Alte und Junge.
Nichts ist ewig, nichts für alle Zeit. So wie aus der Urzeit durch Teilung und Vereinigung neue Lebewesen entstanden, sich weiter und höher entwickelten, die verschiedenen Gattungen in der Tier- und Pflanzenwelt auf diese Weise wurden, aus dem Tier sich der Mensch entwickelte und langsam Stufe für Stufe vorwärts und aufwärts zur heutigen Kultur stieg. so wie die Technik fich täglich, Ja stündlich verändert, Elektrizität und Radio den Menschengeist be. herrschen, so ändern fich die Auffassungen in Recht, Sitte, Moral usw. Und das ist gut so. Denn nur diese, meist unbewußte Anpaffung an das, was ist, ermöglicht es, das Menschengeist bestrebt ist, troy all des scheinbar Bollkommenen an neiterer Vervollkommnung aller Dinge, gleich welcher Art, zu arbeiten.
Und doch ist der Mensch, sei er auch noch so revolutionär fonfervativ eingestellt. Hartnäckig flammert er sich oft an all das Alte und sei es auch nur in Fragen der Kleidung, Wohnung, Wohnungseinrichtung usw. Mißtrauisch betrachtet er die Ergebnisse seiner Arbeit, das Meue und findet zum Teil nicht mehr den Anfnüpfungspunkt für eine weitere dem Fortschritt dienende Tätigkeit. Ja, er geh sogar manchmal zum Kampf gegen das Neue vor. Hier muß vor Allem die Tätigkeit der Jugend einsetzen. Die Jugend wird gewissermaßen in das Neue hineingeboren, betrachtet die Umgebung als etwas Selbstverständliches und baut nun auf dem Gebäude der Alten weiter, schmiedet Zukunftspläne, an deren Berwirklichung sie zu arbeiten beginnt.
So tommt es denn, daß der beste Teil der Jugend oft in einer gewissen Oppositionsstellung den Alten gegenübersteht. Alter und Jugend verstehen, sich gegenseitig nicht, einer macht dem anderen Schwierigkeiten. Und doch wird mir jeder ältere Mensch, der die Entwicklung der Gesellschaft mit dem rechten Verständnis betrachtet, recht geben müssen, wenn ich behaupte, daß es natürlich, ja notwendig ist, daß die Jugend die Errungenschaften der Alten nur soweit achtet, daß sie nicht verloren gehen, im übrigen aber am Bau der Menschheit weiterbaut, denn sonst wäre die Arbeit unserer Bäter vergeblich gewesen.
Wenn die Aiten auf Grund ihrer Erfahrungen den wirtschaft. lichen und politischen Kampf besonders betreten, so stellt die Jugend heute bewußt den Kulturkampf auf dieselbe Stufe, ohne dabei dem wirtschaftlichen und politischen Kampf seine Wichtigkeit abzusprechen, wie es von Genossen, die aus der Vorfriegsjugendbewegung hervor gegangen sind, zum Teil behauptet wird. Und wenn heute die Kulturfragen in der gesamten Arbeiterbewegung eine größere Rolle spielen als früher, so ist das doch sicherlich für uns ein Beweis, daß diese Fragen zeitlich bedingt sind und es deshalb kein Wunder iſt, wenn gerade die Jugendbewegung über all die Bestrebungen wie Lebensreform, neue Festkultur, neue Erziehung, das Verhältnis der Geschlechter zueinander, die Frage der Gleichberechtigung der Frau eifrig diskutiert und ihre Ideale durchzusetzen sucht.
Dabei kommt es besonders zu Gegensägen zwischen Jugend und Familie. Die Familie fann heute nicht mehr die Erziehung übernehmen wie es in der geschlossenen Kultur des Mittelalters möglich war. Ja, wenn man die Entwicklung der Technik auf dem Gebiete hauswirtschaftlicher Geräte und Maschinen beobachtet, die von einem Privathaushalt garnicht benutzt werden können, dann erst wird klar, daß die Familie kurz oder lang einer anderen Form der Organisation, die man heute so gern mit dem Wort Gemeinfchaft bezeichnet, Platz machen muß. Es ist deshalb auch falsch, zu glauben, daß das Mädel zu einer tüchtigen Hausfrau erzogen werden muß und daß die anderen Dinge sie nichts angehen.
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Diese von einem großen Teil der Menschen heute noch ver tretene Auffassung führt zu jener heute herrschenden Moral, beffer gefagt Unmoral. Auf jeden Fall wird jeder flarsehende Genosse zugeben, daß die Erziehung der Jugendlichen am wenigsten in der Familie erfolgt und daß der junge Mensch in die Gemeinschaft der Jugend gehört, wenn er in der Zukunft der Menschheit im Geiste des Fortschritts dienen soll. Karl Birnbaum .
Die tschechische Regierung hat einen Gesetzentwurf vorbereitet, der die Einführung der vormilitärischen Erziehung der Jugend bezweckt. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß die gesamte männliche Jugend vom 18. Jahre bis zum Eintritt des wehr pflichtigen Alters eine sogenannte Wehrvorbereitung durch machen muß. An 36 Halbtagen im Jahr ist eine förperliche und geistige Vorbereitung für den Wehrdienst vorgesehen. Die Vorbereitung soll an den Sonnabend und Sonntagnach= mittagen stattfinden. Es findet auch eine Prüfung statt, und wer die Prüfung nicht besteht, kann mit einer Verlängerung der Dienstzeit bis zu zwei Monaten bestraft werden.
Dieser reaktionäre Plan hat natürlich die sozialistischen Jugendverbände der Tschechoslowakei auf den Plan gerufen, und es ist dabei das erfreuliche Ergebnis zu verzeichnen, daß die tchechische und deutsche sozialistische Jugend sich zu einem gemeinsamen Borgehen gegen diese Wehrvorbereitung entschloffen haben. Beide Verbände haben einen gemeinsamen Aufruf veröffentlicht, in dem zunächst die Pläne der Regierung dargestellt und als Ausflüsse einer durchaus reaktionären Gesinnung gebrandmarkt und zum Schluß folgende Forderungen erhoben werden:
An Stelle der vormilitärischen Erziehung fordern wir die Erweiterung des Jugendurlaubs und den Ausbau des Jugendschutzes.
An Stelle der Inspektoren für die Wehrvorbereitung fordern wir Jugendinspektoren.
An Stelle der Kasernen und Anstalten für die Wehrvor= bereitung fordern wir Jugendheime.
An Stelle der militärischen Instruktoren, der Offiziere und Feldwebel, fordern wir die Reform der Schule, vor allem die Ausgestaltung des Fortbildungsschulwesens.
Weg mit dem Militarismus!
Es lebe der Kampf der proletarischen Jugend!
Die beiden Organisationen haben weiter gemeinsame Kundgebungen vereinbart. Am 17. Oktober hat in Prag die erste ge= meinsame deutsch - tschechische Jugendfundgebung stattgefunden, in der der Genosse Paul- Prag als Mitglied des Bureaus der Sozia listischen Jugendinternationale das Wort ergriff und die Solidarität der internationalen sozialistischen Jugendbewegung bekundete.
Herbst.
Brausend fährt der Herbstwind durch die grauen Gassen der Stadt, lose welte Blätter wie fleine braune Falter vor sich her jagend. In wildem Tanz läßt er fie durch die Lüfte wirbeln, bis sie ermattet zu Boden sinken, wissend, daß nun der Tod gekommen; Menschen stampfen über sie hinweg, gefühllos, ohne zu spüren, daß die kleinen Seelchen in der Hoffnung erzittern, noch einmal, ach nur ein einziges Mal noch von einem Sonnenstrahl liebkost zu werden. ,, Wie schön war es, als der Sommerwind noch leise durch unsere Bäume strich, wir uns wiegen fonnten im warmen Sonnenschein und atmeten im warmen, blauen Meer der Lüfte!"
So träumen die zertretenen Seelchen ihren letzten Traum, bis sie ganz aufgelöst, wieder eins werden mit dem immer neugebärendem Schoße unserer Mutter Erde .
In den Herzen der Menschen flammt nun von neuem eine Sehnsucht auf, die eingeschläfert war von der fatten reifen Erfüllung des die, zum letzten Male aufleuchtend, die Erde in ein Flammenmeer vergangenen Sommers. Verzweifelt flehen sie empor zur Sonne, taucht.
,, Bleib' bei uns, Du, die Du uns Licht und Wärme gespendet, laß' es nicht wieder Nacht, nicht wieder falt und dunkel um uns werden." Doch es nüht kein Bitten, kein Flehen, denn auch die Sonne muß den ewigen Gefezzen der Natur Folge leisten.
Wir Menschen bleiben zurück im Dunkel des Winters. Im Innern der Jungen aber lebt der Wille: Wir lassen uns nicht beugen das Licht, das in unseren eigenen Seelen verborgen. Wir wissen, von äußerem Dunkel! Je undurchdringlicher die Nacht, je heller strahlt daß Sonne, daß Frühling wiederkehren, sobald ihre Zeit gekommen.
Bolschewistische Repreffalien in Rußland .
Das Schlimmste an den Verfolgungen, denen die russischen Sozialisten durch die bolfchewistische Polizei ausgesetzt sind, ist das Fehlen jeglicher gerichtlichen Garantie. Von den vielen Tausenden gefangener Sozialisten und Anarchisten sind nur einige, die man buchstäblich an sich mit den verhafteten Mitgliedern der sozialistischen Jugendorgani den Fingern abzählen kann, gerichtlich verteilt. Ebenso verhält es fationen. Ein einziger Jugendgenosse ist gerichtlich verurteilt worden, alle anderen sind durch administrative Willkür ihrer Freiheit beraubt.
Aber die Regierung begnügt sich nicht damit. Gefangene, die ihre Gefängnisstrafe bereits verbüßt haben, werden nicht freigelaffen! Wiederum ohne jede Gerichtsverhandlung, auf eine einfache Verord= nung der Staatl. Politischen Verwaltung hin, werden die gefangenen Sozialisten aus den Gefängnissen direkt in die weitentlegenen Ver bannungsorte geschickt. So wurden vor kurzem aus den Gefängnissen von Tobolsk und Werchne- Uralst folgende Mitglieder des Verbandes der Sozialdemokratischen Arbeiterjugend, die ihre Gefängnisstrafe Wladimir Rubinstein nach Narym, J. Dislender nach dem eben verbüßt haben, in die Verbannung nach Sibirien deportiert: Gimelfarb nach dem Kirgifer Gebiet. Alle vier Jugendgenoffen Norden des Tobolsker Bezirkes, Nikolai Seliger und Jakob haben 3 bis 3 Jahre Gefängnis hinter sich, davon zwei Jahre des Solowetzki- Lagers. Jezt sind sie zu je drei Jahren Verbannung verurteilt worden. Der Aelteste von ihnen ist 23 Jahre alt.