Der Abtrünnige.
Gestern traf ich ihn wieder einmal. Er stand vor dem Zeitungstiost inmitten einer Gruppe Menschen und studierte die ausge hängten Zeitungen. Oft war er im Laufe der Jahre an mir vorbeigelaufen, hatte getan als tenne er mich nicht. Schamhaft, so tam es mir vor, hatte er stets zur Seite geschaut. Und jetzt stand er neben mir, der frühere Freund, schaute mich schüchtern, ja ängstlich von der Seite an. Da reichte ich ihm die Hand zum Gruße, in die ber blasse, kränklich aussehende Junge. der ehemals so frisch und munter mit uns herumtollte, die seinige legte. Wie geht's? Was tust du jetzt? Was hast du die ganzen Jahre über getrieben? So fragte ich ihn und im selben Moment ging im Geiste an mir die Zeit porüber, in der wir befreundet waren.
Ich sah, wie er des Abends zu mir fam und wir, gerade der Schule entlassen, gemeinsam zum Jugendheim gingen, und uns mit den anderen freuten, interessiert den Vorträgen zuhörten, auf dem Heimweg eifrig unsere Eindrücke besprachen und auf Wanderungen herumtollten wie wilde Füllen. Da, mit einmal fam er nicht mehr, ging mir aus dem Wege, wo er nur konnte, daheim traf man ihn nicht an und in der Gruppe hieß es, er sei ausgetreten. Warum? Der Mädels wegen hatte man gefagt. Sie schauten ihn nicht an, war als Grund angegeben.
Mit schwacher, franter Stimme gab er mir Antwort auf meine Fragen. Schlecht ging's ihm. Lange Zeit war er frant, hatte im Krankenhaus gelegen und war erst vor wenigen Tagen entlassen. Auf meine Frage, was er jegt treibe, gab er mir zur Antwort, daß er dem Rudersport nachgehe, Mitglied eines neutralen, unpolitischen Ruderklubs set und sich im übrigen um nichts mehr fümmere. Wir tönnten doch an all dem nichts ändern, und er erzählte mir, als er burch meine Gegenargumente einigermaßen überzeugt zu sein schien, er sei die Jahre über Mitglied des Jungdo gewesen und wenn er wieder zu uns tommen würde, müßte er sich vor seinen ehe. maligen Kameraden dieser Mitgliedschaft in dem Rechtsverband Schämen. Niemals hatte ich gewußt, daß er Mitglied einer solchen Drganisation war und jezt erst wurde mir flar, warum er mir immer so scheu aus dem Wege gegangen.
Ein Stück des Weges ging er noch mit mir, hatte mir auf vielerlei Fragen zu antworten und wehmütigen Blickes reichte er mir, nachdem ich von unserem Leben, Treiben, Schaffen und Streben erzählt hatte, beim Abschied die Hand. Kopf hoch, sagte ich ihm. Es ist eines jungen Menschen nicht würdig, alle Ideale über Bord zu werfen und so wie du zu reden. Stumm nidte er und wir gingen
auseinander.
Armer Junge, dachte ich, wärst du bei uns geblieben, ich hätte heute mit einem anderen Menschen reben tönnen. Du wärst heute, So wie wir, ein Rämpfer des wahren Menschenrechts.
Die Jugend in der Gesetzgebung.
Die Neuregelung der Fahrpreisermäßigung für Jugendpflege. Die neuen Bestimmungen über die Gewährung von Fahrpreisermäßigung für Fahrten im Interesse der Jugendpflege treten am 1. Januar 1927 in Kraft Nach diesen Bestimmungen wird die Ermäßigung nur den Jugendvereinen gewährt, die in die behörd liche Liste der Jugendpflegevereine eingetragen sind. Diese Eintragung muß jeder Jugendverein bis zum 1. Dezember 1926 bei ber zuständigen Regierungsstelle, in Preußen beim Regierungs. präsidenten, beantragen. In der Regel werden die Orts oder Kreisausschüsse für Jugendpflege die Anträge weiterleiten. In den Anträgen ist der Name der Vereinigung, ihr Sig, ihr 3wed, die Bahl ihrer Mitglieder unter 20 Jahren sowie Name und Wohnung des Vorsitzenden oder der Geschäftsstelle des Vereins anzugeben. Die behördliche Anerkennung der Jugendgruppen der Sozialistischen Arbeiterjugend, der freien Gewerkschaften und der Arbeitersport. verbände muß erfolgen, da die Zentralen dieser Verbände dem Reichsausschuß der deutschen Jugendverbände bzw. der Zentraltommission für Arbeitersport- und Körperpflege angeschloffen sind. Dem Antrag der Ortsgruppen ist eine Bescheinigung der Bezirksleitung über die Zugehörigkeit des Verbandes zu den oben genannten Spißenorganisationen beizufügen. Ueber die Anerkennung durch die Regierung wird eine Bescheinigung ausgestellt, die bei der Beantragung der Ermäßigung am Fahrkartenschalter vorzuzeigen ist. Größere Vereine tönnen mehrere Ausweise erhalten, wenn sie es in dem Antrag vermerken.
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Alle leitenden Aufsichtspersonen müssen einen behördlichen Lichtbildausweis besigen, der ebenfalls von dem Regie rungspräsidenten ausgefertigt wird. Die Ausfertigung muß gleichfalls bis zum 30. November beim Regierungspräsidenten antragt werden. Dabei ist neben dem Vor- und Zunamen und der Adresse des Führers der Name und die Anschrift des Vereins an zugeben sowie ein Lichtbild in Baßbildgröße beizufügen. Als Auffichtspersonen tönnen Funktionäre der Gruppen im Alter von mehr als 18 Jahren namhaft gemacht werden.
Die Ausweistarte des Vereins gilt für ein Jahr, für das Jahr 1927 wird eine blaue Karte ausgegeben. Der Lichtbild. ausweis gilt unbeschränkte Zeit. Ab 1. Januar 1927 ist die Fahrpreisermäßigung nur dann zu erlangen, wenn bei der Antrag stellung die blaue Ausweistarte und die Lichtbilderausweise der die Fahrt leitenden Funktionäre vorgelegt werden.
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Ein Jugendgerichtsgefeh in Desterreich. Die Erkenntnis, daß jugendliche Verbrecher", wenn wir einmal dieses häßliche Wort gebrauchen wollen, nicht nach den gleichen Grundsäßen wir erwachsene „ Berbrecher" beurteilt und verurteilt werden dürfen, hat ſelbſt in Kreisen Eingang gefunden, die im allgemeinen den Problemen neuer Erziehung verständnislos gegenüberstehen. Jedoch dauert es bei dem langsamen Tempo unserer Gesetzgebung geraume Zeit, ehe derartige Erkenntnisse in das geltende Recht Aufnahme finden. Gleiche oder wenigstens sehr ähnliche Verhältnisse finden wir in dem uns eng verbundenen Desterreich, wo jetzt endlich der Entwurf eines Jugendgerichtsgesetzes vorliegt. Die in Desterreich auf diesem Gebiet bisher herrschenden Verhältnisse waren überaus traurig. Als straffrei galten nur Kinder bis zu 10 Jahren. Kinder zwischen 10 und 14 Jahren wurden dem Strafrichter vorgeführt, wenn ihre Tat nach dem Strafgesetz als Verbrechen anzusehen war. Andere strafbare Handlungen Jugendlicher in diesem Alter wurden„ nur dann" der Ahndung durch die Sicherheitsbehörden überlassen, wenn die häusliche Züchtigung" nicht ausreichte! Mit 14 Jahren trat die volle Strafmündigteit ein, jedoch galt jugend liches Alter und ungenügende Erziehung als Strafmilderungsgrund. Das alte bürgerliche Gesetzbuch ließ ferner die Möglichkeit zu, in Fällen mangelnder Erziehung angemessene Verfügungen" treffen oder( nach§ 8 des Gesetzes vom 24 Mai 1885, RGBl . Nr. 89) die Jugendlichen in eine„ Besserungsanstalt" zu stecken. Das bisherige Gesetz basierte also auf dem Grundfah, die Strafe als Sühne für die begangene Tat anzuwenden, und nur in ganz besonderen Fällen Erziehungsmaßnahmen, die entschieden eher am Blaze gewesen wären, anzuwenden. Wie wenig Erfolge mit dieser grundsäglichen Einstellung zu erzielen waren, mögen einige Zahlen zeigen: Unter den im Jahre 1922 in bie Jugendstrafanstalt Kaiserebersdorf ( zu Wien gehörig) eingelieferten 461 Jugendlichen waren 200 rüdfällig, unter den 1924 eingelieferten 183 Jugendlichen sogar 150 rückfällig!
Bon durchaus neuen Gesichtspunkten geht der von der Bundesregierung dem Nationalrat vorgelegte Entwurf eines Bun. gesgefeges über die Behandlung junger Rechts. brecher( Jugendgerichtsgeleh)" aus. In der Begründung des Gesekentwurfes heißt es, daß die Aufgabe des Richters nicht darin bestehen dürfe, dem jungen Rechtsbrecher als Vergeltung für das Uebel, das er durch seine Tat der Rechtsordnung und dem Verletzten angetan hat, ein Leid zuzufügen, sondern darin, ihn zu retten, ihm den moralischen Rückhalt zu schaffen, dessen er entbehrt, ihn um feiner selbst willen und um der Gesellschaft willen davor zu bewahren, daß er ein Stlave der schädlichen Neigungen werde, die die Tat offenbart hat." Der neue Gefeßentwurf stellt also die Dinge in den Vordergrund, die im alten Gefeß nur nebensächlich behandelt wurden: durch soziale und erzieherische Maßnahmen ble Ursache der Rechtsbrechung zu beseitigen.
Ob der Entwurf allen modernen pädagogischen Ansprüchen gerecht wird, mag dahingestellt bleiben. Er enthält jedoch so grund. legende Aenderungen, daß man nicht achtlos daran vorübergehen tann. Wesentlich sind die folgenden Bestimmungen:
1. Die Strafmündigkeit beginnt erst mit dem 14. Lebensjahre. Die Sicherheitsbehörden haben jedoch auch bei Rechtsbrechern jüngeren Alters einzugreifen und angemessene Ber fügungen zu treffen, wenn Rechtsbrecher jüngeren Alters der not wendigen Erziehung entbehren.
2. Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren sind nicht strafbar, wenn ihnen nach Lage der Dinge die notwendige Reife zur Erfenntnis der Tat fehlt.
3. Die Strafmaße werden für Jugendliche erheblich herab gesetzt.
4. Die Verurteilung eines Jugendlichen fann aufgeschoben und von guter Führung abhängig gemacht werden.
5. Die Dauer einer Freiheitsstrafe braucht nicht zeitlich be messen zu sein, sie tann von der Wirkung auf den Häftling ab hängig gemacht werden.
6. Kurze Freiheitsstrafen sollen überhaupt nicht verhängt werden.
Diese für das neue Gesez vorgesehenen Bestimmungen fönnen in der Hand von sozial und pädagogisch geschulten Richtern außer ordentlich segensreich wirken. Es fommt darauf an, daß als Jugend richter Menschen fungieren, die dieses Verständnis mitbringen, und die nicht nur nach dem Buchstaben, sondern mit dem Herzen Recht sprechen! 5. Löggow Kaulsdorf.
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Rundschau
Sammlung der Restbestände. Eine Anzahl von rechtsstehen den Jugendverbänden haben Ende Oktober eine Konferenz in Nürnberg abgehalten, in der beschlossen wurde, in Zukunft auf allen Gebieten ,, vaterländischer" Jugendarbeit zusammenzugehen und ge Es handelt sich meinfame Forderungen gemeinsam zu vertreten.
u. a. um den Deutschen Pfadfinderbund, den Großdeutschen Jugend bund, Adler und Fallen, die Jugend der Deutschen Volts. partei, Junglandbumb, Jungnationaler Bund , Jungſturm, Jungstahlhelm und Werwolf.