Wie die Arbeiterbildung wurde.

Bertiefung des Wissens arbeiten.

Wenige Wochen sind vorbel, da gedachten wir der 50jährigen| felbst aufgeben, so mußte sie in ihren Reihen für größtmögliche Wiederkehr des Tages, an dem das Sozialistengefeh erfaffen wurde. Dieles Schandgefeh gab der Polizel die Macht, alle sozialdemokra tisch verdächtigen Bereine, Bildungsinftitutionen und Zeitungen auf zulösen und zu verbieten. In diesen Tagen des Gedentens an die schwerste Zeit der Bewegung ist es von Interesse, die Geschichte der Bildungsbestrebungen der Partet zu verfolgen, nicht zulezt auch deshalb, weil darüber faum irgendwelche nennens werte Literatur vorhanden ist.

Die Vermittlung der Kulturgüter ist auf Grund der Schul pflicht an fich Sache des Staates. Wie aber der tapitalistische Staat wirtschaftlich die Menschen in Klaffen teilt, so auch auf dem Gebiete der Schule. Die Epoche des Frühfapitalismus brauchte die Kinder ets billige Arbeitskräfte und hatte an fich gar fein Intereffe daran, Arbeiterkindern das Studium zu erleichtern. Diese billige Kinder­arbeit wirfte auch lohndrückend auf den erwachsenen Arbeiter, dem so jede Möglichkeit genommen war, seinen Kindern eine gediegene Schulbildung zukommen zu fallen. Den meisten Menschen ver­mittelte nur die Volksschule Wissen und Bildung.

Wie aber der Kapitaliamus wuchs und sich mehr und mehr ausbreitete, wuchs auch das Profetariat. Wir finden schon Anfäße zu Organisationen und Gewerkschaften, die aber alle noch fein flares Ziel vor sich hatten. Bourgeoisie und Arbeiterschaft verfolg­fen in vielen Dingen gegenüber dem Staat und seinen politisch ein­engenden Zwangsgefeßen die gleichen Tendenzen, und so gingen fie oft Bündnisse ein. Um diese Beit entstanden die Arbeiterbil. bungsvereine, die von den Alberalen zuerft ins Leben ge rufen wurden, um die fich regende junge Arbelterschaft in ruhige, ungefährliche Bahnen zu fenten. Es waren Vereine, in denen über alles mögliche geredet wurde, die jedoch nicht geeignet und gar nicht gewillt waren, die Urbelterschaft zum Bewußtsein ihrer Lage, alfo aum Kloffenbewußtsein zu bringen. Herrschend und bestimmend in diesen Vereinen waren die bürgerlichen Elemente.

Sachfen, für die damalige Zeit ein Land mit entwideltem Rapi­tolismus, machte hier den Anfang. So schildert Bebel in feinen Erinnerungen Aus meinem Leben", wie er in Leipzig   Zeuge der Gründung eines Arbeiterbildungsvereins wurde. In der liberaten Beitung las er die Einladung zu einer Volksversammlung, auf der am 19. Februar 1861 ein Arbeiterbildungsverein gegründet wer den sollte. Als er hintam, war der Saal schon überfüllt und er Fonnie nur mühsam einen Blag finden. Der Verein follte ein ge­werblicher Bildingsverein werden, da das Vereinsrecht feine poll tlichen Arbeitervereine duldete. Eine Opposition- Bahlteich und Frigfche, bekannte Namen der späteren selbständigen Arbeiter. bewegung, wollten aber den Verein zu einem politischen machen, da der Unterricht eine Sache der Schule set. Sie blieben in der Min. derheit, traten aber bei. Lehrfächer waren Englisch  , Franzöfifch, Stenographie, gewerbliche Buchführung, deutsche Sprache und Rech  nen. Eine Turn- und Gesangsabteilung vervollständigten den Ber. ein. Die Lehrer waren Atademiker, die zum Teil wegen ihres Ein­greifens in die 48er Revolution gemaßregelt worden waren. Wir fehen, wie hier versucht wurde, wenn auch mit unzulänglichen Mitteln, die mangelhafte Bolksschulbildung zu vertiefen. Wenn wir diese Auffassung mit unserer heutigen Anschauung vergleichen, fo tönnen wir feststellen, daß sich das Ziel vollständig gewandelt Hat. Nicht Fortlegung der Boltsschulbildung, sondern Erarbeitung und Bertiefung folder wissenschaftlichen Erkenntnisse, die für den Kampf um die Befreiung von wirtschaftlicher Ausbeutung und poli­cher Unterdrückung eine wesentliche Bedeutung haben, find heute Aufgabe der Arbeiterbildung.

Um diefe Zeit fam Laffalle in die deutsche Arbeiterbewegung. In Leipzig   wurde von den Arbeiterbildungsvereinen ein Bentral fomitee zur Einberufung eines Arbeitertages gegründet, dem u. a. auch Bebel  , Bahltelch und Frische angehörten. Dieses Zentral­fomitee erließ einen Aufruf, in dem u. a. auch die Veranstaltung belehrender Vorträge gefordert wurde. Es sollten Lokalkomitees gegründet werden, ble mit der Sentrale in Fühlung bleiben sollten. Auf diese Weise wollte man das ganze Land mit Bildungskomitees liberziehen. Das Zentralfomitee forderte Laffalle auf, felne An­fichten in einer Broschüre niederzulegen. Sie erschien Anfang März 1863 unter dem Titel: Offenes Antwortschreiben an das Sentral fomitee zur Berujung eines allgemeinen deutschen   Arbeitertages zu Leipzig  ." Dieser Ausruf ließ in den Arbeiterfreifen viel Zweifel laut werden. Laffalle wurde in den meisten Fällen nicht verstanden. Die weit populärere Schrift zu blefem Thema: Ein Wort an die deutschen Arbeiter" war sehr unklar und verschwommen. For derte Laffalle in flaren Worten Wahlrecht, freie Arbeitervereine und setzte er sich mit den Behauptungen der Gegner auseinander, So finden wir bei Roßmäßler, einem alten 48er, die Aufforderung, fich Wiffen und Bildung anzueignen, zugleich mit der Warnung vor politischen Ausschreitungen.

Das Leipziger Komitee erklärte das Offene Antwortschreiben" als das Programm eines zu gründenden Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Damit löfte er sich auf. Viele der größten Ber eine schlossen sich dem Borgehen der Leipziger an. Am 23. Mai 1863 wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein   in Leipzig   ge­gründet. Damit waren die Bildungsbestrebungen jedoch keineswegs überflüffig oder überholt. Wollte dle nene Organisation fich nicht

Die Bildungsvereine bestanden welter; allmählich gingen fie über zur Sozialdemokratischen Bartel und wurden einer ihrer wich tigsten Bestandteile, wie ein gedruckter Jahresbericht von 1875 des Leipziger Arbeiterbildungsvereins beweift. Es heißt da u. a.: Seit 1869 bekennt sich der Verein zu den Brinzipien ber Sozialdemokratie, unbeirrt steht er auch heute noch treu zu denselben, aller jener unfelbständigen Elemente ledig, weldje, geblendet von der Blut- und Eisenpolitit, abtrünnig von der Sache des Bolles und feiner Freiheitsbestrebungen wurden, und er wird auch ferner fämpfen für die Emanzipation der Arbeiterklaffe." Der Verein hatte 316 Mitglieder, von denen 100 auf Turn- und Ge langsabteilungen entfielen.

Mitten in die beste Entwicklung der Arbeiter und Bildungs­organisationen plagte das Bismardsche Sozialistengelen, das den ftaatsfeindlichen" sozialdemokratischen Vereinen den Boden ent 30g. Davon wurden auch die Arbeiterbildungsvereine schwer ge troffen. Das dauerte bis zum Jahre 1890, dem Fall des Polizei­geleges. Erst dann fonnte sich die Organisationstätigkeit erholen, bie ja auch in den 12 Jahren nicht gefchlafen, sondern illegal be ftanden hatte. Der Drang nach Bildung war jest mächtiger denn je. 3hm, der so lange hatte zurückgehalten werden müffen, genüg ten die Bildungsvereine nicht mehr; man wollte gerade in Berlin  eine fyftematische und gründliche Behandlung aller für den Urbelter wichtigen Probleme. Das Bildungsziel hatte sich gegenüber dem Anfang zugunsten der sozialistischen   Theorien verschoben. g

Man ging nun in Berlin   an die Gründung einer Arbeiter. bildungsschule, als deren Bater man Wilhelm Liebknecht  bezeichnen fann. Am 12. Januar 1891 fand die konftitulerende Ber fammlung statt, die von mehr als 5000 Personen befucht war. mehr als 1000 Arbeiter zeichneten fich in die Mitgliederlisten ein. Bald wuchlen die Mitglieder auf 4000 an. Den Unterrichtsplan glleberte man folgendermaßen:

1. Für die große Maffe der Mitglieder wurden Einzelvör träge und Vortragszyklen veranstaltet, die als große Berlammlungen durchgeführt wurden.

2. Die fyftematischen Kurse wurden in 6 auf die verschiedenen Stadtbezirke verteilten Schulen von ständigen Lehrern abgehalten.

Der Lehrplan Jah vor: Deutsch  ( Unter-, Mittel- und Ober­ftufe), Logif, Geschichte( alte, mittlere und neue), Gefehestunde, Physiologle, Anatomie, Chemie, Mathematit, Rechnen und Buch­führung.

Schulgeld von 50 Pf. monatlich für alle Fächer zugleich festgelegt. Es wurde ein Mitgliedsbeitrag von 25 Pf. monatlich und ein Die Schule hatte in den erften zwei Jahren ihres Bestehens eine Einnahme von 31 000 m., von denen aber 10 000 m. aus Geschen fen und Sammlungen ftammten. Die Arbeiterfchaft war über ihre Schule begeistert; aber es war ein Strohfeuer, das bald erlosch, Das brachte die Schule in ernste Krlfen. So tonnten 1895 nur noch amel Schulen aufrecht erhalten werden, und am Jahresschluß war ein Desiglt von 900 m. vorhanden. Seitdem fieß sich aber ein stän diges, wenn auch langfames Steigen der Teilnehmerzahlen feststellen. Im Jahre 1906 waren es schon wieder 624 Hörer.

Der Mannheimer   Parteitag 1906 nahm eine Entschließung an, zentrale Bildungsinftitutionen zu fchaffen: Ihr( der Bartei) felbft erwächst die Aufgabe, in steigendem Maße für die allseitige Weiter bildung ihrer Mitglieder zu forgen, und zwar in erster Linie für beren theoretische Schulung durch planmäßige Einführung in die Grundfäße des wissenschaftlichen Sozialismus." So wurde ein Bil dungsausschuß gewählt, dem die organisatorische Jufammenfaffung der bestehenden Bildungseinrichtungen oblag, der neue Wege auf zeigen und den fleinen örtlichen Einrichtungen gutes Material für bie Arbeit zur Verfügung stellen sollte.

Die Spige der wissenschaflichen Ausbildungsmöglichkeiten war die im Jahre 1906 eröffnete Parteischule. In ihr wurden in halb­jährigen Kurfen die von den Bezirksleitungen der Partei delegierten Schüler ausgebildet, bamit fie den Anforderungen, die die Partei in immer ftärferem Maße an fie ftellte, beffer genilgen konnten, Die Kurse waren von etwa je 30 Schülern belucht und fanden in den Wintermonaten statt. Die Roften trug die Gefamipartel, fie beliefen fich für die Zeit von 1906-1913 auf 331 800 M. Lehrfächer waren: Nationalökonomie, Wirtschaftsgeschichte, Gesellschaftswiffen. fchaft, Arbeiterrecht und Verfassungswesen, deutsche   Geschichte, Ge­fchichte des Sozialismus und der Arbeiterbeweging, mündlicher und schriftlicher Gedankenaustausch, Zeitungstechnik, Naturerkenntnis.

Der Weltkrieg unterbrach jäh alle diese Bestrebungen, lähmte alle Bildungsarbeit und zwang zur Schließung der Institute. Erst in den letzten Jahren geht die Entwicklung ftetiger vorwärts. Die Bildungsschule Berlin   hat in allen Stadtbezirken Kurse eingerichtet,

die Freie Sozialistische Hochschule mit ihren wiffenfchaftlichen Se­minaren entstand 1926, die Wanderredner der Partei fonnten die örtliche Bildungsarbeit durch kleinere Kurse wirksam unterstützen,