Einspruch des Genoffen Dr. Korady, der darauf hinwies, daß diese Forderung die Ueberschreitung des Achtstundentages bedeute, da die tägliche Arbeitszeit dann 8 Stunden 48 Minuten betragen würde, die Leitfäße so umgestaltet, daß sie die gefeßliche Festlegung einer Arbeitswoche für die Jugendlichen verlangen, deren Lage den hygienischen Forderungen entsprechen foll, welche zugunsten dieser Altersklassen geltend zu machen sind.
Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Frauenberufs. verbände hat auf ihrer Kölner Tagung in einer Entschließung gefordert: Wir fordern für Jugendliche durchgehend für alle Berufe bis zum 18. Lebensjahr jährlich 3 Wochen Urlaub. Die Frauen berufsorganisationen sehen es als ihre besondere Pflicht an, im Intereffe eines gefunden Nachwuchses diese Forderung mit Nachdruck zu vertreten."
Wenn auch diese Organisationen teilweise aus anderen Ermägungen als wir zur Anerkennung der von der Jugend erhobenen Forderungen gefommen find, so bedeutet ihr Vorgehen doch eine wertvolle Unterstützung bei den Bemühungen der Jugend uin die Berwirklichung ihrer Siele.
Bon entscheidender Bedeutung ist freilich die Stellung der Bartelen zu ben Forderungen.
Für die Forderungen haben bei den bisherigen Beratungen lediglich Sozialdemokraten, Demokraten und teilweise bas Zentrum geftimmt.
Das Zentrum ist durch einen Beschluß der Windthorst- Bünde auf ihrer legten Reichstagung aufgefordert, die Beschlüsse des Ausschusses der deutschen Jugendverbände zu unterstützen.
Für die Haltung der Volkspartei ist von Intereffe, daß die Fraktion der Volkspartei im Preußischen Landtag den Antrag gestellt hat:
Der Landtag wolle beschließen: Das Staatsministerium wird ersucht, bet der Reichsregierung dahin zu wirken, daß sobald als möglich ein Gefeßentwurf eingebracht wird, der
1. Nachtarbeiten für Jugendliche bis einschließlich zum 18. Lebensjahre verbietet,
2. den erwerbstätigen Jugendlichen bis zu 18 Jahren einen zur Wahrung ihrer Gesundheit ausreichenden Urlaub sichert." Man darf gespannt sein, wie die Reichstagsfraktion der Bolkspartei auf diesen Lintrag reagiert und ihn zum Anlaß nimmt, ihre bisherige ablehnende Stellung au revidieren.