Jugend von heute.
Was sagt die Jugend? Wie denkt fle, fühlt sie?
Es ist ein Erfolg der Jugendbewegung, daß man heute diese Fragen stellt. Die Jugend hat infolge ihrer Berselbständigung aufgehört, bloßes Erziehungs o bjeft zu sein und ist außerdem schon Durch die Herabjegung des Wahlalters auf das 20. Lebensjahr zum mitentscheidenden, teilweise mitgestaltenden Faftor im politischen Leben geworden. Ganz natürlich, daß eine folche Jugend fich ihrer neuen Stellung bewußt wird und den Drang in fich fühlt, fich nun auch hören zu lassen, wenigstens so weit sie geistig rege ift. Ebenso natürlich, daß ihre Stimmen von den Erwachsenen nicht mehr einfach überhört werden.
Fest steht jedenfalls, daß sich die heutige Jugend aller Kretse ganz wesentlich von der Vorkriegsjugend unterscheidet: die prole. sarische Jugend nicht weniger als die bürgerliche und die der Jugendbewegung zugehörige Jugend ebenso wie die der Jugendbewe gung fernstehende. Die gesamte Jugendbewegung ist realisti cher geworden, ist jeßt mehr Jugendorganisation als Jugendbewe gung, mit viel weniger Jugendlicher Empörung als fachlicher Ju gendforderung. Die außerhalb der Jugendbewegung stehende Jugend dagegen ist, ohne es zu wiffen, der Jugendbewegung nabe ge tommen, im immeren und im äußeren Leben von ihr beeinflußt. Das Ergebnis: eine welt gleichförmigere Jugend als vor dem Kriege, eine Jugend, die in ihrer Gesamtheit ihr Jugendbewußtsein nicht mehr so ausdrücklich und so überlegen betont wie die Borkriegs Jugend, die sich dafür aber um so Jugendhafter verhält. Das Jugendbeweglichere Bathos von einft, das die Jugend oft gelftiaer erfcheinen ließ als fle war, it einer gewiffen sportlichen Sach 11teit gewichen, die sich auch auf den Richtsportler erstrect. Sie hat die Jugend aus ihrer fentimental romantischen Gefühlslage herausgehoben und sie wieder naio- romantisch gemacht.
Soweit die heutige Jugend geistig interefflert ist, charakterisiert fle fich ganz auffallend durch eine fonderbar unjugendlich anmutende Bebensffepfis, Lebensunsicherheit und Lebensanaft, die bedent. ich stimmen fönnte, wenn man nicht wüßte, daß es fich hierbei um eine vorübergehende, durch den Krieg bedingte Erscheinung handelt. Während die ernsthaft intereffierte Borkriegsjugend bei allem Drang nach Erfenntnis im Grunde ihres Wefens gläubig war, gläubig lein fonnte, weil sich ihr die Anschauungsweit der Erwachsenen noch als fefte Einheit barftellte, die sie gläubig anerkennen oder ebenfo aläubia ablehnen fonnte, mit der sie in jedem Falle aber verbunden mar und durch die fie Halt bekam, heißt der Grundzug der heutigen Ju gend weifel. Gewiß, fchon die den Krieg unmittelbar er lebende Generation fiel vorzeitig diesem Zweifel anheim. Aber sie war doch wenigstens schon gläubig gewesen und war zugleich alt genug, um an den aufkommenden Zweifeln nicht mehr so zu leiden wie die heutige im Anfang der Zwanziger stehende Jugend. Für Diese hat es nie eine Einhelt der Anschauung gegeben, nie eine Welt ber gültigen Werte, in der sie hätte Halt finden können. Sie wuchs auf inmitten eines allgemeinen Umschichtungs- und Umwertungs prozesses, tam noch früh genug, um von den alten Worten zu hören, fam gerade zurecht, um ihre Bernichtung zu erleben, und fam noch zu früh, um fchon wieder eine neue, gefeftigte Wert- und Anchauungswelt vorzufinden. Sie wuchs mitten ims Chaos bmein. wurde von ihm ergriffen und umhergewirbelt.
Für die proletarische Jugend waren die Folgen des wegen nicht so verheerend wie für die bürgerliche Jugend, weil ble Arbeiterbewegung geistig noch am fefteften fundamentiert war, Ja, weil fie geradezu das Fundament bildete, auf dem sich der zuJmmengebrochene Staat neu aufrichten fonnte, auf dem sich der zu ammengebrochene Staat neu aufrichten fonnte, während im Bürgertum alle Grundlagen barsten.
„ Die anschauliche Unzuverlässigteit aller bestehenden Ordnungen und Systeme haben wir selbst mit angesehen. Daß nichts Bestand hat, gehört nicht zu unserem Wissen, es ist eine Erfahrung unferes Blutes, unserer Nerven. Wir sind in der fonderbaren Lage, ständig alles für möglich zu halten, das macht uns angespannt und bewahrt vor Erftarrung. Haben wir nächste Woche die Monarchie und einen Kaiser im Land? Wir werden uns nicht im mindesten erstaunen. Haben wir übermorgen den tommunistischen Sawjetstaat mit Terror und roter Feme ? Wir find auf alles gefaßt."
Wer schreibt diese von der Lebensmüdigkeit eines Ausgekämpf. ten, von der Aitersweishelt elnes durch alle Hoffnungen, alle Entfäuschungen eines Lebens gegangenen Menschen erfüllten Zeilen? Gin 3wanzigjähriger. Klaus Mann , der heute vielleicht gelftigfte, wenn auch von ihr nicht allgemein anerkannte Bertreter ber bürgerlichen Jugend.
" Flammentranz von achtzehn Jahren, Sturm und Sonne in den Haaren, Neunzehn Jahre, wilde Pferde Stürmen schnaubend um die Erde. 3wlichen wilden Pferden tanz ich Wundervoll im Jahre zwanzig. Chumdzwanzig, zwelundzwanzig, Roch mit dreiundzwanzig tang Ich."
So Mar Barthel, eine der gesündesten und ursprünglichflen Dichternaturen der Borkriegsarbeiterjugend. Und im Gegenfah zu ihm der greisenhafte Jüngling Klaus Mann , der Sprecher der Ju gend von heute,
„ Für uns ist das Leben abenteuerlicher, härter geworden. Wir haben gelernt, es sogar noch zu lieben, jo wunderlich wie es ist. Wir stürzen uns hinein, hätte man früher pathetischer, aber falsch gesagt. Wir brauchen uns nicht hineinzuftürzen, es packt uns ja unbarmherzig genug. Wir erfahren täglich, wie gefährvoll es ift."
" 1
-
Wir erfahren täglich, wie gefahrvoll es ist" ja, auch das ift heutige Jugend, eine für das aktive Leben und für den unnicht lebenstüchtiger wird, wenn fie fich auf intellektuellem Bege mittelbaren Kampf fast unbrauchbare Generation, die auch einen neuen Glauben, ein neues Objekt des Glaubens einredet, mag es gleich Pan- Europa heißen.
Nun muß Unbrauchbarkeit für den politischen Kampf aber nicht Wertlosigkeit furzhin bedeuten. Eine fritische, zweifelnde Genera tion tann im Gegenteil auch heiljam mirfen, indem sie eine im Maffendenten leicht mögliche geistige Erstarrung verhindert. Und die Befürchtung, das politische Leben könne für längere Zeit von dieser zweifelnden Jugend beeinflußt werden und unter dem Einflub leiden, ist schon deswegen überflüffig, weil es sich bei dieser Jugend nur um einige Jahrgänge handelt. Die bald nach drängend neue Jugend wird in dem Maße wieder gläubig, aber auch wieder rebellisch, aktiv fein, in dem fich die Welt der Er wachsenen wieder befestigt hat, in die sie hineinwächst.
Rart Ullrich.
Wahltag in der Lungenheilstätte.
Bon einem Iungentranten Jugendgenoffen wirb uns geschrieben:
Ein Wahltag in der Lungenheilstätte unterscheldet sich von dem in der Stadt und auf dem Lande grundläglich dadurch, daß man Don einem Wahlkampf oder von Propaganda kaum reden kann. In einer Heilstätte findet man fehr felten einen politic interefflerten Menschen, und die meisten sind froh, wenn sie nicht in ihrer Ruhe ( lies Kurverblödung) gestört werden. Findet sich trojdem mal einer, der sich erdreiftet, die Stille mit einem politischen Gespräch au unterbrechen, so wird er sofort mit dem Ruf„ Bolistt verboten!" aur Räson gebracht, ganz abgesehen davon, ob man überhaupt einen Zuhörer findet.
"
Ich habe leider als langjähriger Heilstättenreisender" alem ich viel Erfahrung in dieser Hinsicht fammeln fönnen Aber trop dem ließ ich es mir nicht nehmen, durch das mir vom Berliner Bezirksfefretariat gesandte Propagandamaterial die vorhin erwähnte Ruhe zu stören und etwas Leben in die Liegehallen zu bringen. In meiner Halle hatten der Borwärts", die Saywäbische Tag, macht und die Frankfurter Volksstimme". die liebenswürdiger und dankenswerterweise gratis geliefert werden, etwas vorgearbeitet, Auf der anderen Männerhalle wird allerdings nur der Bölkische Beobachter" gelesen, der auch fostenlos geliefert wird. Troß dieser beiden gegenfählichen Richtungen wurde unfere Rube fast gar nicht gestört, nicht zulegt deshalb, weil der Chefarzt im Interesse der Kranten, die meist sehr nervös veranlagt lind, Bropaganda vers boten hatte. War es mir deshalb nicht möglich, durch Blatate auf die Patienten einzuwirken, so habe ich doch alle mir zugesandten Flugblätter restlos verteilt. Am wirksamsten war die Frauenwelt", mit der ich die Damenhallen bedachte, wo ich mit ermunternden Zu rufen begrüßt wurde. Auch die Betonarbeiter, die augenblicklich hier. beschäftigt find, freuten sich sehr über die Flugblätter und sagten mir, daß das die richtigen wären. Außerdem erzählten sie mir mit großer Genugtuung, daß die drei Wahlverfammlungen der SPD . im Ort Calmbach ( eine halbe Stunde von der Heilstätte entfernt) immer gepfropft voll gewesen wären.
So ruhig wie die Wahlvorbereitungen verlief auch der Wahltag felbft. Die Wahlbeteiligung betrug 100 Brozent. Sie ist woh! in ganz Deutschland nicht überboten worden. Der Chefarzt als Wahlleiter ließ durch die Beisitzer jeden Wahlberechtigten zur Urne bringen; schon um ½1 Uhr fonnte das Wahllokal geschlossen werden, Zum Reichstag waren 139 Personen wahlberechtigt. Stimmen erhielten( ich erwähne nur die wichtigsten Parteien): Sozialdemokra tische Partei 28, Deutschnationale 28, 3entrum 21, Deutsche Bolts. partei 9, Kommunisten 3, Demokraten 5, Nationaifozialisten 27, dazu einige Stimmen die Splitterparteien. Von den großen Stimmenunterschieden zwischen den einzelnen Bartelen im Reich merkt man hier ja leider nichts.
Mit begreiflicher Spannung verfolgte tch felbftverständlich die Meldungen aus dem Reich, die uns durch Radio übermittelt wur den. Zu meiner Freude bestätigte sich meine Hoffnung auf einen Sieg voll und ganz Leider fehlte hier der Schwung, den man durch die Begeisterung und Sieceszuverlicht der Massen erhält, und Ich mußte ganz allein die Angriffe, die besonders von den National Jozialisten andauernd auf unsere Partei gemacht werden, zurüd meisen und richtigstellen. Es wurden sogar die alten Märchen von Bebels glänzender Villa und von Goldschmidts 800 000- Mart. Gefchent immer wieder aufgetischt. Ich hoffe doch, mit meinen ge ringen Kräften zu unserem Erfolg ein flein wenig mit beigetragen zu haben. Unser die Zukunft! Frei Heil!
Begeisterung ist alles! Gib einem Menschen alle Gaben der Erde und nimm ihm die Fähigkeit der Begeisterung und du ver. Wilbrandt. da sift ihn zum ewigen Tod.